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Ein lesendes Mädchen (Gemälde der Dresdener Gallerie)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Adolph Görling
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Titel: Ein lesendes Mädchen
Untertitel: Von P. de Hooghe
aus: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1848–1851
Verlag: Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne
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Erscheinungsort: Leipzig und Dresden
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Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
aktuelle Zuschreibung des Bildes: von Johannes Vermeer
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A Girl reading.     Ein lesendes Mädchen.

[135]
Ein lesendes Mädchen.
Von P. de Hooghe.

Auf dem Damme von Amsterdam ging in einer Herbstnacht des Jahres 1685 ein einzelner in einen kurzen Mantel gehüllter Mensch. Er musterte eines der Wirthshäuser an der Straße nach dem andern und murrte in höchst unzufriedenem Tone, wenn er die Thür verschlossen fand und kein bereitwilliger Diener erschien, welcher ihm die Thür öffnete. Er kam abermals an einen Wein-Kranz und fing, da sein Pochen an der Thür wieder vergebens war, mit wahrer Rücksichtslosigkeit an, abwechselnd mit seinem Degenknopfe und dann mit den Stiefelabsätzen die Thür zu bearbeiten, daß es weithin dröhnte. Ein Wächter näherte sich mit hallenden Tritten.

– Mynheer, stört die ehrbaren Bürger Amsterdams nicht im ersten Schlafe, und könnt Ihr Euch vor Weindunst nicht lassen, so packt Euch in eure Federn und schlaft den Rausch aus.

Sang de Dieu! Ich habe keinen sehnlicheren Wunsch, als Euren ehrbaren Bürgern im Schnarchen getreueste Gesellschaft zu leisten! rief der Fremde in gebrochenem Holländisch. Ich kann aber unmöglich erwarten, daß Eure holländischen Betten dem Chevalier César de Cobrion auf der Straße entgegenkommen werden. Und da habe ich allen Grund, dieselben meinerseits gehorsamst aufzusuchen. Ich bitte Euch, Mynheer Nachtwächter, ist das ein Wirthshaus?

– Ein Wirthshaus für Seeleute!

– Seht Ihr, daß ich Recht hatte, hier zu pochen? Ich bin im Punkte meiner Zuneigung zu Genever und schönen Mädchen ein so vollkommener Seemann, wie es Michel de Ruyter nur immer gewesen sein kann. Ich bitte Euch, mein Freund, leiht mir Euren Spieß, damit ich an die Thüre hämmern kann; denn ich versichere Euch auf Parole, ich habe Ursache, ebenso sehr mein Degengefäß als meine Stiefeln zu schonen.

[136] Der Nachtwächter gab langsam seinen Spieß ab, indeß er brummte:

– Dem Mynheer wirds wohl nicht auf ein Paar Steuber für den Dienst ankommen.

Der Franzose stieß tüchtig mit dem Schafte auf die Thür los; der Diener des Hauses erschien und der Fremde gab dem erwartungsvollen Wächter galant den Spieß zurück.

Merci; Freund Nachtwächter! sagte er. Ihr habt ein glückliches Talent im Errathen; denn auf Ehre, es kommt mir selbst auf einige Louisd’or nicht an, vorausgesetzt, daß ich sie besitze.

– Ihr habt also keine Steuber? fragte der Wächter sehr aufgebracht.

– Abermals dies Divinationstalent? Göttlich! Ich habe wirklich keine Steuber! Mensch, Ihr dürft blos nach Paris gehen, Euch Seiner Majestät und der hochgebenedeiten Madame de Maintenon unter dem Titel des „Amsterdamer Orakels“ vorstellen, und voilà tout – Euer Glück ist gemacht.

Bald wäre auch das des Franzosen gemacht gewesen und zwar für immer, denn der Nachtwächter schlug mit seinem Spieße ihm dicht am Ohre vorbei. Der Kellner warf die Thüre zu, schloß ab und musterte dann seinen neuen Gast ziemlich mißtrauisch.

