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Ein deutscher Prinz in Amerika

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Autor: Otto von Corvin
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Titel: Ein deutscher Prinz in Amerika
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2 und 7, S. 24–27 und 106–108
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Agnes zu Salm-Salm
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Ein deutscher Prinz in Amerika.

Nr. 1.

Europamüde und Europascheue. – Deutsche Officiere. – General Blenker. – Prinz Salm und seine Jugendgeschichte. – Die Prinzessin und ihr Portrait. – Prinzessin Salm auf der Reise.

Als ich Jahre 1861 als Specialcorrespondent der Augsburger „Allgemeinen Zeitung“ und der „London Times“ nach Amerika kam, setzte mich nichts so sehr in Erstaunen als die Menge von Bekannten, die ich dort antraf. Nicht nur in den großen Städten, sondern häufig in abgelegenen Gegenden ferner Staaten begegnete es mir, daß ich ganz unerwartet mit meinem Namen und einem „Ei, kennen Sie mich denn nicht mehr?“ von irgend einem Menschen angeredet wurde, der mit mir während der Revolutionszeit in Deutschland zusammengetroffen war. Die Zahl der Einwanderer, welche Amerika den Revolutionen in Europa verdankt, muß ganz außerordentlich groß sein; allein ohne allen Zweifel lieferte Deutschland den größten Theil derselben.

[25] Neben diesen deutschen politischen Flüchtlingen machte sich noch eine andere Classe Europamüder – oder vielmehr Europascheuer – bemerkbar, denen der Blick eines Sachverständigen auf der Stelle ansah, daß sie in Deutschland irgend einem Officierscorps angehört hatten. Ihre Zahl war, besonders in den großen Städten, auffallend groß und unter ihnen wieder der unverkennbare preußische Typus vorherrschend.

Das Leben dieser Flüchtlinge würde für einen geschickten Schriftsteller eine unerschöpfliche Quelle der wunderbarsten Romane sein, denn was eine große Menge von ihnen, besonders während der Kriegsjahre, erlebte, könnte schwerlich romantischer erfunden werden. Obwohl das, was ich sage, sich auf beide oben bezeichnete Classen von Flüchtlingen bezieht, so möchte ich doch behaupten, daß in Bezug auf Seltsamkeit und Romantik die Schicksale der lebensschiffbrüchigen Officiere den Vorzug verdienen. Das ist sehr begreiflich. Die meisten von ihnen mußten ihr Vaterland fliehen, um ihren Gläubigern zu entgehen, wenn es auch nicht an solchen fehlte, die sich durch ihren Leichtsinn zu Schwindeleien und Verbrechen hatten hinreißen lassen. Unter ihnen gab es eine auffallende Menge von Grafen und Edelleuten mit wohl bekannten Namen, welche einst in gewissen Kreisen eine Rolle gespielt hatten und denen dann sämmtlich jede Art von Arbeit erniedrigend schien.

Mit den politischen Flüchtlingen war das anders; die meisten hatten nicht nur irgend ein nützliches Geschäft oder Handwerk gelernt, sondern waren auch an die Arbeit gewöhnt und freuten sich, in einem Lande zu sein, wo die Arbeit nicht schändet und wo Jeder, der arbeiten will, seinen reichlichen Lohn findet. Sie ergriffen daher frischweg die erste sich darbietende Gelegenheit – obwohl es auch unter ihnen an bummelnden Lumpen wahrhaftig nicht fehlte – kamen leicht über die Nahrungssorgen hinweg und viele gelangten in verhältnißmäßig kurzer Zeit zu einflußreichen und geachteten Stellungen.

Die Officiere waren schlimmer daran; sie hatten neben dem Soldatenhandwerk wenig Anderes und besonders nichts gelernt, was sich in Amerika praktisch verwerthen ließ, und hatten außerdem das Vorurtheil gegen die Arbeit zu überwinden. Viele versuchten gewisse adlige Künste zu verwerthen; allein auch in diesen fanden sie sich von den amerikanischen Schwindlern überflügelt, besonders da diese das Terrain besser kannten, auf dem sie zu arbeiten hatten. Da aber der Gleichmacher Hunger seine zwingenden Wirkungen auch auf adlige Magen nicht verfehlte, so mußten deren arbeitsscheue Besitzer ihren adligen Gefühlen Zwang anthun und – nach welchen harten Kämpfen und Schicksalen! – nicht selten zu den wunderlichsten und niedrigsten Beschäftigungen greifen, um nur nothdürftig das Leben zu fristen. Ich habe Größen gekannt, die einst eine große Rolle in der eleganten Welt spielten, und froh waren, wenn sie einen Kohlenwagen fahren durften, oder wenn es ihnen gestattet war, in einem Bierhause als Aufwärter zu dienen.

Man kann sich daher vorstellen, welche Aufregung und Veränderung der im Jahre 1861 ausbrechende Bürgerkrieg besonders unter dieser Classe von Flüchtlingen hervorbrachte. Von allen Wissenschaften und Handwerken, die es gab, war das Soldatenhandwerk bis dahin das unprofitlichste in Amerika gewesen, und wenn auch hin und wieder ein Officier dazu getrieben wurde, als Gemeiner in die kleine stehende Armee einzutreten, so war dies in der That der letzte Verzweiflungsschritt. Nun plötzlich gelangte die Kriegskunst an die Spitze aller Künste und Handwerke, denn es mußte eine Armee von beinahe einer Million Soldaten aus dem Nichts in kürzester Zeit geschaffen werden. Wer in Europa Lieutenant gewesen war, konnte nun leicht eine Anstellung als Major oder Oberst bekommen und vor ihm lag, wenn er nur einiges Geschick und Muth besaß, eine ehrenvolle Laufbahn.

Die natürliche Folge dieses Zustandes war, daß ein jeder, der nur jemals als Officier oder Gemeiner den Parademarsch geübt hatte, seine Ansprüche geltend machte. Die Preußen waren am besten daran, da jeder von ihnen einige Jahre Soldat gewesen war, und sie strömten von allen Seiten herbei, um ihren Platz an der reich besetzten Tafel einzunehmen, die ihnen Onkel Sam mit freigebigen Händen bereitet hatte.

Es war eine wunderliche Zeit. Diese militärische Unwissenheit und Naivetät der höchsten Beamten der amerikanischen Regierung überstieg jeden Glauben und die lächerlichsten Maßregeln und Mißgriffe waren die Folge; allein praktisch wie die Amerikaner sind und voll Vertrauen in ihre Lernfähigkeit besannen sie sich nicht lange; sie sahen die Notwendigkeit ein, rasch und energisch zu handeln, und in wunderbarer Schnelligkeit entstand eine Armee, die zuerst das Lächeln und Achselzucken, aber gar bald die Bewunderung Europas erregte.

