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Ein fürstliches Preisausschreiben

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Walther Kabel
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Titel: Ein fürstliches Preisausschreiben
Untertitel:
aus: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1910, Dritter Band, Seite 232–233
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1910
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
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Erscheinungsort: Stuttgart, Berlin, Leipzig
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
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[232] Ein fürstliches Preisausschreiben. – Landgraf Wilhelm IX. von Hessen-Kassel, der spätere Kurfürst Wilhelm I., blieb, trotzdem die Nachbarstaaten die Zöpfe in ihren Armeen schon längst abgeschafft hatten, der alten Sitte mit einer Zähigkeit treu, die ihm nicht wenig den Spott seiner Zeitgenossen eintrug. Um echte und schöne Zöpfe zu erzeugen, setzte er eines Tages sogar einen Preis für eine den Haarwuchs befördernde Salbe aus. Dieser merkwürdige Erlaß, der in dem ganzen Kurfürstentum verbreitet wurde, ist in einigen Exemplaren noch vorhanden.

Natürlich benützten die verschiedensten Schwindler diese Gelegenheit, um ihren Beutel zu füllen. So ließ sich auch einst im Schlosse zu Wilhelmshöhe bei dem Landgrafen ein Mann melden, der ein unfehlbares Haarwuchsmittel erfunden haben wollte. Aufgefordert, einen Beweis für die Güte seiner Salbe zu erbringen, erschien der Schwindler am folgenden Tage mit einem Menschen im Schlosse, der nur über ein recht dünnes und kurzes Haupthaar verfügte. – „Kurfürstliche Gnaden,“ begann der Gauner, „ich werde diesen Mann nach vierzehn Tagen wieder vorstellen, und er wird infolge der Behandlung mit meiner Salbe eine wahre Löwenmähne haben.“

[233] Wirklich stellte sich der Betrüger nach zwei Wochen wieder im Schlosse ein, und zum Erstaunen des Kurfürsten hatte das Versuchsobjekt jetzt das prächtigste, dichteste und längste Haar, wie man es nur selten zu sehen bekam. Eine genaue Untersuchung stellte fest, daß es echt war. Trotzdem wünschte der mißtrauische Kurfürst eine weitere Probe, bevor er das Mittel ankaufen wollte; doch der Erfinder wußte durch schlaue Andeutungen, daß ihm schon von anderer Seite hohe Summen für die Salbe geboten seien, alle weiteren Bedenken zu zerstreuen und erreichte es, daß ihm noch an demselben Tage ein bedeutender Geldbetrag für das Haarwuchsmittel ausbezahlt wurde, worauf er natürlich auf Nimmerwiedersehen verschwand.

Die Salbe aber, deren Zusammensetzung nichts als ein unglaublicher Mischmasch aller möglichen Mixturen war, wirkte bei keinem Soldaten, so eifrig man auch damit deren Köpfe bestrich.

Ein Zufall brachte dann auch die Lösung des Rätsels. Der Schwindler hatte die Ähnlichkeit zweier Männer, von denen der eine über sehr üppiges und langes, der andere über gleichfarbiges, aber sehr spärliches Kopfhaar verfügte, zu der Täuschung benützt, die wohl nie erklärt worden wäre, wenn nicht einer der Gehilfen des Betrügers die Sache später in der Betrunkenheit erzählt hätte.

Als der Kurfürst im Jahre 1821 starb, und sein Sohn an die Regierung kam, war der erste Akt des neuen Regenten das – Zopfabschneiden. Die Soldaten warfen die abgeschnittenen Zöpfe in Menge in die Fulda, und der Spiegel des Stromes war längere Zeit mit diesen schwimmenden Zeichen eines veralteten Brauches bedeckt.

W. K.