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Ein Tag in Bukarest

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Textdaten
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Autor: Gustav Rasch
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Titel: Ein Tag in Bukarest
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 409–411
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Kusa, Liebrecht und der 11. Februar 1866
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Ein Tag in Bukarest.


Als in der in der Geschichte Rumäniens ewig denkwürdigen Nacht vom 11. Februar 1866 unter dem kühnen Handstreich einiger Verschworener in Bukarest die Regierung des Fürsten Kusa zusammengebrochen war, befahl die Statthalterschaft am andern Morgen, die Buskarie, das Straf- und Untersuchungsgefängniß in Bukarest, zu öffnen und genau zu untersuchen. Und was fand man dort? Man fand unter einer Bande von Gesindel und Spitzbuben, welche wegen aller möglichen gemeinen Verbrechen verurtheilt waren, einige fünfzig Männer vor, welche niemals vor einem rumänischen Gerichtshofe gestanden, sondern sich nur des Verbrechens der „Mißlichkeit“ oder „Mißliebigkeit“ gegen die Kusa’sche Regierung schuldig gemacht hatten, sowie man fast hundert Räuber und Diebe nicht vorfinden konnte, welche wegen Mordes, Raubes, Diebstahls, Erpressung und Nothzucht rechtskräftig von rumänischen Tribunalen zu langwierigen Kerkerstrafen verurtheilt waren, obschon die Gefängnißverwaltung sie in den Präsenzlisten sämmtlich als anwesend aufgeführt hatte. Der Befund war recht charakteristisch für eine Regierung, welche in den sechs Jahren ihres Bestehens aus der Unterschlagung, aus dem Diebstahl von Staatsgeldern, aus der Verderbniß der Beamten in der Justiz und in allen Fächern der Verwaltung, aus der Vernachlässigung aller volkswirthschaftlichen Interessen des Landes, aus der täglichen Verletzung aller constitutionellen Freiheiten, aus der Vergewaltigung aller sich ihr widersetzenden Elemente und einer grundsätzlichen Liederlichkeit ein förmliches Geschäft gemacht hatte. Die Geschichte jener unglücklichen Länder an der untern Donau, welche man heute nach ihrer staatlichen und politischen Vereinigung mit dem uralten Namen ihrer eigentlichen Bewohner, die ihre Abstammung von der lateinischen Race, von den Römern, herleiten, mit dem Namen „Rumänien“ bezeichnet, ist so voller Gewaltthaten aller Art wie die Geschichte weniger Völker in Europa; aber selbst in dieser Leidensgeschichte Rumäniens bildet die Regierung Johann Kusa’s ein Blatt, welches in Verderbniß Epoche machen kann. Die Buskarie in Bukarest hat die Opfer dieser Regierung gesehen, sowie sie heute den mächtigsten Minister und ersten Günstling des vertriebenen Tyrannen in ihre Mauern aufgenommen hat. Cäsar Liebrecht, gewesener Kammerdiener, Kellner, Kuppler, dann Generalpostmeister und Generaldirector des Telegraphenwesens in der Moldau und Walachei, Major in der Armee, besonderer Liebling und Günstling Kusa’s, während seiner sechsjährigen Regierung der mächtigste Mann und der größte Spitzbube Rumäniens, büßt dort seine zehnjährige Kerkerstrafe ab, zu der er wegen zahlloser gemeiner Verbrechen nach dem Sturze seines Beschützers verurtheilt worden ist. Eine rächende Nemesis waltet seit mehr als einem halben Jahrhundert in der Geschichte Europas; sie hat auch Cäsar Liebrecht getroffen.

In Begleitung eines Freundes, des Generalinspectors der Straßen und Wegebauten in der Walachei, Herrn Weirach’s, eines jener Pioniere deutscher Cultur und Civilisation im östlichen Europa, dem ich während meines kürzlichen Aufenthalts in den Donaufürstenthümern für meine Studien der dortigen Verhältnisse außerordentlich viel zu verdanken habe, wanderte ich durch die holprigen Straßen von Bukarest, um einen Besuch in der Buskarie zu machen. Die Buskarie befindet sich am südlichsten Ausgangspunkte der großen Stadt, welche bei einer Einwohnerzahl von zweimalhunderttausend Menschen mit ihrer ausgedehnten orientalischen Bauart, mit ihren Gärten, wüsten Plätzen, weitläufigen, dörflichen Vorstädten vielleicht einen größeren Flächenraum als Paris einnimmt, in der Nähe jener großen Casernen, welche Kusa auf einer Bodenerhöhung erbauen ließ, um sie nöthigenfalls als Zwing-Uri gegen die aufrührerische Stadt zu verwenden. Unser Spaziergang führte uns durch einen großen Theil der sonderbaren Stadt, welche in ihrer Bauart, in ihrer Lebensweise, in ihren Genüssen und in ihren Lastern den Orient und den Occident in sich vereinigt.

