Ein Tag im Postzeitungsamt zu Berlin
Ein Tag im Postzeitungsamt zu Berlin.
Wer auf einem Spazier- oder Geschäftsgange durch das innere Berlin zufällig die ruhige Dessauer Straße passiert, die halbwegs zwischen dem Potsdamer und Anhalter Bahnhof ein ziemlich stilles Dasein führt, der kommt dort an einem Hause vorüber, von dessen Existenz unter 1000 Berlinern vermutlich 990 nicht die leiseste Ahnung haben. Und doch ist dieses Haus und sind die Vorgänge, die sich in ihm täglich abspielen, nicht allein für die Bewohner Berlins, sondern noch viel mehr für das ganze Reich von größter Wichtigkeit! Ja, es brauchte nur einen einzigen Tag seine Thätigkeit einzustellen, so würde sich darüber in Hunderttausenden von Häusern, nicht nur im ganzen Deutschen Reiche, sondern weit über seine Grenzen, ja über die Grenzen von Europa hinaus, ein großes Verwundern, Aergern und Beschweren erheben. Vielleicht giebt es im ganzen Reiche kein Haus, auf dessen Thätigkeit Tag für Tag so viele Menschen in allen Windrichtungen, in allen Städten, in den verschiedensten Berufsstellungen angewiesen sind, als das Postzeitungsamt zu Berlin. Es ist wahr, die abgelegene Straße, in der es – beiläufig erst seit dem 10. März 1895 – seine bleibende Stätte gefunden hat, ist nur zu sehr geeignet, es der Aufmerksamkeit zu entrücken. Still liegt es da mit seiner etwas kühlen Front, ein Stück zurückgezogen zwischen den Nachbarhäusern, so daß eine Art Vorhof, durch ein Gitter von der Straße geschieden, entsteht, in welchem man meist ein oder einige angeschirrte Postgefahrte stehen sieht.
Nur zu gewissen Stunden des Tages hebt hier ein auffälliges Hasten und Treiben an. So ist es nachmittags etwa um die fünfte Stunde. Dann rollt von der Straße her in größter Eile ein Wagen um den anderen heran, drängt sich in den Hof und hält vor dem breiten Portal des Hauses, wo ein Portier die Wache hat. Die Fuhrleute springen ab, reißen in Hast große weiße Ballen von den Wagen und schleppen sie ins Haus, kehren zurück, ergreifen neue Lasten und keuchen schwitzend ein und aus, bis ihr Wagen entleert ist und Platz für die Nachdrängenden machen kann. Das geht so eine ganze Weile, Fuhrwerk aus Fuhrwerk drängt sich an, jeder hastet, möglichst schnell mit seinen Ballen ins Haus zu kommen, und jagt dann wieder davon. Wir sehen genauer hin und bemerken an den Wagen die Firmen aller großen Tageszeitungen der Hauptstadt, ihre Fracht besteht aus Zeitungsballen, und ihr Zweck ist der, möglichst schnell ihre noch druckfeuchten Blätter an das Amt abzuliefern, damit die Postabonnenten Berlins mit der ersten Botenpost, die auswärtigen Leser aber mit dem nächsten Zuge ihr Leibblatt in die Hände bekommen. Staunend sehen wir, welche Massen von Papier die unaufhörlich sich öffnende Thür verschlingt; wir sehen die Packträger keuchen und [434] können uns leicht ausrechnen, daß in einer halben Stunde soeben mehr als 200 Centner Zeitungen in dem Raum hinter dieser Thür verschwunden sein müssen, aber da sehen wir bereits, wie das Haus seinen Inhalt wieder von sich giebt. Aus einem der Seitenportale schießen plötzlich vier Postwagen mit einem Male heraus und galoppieren in einem Tempo davon, als bildeten sie einen Löschzug der Feuerwehr. Zehn Minuten – und abermals verlassen vier bis unter die Decke gefüllte Paketposten das Amt, während der Zufluß an neuem Material sich allmählich verringert. Die Wagen fahren seltener vor. Handkarren mit kleineren Blättern mischen sich darunter, Boten bringen große Ballen von Zeitschriften; nach und nach schläft auch das ein; nur selten noch öffnet sich das Thor, während aus dem Seiteneingang in gewissen Abständen noch immer kleine Wagenzüge herausjagen, um sich in die Nebenstraßen zu verteilen. Nach drei Stunden endlich ist alles wieder ruhig wie vor dem großen Ansturm.
