Ein interessantes Planetenpaar
Von Dr. H. J. Klein.
Wie sieht es auf den Sternen aus? Seit Jahrhunderten beschäftigen sich die Astronomen lebhaft mit dieser Frage und richten dabei ihr Augenmerk naturgemäß vor allem auf die uns am nächsten gelegenen Himmelskörper auf den Mond und die Planeten. Sind diese Gestirne, die gleich der Erde um die Sonne kreisen, ebenso wie unser Planet beschaffen? Ist ihre Oberfläche von Bergen durchzogen mit Meeren und Seen bedeckt? Sind diese Weltkörper von einer Lufthülle umgeben und erhalten sie so viel Licht und Wärme, daß auf ihnen Pflanzen und Tiere und menschenähnliche Wesen gedeihen können? Was in dieser Hinsicht über den Planeten Mars erforscht wurde, haben wir vor kurzem (vgl. S. 508 des Jahrgangs 1896 der „Gartenlaube“) mitgeteilt. Heute möchten wir unsere Leser darüber unterrichten, was die Astronomen über die physikalische Beschaffenheit der beiden zwischen der Erde und der Sonne kreisenden Planeten, des Merkur und der Venus, erkundet haben.
Merkur befindet sich der Sonne am nächsten. Seine Entfernung von ihr wechselt zwischen 69 und 46 Millionen Kilometer, der Erde kann er dagegen niemals näher als 79 Millionen Kilometer kommen, sich aber bis zu 218 Millionen Kilometer von ihr entfernen. Seine Umlaufdauer um die Sonne beträgt 88 Tage. Venus läuft um die Sonne in einer Entfernung von 107 bis 108 Millionen Kilometer, sie kann der Erde bis auf 40 Millionen Kilometer nahe kommen, sich aber bis zu 257 Millionen Kilometer von ihr entfernen. Ihre Umlaufszeit um die Sonne beträgt 224,7 Tage. Sonach ist das Jahr des Merkur an Dauer etwa einer unserer Jahreszeiten vergleichbar, und das Venusjahr dauert nur 7½ irdische Monate.
Der Planet Merkur hat einen Durchmesser von 4820 Kilometern, seine Oberfläche ist also nur 1/7 der Erdoberfläche und aus der Erde ließen sich 20 Körper von der Größe des Merkur bilden, während das Gewicht dieses Planeten 1/25 vom Gewichte der Erde beträgt. Merkur ist also ein kleiner Planet, ja unter den Hauptplaneten ist er der kleinste. Die Astronomen haben sich viele Mühe gegeben die Oberfläche des Merkur zu erforschen, doch sind in mancher Beziehung bis heute noch keine übereinstimmenden Ergebnisse erlangt worden. Der Grund hiervon liegt hauptsächlich in dem Umstand, daß der Planet Merkur sich stets nahe bei der Sonne aufhält und seine Sichtbarkeitsverhältnisse sich daher für uns sehr ungünstig gestalten. Im Jahre 1801 sahen Schröter und Harding auf der Scheibe des Merkur einen dunklen Streifen, von dem sie glaubten daß er im Laufe einiger Stunden von Ost nach West fortrücke, etwas Aehnliches sahen sie an mehreren Tagen und schlossen daraus, daß dieser Planet sich in etwa 24 Stunden einmal um seine Achse drehe. Zu anderen Zeiten sah Schröter die Sichel des Merkur an der südlichen Spitze abgestumpft und schloß daraus, daß sich dort hohe Berge befinden, wodurch das Sonnenlicht aufgehalten werde und nicht die äußerste südliche Spitze erreichen könne. Spätere Beobachter haben auch bisweilen die abgestumpfte Gestalt der Sichel des Merkur gesehen, allein im allgemeinen ergaben die Beobachtungen so wenig, daß Merkur ziemlich vernachlässigt wurde.