Da war von einer gewissen Regelmäßigkeit in der Straßenanlage nur im Innern der Stadt die Rede, aber selbst auch hier standen einstöckige Baracken, wie man sie in allen orientalischen Städten sieht, neben im modernen europäischen Geschmack aufgeführten Palästen, deren vergoldete Fensterbalcone zwischen reizenden Gartenanlagen mit duftigen Rasenplätzen, bunten Blumenbeeten und eleganten Springbrunnen und prächtigen Baumgruppen im Reflex der orientalischen Sonne schimmerten, zwischen Trümmerhaufen niedergerissener und verfallender Gebäude und am Rande wüster Plätze, deren Boden nicht einmal geebnet war. Eine Kirche im byzantinischen Geschmack war soeben fertig geworden; aber man hatte nicht einmal die Baracken und das Gerümpel fortgeräumt, welches ihre Seiten in der häßlichsten Weise entstellte. Tiefe Pfützen standen mitten in der Straße; Trottoir fehlte meist gänzlich, oder, wo es ausnahmsweise vorhanden, war es so schmal wie ein Gedanke, oder so holprig wie ein Knüppeldamm.

Wir betraten einen großen, mit schattigen Bäumen bepflanzten Hof. Ringsum erhoben sich prächtige Gebäude mit säulengetragener Vorhalle. Die prächtigen Gebäude bildeten das große Spital, welches der Fürst Brancowan erbaute und reich dotirte. In der Errichtung und Gründung von Wohlthätigkeitsanstalten hat sich die rumänische Aristokratie immer ausgezeichnet. Kaum hatten wir den weitläufigen Gebäudecomplex auf der andern Seite verlassen, so standen wir auf einem wüsten Platze, dessen Ränder die Trümmer eines klosterartigen Gebäudes bedeckten, während sich in seiner Mitte eine sonderbare, kleine Capelle erhob, in deren sonderbar geformten Säulen und mit bunten Bildern und Stuccatur bedeckten Wänden ein bestimmter Baustil ganz unerfindlich war. Es waren die Trümmer eines Klosters, mit dessen Abbruch man sich beschäftigte, um die ehemals geheiligten Räume als Baustellen zu verkaufen. Ein mit vielem Geschmack angelegter Garten umgab [410] eine im byzantinischen Stil gebaute Kirche mit glänzender, metallener Kuppel. Es war die Kirche des heiligen Demeter; der blühende Garten war bis vor Kurzem ein wüster Kirchhof gewesen. Aber gerade der Kirche gegenüber war ein großer Platz mit Trümmerhaufen bedeckt. Ein Speculant hatte die Baracken gekauft, welche dort standen, um sie niederzureißen und Häuser dafür zu bauen. Das Geld war ihm ausgegangen, und jetzt konnte der wüste Platz vielleicht Jahr und Tag in demselben Zustande bleiben. Nun, das sind Contraste, denen man in den Städten des Orients überall begegnet! Durch eine Reihe von engen Durchgängen und schmutzigen Höfen zwischen den Häusergruppen, von deren Existenz ich gar keine Ahnung hatte, führte mich mein Begleiter plötzlich in die Hauptstraße von Bukarest, in die Straße Podu mogoschen. Die Trümmerhaufen, die Baracken, die wüsten Plätze waren auf einmal wie durch einen Zauberschlag verschwunden; beide Straßenfronten trugen ein ganz europäisches Kleid. Stattliche zwei- und dreistöckige Häuser mit glänzenden Magazinen und Läden im Erdgeschoß; deutsche, rumänische und französische Firmen und Schilder. Elegante Wagen, mit prächtigen Pferden bespannt, im Fond schöne Damen in modernster Pariser Toilette, rasseln neben zweispännigen offenen Fiakers vorüber, in denen Officiere in geschmackvollen, halb nach französischem, halb nach österreichischem Muster hergerichteten Uniformen sitzen; Alles fährt hier, es ist ein betäubendes Gerassel. Mit Mühe drängen wir uns auf den schmalen Trottoirs neben den sich in ihrer Schnelligkeit überstürzenden Wagen vorbei, um auf dem nächsten Halteplatz ebenfalls einen Fiaker zu finden.