Der Chevalier César de Cobrion, wie sich der Herr selbst ankündigte, war keineswegs empfehlend gekleidet. Er trug nur noch die Reste eines reichen und feinen Anzuges. Es ist jedoch eine bekannte Sache, daß man selbst in schäbigen Kleidern steckend eine Miene annehmen kann, welche denselben aufs Neue eine Art Lustre verleiht. Es kommt nur auf die Kunst an und César hatte augenscheinlich diese Kunst inne. Er erhob sich graziös auf die Zehen, setzte den großen Federhut schräg in die schönen schwarzen Augen und redete den Kellner mit Zuversicht in einem Französisch an, das selbst der eigensinnige Geschmack der Höflinge des großen Ludwig untadelhaft gefunden haben würde.

– Mein Freund! dies ist das zweiundzwanzigste Eurer Amsterdamer Wirthshäuser, welches ich heute inspicire, nicht etwa um zu trinken, sondern um den Capitain der französischen Brigg, welche auf dem Y liegt, den Chevalier François de Marsillac aufzufinden. Kannst Du mir Auskunft über ihn geben: so wird César, Chevalier de Cobrion, Dich mit einem Ducaten belohnen, obgleich er fern vom Boden Frankreichs, ein des Glaubens wegen Verfolgter, hier steht.

Der Kellner senkte fast salutirend sein Kräusellicht und machte richtig eine demüthige Verbeugung, setzte aber sogleich freudig hinzu:

– Mynheer Chevalier, das Geld habe ich gleich verdient, denn Capitain Marsillac sitzt da in jener kleinen Stube und zecht. Ich will Euch anmelden; er hat noch einen Herrn bei sich, den Marquis de Contanges; aber da sie schon seit heute Morgen zusammen getrunken und gespielt haben: so werden sie wohl nicht mehr durch Euch gestört werden . . .

Cobrion fiel dem Kellner um den Hals.

– Ha! rief er entzückt. Mein Freund, du giebst mir das Leben wieder! Ein Ducaten? Zehn, Allerbester, und dann werde ich Dir noch weitere zu verdienen geben; aber, dies ist feierlicher Ernst, Du mußt schweigen wie das Grab, und treu sein bis zum Tode. Vermagst Du’s?

– Ja, sagte der Kellner leise und sehr erschrocken.

Bon! Wir werden weiter davon reden. Ich werde Dich inzwischen prüfen, ob Du zu meinen Zwecken paßt. Im Vertrauen sage ich Dir, eben den Marquis suche ich; er wird sich [137] auf Marsillac’s Fahrzeuge nach Havre de Grace einschiffen. Er ist Cavalier bei „unserer“ Gesandtschaft im Haag gewesen . . . Merkst Du jetzt, wie die Sachen stehen?

Der Kellner merkte zwar Nichts, aber er war eben durch das Gesicht, welches de Cobrion machte, so sehr von dessen Wichtigkeit überführt, daß er ohne die geringste Einwendung lief, und eine Flasche guten Rheinweins holte, als der Chevalier den Befehl dazu gab.

Mit dieser Flasche Wein bewaffnet, sah Cobrion noch viel unternehmender aus als sonst. Er war nicht mehr sehr jung, ebenfalls auch nicht sehr schön; aber die Körperhaltung und das Auge, wie jener verwachsene französische Baron sagte, der namentlich im ersten Punkte groß war, die Körperhaltung und das Auge machen den Cavalier. Der Anstand Cobrions aber war jedenfalls distinguirt und sein Auge, obgleich des Jugendfeuers entbehrend, konnte doch immer noch wegen seiner Größe und Schwärze schön genannt werden.