Die Kunde von diesen Zuständen verfehlte seine Wirkung in Europa nicht. Alle Officierskorps geriethen in Aufregung und alle diejenigen, die bis dahin geschwankt hatten, ob sie ihre unbehaglichen Stellungen aufgeben und den Ocean überschreiten sollten, entschlossen sich nun schnell. Ganze Schaaren europäischer Officiere kamen in New-York an, und wenn sie keine guten Stellen fanden und nicht ihr Glück machten, so lag es nur an ihnen.

Da die meisten dieser Officiere nicht Englisch verstanden, so war es natürlich, daß sie ein Unterkommen in den deutschen Regimentern suchten, und namentlich war die von General Blenker befehligte, zwölftausend Mann starke deutsche Division reichlich mit ihnen versehen. Der Stab des ehemaligen Freischaaren-Obersten, welcher von den ihm einst in Europa gegenüberstehenden fürstlichen Officieren verlacht und verhöhnt worden war, zählte so viele vornehme Namen, als kaum der Stab irgend eines preußischen oder österreichischen Generals.

Blenker, mein alter Bekannter von Baden her, hatte mich sofort nach meiner Ankunft auf die liebenswürdigste Weise eingeladen, und bei dieser Gelegenheit wurde ich mit dem Prinzen Salm bekannt, welcher Oberst und Chef des Blenker’schen Generalstabes war.

Der Prinz war damals ein Mann von einigen dreißig Jahren. Er hatte als ganz junger Officier in der preußischen Cavallerie gedient und sich im holsteinischen Kriege durch seine tollkühne Tapferkeit ausgezeichnet, wofür er vom Könige einen Ehrensäbel erhielt, was eine in Preußen seltene militärische Belohnung ist. Er war der jüngste Sohn des regierenden Fürsten Salm, dessen mediatisirtes Fürstenthum mit seiner Hauptstadt Anholt in Westphalen liegt. Die Familie ist katholisch, und gleich anderen westphälischen adeligen Familien hatte sie die Gewohnheit, ihre Söhne zum Theil in österreichische, zum Theil in preußische Dienste zu senden, eine Praxis, welche von der preußischen Herrscherfamilie mit nicht besonders günstigen Augen angesehen wird. Auch der junge Prinz Felix ließ sich durch verschiedene Umstände – ich glaube, der Hauptumstand war ein schönes Mädchen und nicht die katholische Religion – bewegen, den preußischen Dienst zu verlassen und in österreichische Dienste zu treten.

Jedermann weiß, daß in früheren Zeiten der Adel einen anderen Ehrencodex hatte, als er im Bürgerstande in Geltung war. Wie es in alten Zeiten unter dem Adel nicht für entehrend betrachtet wurde, den Pfeffersäcken am Kreuzwege aufzupassen und ihnen ihr Geld und ihre Waaren abzunehmen, so galt es bei deren Nachkommen auch als keineswegs unehrenhaft, dem Bürgerpack Geld abzuschwindeln, und es lachend zu verjubeln und an Bezahlung nicht zu denken. Andererseits rächte sich aber das Bürgerpack, und man konnte darauf rechnen, daß beschnittene und unbeschnittene Juden einem leichtsinnigen jungen Prinzen oder sonstigen vornehmen Edelmann auf all’ seinen Kreuzwegen auflauerten und ihn auf raffinirte Weise mit Hülfe des Gesetzes plünderten.

Prinz Felix Salm war besser als viele seiner Standesgenossen. Jung, leichtsinnig und gutherzig wie er war, fiel ihm nicht ein, irgend Jemand zu plündern; aber er war eben als Prinz erzogen worden und dachte nicht daran, seinen kostspieligen Neigungen Zwang aufzulegen. Er lebte in den Tag hinein, und als seine reichen Hülfsquellen anfingen sparsam zu fließen, fiel er in die Hände von Berliner und Wiener Wucherern, die nur zu bereit waren, ihm, was er brauchte, gegen ein Paar hundert Procent vorzuschießen. Das Wechselnetz, welches die Geldspinnen um den jungen, leichtsinnigen Prinzen woben, zog sich immer mehr und mehr über seinem Haupte zusammen, und endlich konnte ihn nichts als Abwesenheit retten. Der Krieg in Amerika bot einen anständigen Vorwand, und so erschien denn Prinz Salm eines Tages in Washington, versehen mit sehr gewichtigen Empfehlungsbriefen von allerhöchsten Personen.

Ein Prinz, der in den Dienst der Republik treten wollte, war eine Seltenheit, und da dieser Prinz sich bereits als braver Cavallerieofficier in der Schlacht ausgezeichnet hatte und überdies mit Empfehlungen versehen war, die Herr Seward, der Staatsminister, besonders hoch schätzte, so wurde denn dem Prinzen Salm – eine Oberstenstelle und das Commando einer amerikanischen Cavallerie-Brigade angeboten.

[26] Der Prinz hatte aber eine an Prinzen sehr seltene, deshalb doppelt schätzbare Eigenschaft: er war sehr bescheiden; hätte man einem amerikanischen Ladendiener das Commando der deutschen Division angeboten, er würde es nicht ausgeschlagen haben; der Prinz jedoch lehnte das Commando der Brigade ab, da er nicht Englisch genug sprach, sie zu commandiren, und wurde daher als Chef des Stabes der deutschen Division zugetheilt.

Da ich sehr viel mit Blenker verkehrte und nicht selten wochenlang mit ihm in demselben Zimmer schlief, so lernte ich auch die Officiere seiner Division genauer kennen und gewann den bescheidenen, höflichen Prinzen lieb, der sich vertrauensvoll, freundschaftlich an mich anschloß.