Freilich, könnten wir durch die Mauern ins Innere sehen, so entrollte sich vor unseren Augen ein anderes Bild! Die Thätigkeit des Postzeitungsamtes ist nicht derart, daß sie sich in wenigen Stunden bewältigen ließe, obwohl Hunderte von geschickten Händen fieberhaft und ohne Pause bei der Arbeit sind; sie erfordert im Gegenteil fast die ganzen 24 Stunden des Tages. Wird doch von hier aus sowohl die Annahme als die Versendung jeder Zeitung, jeder Zeitschrift, jedes Unterhaltungsblattes, der Modenzeitungen, kurz aller Blätter besorgt, welche auf dem Wege der Post den Lesern im ganzen Reiche zugehen. Ja, nach Frankreich, Italien und anderen Ländern, bis Konstantinopel und Aegypten gehen von hier Tag für Tag ganze Ballen von Zeitungen, von denen jedes Exemplar einzeln ausgesucht, verteilt und in das bestimmte Fach gelegt werden muß, welches für jedes auswärtige Postamt existiert. Wie weit sich diese Arbeit verzweigt, begreift man vielleicht, wenn wir mitteilen, daß das Postzeitungsamt mit nahezu 4000 fremden Postanstalten in direkter Verbindung steht. Groß ist ja allein schon die Zahl der in Berlin erscheinenden Zeitungen, welche durch das Amt vertrieben werden. Im Jahre 1825, als diese Centralisation der Zeitungsversendung eben eingeführt war, handelte sich’s um 38, heute jedoch um rund 800 Berliner Blätter! Aber das ist nicht alles. Jede mit der Post aus irgend einer Stadt Deutschlands oder des Auslands verschickte Zeitung, welche Berlin kreuzt, passiert ebenfalls das Zeitungsamt, um von hier aus derjenigen Postanstalt zugeleitet zu werden, welche die Bestellung angenommen hat. Und welche Legion von Zeitungen giebt es heute! Das Postverzeichnis von 1894 führte ihrer beinahe 11nbsp;000, darunter ein Viertel ausländische, aus. Und für diesen ganzen Strom von Druckerschwärze, der tagtäglich das Land überflutet, ist dieses unscheinbare Haus in der Dessauerstraße der unerschöpfliche Brunnen. Es sind etwa 230 Millionen Exemplare, welche im Laufe des Jahres von hier in die Welt gesandt werden, also täglich im Durchschnitt 640 000 Exemplare. Davon muß jedes einzelne in die Hand genommen, nach den Listen verteilt und in sein Fach gelegt werden, eine Arbeit, welche die volle Kraft von 250 bis 270 Beamten erfordert.
Schlagen wir indessen, um das ganze Getriebe des Postzeitungsamtes kennenzulernen, den kürzesten Weg ein, indem wir uns beim leitenden Direktor die Erlaubnis erbitten, mit eigenen Augen sehen zu dürfen, wie dieser gewaltige Organismus, der wie aus einem Herzen 100000 Adern speist, arbeitet. Freilich, um den Betrieb während eines ganzen Tages kennenzulernen, muß der freundliche Leser früh aufstehen oder vielmehr er thut besser, gar nicht erst schlafen zu gehen, da ich ihn doch schon vor Mitternacht wieder wecken müßte.
