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Ein Verleumdeter

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Textdaten
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Autor: Ludwig Brehm
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Titel: Ein Verleumdeter
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aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 456–458
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[456]
Ein Verleumdeter.
Von Dr. Ludwig Brehm, dem Vater.

Wer an einem stillen Maiabende durch den lieben Wald geht, begegnet oft genug, gewöhnlich wohl ohne daß er es weiß, einem der sonderbarsten Gesellen aus der ganzen Vogelwelt. Wie ein Schatten huscht in der Dämmerung an ihm Etwas vorüber, leicht und gewandt wie eine Schwalbe, rasch und zierlich wie ein Falk, und ist im Nu, vielleicht mit einer geschickten Wendung hinter einem Baum sich bergend, dem Auge verschwunden. Ich nehme es Niemandem übel, wenn er mir sagt, daß er diesen Vogel nicht kenne. Im Mai giebt es im Walde so viel zu hören und so viel zu sehen! Von den Auwäldern, in denen der Sänger Königin, die Nachtigall, ihr Hoflager aufgeschlagen hat, will ich gar nicht reden, ich habe unseren lieben Nadelwald, den würzigen, duftigen, im Sinne. Gerade ihn, ja gerade seine ärmsten Theile bevorzugt der Schattenvogel, welchen ich meine. Wer in der öden Haide oder auf ausgedehnten Schlägen beobachten will, wird ihn nicht nur sehen, sondern sicherlich auch hören; denn auch ihm wurde Klang und Stimme verliehen. Aber freilich, sein Gesang fällt nur durch seine Eigenthümlichkeit auf, und wenn die Singdrossel oder die Amsel, wenn der Mönch oder die Braunnelle, wenn Rothkehlchen oder Zaunkönig sich hören lassen, da verschwindet des armen Schelms ausdauerndes Flehen um Minne und Minnesold gänzlich dem verwöhnten Ohre. Dennoch kann es kommen, daß der aufmerksame Wanderer plötzlich überrascht stehen bleibt, weil er ein sonderbares Tönen vernimmt, welches ihn lebhaft an das Spinnen unseres Hausfreundes Hinz erinnern will. Lang gezogen und leise, abwechselnd bald wie „Oerrrrrr“, bald wie „Errrrrr“ klingend, tönt es durch den Wald, mit einer Ausdauer, die geradezu unbegreiflich scheint, weil man sich nicht denken kann, wie der eifrige Sänger inzwischen nur zu dem ihm doch unbedingt nöthigen Aufwand von Luft gelangen mag. Man geht, verdutzt fast, den sonderbaren Klängen nach, aber man muß geübt sein, wenn man ihren Urheber entdecken will. Ja, es kann kommen, daß man dicht an ihm vorübergeht, ohne ihn zu bemerken.

Der Vogel, den ich meine, ist aber durchaus nicht so unbekannt, als es nach Vorstehendem scheinen mag. Man berichtet von seinem Leben und Thaten Unglaubliches; man hat ihn schon vor Jahrhunderten in schlimmen Ruf gebracht, und, wie das Böse immer eher geglaubt wird als das Gute, alle Verleumdungen für baare Münze genommen. Ihm, welcher sein ganzes Leben nützlichen Geschäften widmet, wird Schuld gegeben, daß er sich gegen den Menschen und zwar vorzugsweise gegen den Armen sonderbare Eigenthumsvergehen zu Schulden kommen läßt. Das Alles geschah und geschieht einzig und allein aus einem Grunde, welchen sicherlich kein rechtlich Denkender billigen kann. Man urtheilt von der auffallenden Gestaltung unseres Vogels auf sein Thun und Treiben, ohne auch nur den geringsten weiteren Halt für sein Urtheil zu haben.

