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Ein auferstandenes Wikingerschiff

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Textdaten
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Titel: Ein auferstandenes Wikingerschiff
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aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 472-474
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Ein auferstandenes Wikingerschiff.

Wenn irgend ein Räuberthum mit dem Glanze des Erfolges und mit der Verklärung durch die Poesie einer romantisch gestimmten Nachwelt belohnt worden ist, so geschah das dem von der altgermanisch-heidnischen Bevölkerung Skandinaviens geübten. Diese normannischen „Wikingar“, das heißt Krieger, welche von den skandinavischen Küsten aus unter Anführung von „Heer“- oder „Seekönigen“ in kleinen, aber flinken und bis weit in die Flußmündungen hineintragenden Schiffen, den „schaumhalsigen Wellenrossen“, die See pflügten und plötzlich irgendwo landend, mit oder ohne Kampf Beute machten, um dann ebenso plötzlich wieder zu verschwinden – diese Wikinger sind Jahrhunderte lang die Verzweiflung Englands, Frankreichs, der Niederlande und zahlreicher anderer Küstengebiete gewesen. Tief im Lande oft trugen sie Tod und Verwüstung in Städte und Dörfer, nichts Transportables von Werth verschmähend, selbst nicht die überlebende Bevölkerung, welche in Sclaverei geschleppt ward – ein todtschlaglustiges Volk von rücksichtsloser Rohheit, durchsättigt mit der ganzen altgermanischen Kraft, Wander- und Abenteuerlust und Begier nach kriegerischem Ruhm.

Sie drangen auf der Seine bis Paris vor und haben es drei Mal geplündert (in der Mitte des neunten Jahrhunderts), sie liefen in die Garonne ein bis Toulouse. Sie fuhren die Maas hinauf und brandschatzten die Gegend von Aachen, Köln, Trier, Mainz, Worms, ja sie sollen den Rhein hinauf sogar in die Schweiz eingedrungen sein und sich im Haslithal festgesetzt haben. An den Flußmündungen verschanzten sie sich und gewannen durch Landabtretungen immer festere Positionen, zuletzt gar die Normandie, von wo sie nach der Hastingsschlacht ihre Herrschaft über ganz England trugen, nachdem sie dasselbe durch Jahrhunderte wie eine periodisch wiederkehrende Heuschreckenplage heimgesucht hatten.

Sie fuhren in das Mittelmeer ein und vergewaltigten die Küsten bis nach Kleinasien hin; sie eroberten das südliche Italien und Sicilien, wo ihre Herrschaft erst mit den Hohenstaufen endigte. Von Schweden aus bezwangen sie als „Waringer“ oder „Waräger“ die Ostseeküsten bis weit in das jetzige Rußland hinein und fügten unter Rurik den Grundbau des späterer russischen Reiches, auf dem Dnjepr bis in das Schwarze Meer dringend und Constantinopel bedrohend. Sie sind die Entdecker und Besiedler der Inseln auf dem Wege von Norwegen nach Grönland, ja sie wurden, indem sie dieses entdeckten, lange vor Columbus die Auffinder des amerikanischen Festlandes, das sie bis Carolina streiften.

Es ist eine fast räthselhafte Kraft und Unverwüstlichkeit, welche aus diesem in dreihundert Jahren etwa sich abspielenden Stück Geschichte redet. Die schwerlich allzu dichte Bevölkerung eines eben nicht fruchtbaren Landes, wie Skandinavien, giebt einen Ueberschuß an Menschen ab, welche solcher Vermehrung und solcher Kraftentfaltung fähig sind, daß sie unter der würgenden Hand beständiger Kämpfe und maritimer Gefahren dennoch eine Eroberungszone um ganz Europa, mit einem Streifen nach Amerika hinüber, zu schlingen vermögen und erst in dreihundert Jahren sich erschöpfen! Schon diese einzigartige Vergangenheit, welche eine Fülle der großartigsten geschichtlichen Bilder in sich schließt und Stoff zu einem Dutzend Epen bietet, muß einen romantischen Zauber üben. Aber auch in Art und Wesen, in Cultur und Sitte der alten Wikinger tritt uns, soweit wir hier einen Blick frei haben, soviel Originelles entgegen, daß die ärmlichste Dichterphantasie sich davon mühelos für eine ganze Lebensthätigkeit mit Stoffen versorgen kann. In Bezug auf die heidnische Vergangenheit des Germanenthums wären wir ohne die Edda-Aufzeichnungen der norwegisch-isländischen Wikinger fast ohne directe Quellen; zugleich aber braucht einer nur diese Ueberlieferungen zu studiren, um wie im Spiegel ein Bild von dem ganzen Empfindungsleben jenes historischen Heroenthums zu erblicken, welches als Pole hier, man möchte sagen: mammuthhafte Gewalt der Rohheit, dort das rührendste Fühlen kraftvoller Frauenherzen aufzeigt.

