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Ein Wasserbad in der Grotte von Monsummano

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Textdaten
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Autor: Heinrich Noé
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Titel: Ein Wasserbad in der Grotte von Monsummano
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 778–780
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[778]
Ein Wasserbad in der Grotte von Monsummano.[1]
Von Heinrich Noé.

Einen unerquicklicheren Aufenthalt, wenn es winterlich fröstelt und nässelt, als Florenz mag es nicht geben. Im hohen Saale des Gasthauses geht die Wärme des Kaminfeuers verloren. Wenn man nicht vor den Flammen sitzt, friert es einen, vor dem Kamin aber kann man nicht arbeiten. Das graue Gespenst der Langweile droht vor den hohen Fenstern, vom löschpapierfarbenen Himmel in den ungemüthlichen Albergo herein. Und wie schaut’s draußen, in den engen, finsteren Straßen des „himmlischen Firenze“ aus? Decken wir für heute den Mantel christlicher Liebe darüber, bis ich später vielleicht einmal auf die viel gepriesene Blumenstadt zurückkomme.

Während ich mich im unheimlich kalten und finsteren Café über die Kunstwuth ärgerte, die eine Stadt mit zahllosen Palästen und Bildwerken, aber nur mit einer Jauche von Trinkwasser auszustatten weiß, fiel mein Blick auf den gegenüberliegenden Laden eines Büchertrödlers. Das war eine Erleuchtung! Ich ging hinüber und stöberte, wie Bücherwürmer zu thun pflegen, in alten und neuen Bänden herum.

Da gerieth mir ein einzelnes Blatt in die Hände. Es war ein Prospect, dessen Titel auf Deutsch lautete: „Grotte von Monsummano. Anstalt natürlicher Dampfbäder im Eigenthum der Ehegatten Nencini-Giusti.“ Bei diesen Worten erinnerte ich mich, vor einiger Zeit von einer tiefen Höhle im Apennin von Pistoja gelesen zu haben. In diesen unterirdischen Räumen sollten brühheiße Luftströme wehen und grüne Tümpel warmen Wassers stehen. Ich hatte auch von der Sängerin La Grua gehört, welche in der Höhle ihre Stimme wieder erhalten haben sollte. Was war natürlicher, als sofort an eine Flucht aus der grauen, eisigen Oberwelt zu den warmen Herzkammern des Erdinnern zu denken! Wäre ich der ersten Regung gefolgt, ich hätte dort unten meinen Winteraufenthalt genommen, statt in der Trübung hier oben, in welcher die graugrünen Oelbäume aussahen, als ob es sie fröre.

Eine Stunde später saß ich auf der Eisenbahn nach Pistoja. Ohne mich in dieser langweiligsten aller Städte aufzuhalten und abermals einen Versuch zu machen, die vielgerühmte „Grazie der Pistojesen“ zu entdecken, fuhr ich sofort nach Pieve a Nievole, der Bahnstation für die Grotte. Die Haupthöhenzüge des Apennins, die Berge der Garfagnana und die erst vor wenigen Jahren entdeckten Schönheiten der Alpi Appnane bleiben dort hinter ölbewachsenen Hügeln versteckt.

Dagegen erscheint in der Ferne der sumpfige See von Vientina – den toscanischen Jägern, die auf Enten und anderes wildes Geflügel ausgehen, ein gelobtes Gestade. Doch davon soll jetzt nicht die Rede sein. Aus den Gründen, die später beim Eintauchen in die Unterwelt angegeben werden sollen, hat sich in dieser Gegend bereits das Pensions- und Curhôtelwesen aufgethan. Aber fragt nur nicht wie! Zum Thränenlachen ist’s, wenn man im Orte Pieve wie im größeren Orte Monsummano eine solche Anstalt nur von außen betrachtet und sich dabei die Einbildungskraft der Italiener vorstellt, welche meinen, für solche Quartiere werde das herbeigeeilte Europa seine Goldfüchse da lassen.