Viele meiner Leser haben längst errathen, daß mit Obigem ihnen der Ziegenmelker oder Nachtschatten vorgestellt werden soll. Mit diesen beiden Namen wird jener Vogel in den meisten Gegenden unseres Vaterlandes und in den wissenschaftlichen Schriften bezeichnet. Aber er trägt auch noch andere Titel, welche so recht eigentlich von jener ungerechtfertigten Mißachtung Kunde geben, zugleich aber auch von der großen Bekanntschaft, deren sich der Ziegenmelker erfreut. Nicht blos Ziegen-, Geis- und Rindermelker, oder Ziegen-, Kuh- und Milchsauger wird er genannt, sondern auch Nachtwanderer, Nachtrabe, Brillennase, Kalfater, Hexe und Pfaffe, – der verdienten Namen Tagschlaf und Nachtschwalbe nicht zu gedenken. Die Spanier schelten ihn, wie meine Söhne mich berichteten, Hirtenbetrüger, Windvater und Großmaul, und die übrigen Völker geben ihm in diesem Verhältnisse fast sämmtlich eine Menge ähnlicher Titel.

Ein so großer Reichthum an Namen hat stets seine Gründe, wenn auch dieselben nicht immer gerechtfertigt sind. Die Ziegenmelker gehören unzweifelhaft zu den merkwürdigsten Vögeln der Erde. Sie sind dasselbe unter den Schwalben, was die Eulen unter den Raubvögeln sind. Mit diesen Nachtgeistern haben sie das weiche Gefieder, das Sammtartige an den vordern Schwungfedern, die großen Augen und den weiten Rachen gemein. Der letztere aber ist verhältnißmäßig bedeutend größer als bei irgend einem anderen Vogel, und er allein ist es auch, welcher zu so schlimmen Verleumdungen Veranlassung gegeben hat. Der Rachen steht mit dem kleinen, unbedeutenden Schnäbelchen in gar keinem Verhältniß. Er öffnet sich bis hinter die Augen und ist so groß, daß er die Faust eines Kindes in sich aufnehmen könnte. Das Kinnladengelenk steht ganz nahe am Kopfende. Bei einigen Riesen der Familie kann der Rachen geradezu ungeheuerlich genannt werden; er wäre groß genug, um unseren deutschen Ziegenmelker mit Haut und Federn in sich aufzunehmen. Daß dieser Rachen zu den vielen Namen des Thieres und, wie bemerkt, zu den Verleumdungen Anlaß gegeben hat, ist leicht erklärlich. Dem mit dem Leben dieses Vogels nicht Vertrauten ist es undenkbar, wozu das Thier ein so gewaltiges Maul bedarf, und weil die liebe Phantasie ein gar geschäftiges Ding ist und den Verstand, wo sie kann, zu bemeistern und zu überwuchern sucht, mußte der Unwissende natürlich sich eine ihm zusagende Erklärung des Auffallenden ausdenken. Der weite Rachen des Ziegenmelkers ist gerade groß genug, den Strich eines Ziegen- oder Kuheuters in sich aufzunehmen, – der Vogel muß also ein Milchdieb sein; der erschreckte oder gefangene Nachtschatten sperrt entsetzt diesen Rachen vor seinem Gegner auf, so weit er kann, – und der Grund für die Schimpfnamen Hexe, Windvater und Großmaul ist gefunden; die Nachtschwalbe bleibt bei Tag so lang als möglich auf dem Boden liegen; sie wird am öftersten von den Hirten gesehen, deren weidende Schafheerden sie auftreiben; der Hirt versucht das merkwürdige Geschöpf zu fangen und wird betrogen, – hiermit ist ein neuer Titel erklärt. Selbst Humor liegt in der Namengebung. Der Name „Pfaffe“ will wahrscheinlich andeuten, wie viel schon in den Schlund Derjenigen hinabgegangen ist, welche sich Verkündiger des göttlichen Wortes nennen – ich wenigstens könnte mir sonst die Ursache nicht erklären, daß man ein so nützliches Geschöpf „Pfaffe“ schilt. Ueber die übrigen Namen brauche ich weiter nichts zu sagen, die nachstehende Beschreibung wird sie hinlänglich erklären.

