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Ein berühmter Meineid

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Walther Kabel
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Titel: Ein berühmter Meineid
Untertitel:
aus: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 12, S. 212–215
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Erscheinungsdatum: 1913
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
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Erscheinungsort: Stuttgart, Berlin, Leipzig
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[212]
(Nachdruck verboten.)

Ein berühmter Meineid. – Im Jahre 1774 hatte der Berliner Privatier Heuberle, dem man allgemein nachsagte, daß er sein Vermögen nur durch Wuchergeschäfte erworben habe, den Schneidermeister Törning wegen Rückerstattung eines Darlehns von dreihundert Talern verklagt. Törning behauptete jedoch in der im Oktober desselben Jahres stattfindenden Gerichtsverhandlung, er habe dem Gläubiger die Summe bereits zurückerstattet; leider sei er aber so unvorsichtig gewesen, die Quittung, die Heuberle ihm ausgestellt habe, so schlecht zu verwahren, daß er sie nicht mehr finden könne. Als der Richter ihn fragte, ob er nicht Zeugen zu benennen imstande sei, die zugegen gewesen wären, als er Heuberle die Schuld bezahlt habe, verneinte der arme Mann mit Tränen in den Augen.

Zu diesen Behauptungen lächelte Heuberle nur spöttisch. „Nichts als Ausflüchte!“ erklärte er immer wieder mit größter Bestimmtheit.

Die Sache des Schneiderleins stand schlecht, obwohl er einen völlig glaubwürdigen Eindruck auf den Richter machte. Dieser überlegte hin und her, wie dem Manne zu helfen sei, fand aber keinen Ausweg. Schließlich vertagte er die Sache, um Törning nochmals Zeit zu geben, nach der verlegten Quittung zu suchen.

Heuberle war ganz damit einverstanden. „Er wird die Quittung zwar nicht finden, denn sie existiert eben nicht,“ meinte er mit der Miene eines Biedermannes, „aber vielleicht gelangt er dann endlich zu der Überzeugung, daß ich in meinem Recht bin.“ –

Nach acht Tagen stellten sich die Parteien wieder vor dem [213] Richter ein. Der Schneidermeister war noch niedergeschlagener als das erste Mal. Die Quittung hatte er nirgends entdecken können.

Der Richter befragte die Prozeßgegner wiederum nach dem genauen Sachverhalt und vermahnte sie ernstlich, ja die volle Wahrheit zu sagen. Aber jeder blieb bei seiner Behauptung. Nunmehr mußte der Kläger nach den damaligen Prozeßbestimmungen den Eid leisten. Heuberle sollte schwören, daß er Törning dreihundert Taler gegeben und diese Summe noch nicht zurückerhalten habe.

„Will Er diesen Eid leisten?“ fragte der Richter den Kläger, der neben dem Beklagten vor der Schranke stand.

„Jawohl,“ erklärte Heuberle.

„Dann leg Er seine rechte Hand auf das Kruzifix hier und spreche Er mir die Eidesformel nach. Bedenke Er aber genau, welche Folgen ein Meineid für Ihn haben würde.“

Heuberle hatte in seiner Rechten einen dicken Bambusstock mit goldenem Knopf, den er jetzt seinem Prozeßgegner mit der Bitte reichte, dieser möge ihm das Rohr doch für einen Augenblick abnehmen. Und dann leistete er den Eid, während Törning ihm gutmütig den Bambusstock hielt.

Hiernach wurde der Schneidermeister zur Rückzahlung des Darlehns verurteilt, da es durch den Eid des Klägers für erwiesen gelten mußte, daß die Schuld noch nicht beglichen sei.

Als der Wucherer nach diesem für ihn so günstigen Prozeßausgang das Gerichtsgebäude verließ, wurde er draußen auf der Straße von einer erregten Menschenmenge, die neugierig das Ende der Verhandlung abgewartet hatte, mit lauten Verwünschungen empfangen. Denn allgemein war man der Ansicht, er habe in dieser Sache mit vollem Bewußtsein einen Meineid geleistet. Um sich einen Weg durch die Menge zu bahnen, erhob Heuberle drohend seinen Stock. Da sprang aber auch schon ein junger Bursche auf ihn zu, entriß ihm das Bambusrohr und schleuderte es auf das Pflaster, so daß es in mehrere Stücke zersplitterte. Zu aller Erstaunen rollten eine Menge Goldstücke auf die Straße, die vorher, wie man jetzt sah, in dem hohlen Stock verborgen gewesen waren.

[214] Bleich und zitternd stand Heuberle inmitten der ihn umdrängenden Menschen. Das Schuldbewußtsein war ihm jetzt so deutlich vom Gesicht abzulesen, daß einige der Leute ihn kurzerhand ergriffen und abermals vor den Richter führten, ohne jedoch zu ahnen, in welchem Zusammenhang das goldgefüllte Bambusrohr zu dem eben erledigten Rechtsstreit stehen könne.

Der Richter hatte kaum die merkwürdige Geschichte von dem mit Goldstücken gefüllten Stock vernommen, als ihm auch sofort klar wurde, aus welchem Grunde Heuberle vorhin dem armen Schneider vor der Eidesleistung das Rohr zum Halten gegeben hatte. Auf die strengen Vorhaltungen des Richters, hauptsächlich aber wohl, weil ihm so schnell keine glaubwürdige Erklärung für die Aufbewahrung der Goldstücke in dem Stocke einfiel, legte der in die Enge getriebene Wucherer ein volles Geständnis ab. Danach hatte der Schneidermeister seine Schuld wirklich längst bezahlt. Auf den Gedanken, die Summe nochmals einzuklagen, war Heuberle erst durch einen von Törning entlassenen Gesellen gebracht worden. Dieser, ein fauler, dem Trunke ergebener Mensch, hatte dann seinem Meister die Quittung aus Rachsucht entwendet und war damit zu dem Wucherer gekommen, worauf die beiden Ehrenmänner in dieser unsauberen Sache Halbpart zu machen beschlossen. Begünstigt wurde ihr Plan noch durch den Umstand, daß bei der Rückzahlung der Darlehnsschuld keine Zeugen zugegen gewesen waren. Heuberle gab dann auch weiter zu, daß er die dreihundert Taler in Gold nach der ersten Verhandlung nur deswegen in dem Stock untergebracht habe, um, nachdem er seinem Prozeßgegner das goldgefüllte Rohr in die Hand gespielt hatte, guten Gewissens beschwören zu können, der Schneider habe die dreihundert Taler noch, was ja auch insofern stimmte, als Törning mit dem Stock zugleich auch die dreihundert Taler in Gold Heuberles während der Eidesleistung in seinen Händen gehabt hatte.

Heuberle und der rachsüchtige Geselle kamen schon drei Wochen später vor das Kriminalgericht. Dieses verurteilte den Gesellen wegen des Diebstahls und der Teilnahme an einem [215] Betrugsversuch zu vier Jahren, Heuberle dagegen wegen Meineides und versuchten Betruges zu fünf Jahren Kerker.

Friedrich der Große, der die merkwürdigen Einzelheiten dieses Prozesses bereits vorher erfahren hatte, ließ sich das Urteil vorlegen, strich darin das zuerkannte Strafmaß aus und bestimmte für den Gesellen sechs Jahre, für Heuberle acht Jahre Kerker. Außerdem sollte des letzteren Vermögen eingezogen und an die Armen Berlins verteilt werden. An den Rand des Urteils schrieb er als Begründung: „Zur Schreckung for ähnliche Kanaljen und for die bessere Ästimierung des Eides.“

W. K.