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Ein kaiserlicher Extrazug

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Titel: Ein kaiserlicher Extrazug
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aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 402–404
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[402]
Ein kaiserlicher Extrazug.
Geschildert von einem Begleiter desselben.


Es war im Monat Mai des Jahres 1875, als die untergehende Sonne mit ihren letzten Strahlen die Häuser von Wirballen, einer kleinen Stadt an der russisch-preußischen Grenze, beleuchtete. Auf dem Saume des Horizontes lagerte eine feuerige, glühende Wolkenschicht und spiegelte sich in der runden und blanken Kuppel der griechisch-katholischen Kirche goldig glänzend wieder. Eine festlich geschmückte Menge, welche heute kein Auge für die Schönheiten des Abendrothes hatte, eilte lebhaft gesticulirend und plaudernd dem Bahnhofe zu. Hohe und niedrige Militärs von verschiedenen russischen Garde- und Linienregimentern in Galauniform gingen bereits auf dem Perron auf und ab und bildeten mit den von Nah und Fern herbeigeeilten Bauern in der russischen Nationaltracht und den langbärtigen Juden mit dem schwarzen, glänzenden Kaftan ein eigenthümlich belebtes Bild. Auch der Aermste hatte sich ein festliches Gewand angezogen, galt es doch, in dem russischen Kaiser den geliebten Landesherrn zu begrüßen, dessen baldige Ankunft mit einem Extrazug bereits signalisirt war.

Zum festlichen Empfang flatterten Fahnen in den russischen und preußischen Nationalfarben stolz von den Zinnen des Bahnhofsgebäudes und sprachen laut für das Einvernehmen, welches zwischen den beiden großen Nachbarreichen herrschte. Prächtige, aus frischem Grün geflochtene Guirlanden umwanden die eisernen Säulen des stattlichen Perrons und zweigten sich in gefälligen Bogen zu den kaiserlichen Empfangszimmern ab, über deren Hauptportal eine große Krone mit dem Namenszug des Kaisers in buntfarbigen Blumen prangte. Auf der Seite des Bahnhofs, in die das preußische Geleis mündet – die russischen und preußischen Eisenbahnen haben bekanntlich verschiedene Spurweiten – stand bereits ein langer Wagenzug, mit zwei Schnellzugsmaschinen bespannt, welche, sauber geputzt, in dem scheidenden Licht der Sonne prächtig glänzten. Prüfend gingen Führer und Heizer, mit Oelkannen und Schraubenschlüsseln in den Händen, um die Maschine herum, besahen und befühlten nochmals jeden einzelnen Theil, zogen die Schrauben und Muttern an besonders gefährdeten Stellen fester an und füllten bis zum Rand die Oelbehälter, welche mit Korkstöpseln oder Kapseln verschlossen wurden. Lange Strecken mußten durchfahren werden, ehe ein Nachölen wieder stattfinden konnte, und heute galt es den besonders ausgewählten Beamten für eine Ehrensache, den Extrazug sicher und ungefährdet an den Bestimmungsort zu befördern.

Der Zug selbst bestand aus dem kaiserlich russischen Train, der in der Blüthezeit des französischen Kaiserreichs für die Kaiserin Eugenie gebaut und, als die Macht desselben bei Sedan gebrochen, zu Fahrten in Deutschland von der russischen [403] Krone angekauft war. Derselbe besteht aus dem Salon- und mehreren Gefolgewagen mit Küche und Schlafgemächern – ein elegantes Ganzes, das bereits in Nr. 22 dieses Blattes im Vorübergehen erwähnt wurde. In der Mitte befand sich der hellblau lackirte kaiserliche Salonwagen, zu dem der Zugang vermittelst einer kleinen Treppe mit einem feingearbeiteten und reich bronzirten Geländer in den beiden hintern Wänden stattfindet. Zwei große ovale Spiegelscheiben nehmen rechts und links fast die ganze Front der beiden Seitenwände ein und gestatten, wenn die Portièren aus blauem Damast geöffnet sind, eine völlige Ein- und Aussicht nach und von dem Innern des Wagens. Plafonds aus Ahornholz zieren die Decke, türkische Teppiche bedecken den Fußboden und dämpfen den Schritt des darauf Wandelnden. Eine reich mit Silber gedeckte Tafel, über die ein blendend weißes Damasttischtuch gedeckt war, prangte in der Mitte des Salons, an dessen Wänden künstliche, aus Nußbaum geschnitzte Fauteuils standen. Die einzelnen Wagen sind mit einander verbunden und gestatten, auch während der Fahrt den Zugang zu der Küche und den bequem eingerichteten Schlafgemächern, welche mit matten Ampeln beleuchtet und durch blauseidene Gardinen geschlossen werden können. Zur Aufnahme des zahlreichen Gefolges reihten sich vorn und hinten Personenwagen erster und zweiter Classe an. An der Spitze des Zuges, gleich hinter dem Packwagen, stand der der königlichen Ostbahn gehörige Salonwagen, welcher zur Aufnahme der höhern preußischen technischen Eisenbahnbeamten, welche den Zug begleiteten, bestimmt war.