[457] Alle Ziegenmelker sind echte Nachtvögel. Der erste kundige Blick auf ihr Gefieder beweist dies. Das Federkleid zeigt immer und überall düstere, nur selten halbwegs lebendige Farben, welche stets mit der Umgebung auf das Allergenaueste übereinstimmen. Nur ein geübtes Auge vermag unseren auf der Erde ruhenden Ziegenmelker und ein Stück flechtenübersponnener Baumrinde zu unterscheiden, wenn die Entfernung nicht gar zu gering ist. Schon auf zwanzig, dreißig Schritte hin verschwindet das Thier fast dem Blick. Die südlichen Arten sind sämmtlich lichter gefärbt als die unserigen, ja, in Afrika giebt es eine fast goldgelbe, welche die Steppe bewohnt und die Färbung der dürr gewordenen Grashalme trägt. Andere Arten sehen sandfarbig aus, und wieder andere gleichen der Rinde dortiger Bäume. Die Zeichnung ist bei allen Arten eine überaus zarte und zierliche. Die feinsten Wellenlinien laufen über die Federn, und nur hier und da sieht man größere Flecke, auf denen die Grundfärbung nicht unterbrochen ist.

In ihrem Betragen ähneln sich die verschiedenen Arten mehr oder weniger. Bei Tage legen sie sich zwischen hohes Gras, Haidekraut oder Gebüsch platt auf den Boden, gewöhnlich so dicht, daß ihr sonst runder Leib förmlich breit gequetscht erscheint und somit die Aehnlichkeit mit einem zufällig herabgefallenen Stück Baumrinde nur noch vermehrt. Mit Sonnenuntergang werden sie munter und zeigen sich nun in ihrem wahren Leben. Derselbe Vogel, welchen man bei Tag mit halb- oder ganzgeschlossenen Augen träge dasitzen, so zu sagen auf der Erde kleben sah, ist ein behender, rascher Flieger geworden, welcher mit den schönsten Schwenkungen und Windungen durch die Luft eilt, ganz lustig wird, komische Spiele aufführt und seinen merkwürdigen Gesang hören läßt. Die meisten Arten ähneln sich auch hinsichtlich ihrer Stimme vollkommen. Sie spinnen fast sämmtlich in der oben angegebenen Weise. Doch giebt es Ausnahmen. Ein amerikanischer Nachtschatten trägt den Namen „Whip poor Will“ zu deutsch: „Peitsche den armen Wilhelm!“ weil er Töne, die mit diesen Worten Aehnlichkeit haben, ohne Unterlaß hervorbringt. Ihre Nahrung besteht ausschließlich in Kerbthieren, und eben deshalb werden sie den Menschen nur nützlich und verdienen alle Schonung.

Wir lernen so ziemlich das Leben aller Ziegenmelker kennen, wenn wir uns mit dem Thun und Lassen der bei uns lebenden Art vertraut machen. Und deshalb will ich diese hier kurz zu beschreiben versuchen.

Der europäische oder getüpfelte Ziegenmelker hat ungefähr die Größe einer Schwarzamsel. Er ist elf bis zwölf ein halb Zoll lang, seiner großen Schwingen halber aber bis über zwei Fuß breit. An dem kleinen kurzen Körper fallen die starken Brustmuskeln auf; sie müssen aber auch gewaltige Schwingen in Bewegung setzen. Die Füße dagegen sind verschwindend klein und so wenig zum Gehen geeignet, daß der Ziegenmelker nur zu trippeln vermag. An den Zehen ist die mittlere ihres sägenartig gerandeten Nagels wegen und die innere deshalb merkwürdig, weil sie eben so wohl nach hinten als nach vorn gerichtet werden kann. Der Schnabel ist kaum zwei Linien lang und durch seine röhrenförmigen Nasenlöcher ausgezeichnet. Ein aus steifen, borstenartigen Gebilden bestehender Bart umgiebt ihn und die ganze Mundöffnung, welche dadurch vergrößert und zum Fange der fliegenden Kerfe geschickter wird. Das aschgraue Gefieder zeigt auf dem Oberkörper braune, schwarze und rostgelbe Streifen, Flecken und Tüpfel und eine äußerst feine, lichtgraue Wässerung; der Unterleib ist bis auf die weißgefleckte und bräunlich umränderte Kehle braungrau und dunkelgelb. Ueber den Kopf verlaufen zwei deutliche schwarze Längsstreifen, über die Flügel oben eine lichtere, unten eine dunklere Binde. Die drei vordersten Schwungfedern des Männchens haben einen runden, weißen, die des Weibchens einen gelben Fleck. Bei dem Ersteren zeigt auch der Schwanz auf jeder Seite einen weißen Spitzenfleck, welcher aber den Jungen noch fehlt.

