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Ein litterarisches Jahrbuch aus Oesterreich

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Textdaten
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Titel: Ein litterarisches Jahrbuch aus Oesterreich
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 162
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[162] Ein litterarisches Jahrbuch aus Oesterreich. Der Erste allgemeine Beamtenverein der österreichisch-ungarischen Monarchie läßt ein Jahrbuch, „Die Dioskuren“ (Wien, Karl Gerolds Sohn), erscheinen, dessen Reinertrag für den Fonds zur Errichtung einer höheren Töchterschule bestimmt ist. Es liegt uns der einundzwanzigste Jahrgang dieses Jahrbuchs (1892) vor. Ueber die Entwicklung und Thätigkeit des Vereins im Jahre 1890 bringt der Schluß des Jahrbuchs eine eingehende, an statistischen Angaben reiche Abhandlung. Den eigentlichen Inhalt bilden Gedichte, kleine Erzählungen, litterarische und einige naturwissenschaftliche Aufsätze. Besonders reichhaltig ist die Auswahl der Gedichte; der Senior der österreichischen Lyriker, Ludwig August Frankl, hat „allerlei Verse“ beigesteuert, darunter einige Sinnsprüche, so den über Verleumder:

„Verleumder sind wie die gereizten Bienen,
Du bleibe ruhig stehen unter ihnen;
Sie kreisen Honig sammelnd um dich her
und stechen dich nicht mehr.“

Auch Betty Paoli giebt ein lyrisches Lebenszeichen, ein Gedicht „Aufgegeben“, und ein paar Sprüche in Versen, unter denen der folgende bemerkenswerth ist:

„Es scheint wahrhaftig auf der Welt
Aufs beste Jegliches bestellt;
Die Kinder sind alle engelgleich,
Brautpaare alle gnadenreich,
Und scheidet einer aus dem Leben,
Hat’s keinen bessern je gegeben.
Bewundernd möchte man verstummen,
Nur eines wird mir hier nicht klar;
Wenn dem so ist, woher die Schar
Der Schlechten, Häßlichen und Dummen?“

Spruchweisheit ist das eigenste Gebiet der geistreichen Marie Ebner von Eschenbach. Diesmal hat sie einige Parabeln beigesteuert, denen es nicht an überzeugender Beweiskraft fehlt. Sehr treffend ist z. B. „Die Verfehmte“: „Wenn die Freuden Versammlung halten, findet so mancher verlotterte Gesell sich ein. Die hohen, die reinen gehen an ihm vorbei, zürnend gleichgültig, wohl auch mit einem mitleidigen Lächeln. Eine Freude nur wird immer hinausgeworfen, weil sie gar so gemein ist, die Schadenfreude.“ Cajetan Cerri hat Lyrisches und Didaktisches gegeben „Aus dem Wintergarten des Lebens“. Außerdem finden sich Gedichte von Stephan Milow, von W. Constant, August Silberstein, J. Tandler, Wilhelm von Wartenegg und mehreren bisher unbekannten Poeten; Eugenie delle Grazie hat lyrische Bruchstücke einer Herzenstragödie dargebracht und findet dabei Wendungen von schlagender Kürze wie die letzte Strophe des ersten Gedichtes:

„Fahr’ wohl – trifft dieses Wortes Strahl
Dich auch mit herber Pein –
Du wolltest es – mein war die Qual,
Sei nun die Reue dein.“

Von Martin Greif finden sich einige kleine Lieder, von Bertha von Suttner eine keck hingeworfene Salonnovelle, „Zwei Schwestern“. Ernst Gnad hat einen Aufsatz über Grillparzers „Des Meeres und der Liebe Wellen“ geschrieben. Dramatisches hat nur die kroatische Schriftstellerin Mara Cop-Marlet beigesteuert und zwar Scenen aus einem Trauerspiele „Der Bogumile“, das im 15. Jahrhundert in Bosnien spielt. Das Jahrbuch ist ein Zeugniß dafür, daß die Poesie in Oesterreich noch eine Fahne findet, um welche sich ihre Jünger gern versammeln. †