Der Orient ist plötzlich vor dem Occident verschwunden, und tritt nur noch in einigen Zigeunern und Griechen in ihren Lumpen und in ihrer heimischen Tracht mit der weißen, faltigen Fustanella und der bunten, goldgestickten Jacke auf, die sich an uns vorüberdrängen. Der Generalinspector, der seit fünfundzwanzig Jahren in der Walachei ist und Land und Leute kennt, wie Wenige, ist unermüdlich im Erklären und in der Schilderung interessanter Einzelnheiten. Plötzlich erhebt sich auf weitem Platze ein in den edelsten Linien gebautes großes Haus.

„Das ist das Theater von Bukarest,“ sagte er, „an dem prächtigen Gebäude haben Sie einen Beweis, wie sich die Stadt seit zwanzig Jahren verändert hat. Als ich in das Land kam, stand dort eine elende Hütte. In der Hütte wohnte ein armer Walache, dessen einziges Eigenthum in einem Pferde bestand, mit dem er Fuhren für Lohn that. Sehen Sie dort hinter dem Opernhause die Bäume?“

„Gewiß; es sind die Baumgruppen des schönen Gartens Cismedjou. Aber weshalb machen Sie mich auf die Bäume aufmerksam?“

„Nun, vor zwanzig Jahren war dieser schöne Garten ein häßlicher Sumpf, und aus dem Röhricht des Sumpfes kamen in einer kalten Winternacht die Wölfe und fraßen dem armen Manne in der Hütte das Pferd im Stalle auf. Doch halt, da ist ein Fiaker! Fahren wir jetzt nach der Buskarie.“

Ein zweisitziger, offener Fiaker bog gerade um eine Straßenecke. Wir stiegen ein, und nach einer halben Stunde raschen Fahrens hielten wir am südlichsten Ende der Stadt vor einer Gruppe weißer, einstöckiger Gebäude, welche rings mit einer weißgetünchten Mauer umgeben waren. Vor dem hölzernen Eingangsthor standen zwei Schildwachen, das Gewehr im Arm. Hinter jener weißgetünchten Mauer befand sich das berüchtigte Gefängniß von Bukarest, die Buskarie. Buskarie heißt eigentlich eine Pulver- und Gewehrfabrik. Während der türkischen Herrschaft waren die Gebäude, aus denen heute das Strafgefängniß besteht, Caserne und Gewehrfabrik gewesen. Der Name aus der Türkenzeit war ihm bis heute geblieben.

Die Schildwachen machten Weitläufigkeiten, als wir ohne Weiteres durch das hölzerne Thor in das Gefängniß eintreten wollten, und verlangten dazu die Vorzeigung eines schriftlichen Befehls. Hätte ich eine Idee von solchem Ordnungssinn in einem walachischen Gefängniß gehabt, so würde ich mir vom Obersten Haralambie, einem der drei Statthalter, bei dem ich noch Tags vorher im ehemaligen Palaste Kusa’s einen Besuch gemacht hatte, einen derartigen Befehl haben geben lassen. Aber ich hatte nicht daran gedacht. Selbst der Name und die hohe Stellung meines Begleiters konnte die beiden bewaffneten Söhne Rumäniens nicht bewegen, einen Fehler gegen die militärische Disciplin zu begehen; endlich wurde der oberste Beamte des Gefängnisses berufen, der, als er den Namen des Generalinspectors hörte, zu unsern Gunsten vermittelte. Das hölzerne Thor öffnete sich und wir traten in den Gefängnißhof. Ich war einen Moment erstaunt über das Bild, welches sich vor mir aufrollte. Auf dem Wege nach der Buskarie hatte mir mein Begleiter von den grausamen Strafen erzählt, welche noch vor dreißig Jahren unter türkischer Souveränetät in der walachischen Strafrechtspflege zur Anwendung kamen. Er hatte mir die entsetzliche Hinrichtungsart des Pfählens und das Abhauen der Hände beschrieben. „Noch heute,“ sagte er, „können Sie in der Walachei Unglückliche sehen, denen damals die Hände als Strafe für Raub und Diebstahl abgeschnitten sind. Die Strafrechtspflege war eben orientalisch.“ Und seit jener Zeit sind erst einige Jahrzehnte verflossen, und heute kennt das rumänische Strafgesetzbuch die Todesstrafe bereits nicht mehr, und steht in der Milde seiner Principien und Strafen über vielen Strafgesetzbüchern des civilisirten Europa! So dachte ich auch hier finstere Kerker und häßliche Höhlen zu finden und sah einen von vierstöckigen, weißgetünchten Gebäuden umgebenen, mit Bäumen bepflanzten Hof, der sogar einen freundlichen Charakter hatte. Auf dem Hofe gingen einige zwanzig Gefangene mit einander plaudernd umher. „Können denn,“ fragte ich den uns begleitenden Gefängnißbeamten, „alle Gefangene in der Buskarie auf den Höfen derselben einher spazieren?“