Ich begab mich also von Pieve a Nievole nach Monsummano und hörte daselbst über die wunderbare Grotte Folgendes. Vor ungefähr fünfzehn Jahren trafen Hirten, welche auf dem Hügel, den die Trümmer des Castells von Hoch-Monsummano krönen, unter den Oelbäumen im Gestrüpp ihre Schafe hüteten, unter Lavendelstauden auf ein Loch im Boden, in welchem die hineingesteckten Stäbe keinen Grund fanden. Es wurde dem Eigenthümer des Bodens hiervon Mittheilung gemacht, das Loch durch Sprengung erweitert, und zum Erstaunen der Arbeiter schlug eine Backofenhitze aus der Tiefe herauf. Jener Eigenthümer aber war kein anderer als der auch in Deutschland bekannte Dichter Giusti. Die Entdeckung wurde in Zeitungen verbreitet. Französische und italienische Aerzte geriethen auf den Einfall, die heißen Luftströmungen, die unablässig aus dem Innern der gewundenen Gänge hervorbrechen, zu Heilzwecken zu benutzen. Rheumatische und Gichtbrüchige sollten entkleidet in den Gängen umherwandeln und im Hauch der Mutter Erde gesunden. Die Verdunstung, welche von diesem Samum der Tiefe hervorgebracht wird, wurde als heilkräftig betrachtet und hierbei wurden auch verschiedene elektrische und magnetische Wirkungen in Betracht gezogen, die man sich mit dem Brühdunste verbunden dachte. Kossuth war einer der Ersten, welche herbeieilten, und fand in diesen Räumen Heilung. Er verfehlte nicht, das in öffentlichen Blättern zu verbreiten, und der Ruf des Kossuth Lájos genügte, um mehr Leute anzulocken, als es ein Dutzend wissenschaftlicher Abhandlungen vermocht hätte. [779] Es fehlte nur noch Garibaldi, der bald darauf kam und sich als nicht minder zugkräftig bewährte. Jetzt haben schon ferne Völker ihre Beiträge zum Zusammenfluß von Menschen gestellt, die hier vor der Grotte wie vor einem Teiche Bethesda sich sammeln und den Engel erwarten, der das Wasser bewege. Hier ist der Engel der heiße Sturm, der in den Erdgängen tobt. Schon haben auf diese Grotte pommerische Pastoren Festgrüße geschmiedet, niederösterreichische Bauern über ihre heilsame Wirkung Zeugnisse ausgestellt, ungarische, dänische, schwedische Poeten Hymnen auf sie gedichtet. Daß die Engländer nicht fehlen, braucht nicht erwähnt zu werden.

Die Schwester des Besitzers der Grotte, des Dichters Giusti, hat den Hauptmann Nencini geheirathet und haust mit ihrem Gemahl und einer sehr anmuthigen jugendlichen Tochter in einem Schlosse zu Monsummano. Da es Winter war, mußte ich den Herrn Hauptmann aufsuchen. Denn im Winter ist der Zugang zu der alsdann geschlossenen Grotte nur durch diesen Herrn zu erreichen. Ich fand die Familie theils über der Fremdenliste der abgelaufenen Saison studirend, theils in Berathung mit Geschäftsleuten über die Erweiterung der Anstalt, die so angelegt ist, daß man durch sie hindurchgehen muß, um in die heiße Höhle zu gelangen.

Der Capitano Nencini also, der sich von seiner Frau noch den Namen Giusti beigelegt hat, setzte sich in einen von mir aus dem schmutzigen Gewühl des Wochenmarktes geholten Wagen und fuhr mit mir auf einem bodenlosen Wege bis in die Nähe der Grotte und seines Curhôtels. Dieses wurde aufgesperrt und einem Diener bedeutet, Kerzen anzuzünden, damit ich die Vorhallen der heißen Gänge sehen könne. Denn weiter als einige Schritte in diese einzudringen, behauptete der Capitano, sei während des Winters unmöglich. Denn es sammelt sich Wasser darin an und überfluthet die Senkungen des Bodens, Wasser, welches vielleicht nach Regengüssen durch die Bergadern eingesickert ist, vielleicht aber auch mit der Hebung des Spiegels der umliegenden Flüsse und Sumpfseen zusammenhängt. Ich erklärte aber dem Capitano, daß mich dieses Wasser, falls es nicht bis zur Decke hinaufreiche, nicht hindern würde, die unterirdischen Hallen zu besuchen. Denn es mußte offenbar von dem heißen Winde, der darüber hinweht, gewärmt sein und konnte so ein warmes Schwimmbad abgeben, wie man es nirgends mehr antrifft. Der Capitano war über diesen Vorschlag verblüfft, denn wie allen Italienern geht auch ihm der Sinn für Reize der Natur ab, besonders wenn sie mit seltsam scheinender Thätigkeit errungen und genossen werden sollen.