Plötzlich drängte Alles nach einem Punkte; die aufgestellten Wachen hielten die allzu Neugierigen zurück; die höhern Militärs griffen salutirend an den Helm, und stolz, wie ein auf dem Wasser dahinsegelnder Schwan, glitt der Extrazug auf der russischen Seite in den Bahnhof hinein. Ein donnerndes „Hurrah!“ durchzitterte die Luft. Viele warfen sich auf die Kniee, berührten mit der Stirn die Erde und wagten kaum das Auge zu dem allmächtigen Kaiser zu erheben. Leutselig grüßend, stieg derselbe, eine Suite russischer und preußischer Generale hinter sich, welche, zum feierlichen Empfang commandirt waren, heraus und begab sich in die hergerichteten Zimmer. An den Eingang postirten sich zwei riesige Tscherkessen, welche in der malerischen Tracht ihres Landes, mit den krumm geschwungenen Säbeln, den glänzenden Pistolen in den Gürteln und zwei Patronenbehältern auf jeder Seite der Brust, jedem Unberufenen den Eintritt wehrten.

Neugierig gingen die russischen Unterthanen an die dicht verhangenen Fenster des Empfangsalons im Bahnhofsgebäude oder bewunderten die herrliche äußere Ausstattung des kaiserlichen Extrazuges. An den Seitenwänden heben sich die erhaben gearbeiteten Wappen der kaiserlichen Familie auf grünem Grunde goldig glänzend ab. Vier vergoldete Adler halten an den vier Ecken in den Schnäbeln die herrlichsten Verzierungen, welche längs der Decke dahinlaufen. Spiegelscheiben in doppelten Fensterrahmen wehren den Eintritt des Staubes während der Fahrt und sind außerdem von außen noch mit schwarzem Pelz garnirt. Jeder Theil ist bis in das kleinste Detail sauber gearbeitet. Die Achsbuchsen sind vergoldet, die einzelnen Lager der Tragfedern polirt, die äußeren Wände selbst auf’s Sauberste grün lackirt.

Die innere Ausstattung ist der äußern entsprechend und übertrifft an Eleganz und Feinheit der Arbeit die des Salonwagens auf preußischer Seite. Der innere Raum ist mit weißseidenen Tapeten decorirt; goldene Agraffen halten die schweren Gardinen aus himmelblauem Damast; echt türkische Teppiche decken die Fußböden, auf denen weiche Sessel verlockend zur Ruhe einladen. Die Decke ist aus den seltensten Hölzern geschnitzt und überreich mit goldenen Leisten ausgelegt. Die elegant ausgestatteten Schlafgemächer enthalten zur Bequemlichkeit und zur Toilette während der Fahrt alle nur denkbaren Gegenstände und sind gleichfalls mit den andern Wagen verbunden.

Während die neugierige Menge auf den Perrons staunend auf- und abwogte, verluden unter Aufsicht des Reisemarschalls die russischen Gepäckträger, welche an dem blauen, russischen Hemde aus Tuch und an einem um die Taille geschlungenen rothen Shawl leicht erkenntlich sind, die gewichtigen Koffer mit großer Geschwindigkeit in die Gepäckwagen des Extrazuges auf der preußischen Seite.

