Ein neuer bürgerlicher und Reform-Minister
[147] Ein neuer bürgerlicher und Reform-Minister. (Mit Abbildung.) Als Metternich und seine diplomatischen Jünger und Anbeter im „europäischen Concert“ an der ersten Geige saßen, hat kein deutscher Hof es gewagt, auf seine Staatsministersessel andere als hochadelige Personen zu setzen. Es gehört zu den vielen Verdiensten des Sturms von Achtundvierzig, auch in dieser Hinsicht gesundere Luft in die höheren Regionen gebracht zu haben. Erst an solchen Wandelungen, welche hundertjährige Paragraphen der starrsten Hoffähigkeitsgesetze über den Haufen warfen und Ständescheidungsmauern von unübersteiglicher Höhe mit einem Schlage niederrissen, erkennt man, wie stark der Sturm und wie morsch die Gegenstände gewesen, gegen die er anzurennen bestimmt war. Wir haben das Unerhörteste erlebt: in Wien ein ganzes „Bürger-Ministerium“; seitdem Das möglich war, wundert [148] sich Niemand mehr darüber, wenn für die Ministerposten die Männer nicht mehr nach der leiblichen, sondern nach der geistigen Würdigkeit gewählt werden – ohne Unterschied des Standes.
Eine solche Wahl hat, und zwar zum dritten Male für das eben amtirende Ministerium, in Preußen stattgefunden. An die Stelle des Herrn v. Mühler ist am zweiundzwanzigsten Januar dieses Jahres der bisherige Geheime Oberjustizrath im Ministerium, Dr. Falk getreten. Die Kritik des Volkes hat sich über das Walten seines Vorgängers unverhohlen ausgesprochen: sein Abgang war ein Freudenfest nicht blos in Preußen, sondern bei allen Deutschen, welche für die deutsche Nationalentwickelung auf das neue Reich ihre Hoffnung setzen. Mühler’s Nachfolger empfing es mit stiller Erwartung: das Volk ist durch zu bittere Erfahrungen belehrt, daß mit Personenwechsel auch mehr verloren, als gewonnen werden kann, obwohl im vorliegenden Fall dies wohl unmöglich war; man kannte den neuen Minister bei seiner bisherigen rein amtlich gewesenen Thätigkeit zu wenig, um den Grad seiner Abweichung vom bisherigen System ermessen zu können. Und genügte es auch Vielen, daß ein Bismarck ihn empfohlen und seine Bestallung durchgesetzt hatte, so wollten die Vorsichtigen im Lande doch erst den Mann selbst einmal im Feuer gesehen haben, um ihn nach der Fahne, die er trägt, und der Klinge, die er schlägt, gerecht zu beurtheilen. Dies ist nun geschehen. Die großen kirchlichen und Schulfragen, welche zur Klärung der Parteischichten außerordentlich beitragen, riefen auch ihn auf die Mensur gegen die jetzt so offenbaren volks- und reichsfeindlichen Wühlereien, und Bismarck hatte alle Ursache, zu schmunzeln: „sein Fuchs paukte sich gut.“ –
Mehr läßt sich bis jetzt nicht über den neuen Cultusminister sagen; seine Stellung ist aber so, daß er in kurzer Zeit sich in ganzer Gestalt zeigen muß, und weil man darum schon heute Einiges über eines solchen Mannes Herkommen und Vergangenheit erfahren will, so sei dies sei in aller Kürze hier gegeben.
Falk ist 1827 geboren; sein Vater war früher Prediger und Consistorialrath an der Hofkirche in Breslau und ist jetzt Pastor zu Waldau bei Liegnitz. Nach vollendeten Studien war Falk gegen Ende der fünfziger Jahre Staatsanwalt erst in Lyck, dann in Glogau. Der Umstand, daß er hier die Bearbeitung der vierten Auflage des sogenannten „Fünfmännerbuchs“ besorgte (– einer Sammlung von Ergänzungen zum allgemeinen Landrecht, die gemeinsam von Gräff, Koch, Wentzel, Rönne und Heinrich Simons, damals sämmtlich in Breslau, hergestellt worden war und für jeden preußischen Juristen eine Unentbehrlichkeit ist –), wandte das Auge der „neuen Aera“ auf ihn und veranlaßte seine Versetzung nach Berlin und in das Justizministerium. Damals ward er auch Mitglied des Abgeordnetenhauses, ohne sich darin besonders hervorzuthun. Das Ministerium Graf Lippe schob ihn zum praktischen Dienst, als Appellationsgerichtsrath, bei Seite; dagegen fand es dessen Nachfolger angemessen, Falk wieder in’s Ministerium zu sich zu nehmen und ihn zum Geheimen Oberjustizrath und vortragenden Rath zu befördern. Diese Stellung brachte ihn auch in den Bundesrath, wo er als Commissarius der preußischen Regierung beschäftigt und bei der Ausarbeitung der Gesetzesvorlagen über das neue Strafgesetzbuch so hervorragend thätig war, daß Fürst Bismarck in dieser Bundesrathssitzung Gelegenheit erhielt, den Mann darnach zu prüfen, ob er Geist, Muth und Kraft genug besitze, um Das wieder gut zu machen, was sein Vorgänger in langen, leider nur allzu wohl ausgenutzten Jahren an Kopf und Herz, Wissen und Glauben, Schule und Kirche, kurz an allem durch Bildung zu erreichenden Menschenglück in Preußen und darüber hinaus zusammengesündigt. Zu dem Wunsche, daß dem neuen Minister Kopf, Herz und Arm zu diesem Kampfe gesegnet sei, spricht jeder ehrliche Deutsche laut und freudig sein Amen.