Ein großer Theil von Europa ist die Heimath unseres Nachtschattens. Im Süden ist er häufiger als im Norden. Wälder, und zwar vorzugsweise mit Nadelholz bestandene, sind seine Wohnsitze. Hier zieht er die Stellen, auf denen große Bäume neben Schlägen und Dickichten stehen, allen übrigen vor. Man findet ihn übrigens nirgends häufig, sondern immer nur paarweise. Jedes Paar besitzt ein Gebiet von einer Viertel-, vielleicht von einer halben Meile ins Geviert und behauptet es hartnäckig gegen jeden frechen Eindringling. Während der Zugzeit erscheint der Ziegenmelker auch in Gärten und verweilt hier, auf einem wagerechten Aste sitzend, vom Morgen bis zum Abend. Dann setzt er seine Reise fort. Zärtlich, wie er ist, bringt er nur den warmen Sommer bei uns zu. Er erscheint spät, etwa zwischen dem fünfzehnten April und fünfzehnten Mai, und verläßt uns schon Ende Septembers wieder, um in Afrika den Winter zu verbringen. Dort traf ihn mein Sohn Alfred noch unter dem zwölften Grad nördlicher Breite als Wandervogel. Er scheint also, wie die Schwalbe, noch tiefer in das Innere Afrika’s zu gehen.

Bei Tage liegt der Ziegenmelker in der oben beschriebenen Weise auf dem Boden. Einen zufällig Vorübergehenden läßt er gewöhnlich so nahe an sich herankommen, daß man ihn erschlagen zu können glaubt, d. h. falls man ihn wirklich gesehen hat. Gewöhnlich ist das nicht der Fall. Er erhebt sich plötzlich dicht vor Einem, steigt rasch in die Luft, fliegt etwa zweihundert Schritte weit und läßt sich dann an einer anderen Stelle des Dickichts wieder nieder. Am liebsten liegt er auf ganz ebener Fläche. Tiefstehende starke Aeste, der Schaft eines umgefallenen Baumes, eine niedrige Stange oder eine alte Bank sind Lieblingssitze von ihm; immer aber wählt er seine Orte so, daß sie der Zeichnung und Färbung seines Gefieders auf das Vollständigste gleichen. Er ist sich dieser Gleichfärbigkeit mit Boden und Baumrinde so bewußt, daß er sich ganz ruhig niederdrückt und still verhält, wenn er einen herankommenden Feind rechtzeitig entdeckte, d. h. bei Zeiten wach wurde und deshalb Muße genug hat, den Fall zu bedenken. Besonders gern versteckt er sich auch unter Büsche, jedoch immer nur unter lichtere, deren Aeste nicht ganz bis auf den Boden herabreichen. Auch in der Art und Weise, wie er sich auf Aeste setzt, zeigt er etwas Eigenthümliches. Während die meisten anderen Vögel so sitzen, daß ihre Zehen den Zweig oder Ast umklammern, und ihr Körper mit dem Ast etwa einen rechten Winkel bildet, setzt sich der Ziegenmelker immer der Länge nach auf einen Ast. Der Kammnagel der mittleren Zehe und die Wendezehe mögen ihm dabei gute Dienste leisten.