Das Regiment, dessen Commando der Prinz erhielt, besaß ein Officiercorps, welches vorzugsweise aus Leuten zusammengesetzt war, die mehr republikanische als taktische Kenntnisse besaßen, und an deren Spitze, als interimistischer Befehlshaber, ein Oberstlieutenant stand, dem man weder Geburts- noch sonstigen Adel vorwerfen konnte, und der außerdem den Vorzug hatte, daß er selten nüchtern war. Die Soldaten machten sich über ihn lustig, und wenn er durch die Gassen des Lagers schwankte, rief es aus allen Zelten lachend hinter ihm her: „Er hat!“ – Er war kein schlechter Soldat, und war, glaub’ ich, einmal irgend wo Unterofficier gewesen; außerdem aber ein Radicaler von reinem Wasser, obgleich dieses stark mit Whisky versetzt war. Ein solcher Oberst paßte dem zu ihm passenden Officiercorps vortrefflich und Alle hofften, daß er das Commando des Regiments erhalten werde. Ihre Unzufriedenheit war daher groß, als der Prinz Oberst ihres Regiments wurde.

Da nun dieser allerlei Unannehmlichkeiten voraussah und großes Zutrauen zu mir hatte, so bat er mich, ihn in seinem Lager zu besuchen und ihm in seiner schwierigen Lage mit Rath und That an die Hand zu gehen, zugleich auch seine Frau zu ihm zu begleiten, die es sich nicht nehmen ließ, die Beschwerden des Feldzugs mit ihm theilen zu wollen.

Prinzen sind bei uns „as plenty as blackberries“ und die Zeit ist längst vorüber, in welcher sich die Bevölkerung eines ganzen Städtchens an einem Gasthofe versammelte, um irgendwelche dort abgestiegene Durchlaucht zu sehen. In Amerika sind Prinzen jedoch eine Curiosität, und über ihre Stellung und Macht herrschen dort die wunderlichsten Ideen. Wenn nun auch den Amerikanern das Gefühl durchaus fremd ist, welches den Rücken unserer Väter beim Anblick eines Prinzen krümmte, so ist doch sicher, daß nur wenige Damen widerstehen würden, wenn die Versuchung an sie heranträte, eine „Highneß“ zu werden. – Einem liebenswürdigen und hübschen Manne wie Prinz Felix Salm würde es leicht geworden sein, irgend eine mit Millionen von Dollars beschwerte Amerikanerin zu heirathen, und er hätte sich vielleicht auch entschlossen, eine solche glückliche Schöne durch seinen Titel noch glücklicher zu machen, wenn sich nicht der Confusionsrath Amor in’s Mittel gelegt hätte, der, wie man mir sagt, in dem fürstlichen Hause Salm stets eine größere Rolle spielte, als der olympische Commercienrath Mercur.

Zur Zeit, als Blenker’s Division noch in der Nähe von Washington lag, erschien in dieser Stadt eine junge Dame, welche dazu ausersehen war, die Hoffnungen mancher Amerikanerin zu zerstören. Sie war eine Canadierin, die Tochter eines Obersten Leclerq[WS 1], welche die Vermittelung der dortigen englischen Gesandtschaft in Bezug auf ein streitiges Besitzthum in Cuba suchte, wo sie einen Theil ihrer Jugend verlebt hatte.

Der Prinz sah sie, und es passirte die ewig neue alte Geschichte. Obwohl der Prinz damals kaum ein Wort Englisch verstand und sie kein Wort Deutsch, so redeten doch ihre Augen die bekannte Universalsprache, und Beide verstanden sich vollkommen. Die junge Dame – das kann ich verbürgen – hatte damals auch nicht die geringste Idee von der socialen Stellung eines Prinzen in Europa und verliebte sich bona fide in den jungen hübschen Obersten.

Eines Morgens stand ein Wagen vor meiner Thür, und zu meinem Erstaunen sah ich aus demselben den Prinzen mit einer jungen Dame steigen. Beide kamen, mich einzuladen, Zeuge bei ihrer Trauung zu sein, welche in der St. Patrikskirche von einem katholischen Geistlichen vollzogen wurde.

Die zweiundzwanzigjährige Prinzessin war damals eine Erscheinung, bei deren erstem Anblicke es mir augenblicklich klar wurde, daß irgend welche weise Vorstellungen und Warnungen bei dem Prinzen vollständig nutzlos sein würden. Er war denn auch so verliebt, wie man es von irgend welchem Prinzen in irgend welchem Feenmärchen nur immer verlangen kann und wie ich und Jeder, der sie sah, außerordentlich begreiflich fand.

Sie war von mittlerer Größe und sehr zierlich und elegant gewachsen. Obwohl jede ihrer Bewegungen rasch und elastisch war, würde doch Niemand auch nur entfernt diesem schlanken Körper eine solche Kraft und eiserne Ausdauer zugetraut haben, wie ich dieselbe häufig zu bewundern Gelegenheit hatte. Von der Kraft ihres Armes will ich nicht reden, da sie sich immer darüber ärgert; allein von ihrem Fuße muß ich ganz nothwendig sprechen, da er viel von sich reden machte und noch immer macht, und ich selbst in Amerika, wo die Damen im Durchschnitt reizende Füßchen haben, keinen so kleinen und zierlichen entdeckte. Ich sah sogar Schuhmacher, die darüber in Kunstekstase geriethen, und Damen werden deren Begeisterung begreifen, wenn ich ihnen sage, daß die Prinzessin Schuhe Nummer Eins trägt.

Der reizende Kopf paßt zu dem reizenden Körper; obwohl ihr Gesicht keineswegs regelmäßig schön genannt werden kann, so möchte man es durchaus nicht anders wünschen, als es ist. Das beinahe ganz schwarze, leicht gelockte Haar fällt auf eine glatte, regelmäßige, ein wenig zu sehr kugelförmig gewölbte Stirn. Das schön geformte Gesicht ist durch ein Paar großer, hellbrauner, von schön geschweiften Brauen überwölbter Augen belebt, deren eigenthümlichem Zauber selten Jemand widerstanden hat. Die zierlich geschnittene gerade Nase erinnert mit ihren beweglichen Nasenflügeln an ein freies, feuriges Racepferd; ein Vergleich, den Pferdeliebhaber verstehen und gewiß nicht unpassend finden werden. Der Mund mit seinen frischen, vollen Lippen ist eher groß als klein, aber unendlich reizend wegen der ihn umgebenden Grübchen, in denen Frohsinn und Schalkheit wenigstens zu jener Zeit beständig spielten. Ihr naives, munteres Wesen war wirklich unwiderstehlich, und wenn sie in ein Zimmer trat, klärte sich das finsterste Gesicht. Ich gab ihr daher den Beinamen „sunbeam“ (Sonnenstrahl) und war erstaunt, daß ein Indianerstamm, der in der Nähe von ihres Vaters Hause campirte, sie ebenso, nämlich „Crainona“, getauft hatte. – Was ich als die größte Schönheit der Prinzessin betrachtete, war ihr beständiger Kummer, nämlich ihr leicht olivenfarbener Teint, den sie gar zu gern mit den weißen und rothen Farben der Amerikanerinnen vertauscht hätte.