Es ist 12 Uhr nachts, wenn die erste Sektion der Beamten ihr Tagewerk beginnt, und zwar gleich in einer recht stattlichen Schar. Unter einem Aufsichtsbeamten treten 30 bis 40 Postschaffner an und machen sich sofort daran, die vom vergangenen Tage übriggebliebenen Reste aufzuarbeiten. Das sind die Blätter, welche entweder gestern abend zu spät aufgeliefert worden sind, um noch expediert zu werden, oder welche überhaupt immer in der Nacht eintreffen, um mit den Frühzügen abgesandt zu werden. Der Raum, in welchem diese Arbeit vor sich geht, ist die riesige, 36 m lange und etwa halb so breite „Versendungshalle“. Trotz ihrer Größe reicht sie aber für ihren Zweck doch noch lange nicht aus, so daß eine zweite, ebenso große Versendungshalle gerade über ihr angelegt ist. Eine Anzahl Aufzüge verbindet beide Räume, so daß der Zeitungstransport von unten nach oben und zurück mit der größten Schnelligkeit erfolgen kann. Ein Weilchen schauen wir der Arbeit zu. Die Beamten werden mit den großen Stößen der verschiedensten Zeitschriften, wissenschaftlichen Blätter etc. bewunderungswürdig rasch fertig. Ein Schaffner verliest nach der vor ihm liegenden Versendungsliste die Anzahl von Exemplaren, welche jedes Postamt von der augenblicklich auszuteilenden Zeitschrift erhält, ein zweiter zählt die Blätter ab und legt sie in das Fach der betreffenden Postanstalt. Er braucht gar nicht erst hinzusehen, sondern hat schon alles im Griff. Bald wird uns das Zusehen langweilig; alle Hände ringsum sind in eifriger Thätigkeit, wir machen uns also ebenfalls an die Arbeit und versuchen uns unter Führung eines Beamten ein wenig im Hause zu orientieren.
Schon beim Eintreten haben wir bemerkt, daß die Haupträume des Amtes nicht in dem von der Straße aus sichtbaren Gebäude liegen, sondern in dem vier- bis fünfmal tieferen, sich daran schließenden Hinterhause. Im Hauptbau liegt unten außer der Vorhalle, einigen Nebenräumen und dem großen Treppenhause nur ein geräumiger Saal, der Annahmeraum, bis in welchen die Überbringer der ankommenden Zeitungen vordringen. Hier, auf einen riesigen mit Stahlplatten belegten Tisch werden alle ankommenden Ballen zuerst niedergelegt, und von hier befördern die Schaffner sie weiter in die beiden großen Versendungshallen. Durchschreiten wir die letzteren, so schließt sich hinten der Packraum an, wo die zur Versendung fertigen Pakete entweder geschnürt oder bei größeren Mengen in Säcke gestopft werden, um nun ihre Reise anzutreten. Daneben ist noch ein Raum, wo die Säcke selbst zum Versandt fertig gemacht werden. Einen flüchtigen Blick können wir nur noch in die oberen Geschosse mit ihren großen Hallen und Amtszimmern, auf die Fahrstühle und die Gleitbahnen für den Zeitungstransport, auf die splendide elektrische Beleuchtung mit ihren 30 Bogen und 300 Glühlampen werfen, und schon wird es hohe Zeit, daß wir uns an unseren Posten zurückbegeben.
Die 30 Postschaffner sind inzwischen mit ihrer Arbeit rüstig fortgeschritten, es sind heute nur etwa 10000 Zeitungsblätter da, allerdings von den verschiedensten Titeln und Bestimmungsorten. Unter dem Zugreifen von 70 geübten Händen schwinden die Haufen dahin wie Schnee vor der Mittagssonne, und jetzt ist man schon daran, die in den einzelnen Fächern sich ansammelnden Stöße durch umzuklebende Streifen zu vereinigen und schmale Zettel darauf zu kleben, welche die Adressen der auswärtigen Postämter enthalten. Auch das geht mit Blitzgeschwindigkeit, die Zettel liegen bereits so geordnet, wie die Reihen der Fächer es verlangen, und in kurzer Zeit werden die Pakete, wohl adressiert, den 16 im Hause befindlichen Versendungsstellen zugeschickt, welche die einzelnen Teile des großen, über das ganze Land sich erstreckenden Netzes beherrschen. Hier sammeln sich gewaltige Zeitungsmassen für die verschiedenen „Kurse“ an, und von hier werden, je nach der Abgangszeit der Züge von den Berliner Bahnhöfen, die Postwagen abgefertigt, welche in kurzen Zwischenräumen den ganzen Tag über das Amt verlassen.