Sobald die Sonne am westlichen Himmelsrande verschwunden ist, beginnt das lustige Treiben unseres Nachtfreundes. Jetzt zeigt er sich in seinem wahren Leben, und jetzt erst gewährt er jedem Thierfreunde großes Vergnügen. Gleich nach seiner Ankunft hat er sich gepaart, denn der Wonnemonat Mai ist auch für ihn die Zeit der Minne. Mit lautem „Häit, häit“ ruft das fliegende Männchen sein Weibchen herbei, klatscht, wenn er es gefunden hat, wie der liebesselige Tauber mit den Flügeln, umschwebt es im zierlichsten Reigen und setzt sich dann auf einen benachbarten Ast nieder, um dort flugs ein Stückchen an dem Liebesnetze zu spinnen, mit welchem er seine Geliebte umstricken will. Die wechselnden Laute „Oerrrrrr“ und „Errrrrr“ werden jetzt mit einer Ausdauer vorgetragen, welche des edlen Zweckes vollkommen würdig ist. Ohne Unterbrechung währt der sonderbare Gesang, und man wird versucht zu glauben, daß er den höheren Ton, wie andere Vögel, durch Ausstoßen der Luft, den zweiten aber beim Einathmen derselben hervorbringt. Mehrere Naturforscher haben dies geradezu ausgesprochen; mir ist aber ihre Ansicht aus dem Grunde nicht wahrscheinlich, weil das tiefere „Oerrrrr“ viel länger als ein gewöhnliches Einathmen dauert. Ich glaube, er schöpft Luft, ehe er den tieferen Ton ausstößt, und wechselt erst mit dem höheren Ton ab, wenn ihm der Athem knapp wird. Niemals läßt er diesen Liebesgesang im Fluge, sondern immer nur im Sitzen hören. Und wenn er damit zu Ende ist, beginnen von Neuem die Flugspiele der Liebe, das Werben durch die Künste der Schwingen von Seiten des Männchens, das Versagen auf gleichem Wege, das Sprödethun von Seiten des Weibchens.

So eintönig der Stümpergesang unseres Vogel auch sein mag, soviel Gemüthliches hat er für den Beobachter. Alte Vogelfreunde stimmen darin mit mir überein, daß das Spinnen des Ziegenmelkers zu der angenehmsten Nachtmusik gehört, welche der Nadelwald zu bieten vermag. Mein Sohn gedenkt noch heute mit freudigen Gefühlen der Nächte, welche er in den Wald- und Steppendörfern Afrikas zubrachte.

„Wenn ich des Nachts in ein afrikanisches Wald- oder Steppendorf einritt,“ sagt er in seinem Leben der Vögel. „und Alles schon zur Ruhe gegangen war, höchstens die Hunde noch bellten, um eine von fern heulende Hyäne oder einen Schakal, vielleicht auch einen Leopard oder Löwen von ihrer Wachsamkeit zu benachrichtigen, spannen die Ziegenmelker, unbekümmert um die nächtlichen Raubthiere und mich, den nächtlichen Wanderer, zwischen den [458] Häusern und auf den nächsten Büschen ruhig ihren gemüthlichen Gesang ohne Ende. Denn wenn der eine endigte, begann ein anderer, und so hörte man die Vorträge in einem fort. Und in einer Nacht war er mir besonders erfreulich: das war, als ich mich einmal verirrt hatte, mitten in einem Steppenwalde übernachten mußte, von Hyänen umheult, aber wegen des heftigen Windes kein Feuer machen konnte und mein erschreckendes Kameel zu beruhigen hatte. Als da vier bis sechs langschwänzige Nachtschatten um meine einfache Lagerstätte schwebten und mit bewunderungswerther Ausdauer ihr Gesangsstück vorzutragen begannen, da war ich getröstet ob alles Ungemachs der Nacht, denn ich wußte, daß der Morgen nicht mehr fern war und von den Sängern begrüßt werden sollte.“

Der eigenthümliche Gesang unseres Ziegenmelkers ist zugleich auch die hauptsächlichste Waffe, welche er gegen einen etwaigen Nebenbuhler – wer hätte denn solche nicht! – zu verwenden weiß. Doch kommt es manchmal auch noch zu ernsteren Thätlichkeiten. Wüthend stoßen zwei Männchen aufeinander, und gar grimmig und bösartig pfauchen sie einander an. Und wenn auch das nicht viel sagen will, sie erreichen doch ihren Zweck. Der eine schlägt den andern in die Flucht und eilt dann beglückt zu seinem Weibchen zurück, um mit diesem die Spiele der Liebe von Neuem zu beginnen. Gar artig sieht es aus, wenn dann beide Gatten neben- oder hinter einander herfliegen. Sie erscheinen noch einmal so groß als sie sind und verdienen jetzt ihren Namen Nachtschatten vollständig. Wie Gespenster schweben sie vorüber, die Flügelspitzen hoch über den Körper emporgehoben, oft auf lange Strecken hin ohne allen Flügelschlag.