Bei aller Liebenswürdigkeit, naiven Heiterkeit und Gutmüthigkeit war die Prinzessin jedoch eine sehr energische und verständige Frau, die, wenn sie ein Ziel erreichen wollte, mit eiserner Beharrlichkeit darauf los ging und nicht leicht vor einem anwendbaren Mittel zurückschreckte. Obwohl sie außerordentlich lebhaft und impulsiv schien, so handelte sie doch stets mit großer Ueberlegung, – es sei denn, daß das Herz mit in’s Spiel kam, welches wohl hin und wieder mit dem Kopfe davon lief.

Der Prinz war, wie ich schon bemerkt, ein hübscher Mann, mit einem angenehmen, gutmüthigen Gesicht und dunklen Augen, die er seiner italienischen Mutter verdankte, welche – ich weiß nicht in welcher Weise – mit der napoleonischen Familie verwandt war. Er war immer bescheiden und verbindlich gegen Jedermann und äußerst genügsam und anspruchslos in seinem Wesen. Obwohl ein Aristokrat von Geburt und Officier seit frühester Jugend, hatte er doch keineswegs den unangenehmen Gardeton angenommen, durch den sich, besonders früher, preußische Officiere so verhaßt und lächerlich machten. Um Politik bekümmerte er sich nicht; er war Soldat mit Leib und Seele und wollte nichts Anderes sein. Die Amerikaner mochten ihn sehr gern; allein wenn er auch einzelne Personen unter ihnen sehr hochschätzte, so konnte er sich doch in einem Lande nicht ganz behaglich fühlen, wo Alles so sehr von Dem abwich, was ihm durch die Erziehung zur andern Natur geworden war. Noch viel weniger aber als mit den Amerikanern konnte er sich mit der größern Classe der dort lebenden Deutschen befreunden, unter welchen sich denn auch viele bestrebten, sich ihm so unangenehm als nur immer möglich zu machen.

Das junge Paar bezog zwei Zimmer in einem Farmhause, welches in der Nähe von Blenker’s Lager war, wo ich sie häufig besuchte und sehr heitere Stunden verlebte. Wir waren oft sehr ausgelassen und nichts amüsirte mich mehr, als wenn ich die Prinzessin dazu bringen konnte, mit vor Lachen thränenden Augen zu sagen „make him stop Salem!“ – Das freundschaftliche [27] Verhältniß, welches sich auf diese Weise entspann, ist niemals getrübt worden und gewann später noch an Festigkeit, als meine Frau mir nach Amerika nachkam und die Prinzessin sich mit großem Vertrauen an sie anschloß.




An einem unangenehm kalten Novembermorgen 1862 standen vor dem National-Hôtel in der Pennsylvania Avenue in Washington zwei sehr schöne Pferde, ein muthiger, kräftiger Grauschimmel und ein aalglatter, sehr feiner Rappe, ersterer für einen Herrn und letzterer für eine Dame gesattelt. Während der Negerbursche, der die Pferde hielt, um welche sich einige Kenner versammelt hatten, sich fröstelnd in die schwarzen Hände blies, saßen die Prinzessin und ich beim Frühstück.

„Wir haben einen weiten Weg vor uns,“ sagte ich, nach der Uhr sehend, zur Prinzessin, die sich noch mit einigen gebackenen Austern beschäftigte, welche ein Kellner eben, dampfend heiß, vor sie hingestellt hatte.

„Da,“ antwortete sie, indem sie ein paar Austern auf meinen Teller legte, „stopfen Sie Ihren Mund und treiben Sie mich nicht! wir traben dafür ein Bischen schneller.“ –

„Wir müssen noch unsere Pässe von General Heintzelmann holen,“ erwiderte ich; „sind Sie denn endlich fertig!“

„Ja, Sie unangenehmer alter Mensch, ich bin fertig,“ rief sie und wir brachen auf, doch an der Thür rief sie: „ich habe meine Glycerine vergessen,“ und kehrte wieder nach dem Frühstückstische zurück. „Da, stecken Sie das in Ihre Tasche, der Wind ist scharf und ich brauche das für meinen kleinen großen Mund.“

„Werfen Sie mich nicht wieder über den Sattel wie neulich,“ sagte sie, als sie ihren kleinen Fuß in meine Hand setzte und ich ihr auf’s Pferd half.

Die Prinzessin ist eine der besten und entschlossensten Reiterinnen, die ich kenne. Das wildeste Pferd bringt sie nicht außer Fassung. Was dasselbe auch thun möge, sie bleibt so unbefangen und graciös im Sattel, als sitze sie am Clavier. – Einst in Nashville, der Hauptstadt von Tennessee, ritt sie ein Vollblutpferd des Generals Rousseau. Das Thier, welches nicht gewohnt war, von Damen geritten zu werden, ging mit ihr durch. In rasendem Galopp rannte es das felsige zerklüftete Ufer hinab und setzte in den Fluß. Es gelang der Prinzessin, die fest im Sattel blieb, den Kopf des Pferdes zu wenden. Es kletterte wieder das Ufer hinan und jagte wie toll durch die Straßen. Die Prinzessin blieb im Sattel, bis endlich der Gurt desselben riß und sie hinunterstürzte. Trotzdem ließ sie den Zügel nicht fahren an welchem sie eine Strecke geschleift wurde, ehe endlich das Pferd zum Stehen gebracht wurde und Leute ihr zu Hülfe kamen. Obwohl sie durchnäßt und am Knie verletzt war, gab sie den Kampf mit dem Pferde nicht auf. Nachdem sie es mit der Reitpeitsche nachdrücklich gestraft hatte, stieg sie wieder auf und ritt das gebändigte Thier ruhig nach Hause. – Der Rappe, den sie nun ritt, hatte fast sämmtliche Officiere der deutschen Division abgeworfen. In ihrem eleganten, knappen schwarzen Reitkleide und dem Hut mit langer scharlachrother Straußfeder sah sie wunderschön auf dem Thiere aus.

Nach einem scharfen Trab die vierzehnte Straße hinunter, gelangten wir an die schmale Potomac-Brücke, die gerade eine englische Meile lang und nicht nur unangenehm, sondern auch gefährlich zu passiren war, da man trotz ihrer geringen Breite ein Eisenbahngleise darüber gelegt hatte. Nicht selten traf es sich, daß Pferde, welche auf der Brücke der schnaubenden Locomotive begegneten, dadurch wild gemacht, über das Geländer in den Strom setzten oder auch von der Locomotive getödtet wurden. Passirten Schiffe durch den Durchlaß, so hatte man oft stundenlang zu warten, was bei dem beständig dort wehenden Wind im Winter keineswegs angenehm war.