Mit den Fernrohren der Neuzeit ist es indessen nicht schwierig, den Merkur am hellen Tage zu sehen und zu beobachten, sein Licht ist dann sehr gemildert und überhaupt sind die Umstände günstiger für die Beobachtung, da der Planet dann hoch am Himmel steht. Im Jahre 1881 beobachtete Prof. Schiaparelli in Mailand den Merkur wiederholt am Tage und überzeugte sich, daß deutliche, dunkle Flecken auf seiner Oberfläche sichtbar seien. Er begann deshalb ein anhaltendes Studium der Merkuroberfläche und widmete demselben volle 8 Jahre. Als Hauptergebnis dieser überaus mühevollen Untersuchungen fand sich die merkwürdige Thatsache, daß Merkur sich um die Sonne dreht in der gleichen Weise wie der Mond um die Erde. Genau so, sagt Schiaparelli, wie der Mond bei seinem Umlaufe um die Erde diesen ungefähr immer die nämliche Seite und dieselben Flecke zeigt, so wendet sich Merkur bei seinem Umlauf um die Sonne dieser großen Quelle seines Lichtes stets ungefähr dieselbe Seite zu. Merkur bleibt gegen die Sonne wie ein Magnet gegen eine Eisenmasse gerichtet, aber diese Orientierung gestattet eine gewisse schwingende Bewegung des Planeten gegen Ost und gegen West, ähnlich derjenigen, welche der Mond in Beziehung auf uns ausführt. Um sich die höchst merkwürdigen Verhältnisse, die auf dem Merkur herrschen, völlig deutlich zu machen, wollen wir einen Augenblick von dieser schwingenden Bewegung des Planeten absehen, da sie überhaupt nicht groß ist. Unter diesen Umständen sieht die eine Hälfte des Merkur die Sonne ununterbrochen am Himmel, und zwar ohne jede Bewegung, wie angenagelt. Diese Hälfte des Planeten hat also Tag, und zwar ewigen Tag, die gegenüberliegende hat ewige Nacht. Diese sieht niemals eine Spur des Sonnenballs, sie ist in Dunkelheit und Kälte begraben aber auf die Tagesseite sendet die Sonne unaufhörlich ihre glühenden Strahlen, und jeder Teil dieser Hemisphäre wird in der gleichen Weise seit Millionen von Jahren durch die Sonnenstrahlen getroffen. Doch giebt es auch [651] für diese Tagseite eine Art von Wechsel der Jahreszeiten. Die Bahn des Merkur ist nicht rund, sondern elliptisch, und zwar so, daß die Tagseite in der Sonnenferne 4⅔ mal soviel Licht und Wärme empfängt als die Erde, in der Sonnennähe dagegen 10⅔ mal soviel. Hiernach spendet also der glühende Sonnenball der Tagseite des Merkur zur Sommerszeit 2⅓ mal soviel Licht und Wärme als zur Winterszeit, wenn man die Bezeichnung Sommer und Winter für eine Planetenoberfläche anwenden darf, die zweifellos von der Glut der Sonnenstrahlung verbrannt ist.
Infolge der obenerwähnten schwingenden Bewegung bleibt die Sonne für den Merkur nicht völlig unverrückt stehen, sondern beschreibt langsam im Laufe eines Merkurjahres (von 88 Erdentagen) einen Bogen von 47 Grad, so daß es gewisse Gegenden auf dem Merkur giebt, für welche ein Wechsel von Tag und Nacht stattfindet. Diese Regionen umfassen etwa ¼ der Merkuroberfläche, während 3/8 des Planeten ewigen Tag und 3/8 ewige Nacht haben. „Merkur,“ sagt Schiaparelli, „ist eine Welt, welche erheblich von der unsrigen verschieden ist. Die Sonne erleuchtet und erwärmt ihn weit lebhafter und auf eine ganz andere Art wie unsere Erde. Und wenn Leben auf diesem Weltkörper existiert, so findet es dort Verhältnisse, welche derart von den unsrigen abweichen, daß wir kaum wagen, sie uns auszumalen. Die ewige Gegenwart der Sonne, welche fast senkrecht ihre Strahlen auf einen Teil der Merkuroberfläche herabsendet, und die ewige Abwesenheit dieser Sonne für die entgegengesetzte Seite erscheint uns in gleicher Weise unerträglich. Denkt man jedoch darüber nach, so bemerkt man, daß gerade dieser große Kontrast eine viel schnellere Circulation der Atmosphäre erzeugen muß, eine viel mächtigere und regelmäßigere als diejenige ist, welche die Elemente des Lebens auf unserer Erde verbreitet.