„Den ganzen Tag bis Abends acht Uhr, mein Herr,“ erwiderte der Beamte.

„Auch Liebrecht, der Minister Kusa’s, hat diese Erlaubniß?“

„Gewiß, mein Herr, aber er hat sie noch nicht benutzt.“

Darauf verlangte ich den bis vor wenig Monaten noch allmächtigen Minister zu sehen. Der Beamte bedauerte, diesem Wunsche nicht nachkommen zu können. „Er bewohnt dort das zweifenstrige Zimmer neben der Thür,“ sagte er, mit der Hand auf das Mittelgebäude zeigend, „vielleicht tritt er an’s Fenster. Das Zimmer ist wohnlich eingerichtet.“

Die beiden Fenster waren mit Gardinen verhangen. Währenddem zeigte mir der Generalinspector unter den auf dem Hofe anwesenden Gefangenen einige ihm bekannte Personen, einige Diebe, Fälscher und einen wegen unsittlichen Lebenswandels verurtheilten Geistlichen. Niemand von ihnen trug Gefangenenkleider; Jeder war in seiner eigenen Kleidung.

„Und wer war eigentlich Liebrecht, was war er und wie war die Carriere dieses berüchtigten Günstlings Ihres ehemaligen Hospodaren?“ fragte ich meinen Begleiter.

Der Generalinspector erzählte mir nun, während wir auf dem Gefängnißhofe auf- und abgingen, von Cäsar Liebrecht. „Liebrecht,“ sagte er, „war kein Deutscher, wie sein Name vermuthen läßt, sondern Belgier von Geburt. Er kam als Kammerdiener in das Land und wurde, ich weiß nicht weshalb, von seinem Herrn aus dem Dienst gejagt. Dann trat er als Kellner in ein Kaffeehaus in Galacz. Dort lernte ihn Kusa kennen, als er in Galacz die Stelle eines Präfecten bekleidete. Wahrscheinlich leistete er ihm geheime Dienste, genug, Kusa stellte ihn in der Verwaltung an. Als Kusa Hospodar wurde, berief er ihn nach Bukarest, und nun machte der ehemalige Billardkellner in kurzer Zeit eine glänzende Carriere. Liebrecht wurde Generalpostmeister, Director des Telegraphenwesens, Major in der Armee. Nebenbei war er der allmächtige Günstling des Hospodaren, sein Vertrauter in jeder Beziehung. Wenn die Verderbniß, die Unterschlagung öffentlicher Gelder, Liederlichkeit und Vernachlässigung aller Interessen des Landes der Charakter dieser sechsjährigen Regierung war, so war Liebrecht das Prototyp dieser Periode. Die Damen, welche man Morgens in einer Audienz bei Kusa sah, während Liebrecht im Vorzimmer saß, damit sein Gebieter nicht gestört werde, konnte man häufig Abends vorher im Palaste Liebrecht’s sehen. Ich zeigte Ihnen gestern den Palast; er ist das prächtigste Haus in Bukarest. Ganz in der Nähe sahen Sie das Haus der Fürstin Marie Obrenovic; sie war zu gleicher Zeit die ‚Freundin‘ des Majors und des Hospodaren. Die in Liebrecht’s Palaste vorgefundenen Briefe lassen über diese Verhältnisse gar keinen Zweifel. Die Fürstin ist aus einer angesehenen moldauischen Familie, hat eine gute Erziehung genossen, ist eine Frau von Geist und Schönheit, von schlanker, hoher Gestalt und doch vollen Formen; sie hat prächtige Augen, schönes Haar, einen interessanten Kopf; trotz alledem ist sie ein ganz gewöhnliches Weib. Dasselbe Band vereinigte Kusa, seine Günstlinge und ihre Geliebten; es [411] war zur Hälfte aus Sinnlichkeit, zur andern Hälfte aus niedriger Habsucht gewoben. Der General Floresco, dessen Palast am Cismedjougarten Sie gesehen haben, der Polizeipräsident Marghiloman, Oberst Pisotzki, der Franzose Balliot sind Alle von ähnlichem Schlage gewesen, Keiner war anders. Was soll man also von der Verderbniß in allen Beamtenkreisen sagen, wenn die Chefs derartige Subjecte waren? Aber unter Allen war Liebrecht der Unvorsichtigste. Man fand in seinem Palaste von seiner Hand schriftliche Aufzeichnungen von allen ‚Geschäften‘, die er bei den Staatsgeldern für seine eigene Tasche gemacht hatte; man fand sogar die Notizen über die ‚Geschäfte‘, die er in Zukunft noch zu machen hoffte. Daneben fand man eine Menge Liebesbriefe, welche viele hiesige Damen auf’s Höchste compromittirt haben. Doch da ist Liebrecht.“

