Zum Inhalt springen

Ein Stündchen in Dresdens zoologischem Garten

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: F. St.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein Stündchen in Dresdens zoologischem Garten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 699–704
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[699]

Ein Stündchen in Dresdens zoologischem Garten.

Das alte Bibelwort: „Der Mensch soll herrschen über die Vögel unter dem Himmel und über alles Vieh, das auf Erden kriechet,“ hat unstreitig seine thatsächlichste Erfüllung in den zoologischen Gärten gefunden. Denn Alle sind eingesperrt und müssen gehorchen, und nur der Sohn aus Adam’s Geschlecht wandelt frei und als Herr zwischen den Gittern und Käfigen.

Auch Elbflorenz, die schöne Königsstadt, besitzt seit zwei Jahren ihren zoologischen Garten, und, wie Sachkundige versichern, einen der am schönsten gelegenen. Auf wohlgepflegten Pfaden, größtentheils im Schatten anmuthiger Parkanlagen, wandelt der Beschauer vorüber an den Bewohnern der Eismeere bis zu dem heißblütigen Könige der Wüste. Sämmtliche Thiere sind ihrer Natur entsprechend ebenso zweckmäßig wie geschmackvoll gruppirt in künstlichen Grotten und Bauen, in Zwingern, Blockhäusern, Volièren, Bassins, auf Wiesen und Weihern.

Ein prachtvoller Herbstnachmittag ruht über dem Elbthale und wirft seine goldnen Lichter durch das Laubgrün, in der Ferne duftige Berge. Die Glocken der Residenz tönen durch die stillblaue Luft. Treten wir näher.

Die ersten zwei Insassen des Gartens, die unsre Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen, sobald wir durch das Nordthor kommen, sind zwei Bewohner des Wasserreichs. Zur Linken guckt aus gefülltem Bassin der Kopf des Seehundes, oder das arme Thier liegt sich sonnend am Strande. Melancholisch schaut sein schönes treues Auge zu den Beschauern, die das Bassin umstehen und sein tiefes Heimweh nach seiner meergrünen und meertiefen Nordsee nicht verstehen. Dieses Aufbewahren des nur an salzige Meerfluth gewöhnten Thieres im beengenden Süßwasserbassin grenzt, allerdings im Interesse der Wissenschaft, an Thierquälerei. Auch hält es so ein armer Bursch für die Länge nicht aus und muß durch einen Nachfolger, den bald dasselbe Loos ereilt, ersetzt werden. Die Dauer eines Seehundes im Süßwasser währet in der Regel nicht länger, als die Regierung eines südamerikanischen Präsidenten, und es ist noch recht gut, daß der arme Nordseebewohner während seines Dresdner Daseins die unterschiedlichen Kritiken der Beschauer nicht versteht. Der Seehund ist wegen seiner dem Schönheitsgefühl wenig entsprechenden plumpen und unvollkommenen Körperform keineswegs Liebling der Damen. Wenn er so da liegt, ohne Hand und Fuß, halb Säugethier, halb Fisch, begreift man überhaupt nicht, wie er sich fortbewegen kann. Wie manch schönes Kind habe ich da ausrufen hören: „Pfui, welch ungestalt häßliches Thier!“

Gradüber dem Seehundbassin residirt ebenfalls im Bassin, aber sorgfältig hochumgittert, ein andrer Bewohner des Wasserreichs, der allerdings nicht so weit her ist, wie der Seehund, sondern ein Landsmann, die königlich sächsische Fischotter. Dieser Wassergymnast ist das gerade Gegentheil des heimwehsiechen phlegmatischen Seehunds. Ein fortwährendes lustiges Sichkopfüberinswasserstürzen, Wiederhervorkommen, den Rand des Gitters umlaufend, wieder kopfüber ins Wasser, wieder hervor und so fort, mit einer nie rastenden Lebendigkeit. Die Fischotter erfreut sich darum, sobald sie einigermaßen bei Laune, stets eines weit dankbarern Publicums als ihr träger Gevatter aus der Nordsee. Außer

[700]

Der zoologische Garten in Dresden.
Nach der Natur aufgenommen von Winckler.