Als er in die kleine Stube trat, wo die beiden andern Franzosen sich befanden, erhoben sich diese unwillkürlich und machten dem „Defecten“ ihr Compliment. Der Marinecapitain, ein untersetzter, schöner Mann von etwa dreißig Jahren, und der Marquis, ein Herr von dreiundzwanzig Jahren, mit himmelblauen Augen, nur leicht gepudertem Schwarzhaar, mit einer Taille vom reinsten Wasser und pariser Hoffüßchen, diese beiden Männer waren allerdings würdigere Repräsentanten des französischen Adels, als Sire César.

Dieser stellte sich ihnen in aller Form vor und erntete für diese Bemühung von dem Capitain ein sardonisches Lächeln, von dem Gesandtschaftssecretair ein merkwürdig verlängertes Gesicht. Der letztere musterte seinen Mann mit sinnender Miene und sagte dann gedehnt:

– Cobrion also!

– Ah, rief dieser, welcher ihn gespannt beobachtete, Sie erinnern sich meiner . . . Ich schmeichelte mir, daß Ihr eminentes Gedächtniß Sie nicht verlassen würde, auch wenn Sie einen Hülfsbedürftigen vor sich sehen . . . – Parbleu, Fontanges, wer ist denn dieser Herr eigentlich? sagte der Capitain ungeduldig.

– Der Liebling und getreueste Diener Ihrer Allmächtigkeit von Frankreich, der Dame de Maintenon . . . sagte Fontanges. Aber das ist gerade das Räthsel: wie kommt der Protégé einer solchen Göttin in eine solche Lage, sich hülfsbedürftig zu nennen und so zu sagen, indirect Unsersgleichen anzubetteln?

– Ich bettle nie, Marquis! rief Cobrion sich aufrichtend und zur Beglaubigung seiner Zahlfähigkeit auf die kühn errungene Flasche Wein zeigend. Aber ich, ein Hugenott, bin durch die Aufhebung des Edicts von Nantes getroffen und gleich Tausenden meiner Glaubensgenossen irre auch ich heimathlos in fremdem Lande.

– Bah! lachte Fontanges. Ihr und ein Hugenott? Cobrion, wir haben gehört, es sei nachträglich ans Licht gekommen, daß Ihr einem gewissen Saint Croix und einer gewissen Madonna de Brinvilliers, giftmischerischen Andenkens nicht unbekannt waret . . .

– Marquis, sagte Cobrion endlich mit schnarrender Stimme, jede Silbe langsam und deutlich aussprechend, hüten Sie sich, daß sich Ihr ergebenster Diener nicht auch an verschiedene höchst interessante Dinge erinnert. Sie sind Busenfreunde, Cavaliere, und ich brauche daher die [138] Delicatesse nicht so weit zu treiben, in Gegenwart des Herrn Capitains mich mit Andeutungen zu begnügen.

– Sie, Cobrion, mögen allerdings sehr merkwürdige Erinnerungen haben; setzen Sie indeß nicht voraus, daß Sie uns amusiren, wenn Sie uns davon unterhalten. Sie trinken Ihren Wein am besten an einer andern Stelle, als in unserem Zimmer. Gute Nacht und guten Weg! sprach Fontanges sehr kalt und verachtend.

– Ich bin ein Gottesblut, wenn ich Ihnen gehorche! rief Cobrion, dessen Augen ein unheimliches Feuer sprühten. Meine Erinnerungen haben allerdings für Sie eine besondere Wichtigkeit, denn sie können Sie sammt Ihrer Schwester Athenais in die Bastille bringen und zwar ebenso hoffnungslos, als wären Sie die Masque de fer!

Die beiden Herren wechselten einen raschen Blick. Fontanges erbleichte und richtete einen Blick auf seinen an einem Stuhle lehnenden Hofdegen.

– Haben Sie vielleicht vergessen, daß Ihre Schwester die Marquise de Fontanges, die Creatur der Madame de Maintenon . . .

– Was wagst Du, Filou . . . rief der Marquis, nach seinem Degen greifend.