Auf Merkur folgt in der Reihe der Abstände von der Sonne der Planet Venus. An Größe kommt Venus der Erde beinahe gleich, denn ihr Durchmesser beträgt 11 970 Kilometer, während der Erddurchmesser 12 756 Kilometer Länge hat. Ihre Oberfläche ist demgemäß etwa 1/12 kleiner als die Erdoberfläche und ihr Volumen ungefähr 1/6 kleiner als das Volumen des Erdballs. Aus den nämlichen Gründen wie beim Planeten Merkur ist auch die Venus schwierig zu beobachten und trotz ihrer zeitweisen großen Annäherung an die Erde wissen wir von ihrer Oberflächenbeschaffenheit noch sehr wenig. Wenn Venus sichelförmig erscheint, fand man bisweilen die Lichtgrenze wie ausgezackt oder eine der Sichelspitzen etwas abgestumpft, woraus man mit Recht auf beträchtliche Höhen an jenem Orte der Venusoberfläche schloß. Auch hat man die Spitzen der Sichel sehr oft heller als den übrigen Teil der Scheibe gesehen, und da in der Nähe dieser Spitzen die Umdrehungspole der Venus liegen müssen, so bezeichnet man jene hellen Flecke als Polarflecke.
Eine überaus merkwürdige und noch unerklärte Erscheinung ist das phosphorische Licht auf der Nachtseite der Venus. Zu Zeiten, wo dieser Planet als Sichel erschien, hat man selbst am hellen Tage den ganzen von der Sonne nicht beschienenen Teil ihrer Scheibe in mattem Lichte schimmern gesehen. Da kein Strahl der Sonne diese Region der Venus trifft und auch kein anderer Weltkörper dieselbe beleuchten kann, so ist es völlig rätselhaft, woher jenes matte Licht stammt. Im ganzen tritt dasselbe, wie schon bemerkt, nicht häufig auf, allein die neuesten Beobachtungen von L. Brenner auf Lussinpiccolo machen wahrscheinlich, daß die Erscheinung nicht so selten ist, als man bisher geglaubt hat, nur bedarf es zu ihrer Wahrnehmung besonders klarer, ruhiger Luft. Die frühesten Beobachter der Erscheinung glaubten, daß auf der Venus von Zeit zu Zeit Polarlichter, ähnlich unseren Nordlichtern, entständen und diese jenes phosphorische Licht hervorriefen, eine Ansicht, der sich neuerdings auch Schiaparelli angeschlossen hat. Die Beobachtungen von L. Brenner haben dagegen wahrscheinlich gemacht, daß das phosphorische Licht nicht eigentlich ein solches ist, sondern vielmehr eine Kontrasterscheinung. Der dunkle Teil der Venus erscheint nicht heller, sondern dunkler als der Himmelsgrund ringsum. Merkwürdigerweise hat L. Brenner etwas Aehnliches auch beim Merkur gesehen, indem er auch dessen von der Sonne unbeleuchtete Seite zu Zeiten wahrnahm, und zwar dunkler als den Himmelsgrund. Wie dies zu erklären ist, muß noch dahingestellt bleiben. Vielleicht ist der Raum in der näheren Umgebung der Sonne bis zu einer gewissen Entfernung von einer überaus feinen, staubförmigen Materie erfüllt, welche verursacht, daß der Himmelsgrund in sehr schwachem Lichte schimmert und auf diese Weise die Kontrasterscheinung zustande kommt. Sei dem wie ihm wolle, jedenfalls ist das Sichtbarwerden der dunklen Seite der Planeten Venus und Merkur noch nicht einwurfsfrei erklärt.
Auch über die Umdrehung der Venus haben seit langer Zeit Zweifel geherrscht, die noch nicht gehoben sind. Man kann nämlich nur selten und mit Schwierigkeit auf der Venusscheibe matte Flecke erkennen und daraus auf die Umdrehungsdauer des Planeten sicher schließen. Der berühmte Astronom Dominicus Cassini sah in den Jahren 1666 und 1667 einige helle Flecke auf der Scheibe der Venus und schloß daraus, daß dieselbe in weniger als einem Tage sich um ihre Achse drehe oder hin und her schwanke. Später, 1726 und 1727 sah der römische Astronom Franz Vianchini eine Anzahl dunkler Flecke auf der Venus, aus deren Bewegung er schloß, daß dieser Planet in 24⅓ Tagen sich einmal um seine Achse drehe.