Es ist ohne Zweifel nöthig, das Alles in lebendiger Erinnerung zu haben, und vielleicht noch jenen glücklichsten poetischen Griff in das Wikingerleben: Esaias Tegner’s „Frithjofssage“, dazu, wenn man ganz das Interesse begreifen will, welches das jüngste Ereigniß auf dem Gebiete archäologisch wichtiger Ausgrabungen in

[473]

Das Wikingergrab im „Königshügel“ von Gokstad.
Nach dem „Norsk Familjeblad“.
1. Das aufgefundene Wikingerschiff in seiner ursprünglichen Gestalt, nach Ansicht des Zeichners. 2. Der eröffnete „Königshügel“. 3. Der vordere Theil des Schiffsfundes, bis zum Giebel der Grabkammer. 4. Reste des hinteren Grabkammergiebels. 5. Ein Blick in die offene Grabkammer. 6–12. Verschiedene dem Schiffe entnommene Gegenstande.

Anspruch nimmt: nämlich die Auffindung eines Wikingerschiffes in einem norwegischen Grabhügel.

In der Nähe des norwegischen Seebades Sandefjord in Sandehered liegt das Landgut Gokstad, und zu ihm gehörte ein Hügel von beträchtlicher Größe, welcher im Volksmunde „der Königshügel“ hieß. Im vergangenen Winter ging man an ein Ausgraben desselben und stieß dabei auf Balken und anderes Holzwerk. Das Ungewöhnliche dieser Thatsache gab Veranlassung, mit der weiteren Förderung einzuhalten und den Reichsantiquar Nicolaysen zur Leitung der Arbeit herbeizurufen, worauf unter [474] dessen Augen der leidlich gut erhaltene Körper eines Schiffes bloßgelegt wurde, jedenfalls eines Wikingerschiffes.

Man kannte bereits die Abbildung solcher Schiffe auf einer alten, sehr merkwürdigen Tapete – Wollgarnstickerei auf dickem Leinen – welche, zu Bayeux in der Normandie gefunden und aus dem Ende des elften Jahrhunderts stammend, den Zug Wilhelm’s des Eroberers abgebildet zeigt. Man hat sogar früher bereits im Kirchspiel Tune in Smaalenene (Norwegen) ein kleines Wikingerboot gefunden, welches, wenn auch gut erhalten, doch zu unbedeutend war, um wichtigere Aufschlüsse zu geben. Hier stand man auf einmal vor einem der größten und vollständigst ausgerüsteten, dem Schiffe eines jener Seekönige, welche ihre Würde dem Umstände verdankten, daß sie alle ihre Gefährten an Kraft, an Rücksichtslosigkeit, Todesverachtung und Rohheit übertrafen, welche es für eine Schande gehalten haben würden, „unter rauchgeschwärzten Balken zu schlafen und am häuslichen Herd ihr Trinkhorn zu leeren“, und welche sonst gern, wenn der Tod des Alters über sie kam, auf ihrem Schiff hinausfuhren in das Meer, um dort mit dem liebsten Besitz in Flammen unterzugehen.

Die gewöhnlichen Wikingerschiffe waren flach (daher ohne Verdeck) und klein, so klein, daß ihrer drei- bis vierhundert zu einem Raubzuge gehörten; hier aber hatte man einen Riesen von zweiundzwanzig Meter Länge und etwa fünf Meter Breite vor Augen!

Flach muß das Schiff freilich auch gewesen sein, nicht viel höher als anderthalb Meter, was ungefähr zu dem älteren, in Tune gefundenen stimmt; freilich ist anzunehmen, daß der Druck der Erde beide flacher gestaltet hat, als sie ursprünglich waren; beide sind übrigens in blauem Thon gebettet gewesen, was sich für ihre Conservirung als ganz besonders günstig erwies.