Ich stieg mit einem Knechte die Treppen hinab, die zum Eingang der Grotte führen, auf welchen das Haus hinauf gesetzt worden ist. Als wir die von Menschen gemachte Wölbung verließen und in die Nähe des ersten von der Natur im Felsen geschaffenen Bogens kamen, däuchte uns eine Anwandlung von Schlaganfall zu überkommen. Ich und mein Reisegenosse, der bekannte philosophische Schriftsteller Karl von Duprel (der sich unterwegs mir angeschlossen hatte) erkannten die Unmöglichkeit, hier einen Schritt in Kleidern weiter zu gehen, wenn wir uns nicht, statt in der unterirdischen Fluth, im eigenen Schweiße baden wollten.

Wir entkleideten uns also vor dem dunkeln Schlund und zogen nur eine Art von Leinwandmantel, wie ihn die Friseure beim Haarschneiden umhängen, an, welchen der Diener mitgebracht hatte. Dieser Mantel ist unerläßlich für die Curgäste, und mehrere Bestimmungen des Reglements deuten energisch auf die Decenz hin, die unter dem Schutze dieses Mantels bewahrt werden müsse.

Der Diener hatte uns darauf hingewiesen, daß die Hitze, die wir hier vor dem Gewölbe verspürt, noch nichts sei in Vergleich mit der, welche wir antreffen würden, wenn wir die Grotte selbst beträten. Und er hatte Recht. Denn nach den ersten Schritten in dem Felsengange, auf dessen Decke und Wände die Kerzen ein mattes Licht warfen, wurden wir sprachlos vor Erstaunen. Nicht etwa als ob uns die Wärme in unserer luftigen Gewandung unangenehm geworden wäre, wie etwa, wenn man in den Schlund hineinschaut, welchem beim alten Bad zu Bormio die heiße Quelle entspringt, oder in irgend eine der Spalten, aus welchen die Gasteiner Wasser zum Vorschein kommen. Es war das Gefühl unendlichen Behagens, eine Empfindung, wie sie für uns Beide noch nie dagewesen war. Die Luft ist heiß, aber sie ist ein Strom. Schweiß muß verdunsten und dadurch sofort im Körper ein Bewußtsein von Lust erzeugt werden, wie es annähernd schließlich die langwierige Quälerei der irisch-römischen Dampfbäder hervorbringt. Der Unterschied ist nur der, daß man hier, in diese Empfindung eingetaucht, stundenlang herumgehen und Gänge in’s Erdinnere hinein unternehmen kann, während sie dort nur als Gegenwirkung gegen die vorausgegangenen Torturen eintritt und sich beim Hinausgehen auf die Gasse bald wieder abschwächt.

Es ist wirklich etwas an dem Glauben, der die Wärme des Erdinnern für ein Agens hält, das anders wirkt, als andere auf der Oberfläche künstlich erzeugte Wärme. Wir liegen am Busen der Mutter. Es weht uns titanisch an aus diesen Dunkelheiten. Der leichte Mantel hindert nicht, daß die ganze Oberfläche des Körpers den Einwirkungen dieser unsichtbaren Fluth des Urlebens anheimgegeben sei. Wie die Erdwärme des Gasteiner Wassers nicht durch Abkochen ersetzt werden kann, so mögen auch in diesem Luftstrom unwägbare Dinge zittern und wirken, welche kein Ofen in dieser Vereinigung nachbildet. Kurz gesagt, das Luftbad in diesen Schlünden ist Wonne.

Nach wenigen Schritten sahen wir indessen die Vorhersage des Capitano erfüllt. Der für die Kranken angelegte und mit einem Geländer versehene Planken-Weg in den Gängen, welche etwa zwölf bis fünfzehn Fuß hoch sind, endigte jetzt urplötzlich in einem Wasserbecken. Obgleich nun dieses nur von Kerzen erhellt wurde, erkannte man die grünliche Farbe der glashellen Fluth, die durchaus nicht anders aussah, als irgend ein Tümpel, in welchem sich der nächste beste Alpenbach sammelt. Dieser Wasserspiegel setzte sich so weit fort, daß wir in der Dämmerung der Höhlengänge bei unserer unzureichenden Beleuchtung sein Ende nicht absehen konnten. Indessen hatten wir immerhin noch Glück gehabt, denn wären wir etwa zwei Wochen früher gekommen, so würde uns schon der Eingang, die Höhlung, in welcher wir unsere Kleidung zurückgelassen hatten, von der angestauten Fluth verschlossen gewesen sein. Sie war seit dieser Zeit um etwa zehn Fuß gefallen.