[702] dieser liebenswürdigen Lebendigkeit erfreut sich die Fischotter auch noch eines so großen Respects, namentlich bei der Dresdner Kinderwelt, wie selbst der brüllende Leu im Hintergründe nicht. Diesen specifischen Respect vor der Fischotter hat die Direction des Gartens durch einfache drei Worte hervorzubringen verstanden, die sehr leserlich im Gitter angebracht sind. Anstatt in langathmigem Style die Beschauer vor dem kleinen munteren Thierlein zu warnen, lieft man einfach: Die Fischotter beißt! Diese drei Worte sind hinreichend, einer zu großen Intimität des Publicums und der Fischotter wohlthätige Schranken zu setzen. Bei keinem andern Bewohner des Gartens, selbst den reißenden Thieren nicht, findet sich diese sehr praktische Warnungsetiquette.

Wir wenden uns rechts. Da erheben sich in sonnigster Nachmittagsbeleuchtung, aus leichter Umzäunung, zwei graugelbe Massen, jede auf vier verhältnismäßig nicht zu starken Beinen stehend und einen langen Hals mit einem weniger geistreichen, aber sehr gutmüthigen Kopfe emporstreckend. Es ist das Schiff der Wüste, das Kameel, das sich von dem Bewohner des Baierlandes namentlich dadurch unterscheidet, daß es weit länger Durst ertragen kann. Zwei Höcker bilden einen natürlichen Sattel und unterscheiden das Kameel von dem nur einhöckerigen Dromedar. Bei dem Kameele weiß man in der That nicht, ob dieses Thier für die Wüste oder ob die Wüste für das Kameel geschaffen ist, so passen beide für einander. Die Füße von breiter Fläche verhindern das Einsinken im Wüstensande; die lederartige Sohle und die schwieligen Kissen am Kniegelenk ermöglichen dies Gehen und Niederknieen auf dem heißen Boden. Die Nasenlöcher sind lang und tief geschlitzt, um bei Sturm das Eindringen des feinen Wüstenstaubes abzuhalten; der Geruchssinn ist so bedeutend entwickelt, daß das Kameel Wasser und feuchte Luftströmungen Stunden weit wittert. Genügsam und mit wenig trocknem Futter zufrieden, kann es Wassermangel bis zu acht Tagen ertragen, indem ein besonderer Speichelapparat das aufgenommene Futter im Magen fortwährend bespült und so vor Durst schützt.

Welche Gedanken und Bilder gehen beim Anblick dieses in der Culturgeschichte der Menschheit so wichtigen Thieres, das die Perlen und Kaschmirshawle aus fernem Osten nach dem Abendlande trägt, durch die Seele! Das ganze alte Testament, Jakob und seine Söhne, samumumwehte Karawanenzüge, die Märchen Scheherasade’s. Wie manche reizende Houry, umschleiert und im Silbergürtel, mag von diesen unschönen lebendigen Maschinen nach den Liliengärten der Serails getragen worden sein! Diese grauen Wanderer können erzählen von den Schneehauben des Himalaya, den Veilchengefilden von Peschauer, den Rosen von Saron; sie haben vernommen aus stiller Myrthenlaube den süßen Schmerz um die von Hafis besungene Nachtigallbraut. Gutmüthig und zufrieden nahmen sie die Semmelbrocken aus der Hand des Beschauers.

In den beiden andern Abtheilungen des Kameelhauses wohnen noch zwei fremde Gäste, ein weißes Lama und ein chinesisches Schaf mit Fettschwanz und ohne Ohrenmuscheln.