Es ist 2 Uhr. Inzwischen sind noch weitere 15 bis 20 Postschaffner angetreten und haben ein reges Treiben begonnen. Aus der Säckekammer werden große Haufen leerer Zeitungssäcke herangeschleppt und an den Versendungstischen so ausgebreitet, daß die Zeitungshaufen möglichst schnell hineingeschoben werden können; dann halten sich alle Arme in Bereitschaft, wie in den letzten Augenblicken vor einer großen Schlacht. Und die Schlacht läßt auch nicht lange auf sich warten. Von ½ 3 Uhr an beginnen die Wagen zu rollen, welche die in der Nacht fertig gestellten Zeitungen bringen. Die Thür zum Annahmeraum fliegt in immer schnellerem Tempo auf und zu, immer größer werden die Ballen, welche auf den Stahltisch niedergelegt werden, immer rascher folgen sie sich, und immer eiliger traben die Schaffner, welche sie von dort in die Versendungshalle oder an die Aufzüge schleppen. Um 3 Uhr erreicht der Andrang seinen Höhepunkt. Sechs, vielleicht sieben oder acht große politische Zeitungen liefern ihre ganze Postauflage, 60nbsp;000 bis 80nbsp;000 Exemplare, mit einem Male ab, auf den Stahlplatten des riesigen Annahmetisches türmen sich hohe Berge von Papier, aber so geschwind die Stöße von 200 bis 500 Exemplaren herangetragen werden, so rasch verschwinden sie wieder. [435] Jetzt wird mit einer Schnelligkeit und Sicherheit gearbeitet, die jeder Beschreibung spottet. Von dem Verpacken in Fächer ist keine Rede mehr. Jede Versendungsabteilung schickt ihren Schaffner in die Halle; er sagt den verteilenden Beamten nur die Anzahl der Nummern an, die er von jedem Blatte für seinen Postkurs gebraucht, und fast gleichzeitig schiebt man ihm schon die Stöße zu. Das Zählen bemerkt man kaum, die Beamten gleiten nur mit dem Finger über den Rand der Pakete hin und haben im Nu die gewünschte Zahl bereit. Große Stöße werden in die Säcke geschoben, kleinere in Pakete vereinigt, und in wenigen Minuten kehren die Boten schon, gebückt unter ihrer Last, zu den Versendungsstellen zurück, wo der Packmeister, der die Posten rechtzeitig abzufertigen hat, sich inzwischen bereits voll Ungeduld einigemal mit dem Sprachrohr oder der elektrischen Klingel gemeldet hat.
Mittlerweile dauert der Andrang der Zeitungswagen noch immer fort. Erst nach 6 Uhr werden die letzten Stöße eingeliefert. Dagegen sind schon um 3 Uhr 20 Minuten die ersten Postwagen beladen aus dem Thore gerasselt und haben sich mit Windeseile durch die schlafende Stadt zerstreut. Sie nehmen nur einen kleinen Bruchteil der eingelieferten Blätter, lediglich für Berlin und die nächste Umgebung, mit sich, aber diese Tausende von Exemplaren haben sich binnen einer Stunde auf mindestens 180 Postanstalten verteilt. Das Gewimmel der Arbeit wird größer und größer, je mehr sich die Nacht ihrem Ende zuneigt und die Abfahrtzeit der Züge heran kommt. Anfangs alle 10 Minuten, dann halbstündlich, endlich jede Stunde werden Kolonnen von Wägen abgelassen, die alle eiligst durch die Straßen sausen, um ihren Bahnhof noch rechtzeitig zu erreichen. Volle 5 Stunden dauert die schwere Arbeit an; erst nach 8 Uhr gehen die letzten Wagen ab, mehrere hunderttausend Zeitungsblätter haben in 6 Stunden das Räderwerk des Amtes passiert und fliegen nun auf den donnernden Zügen ins Land hinaus, um teils schon morgens, teils bis Mittag, teils erst gegen Abend ihren Lesern das Neueste aus Berlin und dem Reiche zu erzählen. Gegen 500 wohlgefüllte Säcke und Massen von Paketen haben das Postzeitungsamt verlassen, bevor die Hälfte der Bewohner Berlins sich besinnt, daß es Tag ist.