Ich sah nach dem Zimmer, welches mir der Gefängnißbeamte als das Gefängniß des Majors bezeichnet hatte. Am Fenster erschien für einige Minuten die kräftige Gestalt eines Mannes in den vierziger Jahren. Das Gesicht war äußerst gewöhnlich, die Züge roh und gemein.

Verwundert sah ich meinen Begleiter an. „Das war der Major?“ sagte ich; „ich begreife die Bukarester Damen nicht. Aber freilich er war der allmächtige Günstling des Hospodaren!“

Die Gestalt am Fenster zog sich zurück. Der Gefängnißbeamte trat wieder zu uns heran, um uns durch die andern Höfe zu führen. Sie waren meistens größer, als der Hof, den wir betreten hatten. Der äußere Typus der Gebäude und der Höfe war derselbe. Früher baute man alle Häuser in Bukarest nur einstöckig, wegen der Erdbeben; in neuerer Zeit ist man bei der Errichtung von Gebäuden leichtsinniger gewesen. Die Gefangenen ergingen sich auch in den anderen Höfen ganz ungenirt; Niemand zwang sie, in den gemeinschaftlichen Schlafsälen zu bleiben, welche geräumig und reinlich waren. Unsern Gruß beantworteten sie gemeinschaftlich mit einem „Mögen Sie lange leben!,“ oder „Mögen Sie gesund bleiben!“ Währenddem erzählte mir mein Begleiter wunderbare Dinge aus der geheimen Geschichte der Buskarie während der Kusa’schen Regierung. Da war ein Räuber gewesen, der zu lebenslanger Gefangenschaft verurtheilt war. Eines Tages überreichte der Polizeipräsident Marghiloman den Todtenschein des Räubers, der dahin lautete, daß der Räuber in der Buskarie gestorben sei. Aber der Todtenschein war falsch. Die Beamten hatten ihn auf Geheiß des Polizeipräsidenten gefälscht. Der Räuber verschwand aus der Gefängnißliste; dafür wurde Marghiloman sein Erbe.

„Der Räuber hält sich noch heute wohl und munter in der Moldau auf,“ fügte der Generalinspector hinzu. „Radu Angel war ein berüchtigter Räuberhauptmann. Er machte lange Zeit die nördliche Walachei unsicher, seine Bande streifte auf ihren Raubzügen bis an die Thore von Tirgowesti. Alle Bemühungen der Dorobanzen, seiner und seiner Bande habhaft zu werden, waren vergeblich. Die nach der Nacht des 11. Februars vorgenommenen Haussuchungen haben auch darüber Aufschluß gegeben. Der Präfect von Tirgowesti war ein Schwager Marghiloman’s und hatte eine Liebschaft mit der Tochter des Räuberhauptmanns. Durch seine Geliebte ließ er die Bande von allen Streifzügen der Dorobanzen auf’s Genaueste immer vorher benachrichtigen. Kann man sich also darüber wundern, daß, während das Räuberunwesen vor dem Antritt der Kusa’schen Regierung fast ganz ausgerottet war, dasselbe beim Ende dieser Regierung in vollster Blüthe stand? Jetzt ist man in Bukarest gar nicht mehr darüber in Zweifel, daß der Mörder des populären und charaktervollen Ministers Catardji, der in seinem Wagen auf offener Straße erschossen wurde, von Kusa selbst gedungen war, weil er die große Popularität des Mannes fürchtete und weil seine Unbestechlichkeit und Rechtlichkeit eine Schranke war, welche hinweggeräumt werden mußte. Einige Jahre später war es in ganz Rumänien ein öffentliches Geheimniß, daß das Gewinnen jedes Processes von der Summe abhängig war, welche die Parteien den Richtern vor dem Richterspruch auf den Tisch legten, und Kusa hat das Land mit Summen verlassen, die ihm jährlich eine Rente von hunderttausend Ducaten geben.“