Da kräht in nächster Nähe ein deutscher Haushahn mit all der ihm eigenthümlichen Energie. Die morgenländischen Phantasien zerfließen, wir fühlen uns wieder in deutscher Heimath, und nachdem der buckelnasigen Ziege und der Landsmännin des Grafen Borries, der hannöverschen Haideschnucke, einige Betrachtung gewidmet, wandern wir die ziemlich lange, aber höchst interessante Hühnervolière entlang. Das kräht, gurlt, lacht und trommelt, und welche Farbenpracht! Vom silberweißen Silberfasan mit schwarzen Wellenlinien, vom prächtigen scharlachroten Goldfasan bis zum bleigrauen Perlhuhn hat Mutter Natur ihre Farbentöpfe nicht geschont. Die Hühnervolière umfaßt in ihren 16 Abtheilungen die unterschiedlichsten Hühner-und Taubenarten, vom großgespreizten Brama-Putra bis zur bescheidenen Ringeltaube, wie sie vor dem Fenster der Pfarrerstochter von Taubenhain saß.

Der jetzt folgende Mufflonpark, die Ziegenwiese mit der Angoraziege in ihrem langen weißen Seidenhaar und der Zwergziege, der kleinsten Ziegenart, bieten mannigfache Unterhaltung.

Wir kommen zu dem Mähnenschaf, einer Perle des Gartens. Nur wenige Thiergärten Europa’s besitzen ein so auserlesenes Exemplar. Obschon Schaf, muß das Thier doch fühlen, daß es eine Rarität des Gartens. Stolz erhebt es das prächtige Gehörn und versteht durch die lang herabhangende Mähne des Halses und die natürlichen Kniemanschetten sich ein imponirendes Ansehen zu geben. Es folgen die Bezoarziegen und das Maskenschwein. An diesen im Unrath sich sielenden Schinkenfritzen hat die Natur unstreitig eine Studie liefen wollen, was sie auch auf dem Gebiete des Häßlichen vermag. Welche Stufenleiter von Thierformen liegt dazwischen, ehe die Natur der vierfüßigen Welt vom majestätischen Löwen, vom schöngeschenkelten Rosse, vom prächtigen Neufundländer und graziös gebauten Wachtelhündchen bis zu dem Maskenschweine gelangt, das seinen Namen daher führt, weit die aufgetriebene schwarze Haut des Gesichts durch starke Fleischrunzeln maskenähnlich verunstaltet ist! Die Wildschweine im Schwarzwildbau gleich daneben sind Schönheiten dagegen. Das Maskenschwein ist die Pastrana unter den Vierfüßlern, und darum ist seine Gönnerschaft eine sehr mäßige, bei dem schönen wie unschönen Geschlecht.

Es wird wieder afrikanisch. In geräumiger Umfassung wandelt der neuholländische Casuar und der Helmcasuar, stattliche, dem Straußengeschlecht angehörende Gesellen, während in einer besonderen Abtheilung die hohe Gestalt des afrikanischen Straußes selbst mit kleinem Kopfe auf langem Halse dumm in die Welt schaut. Diesem Herrn Struthiocamelus, dermalen Wittwer – er verlor im Frühjahr seine Gattin – sieht man es an, daß er das Pulver nicht erfunden, wenn es nicht von Jemand anderem wäre erfunden worden. Sein winzig Gehirn rechtfertigt vollkommen, daß er, um seinen Verfolgern zu entgehen, den Kopf in ein Loch steckt. Die federlosen nackten Schenkel, namentlich zur Mauserzeit, sind dem Bereiche der Aesthetik etwas fremd, mögen dem Strauße jedoch bei einem Wettlauf in der Wüste wohl zu statten kommen.