Der Tag hatte sich geneigt, und wie mit einem Zauberschlage entzündeten sich die Gaslaternen auf dem Perron und in den Waggons. Kerzen auf massiven silbernen Leuchtern strahlten ein blendend weißes Licht aus und warfen einen hell blinkenden Schein auf die schön ciselirten Tischgeräthe, welche symmetrisch auf der Tafel geordnet waren. Die Flügelthüren öffneten sich; die stattliche Gestalt des russischen Kaisers in preußischer Generalsuniform, geleitet von einem höhern Eisenbahnbeamten, tritt heraus und nimmt in dem Salonwagen Platz, während das zahlreiche Gefolge in den andern Wagen, welche für den Inhaber an den Fenstern durch eine Karte in russischen Buchstaben markirt sind, sich eiligst placirt.

Nachdem die Genehmigung zur Abfahrt eingeholt, nehmen auf den beiden Maschinen zwei technische, in dem Salonwagen die höhern Mitglieder der Direction Platz. Ein leiser Pfiff, und der Zug setzt sich unter dem Hurrahrufe der Menge langsam in Bewegung. Bald ist die Grenze überschritten, an der ein Soldat, mit einer riesigen Bärenmütze auf dem Kopfe, das Gewehr präsentirend, seinem Kaiser in dem großen russischen Reiche das letzte Geleite giebt.

Schneller und schneller wird das Tempo des Zuges; rascher entweichen aus dem Schornsteine die gleichmäßigen Schläge des ausströmenden Dampfes. Mit gespannter Aufmerksamkeit lauschen die Führer mit aus der Ueberdachung vorgebeugtem Kopfe auf den Gang der Maschinen und ziehen denselben befriedigt zurück, nachdem sie sich von der ruhigen und gleichmäßigen Arbeit durch Gesicht und Gehör Ueberzeugung verschafft haben. Weiter öffnen sie nun den Regulator; mit Macht entströmen die gefesselten Geister dem eisernen Riesenleib und finden in dem Dampfkolben einen Widerstand, den sie siegreich überwinden, dadurch die Geschwindigkeit des Zuges vergrößernd.

Allmählich breitet die Nacht ihre Rabenfittige über die Erde; kein Sternlein blinkt am Himmel, und nur wenn frische Kohlen dem unersättlichen Schlunde von den Heizern zugeführt werden, strömt ein glänzendes Lichtbündel aus der geöffneten Feuerthür, beleuchtet auf einen Moment die ganze Umgegend tageshell und faßt den aus dem Schornsteine ausströmenden Dampf mit einem röthlich glänzenden Saume ein. Aufathmend von der gehabten Anstrengung, wischt sich der Heizer den Schweiß von der Stirn und beschattet mit den Händen die Augen, welche durch den Blick in das intensiv weißstrahlende Feuer geblendet sind – da werden schon wieder neue Anforderungen an ihn gestellt, die er mehr tastend als sehend ausführen muß.

An Wärterhäusern, Signalpfosten, Dörfern fliegt der Zug vorbei, ohne Rast, ohne Ruh’; nur vor den Bahnhöfen wird die Geschwindigkeit gemäßigt, da hier beim Passiren der vielen Weichen und Harzstücke Gefahren tückisch lauern und eine falsche Stellung der Weichen den Zug in’s Verderben führen könnte. Der Führer der vorderen Maschine, in dessen Hand die große und schwere Verantwortung allein gelegt ist, strengt die Sehkraft auf’s Aeußerste an, um über den kleinen, eng begrenzten Schein, den die Locomotivlaternen mit ihren Reverberen auf den gefahrvollen Weg werfen, hinauszusehen, im Augenblicke bereit, mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln, jede Gefahr von dem theuren Haupte des Kaisers fern zu halten. – Glücklich ist endlich der erste Anhaltepunkt, Station Insterburg, erreicht und dem Zuge ein Aufenthalt von fünfzehn Minuten vergönnt. Während die Heizer das Feuer reinigen und die Führer die Lager mit dem Rücken der Hand befühlen, denjenigen Theilen, welche der größten Reibung ausgesetzt sind, die erforderliche Nahrung zuführen und Reifen und Federn einer schnellen Revision unterwerfen, beleuchten die Wagenrevisoren die Wagengestelle und untersuchen jedes Rad, jede Achsbuchse, jede Feder. Mit einem Handhammer schlagen sie an die Bandagen und ein helltönender Klang giebt ihnen Gewißheit, daß dieselben noch fest an den Unterreifen anliegen. Die größte Aufmerksamkeit widmen sie indessen dem kaiserlichen Salonwagen. Der überall anhaftende Staub, welcher an den Achsbuchsen und an den Rädern im Vereine mit dem Schmieröle dicke Krusten gebildet hat, erschwert allerdings die eingehende Untersuchung, doch entgeht kein gefährdeter Theil unter dem Scheine der Handlaterne dem geübten Auge des Revisors.