Jetzt kehrt in den Sälen ein Augenblick der Ruhe ein. Die erste Ablösung trifft mit ungefähr 50 Beamten ein, die voll neuen Mutes an die Zwischenarbeiten gehen, welche in den Pausen zwischen den Hauptexpeditionszeiten zu verrichten sind. Die von den Bahnhöfen eintreffenden leeren Säcke werden gereinigt und zum neuen Gebrauch vorbereitet, Botengänge verrichtet, Fahrten nach den Zeitungsdruckereien, die fast alle in geringer Entfernung von dem Amt liegen, ausgeführt, die Maschinen zum Schneiden der 20000 Klebestreifen und Adressen, welche man täglich gebraucht, in Betrieb gesetzt, und mancherlei andere Arbeit wird noch erledigt. Auch die Versendungsabteilung bekommt noch einmal zu thun, denn im Lauf des Vormittags treffen von der Reichsdruckerei die Gesetzblätter ein, deren Auflage über 100nbsp;000 beträgt und deren Versandt ebenfalls vom Postzeitungsamt vermittelt wird. Das giebt neue Arbeit bis 1 Uhr, denn auch die Gesetzblätter wollen, gleich den Zeitschriften, in Fächer verteilt und adressiert werden, da sie sich auf 100 Eisenbahnlinien über einige tausend Postämter verteilen.
Um 1 Uhr trifft erneute Ablösung ein. Es treten 60 bis 70 Postschaffner an, um die Vorbereitungen zur zweiten und größten Postschlacht, der Nachmittagsversendung, zu treffen. Wieder ist in den Annahme-, Verteilungs- und Packräumen vieles zu ordnen, die Listen und Verteilungsbücher müssen an die 16 Versendungsstellen geschafft werden, inzwischen sind die 40 Säcke füllenden Gesetzblätter in die Postwagen zu verteilen, um später mit den Zeitungen zugleich abzugehen. Einzelne Zeitschriften treffen zu jeder Tageszeit ein, ebenso die von den Bahnhöfen kommenden Sendungen anderer Städte, die schnell noch erledigt werden, und so vergehen rasch die ersten Nachmittagsstunden. Vor 5 Uhr trifft abermals ein mächtiger Strom frischer Kräfte ein, und jetzt rollen auch schon die ersten Wagen heran und mit ihnen eine Flut von Arbeit, der die weit über 200 jetzt verfügbaren Arme kaum gewachsen sind. Der Hauptstoß erfolgt gleich um 5 Uhr. Zehn oder mehr große Blätter werfen ihre ganze Postauflage fast gleichzeitig auf den Annahmetisch. Es sind über 100 000 dicke Zeitungen; 100 Centner Papier im Laufe einer Viertelstunde! Sollte der ungeheure Tisch nicht zusammenbrechen? Nein, die Schaffner reißen sie fast so schnell fort, als die Packträger sie heranschleppen; alles schreit, zählt, kommandiert, gestikuliert und rennt durcheinander; die Arbeitskraft scheint bei jedem Einzelnen ins Uebermenschliche zu wachsen; centnerschwere Säcke fliegen wie Spielbälle. Binnen 30 Minuten jagen 8 schwere Postwagen mit 25 Säcken und 30 großen Paketen vom Hof, und in einer halben Stunde hat man sich 40nbsp;000 Exemplare vom Halse geschafft. In diesem Gewirr, das dem Uneingeweihten ein sinnloses Toben erscheint, bleibt noch Zeit, jede einzelne Zeitung, die aufgeliefert wird, nach Minute und Zahl der Auflage genau zu registrieren. Inzwischen wettert hinten der Packmeister nach schnellerer Erledigung, er möchte alle seine elektrischen Klingeln zugleich ziehen. Die Postillone bestürmen ihn um Zeitungsballen, und so schnell die Boten aus den Versendungshallen mit den schweren Säcken herangekeucht kommen, so schnell verschwinden Säcke, Ballen und Pakete in den Höhlungen von einem Dutzend stets bereitstehender Wagen. Der Andrang will vorn noch immer nicht abnehmen, bis ½ 7 Uhr sind schon gegen 100 Zeitungen und Zeitschriften mit mehr als einer Viertelmillion Exemplaren zu den Bahnen befördert. Nach 7 Uhr gehen noch mit späteren Abendzügen fast ebensoviele Blätter ab, und wenn wir nach der Beendigung des Dienstes eine Anfrage bei der Abrechnungsstelle riskieren, so erfahren wir, daß zwischen 5 und 10 Uhr fast eine halbe Million Exemplare, etwa 120 verschiedenen Blättern angehörig, eingeliefert und wieder ausgefahren worden sind. Etwa 40 Postwagen, mit 600 centnerschweren Säcken beladen, haben den Transport zu den Stadtpostämtern und den 7 Bahnhöfen vermittelt. Rechnet man aber die schon am Morgen und im Laufe des Tages expedierten Blätter hinzu, so sind innerhalb 24 Stunden nicht weniger als 1100 Säcke, rund 800 Centner, Zeitungen und andere Blätter vom Postzeitungsamt empfangen und befördert worden.