So weit also gingen die Ansichten über die Umdrehungsdauer der Venus auseinander! Aber selbst der große Beobachter Wilhelm Herschel war nicht imstande, die Frage zu entscheiden. In den Jahren 1839 bis 1841 beobachteten de Vico und Palomba auf der Sternwarte zu Rom zahlreiche matte Flecke der Venusscheibe, sie glaubten daraus auf eine Umdrehungszeit dieses Planeten von 23⅓ Stunden schließen zu müssen, und damit schien die Frage endgültig erledigt. Im Jahre 1899 begann aber Schiaparelli den Planeten Venus aufmerksam zu beobachten, denn derselbe zeigte damals einige Flecke, die deutlicher waren als gewöhnlich. Aus diesen Beobachtungen schloß er, daß diese Flecke keine festen Teile der Oberfläche dieses Planeten sind, sondern atmosphärische Producte, ähnlich unsern Wolken. Die Bewegung der Flecke war schwer genau festzustellen, keinesfalls aber schien sie sich mit einer 24stündigen Dauer der Umdrehung zu vereinigen, dagegen sehr wohl mit einer viel längern. Zuletzt kam Schiaparelli zu dem Schlusse, es sei am wahrscheinlichsten, daß Venus, genau so wie Merkur, der Sonne stets die nämliche Seite zuwende, sich also in 224,7 Tagen einmal um ihre Achse drehe. Dieses Ergebnis, welches übrigens Schiaparelli mit aller Reserve aussprach, ist überaus merkwürdig, denn es stellt die beiden Planeten Merkur und Venus in einen ausgesprochenen Gegensatz zu der Erde und den übrigen Hauptplaneten, welche, soweit wir dies beurteilen können, sämmtlich eine kurze Umdrehungszeit besitzen. Eine Bestätigung der Schlüsse Schiaparellis wurde von Perrotin auf der großen Sternwarte zu Nizza geliefert, während die Beobachtungen auf der Sternwarte zu Brüssel wieder auf eine Umdrehungszeit von etwa 24 Stunden hindeuten. In den letzten Jahren hat Leo Brenner auf der Insel Lussinpiccolo, wo die Luft außerordentlich klar ist, die Venus sehr häufig beobachtet.
Auch er findet die Flecke äußerst matt, aber doch hinreichend deutlich, um die Rotationsdauer festzustellen. Dieselbe würde gemäß seinen Beobachtungen 23 Stunden 57 Minuten 36⅓ Sekunden betragen, also nur unbedeutend länger sein als die Umdrehungsdauer der Erde, welche 23 Stunden 56 Minuten beträgt. Es giebt kaum irgend ein anderes astronomisches Problem, welches die Beobachter zu so durchaus verschiedenen Ergebnissen geführt hat.
Eine höchst merkwürdige Erscheinung an der Venus hat Brenner am 7. März dieses Jahres gesehen. An diesem Tage beobachtete er vom Mittag bis 8 Uhr abends. Venus erschien sichelförmig mit deutlichen dunklen Flecken. Außerdem war die dunkle Seite derselben sichtbar von Mittag bis 6½ Uhr. Sie erschien dunkler als der Himmelsgrund sowie von violetter Farbe, und in ihr sah der Beobachter zwei etwas helle Flecke während einer Zeitdauer von etwa 35 Minuten. Außerdem war die ganze dunkle Seite von einer Aureole oder Glorie umgeben. Man erkennt hieraus, wieviel Merkwürdiges, Unerwartetes und Unerklärtes der Planet Venus unsern Beobachtungen darbietet, trotzdem er ein Weltkörper ist, welcher der Erde verhältnismäßig nahe kommt. Faßt man dasjenige, was wir bis jetzt von ihm wissen, zusammen, so können wir nur sagen, dieser Planet ist im ganzen der Erde sehr unähnlich und wahrscheinlich ebensowenig als Merkur geeignet, ein Wohnplatz lebender Wesen zu sein, welche in ihrer Organisation den irdischen Organismen gleichen.