– Noch zwei Worte; sprach Cobrion noch lauter. Dann machen Sie was Sie wollen. Ganz Frankreich weiß, daß die Besiegerin der Montespan, Ihre Schwester, nichts als ein Geschöpf der Dame de Maintenon war. Wissen Sie, daß sich Ihre Schwester auf Kosten der Maintenon des Königs bemächtigen wollte? Wissen Sie, daß die Maintenon von Ihnen und Ihrer Schwester verläumdet und verrathen wurde, daß Sie verschwinden, durch Ihre Alliirten verschwinden, oder, da Sie beliebten, von giftigen Präparaten zu sprechen, vergiftet werden sollte, während Ihr ergebener Freund Louvois zum Dessert eine Pistolenkugel oder einen Degenstoß empfangen hätte? Wissen Sie endlich, daß Sie, Marquis, auf den Minister diese Pistolenkugel selbst abzufeuern die Güte gehabt haben? Was mich betrifft, so weiß ich dieses und noch mehr. . .

Fontanges war wieder ruhig geworden. Er sagte zu dem entsetzten Marsillac:

– Freund, ich sehe nicht ein, weshalb wir diesen Cobrion, diese wahre Cobra de Cabelo, nicht eigenhändig erwürgen wollen, bevor ihr Gift uns treffen kann.

Bon, Messires, lachte der Defecte, seinen ungeheuern langen Raufdegen mit ausgezeichneter Schnelligkeit entblößend und dem Seemanne, welcher mit seinem kurzen Schwerte auf ihn eindrang, die Spitze der Waffe präsentirend. Ich bewundere Sie, auf Parole, Zwei gegen Einen! Es ist mir schmeichelhaft, mein Handgelenk und meinen Stoß so glänzend anerkannt zu sehen. Ich versichere Sie beiderseits, und Sie werden sich sofort überzeugen, daß mein Gelenk das beste von ganz Paris und mein Stoß ebenso unwiderstehlich als der Pfeil des Amors ist.

Und in der That trieb der Industrieritter die beiden Freunde in eine Zimmerecke zusammen.

Diable! schrie Fontanges, seinen Arm, auf welchen er einen nervigen Flachhieb empfangen hatte, sinken lassend. Cobrion! Canaille! Gedenkst Du uns hier an die Tapete zu spießen? Halt doch!

Der schäbige Cavalier trat zurück und senkte seinen Degen, indeß Marsillac mit einem erbitterten Blick auf seine eigne, zu kurze Waffe, dieselbe auf den Tisch warf.

– Waffenstillstand! rief Fontanges. Auf Cavalierparole. Laß Dich nieder, Monsieur Cobra. Wir wollen ohne jegliche unangenehme Anspielung reden.

[139] – Redet nur zu! murrte Marsillac. Ich ziehe es vor, mich so weit als immer möglich von diesem zwar höchst achtbaren, aber dennoch ein wenig zu sehr verdächtigen Burschen vor Anker zu begeben. Gute Nacht, Fontanges!

Und er ging höchst unmuthig ab.

Bref! begann Cobrion, nachdem er eine Zeitlang starr in sein Weinglas geblickt hatte. Ich bin verbannt, oder noch richtiger, ich habe mich selbst verbannt, weil ich’s müde war, mich ewig verfolgen zu lassen. Und warum? Ich habe lediglich an Herrn von Louvois ein ganz unschuldig kleines Geheimniß der Dame de Maintenon verkauft.

Fontanges zuckte die Achseln.

– Ich habe dieser Frau viele Dienste geleistet, wissen Sie, Marquis, und ich gestehe es, bin immer sehr wohl dafür belohnt geworden. Mon Dieu! Was war Cobrion in Paris? Und was ist er jetzt! Ich werde schwach, gedenke ich daran . . . Doch nein, ich werde stärker als je; denn ich werde meine frühere Stellung wieder erringen, oder darüber mein Leben opfern. Und dazu, daß ich sie mir wieder eröffne, diese Pforten von Golconda, sollen Sie mir behülflich sein, Marquis; verstehen Sie wohl? Sie sollen!