Die Grotte von Monsummano ist ein Luftbad unter der Erde. Wir aber benutzten sie als Wasserbad, was nach den Aussagen des Besitzers und des Dieners noch niemals vorgekommen war. Nachdem wir diesem die Lichter abgenommen und ihn fortgeschickt hatten, stürzten wir uns in die laue Fluth und trugen sie zunächst auf ein von weißen Tropfsteinen gebildetes Vorgebirge in Miniatur, welches in den flaschengrünen, von unseren Lichtern bernsteinfarbig hier und dort durchhellten See hineinragte.

Nunmehr überließen wir uns dem namenlosen Vergnügen des Schwimmens in dieser Unterwelt. Bis an’s Kinn in das wohlige Wasser getaucht athmeten wir die Luft der heißen Erdtiefen, in der sicherlich so manches Salz, so mancher von den Kammern der Abgründe ausgehender Metallhauch aufgelöst schwamm. Von der Decke hingen zahllose Tropfsteine herab. Diese und die zitternde Wasserfläche, die gähnenden schwarzen Hintergründe, die halbsichtbaren Bogengänge, die Eingänge zu unbekannten Gewölben und Tiefen, vom schwachen Lichte der Kerzen angeschienen, brachten uns den Eindruck hervor, als seien wir in eine magische Welt versetzt, und der heutige Morgen, an welchem ich fröstelnd durch das schmutzige Florenz gegangen war, der langweilige Regenhimmel und das wintergraue Land draußen däuchten mir ein widerwärtiger Traum.

Nachdem wir so uns in diesem winzigen See eine Weile ergötzt hatten, nahmen wir die Leuchtthürme vom Vorgebirge herunter und schwammen weiter, der nächsten schwarzen Höhlung zu. Als wir wieder Grund gefunden hatten, holten wir die Kerzen.

Da sahen wir uns wieder vor einem langen Tunnel. In gleicher Herrlichkeit flimmerte das Wasser um unsere Leiber und trotz des schwachen Lichtes vermochten wir jeden Stein auf dem Boden zu erkennen. Das Geländer, welches den Sommercurgast auf seinem dunkeln Pfade vor dem Hinabstürzen in die Senkungen bewahrt, stand unter Wasser. Die im Sommer trockenen Abgründe waren alle von der lauen Fluth überwallt.

Unserem Vordringen war jedoch hier bald ein Ziel gesetzt. Immer niedriger wurde die Decke über unseren Köpfen; immer [780] weniger Raum blieb zwischen dem heißen Wasser und den von oben herablangenden Stalaktiten. Zugleich schien uns der Hauch, der uns entgegenwehte, an Wärme zuzunehmen. Schon begann eine erstickende Schwüle uns zu belästigen. Doch hofften wir, jenseits des niedrigen Passes wieder in eine geräumige Wölbung zu gelangen. Es ist dies allerdings, wie ich aus der Darstellung der Verzweigungen der Grotte wußte, auch der Fall. Wir sollten aber jene inneren Kammern nicht sehen; denn wir gelangten nunmehr an eine Stelle, an welcher sich die Felsendecke bis auf den Wasserspiegel herabsenkt. Hier durchzutauchen hatte Keiner den Muth, weil wir nicht wußten, wie lange wir unter Wasser hätten bleiben müssen.

So traten wir also den Rückweg an, ohne die „Hölle“, das innerste und, wie es heißt, heißeste Gemach, bis zu welchem die Curgäste ihre alltägliche Wanderung ausdehnen, gesehen zu haben. Auch ein tiefer Wassertümpel, der „See“, liegt dort hinten, der den Sommergästen ein Bild von unseren winterlichen Wasser-Veduten bieten kann, weil er niemals verschwindet. Doch ist es im Reglement streng verboten, darin zu baden – sei es, weil man nur die Luftcur für zuträglich hält, oder weil man fürchtet, das schöne Wasserbecken möchte beschmutzt werden. Auf letztere Annahme deuten einige andere Verbote desselben Reglements hin – Verbote, die sich bei uns ein Badebesitzer drucken zu lassen schämen würde, die aber in Anbetracht dessen, daß ein großer Theil der Curgäste aus Italienern besteht, immerhin nicht ohne guten Grund werden erlassen worden sein.

Als wir in die Vorhalle kamen, in welcher unsere Kleider lagen und in welcher es uns vorhin vorgekommen war, als sollte uns der Schlag treffen, schien sie uns eine Eisgrube. Rasch schlüpften wir in die Gewänder und traten an den Tag heraus, dessen erster Eindruck uns der war, daß wir sofort wieder in das Kerzenlicht unserer wohligen Unterwelt zurückgekehrt wären, wenn es die Umstände erlaubt hätten.