Das Schiff besteht aus an einander genagelten Brettern; im Innern laufen zwanzig Rippen, welche von oben durch Nägel, von unten durch Reifen an die Bretter geschlagen sind, und sie schließen an einen der Länge nach durch das Boot laufenden Balken, dessen Enden fischschwanzförmig zugeschnitten erscheinen. Auf dem Balken erhebt sich noch ein Stück des Mastes, welcher, wie es scheint, sechs Meter lang gewesen ist und dessen oberes Ende abgehauen im Schiffe vorgefunden ward, ebenso wie eine Reihe anderer Ausrüstungsgegenstände: Ruder in verschiedener Größe, aber in der Form nicht viel von einander abweichend, Reste von Segel- und Tauwerk, das Seitensteuer des Schiffes, eigenthümlich geformte Holzstückchen von einem halben Meter Länge mit kreisrunden Ausschnitten, durch welche einst Taue gelaufen sind und welche ganz abgenutzt erscheinen. Ferner entdeckte man merkwürdige Einrichtungen von Manneslänge, welche möglicher Weise als Bettstellen gedient haben. An sonstigen Geräthen fanden sich vor: ein großes Gefäß aus Holzstäben, mehrere Spaten, ein Kupferkessel mit zwei Traghenkeln, ein genieteter Eisenkessel von trefflicher Arbeit, Trinkkellen mit kurzen geschnitzten Handgriffen etc. Der Schiffsbord muß ganz mit Schilden bedeckt gewesen sein, von denen der ganze Eisenbeschlag, auch breite Schildbretter mit Spuren von Farbe sich erhalten haben. Außer dem großen Schiff sind aber noch Theile von zwei bis drei kleineren Booten an der Seite desselben ausgegraben worden.

Von menschlichen und thierischen Resten zeigten sich Spuren verbrannter Knochen, sowie die Gebeine von drei Pferden und einem oder zwei Hunden.

Soviel hatte sich ergeben, als man daran ging, einen eigenthümlichen auf dem Schiffe sich erhebenden Verschlag zu öffnen, welchen man nicht mit Unrecht für die eigentliche Grabkammer hielt. Derselbe befand sich in Form eines Daches mit zwei bretternen Giebelwänden hinter dem Mast; als man eindrang, zeigte sich, daß durch den Druck der Erdmasse die Sparren auf der einen Seite zerbrochen waren; zugleich aber noch etwas anderes: daß man auf eben dieser Seite schon früher einen Einbruch in die Grabkammer bewerkstelligt hatte.

Es ist anzunehmen, daß bei dieser Gelegenheit der größte Theil des Inhalts entführt wurde. Gleichwohl fand sich noch Mancherlei vor: zerstreute Gebeine der Todten, Stücke von lebhaft gefärbtem Seidenzeug, ein kastenförmig ausgehöhlter Baumstamm mit stark durch eingedrungenen Lehm verdorbenem golddurchwirktem Stoff, Reste von Riemen- und Sattelzeug, vor Allem aber, neben einigen kleinen Gegenständen aus Eisen, an die fünfzig Beschlagstücke von vergoldetem Silber und vergoldeter Bronze, zu Gürtel- und Reitzeug gehörend, von denen die ersteren einfach, mit geometrischen Motiven und en face-Portraits, ornamentirt sind, wogegen die letzteren zum Theil eine vorzügliche Arbeit zeigen. Ein paar kleinere Beschläge, von welchen der schönste einen mit eingelegter Lanze dahergaloppirenden Reiter bis in die kleinsten Details erkennen läßt, gehören zu dem Besten, was von Kunst aus der nordischen Heidenzeit erhalten ist.

Vielleicht wird nachträglich noch dies oder das gefunden. Das Schiff hat indeß die Bestimmung erhalten, unterbaut, auf Rollen gesetzt, und so auf die Höhe geschafft zu werden, um dann zur See nach der Landeshauptstadt zu gelangen. Die beigegebene, dem „Norsk Familjeblad“ entnommene Abbildung mag einigermaßen die Fundstätte zur Anschauung der „Gartenlauben“-Leser bringen.