Wir lassen das 92 Ellen lange, sehr zweckmäßig und schön gebaute Winterhaus mit seiner lärmenden Vogelcolonie – ein wahres Hauptquartier Papageno’s – zur Rechten und stehen vor zwei Majestäten, dem Herrn Könige und Frau Königin der Thiere, die sich, da ihr Palast, der Löwenzwinger, noch nicht fertig, einstweilen mit einem bescheidenen und beengenden Absteigequartier begnügen müssen, worin sie einen Theil des Tages mit seltener Unermüdlichkeit auf und nieder laufen und sich zum Zeitvertreib anbrummen, ob aus Zärtlichkeit oder übler Laune wegen der beengenden Chambre garnie, ist schwer zu errathen. Herr Nobel zeigt sich übrigens ziemlich theilnahmlos für die Außenwelt; nur wenn von der Bärenburg her zuweilen die Stimme Brauns vernehmbar wird, erglüht das Auge des Königs vor Kampfbegier, und der energische Nacken richtet sich wild empor. Obschon die beiden Nubier noch im Flügelkleide – sie stehen im zarten Alter von drei Jahren, so daß beim Herrn Gemahl kaum der Flaum des Mähnenbartes zu sprossen beginnt –, möchte ich doch als friedsamer Wanderer auf das Vergnügen, den beiden Eheleuten, falls sie noch nicht soupirt haben, im einsamen Walde zu begegnen, verzichten.

Einige Schritte links vom Winterhause, gleichsam im Schmollwinkel des Gartens, gelangen wir abermals zu einem umgitterten Bassin, an dessen Ufer eine Rieseneidechse ausgestreckt liegt, still, unbeweglich, daß man glaubt, sie sei todt, da das Thier selbst trotz des Bombardements mit Semmelbrocken in seiner Starrheit verharrt. Es ist der Kaiman oder amerikanische Alligator, der sich blos durch eine besondere Ordnung der Zahnreihen und durch verschiedene Formen des Nackenschildes von dem Krokodile der alten Welt unterscheidet, aber außerdem alle Liebenswürdigkeiten desselben theilt. Dieser so regungslos daliegende Yankee weiß zwar nichts von den Geheimnissen des Nil, desto mehr aber von den fischreichen Fluthen des Mississippi, wo er mit seiner zahlreichen Genossenschaft ein furchtbares Heer bildet, dem nicht leicht ein schwimmendes Säugethier oder badender Mensch entgeht. Diese mumienstill daliegende unheimliche Gestalt hat es in der Mißliebigkeit seitens des verehrten Publicums noch viel weiter gebracht, als der unbehülfliche Seehund und das unrathliebende Maskenschwein. Die beiden letzteren thun der Menschheit wenigstens nichts zu Leide, von dem Alligator aber erzählt man schaudererregende Geschichten, wie er Thiere und Menschen unter’s Wasser gezogen und daselbst Arme und Beine abgefressen.

Erholen wir uns von dem unerquicklichen Anblick, indem wir an einer urgemüthlichen Kaninchencolonie und längst der geräumigen Hirschwiese, wo das braune Lama und der prächtige rothgelbe Axishirsch mit dreisprossigem Geweih weidet, den [703] Rückweg antreten nach den unterschiedlichen Weihern, welche den sonnigen Theil des Dresdner zoologischen Gartens von den Parkanlagen scheiden.

Da gleich zur Rechten zieht der schwarze Schwan, der das Sprüchwort „weiß wie ein Schwanenhals“ zu nichte macht, seine stillen Kreise, während sich zur Linken zwei Pelikane mit ihren Riesenschnäbeln und umfangreichen Kehlsäcken nach Kräften amüsiren. Sie steigen zuweilen an’s Land und unterhalten sich mit dem Publicum, das es an Fütterung nicht fehlen läßt. Wenn so ein Pelikan den Schnabel zuklappt, entsteht ein Ton, gerade so, als wenn man eine schwer schließende Schnupftabakdose scharf zuknackt.

Weiter im Hintergründe nach beiden Seiten tummelt sich und plätschert und amüsirt sich auf den unterschiedlichen Weihern ein munteres Wasservölkchen, welchem zuzuschauen eine wahre Lust ist. An den Schwanenweiher reiht sich der Weiher für die Cormorane, an welchen der Weiher für wilde Gänse grenzt, während hinter den Pelikanen, in der zweiten Abtheilung des Weihers für Reihervögel, die Rohrdommel, der Purpurreiher, die Mandarinenente und ägyptische Gans sich ihres Daseins freuen. Noch mehr ist letzteres ganz im Hintergründe zur Rechten der Fall, wo im Ententeich fast alle bekannten Entenarten auf- und niederschwimmend ihre unterschiedlichen Liebenswürdigkeiten entwickeln.