Wir kamen indessen ohne Fährlichkeiten hinüber und erreichten bald Arlington Heights, das Hauptquartier des Generals Heintzelmann. Arlington Heights war vor dem Kriege der Wohnsitz des Generals der Conföderirten Lee gewesen und ist eine sehr schöne Besitzung. Von dem Hause aus hat man eine wundervolle Aussicht auf Georgetown und Washington, die indessen nicht entfernt mit derjenigen zu vergleichen ist, welche sich von der andern Seite, von den Höhen von Georgetown darbietet und die eine der schönsten Landschaften zeigt, die man sehen kann.

Nachdem wir die nöthigen Pässe erhalten hatten, ritten wir auf die Landstraße zurück und bei Hunters Chapel vorbei, wo am Anfange des Krieges Blenker’s Lager gewesen war. Die Prinzessin stieg trotz meiner Mahnungen zur Eile an dem Hause ab, in welchem sie früher gewohnt hatte, und ohne mir etwas davon zu sagen, bewog sie den Neffen der Dame des Hauses, Warren Perkins, uns zu begleiten.

Als ich bemerkte, daß dieser junge Mann uns folgte, sah mich die Prinzessin mit einem unterdrückten Lachen von der Seite an und rief: „Ei, lieber Corvin, warum sehen Sie denn so böse aus?“

„Ich will wieder umkehren,“ antwortete ich, „da Sie ja nun einen Begleiter haben, in dessen Schutz Sie mehr Zutrauen zu haben scheinen.“

„Armer Corvin!“ lachte sie. „Seien Sie doch vernünftig. Sie wissen, er ist einer unserer Kundschafter und kennt jeden Zoll in Virginien, was Sie doch nicht von sich behaupten können. Und dann,“ fügte sie mit spaßhafter Miene hinzu, „sind Sie ein so schauderhaft hübscher Mann, daß ich wahrhaftig nicht so allein mit Ihnen durch’s Land reiten kann.“

Wir passirten Fairfax Court-House und Centreville, Plätze, die ich von früher her kannte. Das ganze Land sah unbeschreiblich wüst und verkommen aus. Die Felder lagen unbebaut, Obstbäume waren abgehauen, die Fenzen niedergerissen, die Häuser zerstört und verlassen. Man sah kaum irgendwo ein lebendes Wesen und auf den wenigen verkümmerten Farmen, die wir antrafen, war ein Huhn eine große Seltenheit. Geier gab es jedoch überall in Menge, besonders auf den Schlachtfeldern, die wir passirten.



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Nr. 2.
Ritt über das Schlachtfeld. – General Sigel. – Unangenehme Begegnungen. – Prinz Salm und sein Brigadecommandeur. – Rencontre mit demselben.

Das Wetter war höchst unangenehm, denn es fiel mit eisigem Regen untermischter Schnee, und der Boden wurde schlüpfrig und schwierig. Ein breiter Bach mit steilen Ufern kreuzte unseren Weg. Die Prinzessin setzte mit einem ungeheuern Sprunge hinüber; aber da das eine Hufeisen meines Grauschimmels etwas lose war, so sprang er zu kurz und ich hatte mit ihm das steile Ufer hinaufzuklettern. Das lustige Lachen der Prinzessin verbesserte meine Laune keineswegs.

Wir ritten über das Schlachtfeld von Bull Run, welches einen schauerlichen Anblick darbot, mit welchem der bleifarbene Novemberhimmel trefflich harmonirte. Ueberall lagen zertrümmerte Laffetten, verbogene und verrostete Flintenläufe, nicht crepirte Bomben und weiße Pferdegerippe in Menge. Nicht selten ragte auch durch die dünne und abgewaschene Erddecke ein menschlicher Arm oder ein Bein, von welchen sich bei unserm Herannahen die Geier nur widerstrebend und mit schwerfälligem Flügelschlag entfernten.

Als der Abend herannahte, wurde es empfindlich kalt, und die Prinzessin, die wie Espenlaub zitterte, mußte nun doch meinen Mantel annehmen, den ich ihr jedes Mal angeboten hatte, wenn sie mich um das Glycerin für ihr „großes kleines Mund” bat, was ungefähr alle Viertelstunden geschah.

Um die Situation noch unangenehmer zu machen, führte uns unser Kundschafter in der Dunkelheit irre und es war neun Uhr Abends, als wir endlich in Gainesville anlangten, nachdem wir seit dem Morgen gut dreiundsechszig englische Meilen gemacht hatten. Hier in Gainesville hatte General Sigel sein Hauptquartier, und wir erwarteten dort den Prinzen zu finden, hörten aber sogleich bei unserer Ankunft, daß sein Regiment am Morgen abmarschirt sei, ohne daß man uns sagen konnte, wohin. Das ließ sich am besten von General Sigel selbst erfahren, und wir ritten nach dessen Hauptquartier. Die Prinzessin zog es vor im Sattel zu bleiben, und nur ich stieg ab und ging in das Haus.

Sigel und ich kannten uns von der badischen Revolution her. Ich habe in meinen „Erinnerungen“, die auch in Amerika nachgedruckt wurden, meine Ansichten über Sigel als Mann und General ausgesprochen und was ich darin sagte, ist durch seine Handlungen in Amerika auf das Ueberzeugendste bestätigt worden. Sigel ist ein braver, achtungswerther und wohlmeinender Mann, der durch wunderliche Verhältnisse an Stellen geschoben und mit Aufgaben betraut wurde, denen er durchaus nicht gewachsen war. Seit 1849 hatte ich ihn nicht gesehen und fand ihn nun in einem großen Zimmer vor einem behaglichen Kaminfeuer. Das Zusammentreffen mit mir schien ihn in Verlegenheit zu setzen und die Art, wie er mich empfing, contrastirte in fast komischer Weise mit dem Empfange Blenker’s. – Nachdem ich ihm den Grund meines Besuches mitgetheilt und erfahren hatte, daß Salm mit seinem Regimente in Aldy, dem äußersten Vorposten, stehe, fragte er: „Hm, – ja so – ist die Prinzessin draußen? – hm – ja wohl – so – dann wollen Sie wohl einen Paß? – Ja so – Lieutenant X., sagen Sie doch Asmus, daß er dem Obersten einen Paß giebt. – Ach – ja so – gute Nacht.“

Das war noch derselbe Sigel, wie ich ihn in Baden gekannt hatte, und halb amüsirt, halb ärgerlich folgte ich dem Officier in das Bureau, wo wir Sigel’s Generalstabs-Chef, Oberst Asmus oder Asmussen, fanden. Nachdem er gehört, um was es sich handele, rief er einem andern Officier zu: „Y., geben Sie dem jungen Mann einen Paß!“ – Ich mußte laut auflachen, denn der Oberst konnte mein Sohn sein, und ich erwiderte etwas, was ihn roth machte.

