Ein lebender Frauenschmuck
[866] Ein lebender Frauenschmuck. (Mit Abbildung.) Im Juni dieses Jahres habe ich von unserm Standquartier im Harz aus in Gesellschaft von Kurgästen einen Ausflug gemacht. Als wir am späten Abend heimkehrten, zogen die Johanniskäfer ihre leuchtenden Bahnen durch die Luft. Eine der jungen Damen fing einige derselben, um damit ihren Hut zu schmücken, und in der That leuchteten die Käferchen, in dem Tüllschleier gefangen, wie kleine Juwelen.
Der Einfall, sich mit strahlenden lebenden Wesen zu schmücken, war nicht neu. Die Damen im tropischen Amerika, namentlich die Mexikanerinnen tragen schon seit lange Leuchtkäfer als Schmuck. Die amerikanischen Leuchtkäfer von dem Geschlecht Pyrophorus (wörtlich = „Feuerträger“) leuchten aber viel stärker als unsere Johanniskäfer. Der Pyrophorus oder Elater noctilucus ist den Spaniern unter dem Namen Cucuyo bekannt: er ist schwarzbraun, 30 bis 50 mm lang und 10 bis 15 mm breit. Das Licht sieht man am deutlichsten an zwei rundlichen Stellen des Halsschildes sowie unter dem Bauch zwischen dem Bruststück und den Hinterleibsringen erstrahlen. Es ist so stark, daß man bei ihm lesen kann, wenn man den Leuchtkäfer nahe an die Schrift bringt und ihn längs der Zeile fortbewegt, namentlich dann, wenn der Käfer besonders erregt ist und in diesem Zustande kräftiger leuchtet.
Die Leuchtkraft des Cucuyo wird in verschiedenen Gegenden zu verschiedenen Zwecken benutzt.
„So steckt man,“ heißt es in Brehms Thierleben, „einige in ausgehöhlte, mit kleinen Löchern versehene Flaschenkürbisse, um natürliche Laternen dadurch herzustellen. Sehr sinnreich ist die Verwendung zu nennen, welche die Damen davon machen, um ihre Reize zu erhöhen. Sie stecken des Abends die Käfer in ein Säckchen von feinem Tüll, deren mehrere in Rosenform am Kleide befestigt werden; am schönsten aber soll sich dieser Schmuck ausnehmen, wenn er, mit künstlichen aus Kolibrifedern gefertigten Blumen und einzelnen Brillanten verbunden, als Kranz im Haare getragen wird. Die Käfer bilden in Veracruz eben darum einen Handelsartikel.“
Diese Mode hat auch in New=York Eingang gefunden. Die Matrosen in Havanna, Cienfuegos etc. zahlen für einen lebenden Käfer gern sogar 1 Peso (= 1 Dollar); gelingt es ihnen dann, denselben lebend nach New=York zu bringen, so erhalten sie von den dortigen Damen 10 bis 20 Dollars. – An diese interessante Thatsachen erinnerte ich mich, als meine Begleiterin sich mit Glühwürmchen schmückte. Wie war ich aber überrascht, als einige Tage darauf in einem Postpacket zwei lebende Cucuyos eintrafen!
Lebende amerikanische Leuchtkäfer sind schon öfters nach Europa gebracht worden. In einer Nachricht von Bondoroy in den „Mémoires de l’Acadèmie des sciences 1766“ wird erwähnt, eine Anzahl dieser Käfer, welche zufällig in altem Holze nach Paris gelangt waren, hätten in der Vorstadt St. Antoine gewaltigen Schrecken verursacht. An die Käfer, die ich erhalten habe, knüpfte sich jedoch ein besonderes Interesse. Sie kamen nicht aus Amerika, sondern von Prag, wo sie meines Wissens zum ersten Male in Europa gezüchtet wurden. Der glückliche Züchter, Herr J. B. Pichl, wird später über die zwei Jahre dauernde Entwickelung des Käfers genauere Nachricht geben. Vor der Hand muß man lebende Exemplare von ihm beziehen. Sie werden in Glasgefäßen gehalten, getrocknetes Zuckerrohr, in dem sie versendet werden, ersetzt ihnen ihre Heimath; ein feuchter Lappen, der im Glase liegt, macht die Luft des Behälters der feuchten tropischen ähnlich. Der Cucuyo lebt in der Gefangenschaft von Rosinen, Feigen und zuckerhaltigem Biskuit – leider aber lebt er nur eine kurze Zeit – unter günstigen Umständen etwa 4 Monate.
Es ist ein eigenartiger Reiz, diese Käfer daheim beobachten zu können. Nach Sonnenuntergang erstehen sie zu fröhlichem Leben und beginnen sich zu tummeln, sie leuchten mit den Platten auf der Brust und am Bauche. Das Licht ist grünlich, sehr wirkungsvoll und die Käfer bewegen sich wie kleine Lokomotiven in der Nacht, wobei die Brustplatten die Laternen darstellen. Das effektvolle Leuchten, welches der Käfer aus eigenem Antriebe sehen läßt, das bald verlöscht, bald zu einem starken Glanze aufflackert, dauert gewöhnlich drei Stunden. Dann beruhigt sich das Thierchen, beginnt zu fressen und leuchtet nur mit der Brust. Das Licht, welches der Cucuyo ausstrahlt, ist übrigens so stark, daß es auch am Tage wahrgenommen wird, wenn man den Käfer in die Hand nimmt oder auf eine andere Weise aufmuntert.
J. B. Pichl stellt der europäischen Damenwelt durch seine gelungenen Züchtungen die Möglichkeit in Aussicht, die Mode, lebendige Leuchtkäfer als Schmuck zu tragen, den Mexikanerinnen zu entlehnen. Ob diese Mode bei uns Eingang finden wird? Das ist Geschmacksache. Aber das Halten und namentlich das Züchten des Cucuyo wird, sobald Näheres darüber bekannt sein wird, ohne Zweifel viele Liebhaber finden; denn eine mit Leuchtkäfern besetzte „Lampyrière“, wie Pichl sein Glasgefäß nennt, bildet am Abend einen wirklich ausgesuchten Zimmerschmuck. Auch die Wissenschaft kann den Erfolg des Züchters nur willkommen heißen, da diese Käfer zum Studium der noch so wenig erforschten Phosphoreszenz der Thiere, dank ihrer starken Leuchtkraft und dank der Leichtigkeit, mit welcher sie sich behandeln lassen, ein äußerst günstiges Material abgeben.