– Chevalier! erwiderte Fontanges, augenscheinlich in unerquicklichster Stimmung, Sie sind von einer fixen Idee befangen, wenn Sie mir die Macht zutrauen, Ihren allergnädigsten Befehl auszuführen.

– Hier ist das Mittel. Der König hat Unterhaltung nothwendig.

– Ohne Zweifel; bemerkte der Marquis so ernst, als hätte es sich um das Wohl und Wehe des ganzen Staates gehandelt, den Louis XIV. vorstellen zu wollen brutal genug war.

Cobrion schob seinen Federhut etwas zur Seite und bog sich weit über den Tisch dem Marquis zu, so daß die beiden Menschen, von der zwischen ihnen stehenden Thranlampe scharf beleuchtet, ein herrliches Bild abgegeben hätten, wie es Rembrandt, oder Gottfried Schalken von Dortrecht so gern malten.

– Diese Unterhaltung Seiner Majestät von Frankreich besteht aber bekanntlich nicht allein in den ascetischen Andachtsübungen, welche Madame de Maintenon mit ihm anstellt! fuhr Cobrion fort. Der Monarch ist des Spielzeugs, das junge, interessante Damen heißt, zu sehr gewohnt, als daß er dasselbe entbehren könnte. Die Maintenon hat die Lieferung dieses Spielzeugs übernommen, – wissen Sie; sie ist genöthigt, da der König einen ebenso launenhaften Geschmack, als eine wirklich merkwürdige Unbeständigkeit entwickelt, die ausgezeichnetsten Künste aufzuwenden, um neue Gesellschafterinnen einzufangen, die außer den vom Könige beliebten Eigenschaften auch die besitzen müssen, der Sultana Hasseki nicht gefährlich zu werden. Mit Frankreich ist der große Louis fertig. Spanierinnen, Italienerinnen, eine wirkliche Tscherkessin und fünf unechte Perserinnen haben es vergebens versucht, sein dauerndes Interesse zu erregen. Marquis; ich kenne diese Geschichten bis ins Einzelne hinein, versichere Sie aber, daß es weder der Frau von Maintenon, noch dem Könige, noch irgend Jemand eingefallen ist, eine Holländerin an den Hof zu bringen. Mir war dieser großartige Gedanke vorbehalten. Eine Holländerin! Diese Idee wird die Maintenon mit Gelde aufwiegen. Sie wird daraus die Gewißheit schöpfen, daß meine Phantasie in Erfindung von Variationen noch immer ebenso unerschöpflich, als die ihrige schwerfällig ist. Sie haben, wenn Sie in Paris anlangen, Zutritt zu ihr und beim [140] kleinen Lever können Sie ihr Alles sagen, was sich auf meinen Punkt bezieht. Und wagen Sie den Schritt nicht, so ist der Narr von Louvois der enthusiastische Anbeter Ihrer Schwester Athenais. Ein Wort zu dieser wird sofort den Weg zu der Maintenon und zum Könige finden. Ich fordere Sie auf, für mich zu wirken, Fürsprache für mich einzulegen, damit ich schleunigst wieder zu Gnaden angenommen werde.

Cobrion war sehr lebhaft geworden. Fontanges sah diesen gefährlichen Speculanten mit einem lauernden Blicke an.

– Es ist möglich, Cobrion, erwiderte er, daß man in Paris Eure großartige Idee goutirt; aber sehr wahrscheinlich, daß man sie in diesem Falle ausführt, ohne sich um Euch zu bekümmern.