Die Hausordnung in der Buskarie war übrigens außerordentlich human, noch humaner, als ich sie in französischen Gefängnissen gefunden habe. Der Gefangene konnte in gemeinschaftlichen Werkstätten arbeiten oder sich beschäftigen, wie er Lust und Neigung hatte. Selbstbeköstigung stand ihm zu Gebote, wenn er Geld hatte – Major Liebrecht speiste aus einem Bukarester Restaurant –, sonst erhielt er täglich Fleisch und hinreichende Nahrung. Das rumänische Strafgesetzbuch ist bekanntlich der französische Code pénal. An dem Tage, wo ich die Buskarie besuchte, betrug die Zahl der Gefangenen etwas über vierhundert.

Wir stiegen wieder in den noch vor dem Gefängnißthor haltenden Fiaker, um nach der innern Stadt zurückzufahren, da ich noch einen Besuch bei dem Cultusminister Rosetti machen wollte, dessen Bekanntschaft ich schon vor fünfzehn Jahren als Flüchtling in Paris gemacht hatte. Wieder war ein Stück aus der letzten Periode der Leidensgeschichte Rumäniens in der Buskarie an mir vorübergezogen. „Wahrhaftig,“ sagte ich zu meinem Begleiter, der mir während der Fahrt neue Schilderungen aus der Russenzeit und aus der Türkenperiode entwarf, „man muß anerkennen, daß das rumänische Volk nach solchen Unterdrückungen, Vergewaltigungen, Beraubungen, nach solchem materiellen und moralischen Ruin während mehrerer Jahrhunderte eine große Zähigkeit und eine große Lebenskraft besitzt, um noch aufrecht zu stehen und mit solcher Energie nach freiheitlicher und nationaler Selbstständigkeit zu ringen.“

„Gewiß,“ erwiderte der Generalinspector, „und man muß wahrhaftige Hochachtung fühlen vor dieser kleinen Minorität von Männern, welche während der Kusa’schen Regierung den Schlag vorbereiteten, die den Hospodar und seine Trabanten in einer Nacht stürzte und darauf mit solcher Energie, mit solcher Uneigennützigkeit und solchem Geschick das Steuer führte. Da ist Oberst Haralambie, tapfer, uneigennützig, rechtlich, ohne jeden Egoismus, arm – Sie wissen, ich bat Sie, ihm im Regierungspalaste einen Besuch zu machen, weil Ihr Besuch ihn in seiner ärmlichen Wohnung vielleicht geniren könnte –; da ist Johann Ghika, der ehemalige Fürst von Samos, ein Mann von großem Organisationstalent, ein Genie, voll Intelligenz und Wissen, ebenso streng, wie fein und liebenswürdig; da ist sein Bruder, Demeter Ghika, der Minister des Innern; Stourdza, der Minister für öffentliche Arbeiten, unermüdlich im Arbeiten, Fachmänner, wie man sie nur wünschen kann; da sind Golescu, Rosetti, Lecca, Bratiano, Alle freisinnig – Alle lebten sie lange Jahre als Flüchtlinge im Auslande, auch die Ghikas – welche ihr ganzes Leben der Zukunft dieses unglücklichen Landes geopfert haben. Keiner von ihnen hat auch nur einen Ducaten während der Leitung der Regierung genommen; die Reichern unter ihnen haben Hunderttausende aus eigenen Mitteln hergegeben; den Armen unter ihnen hat man einen Gehalt ordentlich aufdringen müssen.“

Der Wagen hielt. Ich stand vor dem Hause Rosetti’s, um den Flüchtling aus Paris zu besuchen, der heute die wieder aufblühende Civilisation und Cultur Rumäniens leitet.
Gustav Rasch.