Nachdem wir die Baue der kleinern Raubsäugethiere, des Frettchens, des Stein- und Baummarders, des Iltis passirt, gelangen wir zu der hohen Aristokratie unter den Vögeln, zu der hohen und stattlichen Raubvogelvolière.

Unter allen Bewohnern des zoologischen Gartens sind nächst dem Seehunde diese Könige der Alpen, des Kaukasus, der Meere und Steppen, diese See-, Schlangen-, Stein - und Kaiseradler, diese weißköpfigen, Königs-, Mönchs- und Ohrengeier wohl am unbehaglichsten weggekommen. Es ist hier umgekehrt wie beim Menschen. Während der mittlere und kleine Bürgerstand und das Proletariat der gefiederten Welt, die gesammten Wasservögel, die gesammten großen und kleinen Stelzvögel auf freien Weihern und grünen Wiesen wie der liebe Gott in Frankreich leben, während selbst die Stubenvögel in ihren Bauern lustig auf und nieder springen und das eingestreute Futter sich wohl schmecken lassen, sitzt diese hohe Aristokratie und allerhöchste Raubritterschaft, die gern zur Sonne steigen möchte, schweigend mit zum Theil gesenkten Köpfen in ihren nicht ungeräumigen Volièren, immer auf derselben Stelle und selten durch einen Flügelschlag bekundend, daß überhaupt noch Leben in ihnen. Die allertraurigste Figur spielte, als ich ihn vor Kurzem besuchte, der Mönchs- oder Kuttengeier. In tiefer Trauer mit ganz eingezogenem Kopfe, völlig unbekümmert um das zuschauende Publicum, saß er regungslos auf seinem Aste. Er dachte wahrscheinlich über die mißliche Lage des heiligen Vaters nach.

Nachdem wir dem Dachsbau, dem Waschbären, dem Siebenschläfer, der sich vor dem Publicum sehr rar macht und selten aus seinem Häuslein hervorkommt, dem haushälterischen Hamster (beide letztere dem Geschlechte der Nagethiere angehörend) unsern Besuch abgestattet, weitet sich ein geräumiger Wiesenplan vor uns, auf welchem ein paar sehr entfernte Fremdlinge ihre abenteuerlichen Spaziergänge zum Besten geben. Es sind die australischen Kängurus, welche nächst dem Seehunde ebenfalls zu den Thieren gehören, die entweder bei der Erschaffung der jetzigen Thierwelt nicht fertig geworden, oder von der letzten untergegangenen aus irgend einem Versehen zurückgeblieben sind. Gehört dieses Känguru zu der gegenwärtigen Thierperiode, so reichte wahrscheinlich die Zeit nicht aus – und bei solchen Thierschöpfungen mögen die belebenden und formenden Niederschläge wahrscheinlich sehr rasch vor sich gehen – um die Vorderfüße völlig fertig zu bringen. Die schaffende Kraft gelangte eben nur zu einer embryonischen Andeutung. In der Eile suchte sie die Sache jedoch dadurch gut zu machen, daß sie noch einen gewaltigen Schweif zu Stande brachte, der wahrscheinlich leichter zu bewerkstelligen war, als die sauber gearbeiteten Füße. Dieser durable Schweif ersetzt auch wirklich dem Thiere die zurückgebliebenen Vorderfüße, und er ist für den schnellen Lauf – das Känguru soll der Schnelligkeit des Pferdes nichts nachgeben – von außerordentlicher Wichtigkeit. Das Känguru in seiner meist aufrechten Stellung, mit seinem gemüthlichen Köpfchen, treuherzigen Augen und sonstigen muntern beweglichen Wesen gehört mit zu den Lieblingen des Publicums.