– O, keine Furcht deshalb! Man wird mich nothwendig haben, damit der Gedanke verwirklicht werde, so wie es die Maintenon verlangt. Und ich kann immer, dafern ich wieder zu Gnaden komme, sofort das in mich gesetzte Vertrauen glänzend rechtfertigen. Wirken Sie mir die Erlaubniß aus, daß ich nach Paris zurück kann, und ich werde ein seltenes Kleinod am Hofe vorstellen können.

– Wozu die Worte? Man glaubt Euch ja doch nicht.

– Werden Sie mich reden lassen? fragte Cobrion sehr aufgebracht. Die Maintenon wird durch Sie unzweifelhaft überführt werden, daß sie eine solche wahrhaft holländische Schönheit, von feinster Bildung, von dem demüthigsten Temperamente nie dachte. Erheben wir uns; es ist Morgen geworden. Sie sollen sogleich diese arme und doch so elegante Goldstickerin bewundern und wenn Sie gesehen haben werden, daß Occa de Kuyper unvergleichlich ist für ihre Rolle, dann wird es Zeit sein, dafür zu sorgen, daß man mir in Paris Glauben schenke . . .

Der Marquis war durchaus ein pariser Höfling jener Zeit und als solcher nicht wenig verderbt. Dennoch wandte er sich mit tiefer Verachtung von Cobrion ab, der im Fluge ihm die dunkelste Seite des pariser sittenlosen Hoflebens enthüllt hatte. Ungeachtet dieser lebhaften Abneigung und einer nicht geringen Furcht, welche er vor dieser Klapperschlange empfand, ward dennoch durch dieselbe sein Interesse nicht wenig erregt.

Fontanges bezahlte seine eigene und die Zeche des ehrenwerthen Cavaliers, wofür dieser graziös dankte, nahm Hut und Degen und ging mit Cobrion zum Hause hinaus.

Es war Morgen geworden. Die öden Straßen fingen an lebendig zu werden. Cobrion unterhielt den Marquis von der schönen und sanften Occa, von seinen Künsten, die er aufgewendet habe, um sich ihrer Zustimmung zu einer Reise nach der Hauptstadt Frankreichs zu versichern, und setzte den lebhaften Fontanges durch seine paniskenartigen Schilderungen nicht wenig in Flammen.

In einer entfernten Vorstadt hielt Cobrion an und deutete auf ein kleines Haus, dessen Hausthür bereits halb geöffnet war und dadurch die Rührigkeit der Hausbewohner verrieth.

Lautlos schlichen die beiden Franzosen über den kleinen Flur und traten ohne anzuklopfen in das Gemach.

Fontanges unterdrückte kaum einen Ausruf der Bewunderung, als er vor dem einen Flügel des ärmlichen Fensters ein geschmackvoll gekleidetes Mädchen erblickte, das die sanfte Ruhe der Unschuld in ihren Zügen und daneben einen nicht gewöhnlichen Geist in dem Blicke ihrer [141] großen blauen Augen zeigend, einen Brief in den Händen hielt, unter welchem man schon von weitem die pomphafte Unterschrift „Chevalier Cobrion“ erkennen konnte. Occa ward von dem Strahle der eben aufgehenden Sonne freundlich beleuchtet, die in magischer Schönheit in den Locken der Holländerin, an dem geöffneten Fensterflügel und an der Wand des Zimmers spielte. Das nach innen gehende Fenster spiegelte das liebliche Gesicht Occa’s, welches die Franzosen im Profil sahen, in der Vorderansicht wieder.

Cobrion warf einen triumphirenden Blick auf den, von diesem eigenthümlichen Stillleben seltsam ergriffenen Fontanges. Er stellte den Letzteren der Stickerin vor, fand aber zu seinem Verdrusse, daß der Marquis so zerstreut und schweigsam war, daß es fast unerträglich wurde. Als er ihn wieder fortgeführt, machte er ihm nicht allein bittere Vorwürfe darüber, sondern fügte auch ähnliche Drohungen hinzu, wie er sie schon die vorherige Nacht ausgestoßen hatte. Aber Fontanges ließ sich diesmal nicht einschüchtern, obwohl er nicht zu widersprechen für gut fand.