Endlich ist die Revision beendet und mit einem „Gott sei Dank! Alles ist in Ordnung,“ schreitet er zu der des nächstfolgenden Wagens. Hier entdeckt er den Verlust zweier Schrauben nebst Muttern, welche sich von dem Untertheil der Achsbuchse gelöst haben, sodaß dieser nur noch von der Achsgabelverbindung [404] gehalten wird. Eine weit klaffende Wunde gestattet dem Schmutz und Staub freien Eintritt; wenn dieselbe nicht schnell geschlossen wird, ist ein Brennen des Achslagers unvermeidlich und die Gefahr groß. Nur wenige Minuten fehlen zur Abfahrtszeit. – Neue Schrauben nebst Muttern einzuziehen, fehlt es an Zeit. „Was kann ich thun, um schnell den Schaden zu repariren?“ überlegt der revidirende Beamte nur einen Augenblick. Schnell ist sein Entschluß gefaßt; mit kräftigen Bindesträngen befestigt er den heraufgedrückten Untertheil an den Obertheil, und der Verschluß ist wieder hergestellt. Kaum ist der letzte Knoten geschürzt und die Arbeit beendet, so ertönt auch schon das Signal zur Abfahrt. Langsam setzt sich der Zug in Bewegung und ist bald dem Bereiche des Bahnhofes entschwunden.

„Wird der Strick auch seine Schuldigkeit thun und bis Königsberg halten? Wird sich derselbe durchscheuern und die glücklich abgewendete Gefahr erneuern? Hast Du Nichts in der kurzen Zeit übersehen? Werden alle Tragfedern und Reifen aushalten?“ Alle diese Gedanken wirbeln dem Wagenmeister chaotisch durch den Kopf. Die Station hat allerdings auf seine Veranlassung Königsberg durch den Telegraphen benachrichtigt und bei der Ankunft um schleunige Abhülfe gebeten, doch ein seltsames Gefühl von Unruhe, theilweise hervorgerufen durch die Vorwürfe des Stationsvorstehers, beschleicht den Revisor. Sicherlich wäre es besser gewesen, wenn der Wagen ausrangirt und lieber der Aufenthalt verlängert worden wäre, wenn auch dieses Manöver großes Aufsehen erregt hätte.

Unaufhaltsam rollt der Zug weiter. „Vorwärts! Vorwärts!“

Langsam und majestätisch steigt die Mondscheibe empor und beleuchtet mit ihrem matten Silberschein die einsame Gegend, an welcher der Zug vorübersaust und die in der Stille der Nacht wie ausgestorben daliegt. Nur von fern hört man das Bellen von Hunden oder den klagenden Ruf eines Käuzchens. Fledermäuse durchschwirren die Luft und fliegen erschreckt von dannen, wenn beim Auffeuern heller Schein den geöffneten Feuertüren entströmt.

Feierliche Stille in der Natur und in den kaiserlichen Gemächern, nur durch das einförmige, gleichmäßige Klappern der Räder unterbrochen. Das monotone Geräusch übt auch auf die Männer auf der Maschine einen einschläfernden Einfluß aus, und wenn dieselben mannhaft gegen diese Anwandlungen von Schwäche ankämpfen und sich gewaltsam zusammenraffen, so will die Natur doch immer auf's Neue ihr Recht geltend machen. Gedanken reihen sich an Gedanken, und unwillkürlich beschäftigen sich dieselben mit dem hohen Reisenden und seinen Begleitern.