Wir fragen erstaunt, ob das Tag für Tag so geht, aber man giebt uns zur Antwort, daß wir noch einen sehr stillen Tag angetroffen haben. Es ist weder Reichstag noch Sitzung im Abgeordnetenhause, im anderen Fall würde das Gewicht der politischen Zeitungen vielleicht um 100 Centner angeschwollen sein. Es ist weder der erste noch der fünfzehnte eines Monats, sonst hätten die Monatsjournale mit ihren gewichtigen Heften und die Modezeitungen mit ihren kolossalen Auflagen noch ein gutes Stück Arbeit und Wirrwarr mehr hervorgebracht. An solchen Tagen kann die Zahl der aufgelieferten Exemplare auf eine Million oder nahe daran steigen, und es sind oft 10 oder mehr Gespanne über die gewöhnliche Zahl nötig, um den Transport zu den Bahnhöfen zu bewältigen.
So spielt sich heute ein Tageslauf auf dem Postzeitungsamt ab. Bis 10 Uhr pflegt die zweite große Versendung erledigt zu sein; es gehen alsdann keine Züge, die zur Mitnahme von Zeitungen geeignet sind, mehr ab, und was nicht mehr früh genug angeliefert worden ist, um bis zu diesem Zeitpunkt erledigt zu sein, bleibt einstweilen liegen, um am nächsten Morgen bearbeitet zu werden. Im ganzen genommen, ist diese papierne Flut, die sich von Berlin aus über das Reich ergießt, noch immer in stetem Wachsen begriffen. Seit 1825, als das damalige Zeitungsamt, welches noch von 3 Beamten und 2 Boten verwaltet werden konnte, mit der Expedition der preußischen Gesetzsammlung vereinigt wurde, ist die Arbeit unaufhaltsam angewachsen, und immer wieder war das Amt genötigt, neue Räume für seine Thätigkeit auszusuchen. Endlich gelang es, in der Dessauer Straße, in der nächsten Nachbarschaft der meisten Zeitungsdruckereien und in der Nähe von 3 Hauptbahnhöfen, einen Platz für das jetzt aufgerichtete große und würdig ausgestattete Haus zu erlangen. Wird es jetzt mit seinen technischen Vorkehrungen, seinen Riesensälen auf die Dauer genügen? 200 Beamte, ja vielleicht noch viel mehr, können hier walten, ohne sich zu stören. Aber wird das Bedürfnis nicht auch über diesen Bau hinauswachsen? – Im Jahre 1825 betrug die Zahl der Zeitungsexemplare, deren Versendung das Amt vermittelte, 3 Millionen; 1804 aber 330 Millionen. 1860 wurden im Lauf des ganzen Jahres etwa 1nbsp;400nbsp;000 Ballen verschickt, also 3900 an jedem Tage, 34 Jahre später aber das Vierfache. Wenn die Benutzung im gleichen Maße weiter fortschritte, so dürften allerdings wohl kaum 20 Jahre vergehen, bis auch das neue Postzeitungsamt für seinen Zweck zu klein wird.