Wenn der Ziegenmelker einmal munter geworden ist, kommt es ihm gar nicht darauf an, auch seinen lieben Wald zu verlassen. Er erscheint während der Nacht gar nicht selten in den Dörfern oder kleinen, nahe am Walde gelegenen Städten. So heimisch, wie in den Walddörfern Afrikas oder in den Gärten der Stadt Madrid, wird er freilich bei uns nicht, denn er kehrt immer und immer wieder nach seinem Walde zurück. Dort befindet sich ja das, was ihn am meisten zu fesseln weiß, sein Nest, oder richtiger sein Nestplatz.

Unser Ziegenmelker macht nicht besondere Umstände mit seiner Brut. Sein Weibchen legt die zwei gleichhälftigen, länglichen, glattschäligen, schwachglänzenden, auf bräunlichem oder schmuzigweißem Grunde mit erdfarbigen oder braunen Flecken bestreuten Eier ohne Weiteres auf den bloßen Boden hin. Niemals trägt er sich einen Halm oder ein Würzelchen zum Neste zusammen. Das Nest wird höchstens so angelegt, daß ihm ein dicker Baumast darüber einigermaßen zur Decke dient, d. h. dem brütenden Vogel der Tag ein paar Minuten lang Schatten gewährt. Gleichwohl liebt die Mutter ihre Brut so außerordentlich, daß sie sich beim Nest manchmal mit den Händen greifen läßt, und es ist gar nicht unwahrscheinlich, daß auch für unseren Ziegenmelker die schöne Beobachtung eines amerikanischen Forschers gilt, nach welcher eine Art des dort lebenden Nachtschattens ihre Eier in den weiten Schlund nimmt und nach einer andern Stelle schafft. Die Jungen, welche nach achtzehn- bis zwanzigtägiger Bebrütung dem Ei entschlüpfen, sind mit einem langen, grauen, hier und da schwarzfleckigen Flaume bedeckt. Man findet sie nicht immer zu Zwei im Neste, denn gar oft kommt das eine Ei gar nicht auf, und die Eltern haben dann nur für einen Sprößling zu sorgen. Wenn dieser bereits im Juni vollkommen flügge und zum eigenen Nahrungserwerb geschickt genug ist, machen die Alten wohl auch zur zweiten Brut Anstalt, und dieser gehören dann die Jungen an, welche wir noch im August zuweilen finden. Sie ziehen gewöhnlich nicht mit den Alten im September, sondern erst im October von uns weg, auf gut Glück dem nahrungsreichen Süden entgegen.

Unter allen Eigenschaften des Ziegenmelkers ist seine Neugierde besonders hervorzuheben. Sie zeigt sich auf eine sehr auffallende Art. Sobald unser Vogel etwas Ungewöhnliches bemerkt, beginnt er zu rütteln, d. h. sich durch schnellen Flügelschlag oder durch eine fast zitternde Bewegung der Schwingen auf einer Stelle zu halten, um den ihm fremden Gegenstand recht in’s Auge zu fassen. Erst, wenn er seine Neubegier hinlänglich befriedigt hat, fliegt er weiter. Zuweilen wird ihm diese sonderbare Sucht verderblich. Ein schlechter Schütz z. B. dem der Ziegenmelker zu sehr Nachtschatten ist, braucht nur den einen Lauf seines Gewehrs auf ihn abzuschießen, um ihn zu veranlassen, sich zur bequemsten Zielscheibe selbst des ärgsten Sonntagsschützen zu stellen. Nach dem Schuß beginnt der Vogel sofort zu rütteln und kann dann auch ohne jede Kunstfertigkeit herabgedonnert werden. Nur ein erfahrener Ziegenmelker widersteht der Versuchung, nach einem Schusse durch Rütteln seiner Neugierde Genüge zu leisten.