„Wer doch auch so bequem in den weich gepolsterten Kissen liegen könnte, statt auf der zugigen Maschine zu stehen und unverwandt in die dunkle Nacht hinauszuschauen!“ „Hörten Sie nicht auch ein Pfeifen?“ wendet sich plötzlich der Führer der zweiten Maschine an den Heizer, welcher stillträumend in's Leere starrt und nun unsanft aufgerüttelt wird. „Das Pfeifen wiederholt sich; der verdammte Staub, den die erste Maschine aufwirbelt, überschüttet mir das ganze Gewerk; kaum kann ich die Augen noch öffnen. Reichen Sie mir die Oelkanne her! Ich muß hinaus und die Ursache ergründen.“ Leicht und gewandt wie eine Katze schwingt sich der Führer längs der Galerie auf das Trittblech und horcht noch einmal mit gespanntem Ohr auf das ungewöhnliche Geräusch. Schneidender Wind, Dampf und Rauch von der ersten Maschine benehmen ihm anfangs den Athem, doch der Gefahr muthig in's Auge schauend, erfaßt er mit der rechten Hand die Oelkanne und gießt Ströme voll Oel auf den gefährdeten Theil, während er sich mit der linken krampfhaft an den Laufstangen festhält. Verschwunden sind die stillen Träumereien, und die ganze Aufmerksamkeit ist nur auf den gefährdeten Theil concentrirt. Bleiern fließen die Minuten dahin, und trotz der großen Geschwindigkeit scheint der Zug sich nur langsam fortzubewegen. „Ach, wäre doch erst Königsberg erreicht!“ In der Aufregung schlagen alle Pulse heftiger; die Minuten werden zu Ewigkeiten; nun ist auch der letzte Tropfen verölt. „Wenn sich noch einmal das unheimliche Geräusch wiederholen sollte, muß ich doch noch den Zug halten lassen. Was würden der Kaiser und die Vorgesetzten sagen! Adieu, guter Ruf und Ehre!“

Schneller und schneller braust auf dem anhaltenden Gefälle der Zug dahin; eine Station wird im Fluge nach der andern passirt; nun ist auch die letzte erreicht, und alle Theile scheinen immer noch gut und sicher zu functioniren.

In undeutlichen Umrissen tauchen bei dem schwachen Mondschein die Thürme von Königsberg auf – noch eine kurze Spanne Zeit, und der Zug ist geborgen. Horch! von der ersten Maschine ertönt ein leiser Pfiff, dem in kurzen Intervallen drei gleich kurze Töne folgen. Der Zug steht einen Moment an der Ueberkreuzung mit der ostpreußischen Südbahn still, um sich sofort wieder in Bewegung zu setzen.

Ein unendliches Meer von Lichtern taucht auf. Signale und Weichenlaternen geben dem vorderen Führer die Richtung zur Einfahrt nach dem äußeren Bahnhof an. Dumpf rollt der Zug über die Brücke des Festungsgrabens und hält bald darauf unter dem stattlichen Perron, wo auf den speciellen Wunsch des Kaisers keine Empfangsfeierlichkeiten stattfinden sollen.

„Es war die höchste Zeit,“ ruft der Führer der zweiten Maschine mit erleichtertem Herzen aus und geht prüfend und fühlend um die Maschine herum. Heiß sind allerdings alle Gewerkstheile gelaufen und dick mit Staub überkrustet, doch die Ehre ist gerettet und der Zug prompt befördert worden. Auch der Bindestrang hatte seine Schuldigkeit gethan und bis zum letzten Augenblick gehalten. Den schnell herbeigeholten Arbeitern gelang es in kurzer Zeit, den Schaden zu repariren. Nachdem sich zwei frische Maschinen vor den Extrazug gelegt hatten, dampfte derselbe lustig in die Morgenluft hinein und erreichte ohne jeden Unfall Berlin.