Die Prinzessin, die draußen im Regen gehalten hatte und an die Höflichkeit amerikanischer Generale gewöhnt war, mochte wohl auch ein wenig Höflichkeit von Sigel erwartet haben und schien etwas frappirt, daß weder er, noch irgend ein anderer Officier, den wir anredeten, von ihr Notiz nahm.

„Es wird nichts übrig bleiben, Prinzessin,“ sagte ich, „als daß Sie sich in meinen Mantel wickeln und in irgend eine Ecke legen, während Perkins und ich bei Ihnen Wache halten.“

Die Prinzessin beschloß, selbst mit der Besitzerin der großen Farm zu reden. Ich ließ sie am Feuer in der großen Halle, und es gelang mir und Warren genügende Fourage für unsere Pferde zu erhalten, die indessen im Freien übernachten mußten. Das sind übrigens die amerikanischen Pferde gewohnt. Ich kenne keine ausdauernderen, genügsameren und intelligenteren Pferde als die amerikanischen.

Als ich in die Farm zurückkehrte, hatte sich die Situation bedeutend geändert. Die Liebenswürdigkeit der Prinzessin hatte ihren Einfluß auf die Wirthin und deren Tochter nicht verfehlt; sie fand ein bequemes Zimmer, und auch ich und Warren erhielten ein Zimmer, mußten aber in demselben Bett schlafen. Daran mußte man sich während des Krieges in Amerika gewöhnen. Selbst in großen Gasthöfen erhielt man oft nur einen zweiten Platz in einem Bette angewiesen, und ich habe nicht selten mit Leuten geschlafen, deren Gesicht ich nicht einmal zu sehen bekam. In einer Farm auf der virginischen Halbinsel, am Pamunky – schlief ich acht Tage lang in demselben Bette mit einem Manne, der spät kam und vor Tag aufstand, so daß ich ihn auch nicht einmal gesehen habe.

Am 10. November 1862 brachen wir früh am Tage auf, um bei Zeiten Hoperell Gap zu erreichen, wo Generalmajor Stahel, welcher eine Division befehligte, sein Hauptquartier hatte. Stahel war ein lieber Freund von mir, und ich freute mich sehr darauf, ihn wiederzusehen.

Das Wetter war schön geworden, und wir erreichten schon bei guter Zeit sein Hauptquartier, welches in einem hübschen, auf einem kleinen Hügel gelegenen Farmhaus war. Er empfing uns auf sehr liebenswürdige Weise und bewirthete uns mit einem vollkommenen Frühstück, während wir unsere Pferde beschlagen ließen.

Auf unserem Weiterwege nach Aldy hatten wir einen Wald zu passiren und es schien mir, als ob wir eine Richtung einschlügen, welche uns direct in die feindlichen Linien führen müßte. Unser Kundschafter gestand denn auch ein, daß er nicht genau Bescheid wisse, da er seit Jahren nicht in diesem Theil von Virginien gewesen sei. Als ich vor uns im Waldweg ganz frische Spuren von Cavallerie sah, fing die Sache an mir sehr bedenklich zu werden, und meine Besorgniß wurde gleich darauf von zwei uns begegnenden Kindern bestätigt, welche uns sagten, daß White’s Reiterei nicht weit davon seitwärts im Walde stehe. Der Führer behauptete, daß dies nicht möglich sei; allein ich veranlaßte ihn, in einem Hause, welches wir in einiger Entfernung liegen sahen, nach dem Wege nach Aldy zu fragen. Als er dort hinkam, sah eine alte Frau zum Fenster hinaus, die seine Frage mit der Gegenfrage beantwortete: „ob er zu White’s Leuten gehöre?“ Er war klug genug das zu bejahen und sie sagte ihm, was er zu wissen wünschte. Ich hatte vollkommen Recht gehabt, wir ritten gerade auf den Feind zu, dem wir übrigens jeden Augenblick begegnen konnten. Der Kundschafter fing nun an sehr ängstlich zu werden, dann sagte er: „sie kennen mich und werden mich auf der Stelle aufhängen.“

Wenn ein solches Schicksal auch weder der Prinzessin noch mir drohte, so wäre doch eine Unterbrechung unserer Reise durch Gefangenschaft sehr unangenehm gewesen, und ich wandte alle mögliche Vorsicht an, ein solches Unglück zu verhindern. Zu diesem Zwecke ritt ich mit gespanntem Revolver etwa zweihundert Schritt voraus, um zu recognosciren; allein die Prinzessin rief mit durchdringender Stimme, daß man es eine Meile weit hören konnte „Corvi-i-in! reiten Sie nicht voraus, mein Pferd wird unruhig – oh!“ – Ich mußte über das „Oh!“ lachen trotz meinem Aerger und dachte: „man reitet nicht ungestraft dreiundsechszig Meilen, wenn man nicht ganz von Gummi elasticum ist.“ Ich beschwor sie, ruhig zu sein, aber sie sprach laut und sang sogar, als ob sie es darauf angelegt hätte, daß die Conföderirten uns hören sollten. Ich wurde am Ende ärgerlich, allein je mehr ich schalt, desto ausgelassener wurde sie. Ich war in der That sehr froh, als wir endlich die Chaussee erreichten, die nach Aldy führte, ohne den „Rebs“ begegnet zu sein.

[107] Das Regiment des Prinzen hatte vor Aldy, rechts von der Chaussee, ein Lager aufgeschlagen. Das erste Zelt zunächst der Straße und dem Ort war das des Prinzen. In einem Hause, welches von seinem Zelte nur durch die Chaussee getrennt war, hatte er ein Zimmer für seine Frau gemiethet.

Der Prinz war froh, daß ich kam, denn die Schwierigkeiten mit seinen Officieren hatten bereits angefangen, und er hoffte, daß ich beitragen würde, sie auszugleichen. Gleich bei meiner Ankunft erzählte er mir, daß der alte Struve um seinen Abschied eingekommen sei.