Von dieser sonderbaren Leidenschaft des Ziegenmelkers erhielt ich vorigen Sommer einen mir besonders erfreulichen Beweis. Im Anfang des Juli ging ich Abends von dem benachbarten Karlsdorf nach Renthendorf zurück. Der Weg führte durch einen etwa dreißig Minuten breiten Nadelwald. Ich war kaum eingetreten, da flog ein Ziegenmelker über meinen Weg, erblickte mich, rüttelte, besah mich ganz genau, setzte sich dann auf eine wenig entfernte Kiefer nieder und begann zu spinnen. Ich mochte noch nicht hundert Schritte weiter gegangen sein, da erschien mein lieber Freund schon wieder, schwebte neuerdings über mir herum, besah mich noch einmal und flog auf einen andern Baum, wo er sein Spinnen wieder aufnahm. Ich setzte meinen Weg fort und mochte, während der Ziegenmelker unverdrossen fortspann, um 500 Schritte weiter gegangen sein. Da erschien der Vogel zum dritten Male und begleitete mich wieder ein Stückchen. Der Weg hatte mich jetzt tief in das Thal hinabgeführt und der dichte Wald meinen neugierigen Beobachter entzogen. Als ich aber den gegenseitigen Hügel heraufgestiegen und dahin gekommen war, wo der Weg wieder frei wurde, erschien auch der Ziegenmelker abermals und flog längere Zeit als gewöhnlich über mir herum, gerade, als wolle er mir sagen: „Hier ist meines Reiches Grenze, an dieser will ich Abschied nehmen.“ Er that dies denn auch und kehrte über das Thal nach seinem Brutorte zurück, wie ich aus seinem von rückwärts zu mir hertönenden Geschnurre erkannte. Im Ganzen hatte er mich über eine Viertelstunde weit begleitet.

Bald darauf sprach ich mit dem auf alle Naturerscheinungen sehr aufmerksamen Herrn Förster Spittel in Mäusebach über dieses sonderbare Betragen des mir so lieben Vogels. Herr Spittel versicherte mir zu meiner großen Freude, daß er dieselbe Beobachtung schon mehrmals gemacht und bereits schon einige Mal mit Vergnügen gesehen habe, daß ein Ziegenmelker ihm Abends das Heimgeleite gab.

Zum Schluß noch eine Bitte. Jeder Leser, welcher mit dem gezeichneten Vogel in Berührung kommen sollte, möge ihn schonen. Er ist ein außerordentlich nützliches Geschöpf, denn er verzehrt bei seiner regen Eßlust eine große Menge schädlicher Kerbthiere, besonders Käfer, Abendfalter und Nachtschmetterlinge. Seine weite Speiseröhre gestattet ihm, Kerfe von bedeutender Größe herabzuschlingen, welche die meisten andern Insectenfresser fliegen lassen müssen, weil sie dieselben nicht bewältigen können. Wenn man nun bedenken will, daß während der Nachtzeit gerade die schlimmsten Feinde unseres Waldes fliegen und außer am Ziegenmelker nur noch an den Fledermäusen verfolgungsfähige Feinde haben, wird man die Wichtigkeit jenes Vogels kaum unterschätzen.

Einer, welchen ich kurz nach Sonnenuntergang erlegte, hatte, obwohl er höchstens drei Minuten geflogen, doch schon vier Maikäfer gefangen, und bei anderen fand ich den großen Magen von diesem schädlichen Gewürm und anderen Baumvertilgern dick aufgetrieben. Der Ziegenmelker richtet unter den Abend- und Nachtschmetterlingen große Niederlagen an und verdient die Schonung, welche ihm gegenwärtig von allen einsichtsvollen Forstfreunden wird.

Merkwürdig ist, daß der Vogel die lebenskräftigen Käfer herunterschlingt, wie sie ihm vor den Rachen kommen. Ich habe einen erlegt, welcher eine noch sehr muntere Nonne in seinem Rachen hatte.

Zahm gehalten macht der Ziegenmelker dem Besitzer wenig Freude, weil er fast immer mit dem Vorderkörper auf dem Boden des Käfigs liegt und wegen seines schlechten Ganges nicht herumspaziert. Wenn man ihn zum Zorn reizt, sperrt er den Rachen auf und pfaucht wie eine Schleiereule. Er hält sich auch bei dem besten Futter, welches man ihm nur mit größter Mühe beibringt, in der Gefangenschaft selten länger als eine oder zwei Wochen.