Die Oleanderstauden und die Cypressen neben dem Eingange des Badehôtels schienen vor Kälte zu zittern, und auch die späte Rose (die rosa sera, von der Horatius spricht) am entblätterten Strauche wollte nicht in diese naßkalte Welt passen. Die flüchtigen Nixen der Fluthen dort unten hatten es uns angethan.

Man wird nun fragen, ob das Spazierengehen in den heißen, trockenen Luftströmen dieser Grotte Kranken in der That etwas nütze. Darüber habe ich freilich kein Urtheil. Wohl aber kann ich bestätigen, daß im Fremdenbuche eine Menge Lobeserhebungen und Danksagungen stehen, insgesammt von Menschen, welche an hartnäckigen Katarrhen, Kehlkopfleiden, Rheumen und Gicht gelitten haben wollen. Allerdings fehlt es auch nicht an mündlichen Berichten der Einwohner von Monsummano, welche uns die um gewisse Heilungen sich ansammelnde Mythenbildung darthun und nicht weniger Leichtgläubigkeit voraussetzen, als die ähnlichen Mirakelgeschichten von Wallfahrtsorten. Wirthe und Kutscher wetteifern, Historien zu erzählen, in welchen die Lahmen gehend, ja die Tauben wieder hörend werden. Etwas Humbug wird auch wohl hier mit unterlaufen.

Es giebt Wirthshäuser in Pieve a Nievole, zum Beispiel die Pension Ciampi, in Monsummano das Haus Bini u. a., das sind aber alles wälsche Schandkneipen. In der Nähe der Grotte steht die Anstalt Parlanti, am allerbesten aber ist es, man wohnt im Hôtel selbst, das über den Eingang der Grotte gebaut ist, weil man da aus seinem Zimmer unmittelbar in dieselbe hinabsteigen kann. Das Reglement sagt auch in komischer Naivetät, daß man zwar Curgästen aus anderen Häusern ebenso die Betheiligung gewähre, daß aber die Badewirkung sich am besten bei den Gästen des Badehôtels einstelle. Der Verfasser des Reglements ist der Besitzer des Hôtels.

Mein Zweck war, ein Wunder der Natur zu schildern. Für Solche, die andere Auskunft wollen, füge ich bei, daß man im Badehôtel für die gesammte Verpflegung täglich zwölf und vierzehn Franken in Papier zahlt und daß dieses Haus mit seinen reinlichen Zimmern, eisernen Bettstellen und seinem Speisesaale keinen ungünstigen Eindruck macht.

Leute, die den sogenannten apoplektischen Habitus haben, sollen sich wohl hüten, in diese Hölle zu steigen. Ueberhaupt wird man gut thun, sich nur auf einen vaterländischen Arzt zu verlassen und jeden wälschen Rathschlag zu vermeiden; denn der eingeborene Aeskulap dieser Lufttherme, der im Fremdenbuche oft geschilderte Eduardo, der außer Italienisch nur Küchenlatein spricht, erinnert an die ärztlichen Figuren im Gil Blas.

Den Fall angenommen, daß in den Strömungen dieser Unterwelt dem Menschen wirklich Heil geboten wäre, ist doch in der Hauptsache an einen großen Aufschwung und an die Herstellung eines Weltcurortes, von welchem die speculativen Insassen träumen, nicht zu denken, so lange nicht mit der italienischen Wirthschaft Kehraus gemacht und eine schweizerische, deutsche, französische oder irgend welche andere Verwaltung eines nordischen Culturvolkes an deren Stelle gesetzt wird. Bis dahin wird sich vielleicht mancher Kranke vor der Heilgrotte im Myrthen- und Lorbeerlande scheuen, und nicht völlig mit Unrecht. Mir aber würde es zur Genugthuung gereichen, wenn ich durch diese Schilderung die Aufmerksamkeit der deutschen Aerzte auf die Höhle gelenkt hätte; denn sei sie für Heilzwecke werthvoll oder werthlos – jedenfalls ist es bei dem großen Rufe der Grotte wünschenswerth, daß eine wissenschaftliche Untersuchung das Dunkel aufhelle, das für den Laien noch immer die Geheimnisse der Höhle einhüllt.


  1. Es freut uns, unseren Lesern eine Schilderung dieser durch Kossuth und Garibaldi empfohlenen Grotte mittheilen zu können. Wenn auch der Artikel nicht gerade die sanitätliche Seite der Grotte hervorhebt, so glauben wir doch, daß viele an uns gerichtete Anfragen dadurch beantwortet werden.
    D. Red.