Salm hatte einen schweren Stand nicht nur mit den Republikanern, denen er als Prinz verhaßt war, sondern auch mit den schiffbrüchigen Junkern, die ihn wegen der Aufmerksamkeit beneideten, mit welcher ihn die Regierung behandelte. Einer derselben war sein Brigadecommandeur, Oberst ***.

Der Oberst war ein großer, schlanker, noch junger Mann, mit nur wenigen rothblonden Haaren auf dem hinteren Theile seines Kopfes; der Schädel war ganz kahl. Seine Haltung war sehr militärisch und sein Auftreten barsch und arrogant. Er war preußischer Officier, ich glaube, in einem Garderegiment, gewesen, und hatte sich später als Hauptmann im schleswig-holsteinischen Kriege ausgezeichnet. Er galt für einen sehr tüchtigen Soldaten und war es wohl auch. Warum er nach Amerika fliehen mußte, weiß ich nicht, doch glaube ich nicht, daß es wegen einer unehrenhaften Handlung war; den Eindruck machte er durchaus nicht. Es war ihm anfangs in New-York schlecht gegangen, und er hatte eine sehr bescheidene Stelle in einem Comptoir einzunehmen, in der That die allerletzte, denn er hatte die Zimmer auszukehren. Er besaß eine schöne Stimme, spielte ausgezeichnet Clavier und fand, daß diese Fertigkeiten sich verwerthen ließen, indem er in öffentlichen Localen spielte und sang. – Als der Krieg ausbrach, wurde er Oberst des „de Kalb“-Regiments und stand später bei Blenker’s Division, den er als Freischaarenobersten natürlich verachtete und mit dem er nicht selten aneinandergerieth.

Oberst *** konnte Salm nicht leiden und mißbrauchte seine Stellung, es ihn in der brutalsten Weise fühlen zu lassen, wie er denn schon am andern Morgen der Prinzessin die Weisung ertheilte, ihr Zimmer zu räumen, da es für dienstliche Zwecke gebraucht würde. Dieser dienstliche Zweck war, wie sich nachher zeigte, nicht vorhanden, denn das Zimmer wurde von Frau *** eingenommen. Die Prinzessin war empört und hatte Lust zur Opposition; ich rieth ihr aber nachzugeben und eine Wohnung einzunehmen, die ein paar Schritte weiter hin an der Straße gelegen war. Sie hatte es sich jedoch kaum in dieser bequem gemacht, als sie abermals von Oberst *** unter irgend einem Vorwand vertrieben wurde, und so faßte sie denn, zur großen Freude der Soldaten, den Entschluß, mit ihrem Manne dessen Zelt zu theilen.

Ich blieb etwa acht Tage, da es aber nicht den Anschein hatte, als ob es zu einem Zusammentreffen mit dem Feinde kommen sollte, so beschloß ich, mich auf einen andern Theil des Kriegsschauplatzes zu begeben und auf meinem Rückwege nach Washington ein paar Tage bei General Stahel zu bleiben, der mich eingeladen hatte. Eines Nachmittags nahm ich daher Abschied von Salm, um noch bei Tage Hoperell Gap zu erreichen, wohin Stahel an demselben Morgen zurückgekehrt war.

Als ich in den Wald kam, den ich zu durchreiten hatte, achtete ich sorgfältig auf den Wind, da ich keinen andern Führer hatte und auch nicht einem einzigen Menschen begegnete. Der Wind drehte sich jedoch, und ich wußte nicht mehr, in welcher Richtung ich Hoperell Gap suchen sollte, als ich den Schritt eines Pferdes hörte. Es war eine Ordonnanz, die mir sagte, daß sie eben von General Stahel’s Hauptquartier komme, und mir den Weg zeigte. Nach einer Stunde sah ich denn auch Zelte; die Gegend kam mir sehr bekannt vor – ich war wieder glücklich in Aldy angelangt, nachdem ich einen Kreis von etwa zwölf englischen Meilen gemacht hatte. Die Ordonnanz kam von Stahel’s Hauptquartier in Aldy und wußte nichts von der Verlegung desselben nach Hoperell Gap.

Als die Prinzessin meine Stimme vor ihrem Leinwandpalast hörte, kam sie heraus und lachte mich unbarmherzig aus, freute sich aber doch, mich wiederzusehen. Es war wirklich ein glücklicher Zufall, der mich zurückführte, denn in der Nacht kam der Befehl, das Lager abzubrechen und eine retrograde Bewegung nach Chantilly zu machen.

Als die Zelte am Morgen abgeschlagen wurden, fing es an zu regnen, und die Feuer, die man mit all’ dem Holzwerk und Geräthschaften unterhielt, welche man den Rebellen nicht überlassen wollte, waren gar nicht unangenehm. Das Zelt des Prinzen wurde natürlich auch aufgepackt, und die Prinzessin saß auf dem hölzernen Fußboden desselben wie auf einem Präsentirteller, während die Truppen sich zum Abmarsch formirten.

Unser Kundschafter war nach Hause zurückgekehrt, und die Prinzessin und ich ritten den Truppen voraus nach Chantilly, um uns nach einem Quartier für sie umzusehen. Der Ritt war nichts weniger als angenehm, denn es regnete stark. Glücklicherweise hatten wir Beide Gummimäntel, und nichts wurde naß als unsere Hüte und der Prinzessin verwünschte scharlachene Straußfeder, welche sie mit einem vertrauensvollen „da, lieber Corvin“ meiner Sorgfalt anvertraute.

Wir ließen unsere Pferde stark traben und kamen bald nach Chantilly, einer Besitzung der Familie Stuart, welche ihren Ursprung von den englischen Stuarts herleitete. Die Familie mußte sehr reich gewesen sein, denn die Besitzung war nicht nur sehr ausgedehnt, sondern die Gebäude waren auch in einem für Amerika ganz ungewöhnlichen schloßartigen Styl erbaut. Das erstreckte sich sogar auf die Ställe, wenn dieselben auch nicht so prachtvoll eingerichtet waren wie die in dem Chantilly bei Paris, welche die Condés erbaut hatten.

Ein hundertjähriger Neger, der im Hause geblieben war und der noch Washington gekannt hatte, sagte uns, daß wir vielleicht im Hause des Aufsehers Quartier und ein Mittagessen finden möchten; dasselbe lag etwa eine englische Meile hinter dem Herrenhause, aus dem alle Meubels entfernt worden waren, wenn es auch in gutem Stande gehalten wurde.