Doch welch dumpfwilder Ton rollt an unser Ohr? Wie contrastirend mit all den Thierlauten, die wir auf unserm Weg bisher vernommen! Das müssen gar wilde Gesellen sein, die sich also vernehmen lassen. Allerdings, wir befinden uns in der Nähe des Bärenzwingers; noch wenige Schritte links, und die eben so praktisch wie romantisch erbaute Bärenburg tritt aus dem Laubgrün. Da wandeln sie, die schwarzen zottigen Bewohner der russischen und ungarischen Wälder, in ihren Käfigen ruhlos auf und ab, bald die Leiter emporklimmend, bald die furchtbar bezahnten Schnauzen durch die Eisenstäbe des Gitters zwängend. Auch hier ist fast beständige Fütterung von Seiten des Publicums, wobei man die Geschicklichkeit bewundern muß, womit die Bären mit ihren plumpen Tatzen die hingeworfenen Brocken sich zu eigen zu machen verstehen. – Die in der ersten Abtheilung des Bärenzwingers befindlichen Bären sind Russen und Ungarn, während sich in der zweiten Abtheilung in Gesellschaft des Halsbandbärs und des amerikanischen Bärs oder Baribal ein höchst gemüthlicher Ringkragenbär von der Insel Borneo befindet, der zu nicht geringer Ergötzlichkeit des Publicums sehr oft den Humoristen spielt. Sobald er in seinem glänzend schwarzen Fell mit rostrother Schnauze in aufrechter Stellung am Gitter sich mit dem Publicum unterhält und tanzt und sonst possirliche Capreolen vornimmt, hat er ganz das Aussehen eines kleinen Essenkehrers. In der dritten Abtheilung des Bärenzwingers erblicken wir den sehr respectabeln Eisbär, einen gewaltigen umfangreichen Herren, der in diesem Jahre eine Gehülfin bekommen hat. Der weiße Eisbär ist ebenfalls nicht ganz ohne Humor, zumal wenn er seine Wassergymnastik zum Besten giebt und sich rücklings kopfüber in das Bassin stürzt, daß das Wasserhoch aufspritzt. In neuerer Zeit unterhält er sich viel mit einer Art Kegelkugel, die man dem guten Manne zum Spielzeug gegeben hat, da die edle Gattin nicht immer in der Laune zu sein scheint, ihrem Herrn Gemahl die Zeit ausreichend zu vertreiben.

Wir kommen jetzt unstreitig zu dem ziemlich in der Mitte gelegenen Magnetsteine des Dresdner zoologischen Gartens, der seine Anziehungskraft nie verfehlt, ein stets heiteres Publicum versammelt und namentlich Sonntags von der lieben Jugend förmlich belagert wird. Es ist das Affenhaus mit seinem sehr geräumigen, haushohen Drahtgitter, in welchem ein paar Dutzend Meerkatzen, Paviane, lüsterne und boshafte Mandrills, sowie Hut- und Kapuzineraffen ihr theilweis possirliches, größtentheils aber fratzenhaftes und widerwärtiges Wesen treiben. Das ist ein ununterbrochenes Sichjagen, Beißen, Keifen, Klettern, Springen, Sich an Aesten und Seilen Schaukeln, das Publicum stumpfnasig Angrinsen wie in einer Teufelsküche. Es giebt da allerdings zuweilen „vertrackte Gebehrden“, geeignet, dem unheilbarsten Hypochonder ein Lachen abzugewinnen; aber Humor und Gemüthlichkeit ist trotzdem nicht in dieser heillosen Affenwirthschaft, eben weil Alles nur Fratze. Dem Bereiche der Gemüthlichkeit könnte höchstens jene nicht selten vorkommende originelle Situation angehören, wo der eine geschwänzte Gevatter den andern mit industriosem Eifer von einer garstigen Art Schmarotzerthierleins zu befreien beflissen ist und sich die erhäschte Beute auffällig wohlschmecken läßt.

In besonderen Käfigen und möglichst vor Erkältung gewahrt erblicken wir zwei Nipptisch-Aeffchen, das Seidenäffchen und das kleine Löwenäffchen. Recht niedliche Persönchen!