– Jetzt, Cobrion, sagte er endlich, laßt uns scheiden. Ich kann jetzt mit gutem Gewissen in Paris schwören, daß die Göttin, welche den König beglücken soll, dieser Ehre vollkommen würdig ist . . .

Parbleu! Ihr werdet ein noch schlagenderes Mittel haben, um diese Menschen zu überzeugen! rief Cobrion. Seht Ihr dort jene Fenster mit den Oelgemälden?

– Ja! Pieter de Hooghe von Haarlem wohnt dort . . .

– Sehr gut! Dieser Meister wird Euch die Occa malen, grad so wie sie heute Morgen vor dem Fenster stand. Seht dort das Bild der lesenden Frau, und das welches drüber hängt, die Frau in dem Thorwege, – ist’s nicht als hätte sich Occa expreß ebenso zurecht gestellt, wie diese? Ist das nicht dieselbe Sonne, welche heute so merkwürdig in die Stube der Stickerin leuchtete?

– Aber das wird Euch Geld kosten, Cobrion . . . bemerkte Fontanges.

– Mir? Bah! Euch; das ist das Richtige. Das Gemälde bezahlt Ihr.

– Gut! Aber ich kann’s nicht mit mir nehmen; denn ich reise morgen früh ab nach Havre de Grace.

– Possen! Ihr werdet Euch krank machen und hier bleiben, bis Alles genau so geschehen ist, wie ich’s will! rief Cobrion unerschütterlich. Diesmal ist Fontanges mein Diener!

Der Marquis schwieg jetzt wie ein Camaldulenser-Mönch. Von Cobrion geführt, ging er zwar zu Pieter de Hooghe, nannte seinen Namen und bestellte das Portrait Occa de Kuypers bei dem schönen, zweiundvierzigjährigen Meister, bezahlte auch hundert Franken sofort, um ihn zum augenblicklichen Beginn der Arbeit zu bewegen; aber es gelang dem Industrieritter nicht, weiter eine Silbe aus ihm hervorzulocken.

In einigermaßen gepreßter Stimmung schied Cobrion von ihm, um seine Stellung zu überdenken. Den Tag über hielt er sich fast immer am Hafen auf, um sicher zu sein, daß der Marquis sich nicht etwa auf der Brigg Marsillac’s einschiffe. Er sah sich, da dieser Letztere am Abende die Flagge zum Auslaufen aufhißte, genöthigt, sein Postenstehen bis tief in die Nacht hinein zu verlängern. Er schien entschlossen, seinen Mann durch einen Degenstoß krank zu machen [142] und ihn so zum Dableiben in Amsterdam zu nöthigen, falls er dem Worte nicht gehorchen wollte . . .

Die weitere Entwickelung dieses eigenthümlichen kleinen Drama’s liegt im Dunkeln. Was weiter zwischen den beiden Parisern vorging, ist ein Geheimniß geblieben; gewiß ist nur, daß drei Tage nach dieser Nacht eine venetianische Schoonerbrigg, als sie den Anker lichtete, auf dem Schnabel desselben einen mit drei Kanonenkugeln beschwerten Leichnam aus der Tiefe heraufholte, in welchem man denjenigen des Chevaliers Cobrion erkannte. Er hatte weder seinen perfiden Anschlag auf Occa ausführen, noch seine Drohung gegen den Marquis Fontanges verwirklichen sollen.

Pieter de Hooghe malte Occa und wartete lange Zeit, daß das Bild von dem vornehmen Besteller abgeholt wurde. Er hörte und sah jedoch von dem Marquis nichts wieder. Mit vollem Recht konnte der Meister das ausgezeichnete Portrait daher nach Deutschland verkaufen.