Wir fanden in dem kleinen, auf einem Hügel liegenden Hause des Aufsehers dessen recht anständige Frau nebst zwei Töchtern, die Alles thaten, was sie konnten, es der Prinzessin behaglich zu machen. Der Mann war wahrscheinlich in der südlichen Armee. Die eine Tochter, ein schönes, verständiges Mädchen, bot der Prinzessin sogleich ihr Zimmer an; allein diese nahm es nur unter der Bedingung an, daß sie dasselbe und das einzige Bett mit ihr theilte.

In der Nähe des Aufseherhauses war ein sehr großes Oekonomie-Gebäude, welches an jedem Ende Ställe, mit je sechs Ständen, hatte, und zwischen Beiden war bequem Raum für gewiß hundert Pferde. Ich nahm Besitz von einem der Ställe, indem ich unsere beiden Pferde hinein stellte und die vier leeren Stände für des Prinzen vier Pferde reservirte.

Die Truppen kamen am Nachmittag an. Sie hatten kaum ihre Gewehre zusammengestellt, als sie geschlossen wie zum Sturm gegen die noch unberührten Fenzen vorrückten. Diese waren im Nu auseinander gerissen und mit Ameisengeschäftigkeit schleppte jeder Soldat seine Beute zum Lagerplatz. Die Fenzen reichten jedoch für das Holzbedürfniß der Soldaten nicht aus, und bald sah man sie mit wunderbarer Geschicklichkeit an einer hohen und großen Scheune emporklettern. In einer Viertelstunde war dieselbe ihrer Bretterbekleidung entledigt, denn Bretter waren sehr begehrt, da sich mit ihnen regendichtere Dächer herstellen ließen, als sie die sogenannten shelter-tents gewährten. Es regnete in Strömen und man konnte es den Soldaten wirklich nicht verdenken, wenn sie Holz hernahmen, wo immer sie es fanden.

Als ich nach dem Stallgebäude ging, um zu sehen, ob unsere Pferde versorgt seien, traf ich dort einen Burschen von ***, einen der unverschämtesten New-Yorker Bummler, den man nur finden konnte. Der Kerl sagte mir mit frecher Miene, daß sein Oberst befohlen habe, der Prinzessin und mein Pferd aus dem Stalle zu werfen und denselben für seine Pferde in Beschlag zu nehmen. ***’s Ungezogenheit gegen die Prinzessin hatte mich schon genug geärgert, allein diese neue Unverschämtheit machte das Maß voll. Ich wurde blaß vor Zorn; doch ich hielt mich zurück und begnügte mich damit, dem frechen Kerl mit ruhiger Stimme zu sagen, daß ich ihn todt schießen würde, wenn er wagte, einen Finger an der Prinzessin oder mein Pferd zu legen, ehe ich mit seinem Herrn gesprochen hätte.

Kochend vor Wuth kehrte ich nach dem Hause zurück und theilte der Prinzessin diese neue Beleidigung ***’s mit. Sie sagte kein Wort, sondern nagte an ihrer Unterlippe und sah zum Fenster hinaus. Sie that mir wirklich leid und in der Absicht, der Sache [108] eine scherzhafte Wendung zu geben, sagte ich: „Jetzt weiß ich bestimmt, daß Sie, wie ich immer behauptete, eine Hexe sind, denn Sie möchten gern weinen und können nicht.“

Sie stampfte ungeduldig mit ihrem kleinen Fuße und mit der Hand mich abwehrend, sagte sie mit zitternder Stimme: „O, wäre ich ein Mann!“

„Meine liebe Prinzessin,“ antwortete ich, „ich bin einer,“ steckte meinen geladenen Revolver unter meinen Gummimantel in den Gürtel und verließ das Haus, um im Hauptquartier Oberst von *** aufzusuchen.

Ich hörte, daß derselbe bei General Stahel sei. Ich fand den letztern neben dem Kamin sitzend, vor welchem *** stand, sich den Rücken wärmend. Ohne ein Wort zu sagen, gab ich dem General die Hand, trat vor den Oberst hin, sah ihm fest in’s Auge und fragte: „Oberst ***, haben Sie den Befehl gegeben, mein und der Prinzessin Pferd aus dem Stalle zu werfen?“

„O, es ist da genug Platz für Ihre Pferde,“ antwortete er.

„Haben Sie Befehl gegeben, meine Pferde aus dem Stalle zu werfen?“ wiederholte ich mit erhobener Stimme. Er mußte wohl in meinem Blicke etwas sehen, was ihm nicht gefiel; oder vielleicht sah er auch ein, daß er zu weit gegangen war; genug, er bejahte meine Frage nicht, sagte einige ausweichende Worte und verließ das Zimmer, wie ich vermuthe, seinen Befehl zu widerrufen.

Als er fort war, trat ich zu Stahel, schlug meinen Mantel zurück, zeigte ihm meinen Revolver und sagte: „Sehen Sie hier, Stahel; *** war seinem Ende in seinem ganzen Leben nicht näher als jetzt. Hätte er mich thätlich insultirt, wie ich beinahe von ihm erwartete, so würde ich ihn auf der Stelle hier erschossen haben.“ Der General hob nur die Hand und schüttelte den Kopf, sagte aber kein Wort.

Die Brutalität, mit welcher *** seine Stellung mißbrauchte, trug ihm schlechte Früchte, und wenn er trotz seiner militärischen Tüchtigkeit nicht General wurde, so verdankte er das nur seinem Benehmen gegen die Prinzessin. Diese erzählte es dem Präsidenten und verschiedenen Senatoren, und der Erstere gelobte, daß ein gegen eine Dame so brutaler Mensch nie General werden solle. Er hielt sein Wort. *** blieb Oberst, bis er am Ende des Krieges ausgemustert wurde. Was aus ihm geworden ist, weiß ich nicht. Doch war ich später noch einmal mit ihm in Washington zusammen und vertrug mich sehr gut mit ihm, denn im gewöhnlichen Leben war er ein angenehmer Gesellschafter und achtungswerther Mann.

Ich schlief die Nacht mit Salm im Zelte auf einer auf den bloßen Boden gelegten Matratze. Es war eine abscheuliche Nacht, denn die eine wollene Decke, die wir hatten, schützte uns nur nothdürftig gegen den Wind und Regen, die von allen Seiten eindrangen.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. William Leclerq Joy (1793–1866), Vorlage: Leclerig