Außerdem beherbergt das Affenhaus einen Leoparden mit röthlichgelbem Felle und schwarz gefleckt und die aus Hund, Hyäne und Katze zusammengesetzte afrikanische Zibethkatze.

Dem Affenhause schrägüber befinden sich drei Käfige mit einheimischen giftigen und giftlosen Schlangen, eine gräßliche Gesellschaft. Unter und durch einander verschlungen, züngelt nur hier und da unheimlich ein Kopf hervor. In den wärmeren Monaten beging man die Grausamkeit, in diese Schlangen- und Höllenherberge lebendige Frösche zu setzen, die in starrem Entsetzen warten mußten, bis es einer der schlanken Damen belieben wollte, zuzulangen. Man bedenke die Lage des unglücklichen Thiers in nächster Nähe seines furchtbarsten Feindes. Unweit davon ein kleines Bassin von Schildkröten.

Nachdem wir vom Affenhause einen kleinen Abstecher nach dem Hirschparke mit seinem stattlichen Roth-, Edel- und Damwild und den so nützlichen Rennthieren unternommen, durchwandern wir den obern Theil des Parkes und kommen am Eulenhause vorüber, wo die Freunde der Finsterniß reihenweise [704] wie graue Magister dicht aneinander schweigend auf ihrer Stange sitzen oder vereinzelt in düstern Winkeln hocken, wahrscheinlich über die rationell verderbte Welt in trübe Betrachtungen versunken.

Unmittelbar neben das Eulenhaus hat die Direction sehr passend die heulenden Wölfe placirt, die in ihrem Baue hungrig und fraßgierig ruhelos auf und nieder rennen. Eine wahlverwandtere Nachbarschaft als Wölfe und Eulen kann es gar nicht geben. Wir sehen hier Lichtscheu, Scheinheiligkeit, Tücke, Bosheit mit Mordgier, Blutdurst und Feigheit vereinigt. Bei dem Anblicke dieser saubern Gesellschaft kommt dem Beschauer unwillkürlich der Wunsch, daß die Eulen und Wölfe auf kirchlichem und staatlichem Gebiet zum Wohle der Menschheit ebenso unschädlich gemacht werden möchten, wie die Eulen und Wölfe im zoologischen Garten.

Doch lassen wir die Eulen und Wölfe. Schauen wir lieber dorthin, wo auf künstlichem Fels neben künstlicher Sennhütte ein anmuthig Thierlein von herabhangendem Gezweig sich Blätter zupft. Es ist die Bewohnerin der Alpen, die Gemse, ein Geschenk des Kaisers von Oesterreich. Freilich sieht man es dem dunkelbraunen Springer mit weißlichem Kopf und rückwärts hakig gebogenem Gehörn ebenfalls an, daß er sich lieber zwischen Firnen und Gletschern erlustiren möchte, als hier auf beschränktem Raume zum Besten der Besucher des zoologischen Gartens als Merkwürdigkeit zu dienen.

Wir kommen zum Antilopenhause mit vier geräumigen Laufräumen, wo sich die stattliche Pferde-, Büffel- und die niedliche, hellfabellfarbige Irisantilope, mit Füßchen so zart wie Schaumbrezeln, in stattlichen Exemplaren zeigen.

Das Ende des Gartens ist hiermit erreicht, und wir wenden uns wieder nach Abend, passiren den Damhirschpark, die Schmuckvögelvoliére mit ihrer bunt- und schönfarbigen Bewohnerschaft, darunter den australischen Flötenvogel, der namentlich an Morgen und Abenden seine herrlich flötende Stimme ertönen läßt, aber außerdem zu den Würgern gehört, und das zierliche Malakka-Täubchen; wandern den Rehpark entlang, am Büffelhause vorbei und gelangen schließlich zu dem herrlichen Mittelpunkte des Parkes, welcher den Glanzpunkt des Gartens bildet. Es ist das die große und kleine Stelzvögelwiese. Das ist ein Leben und Treiben auf Wiese und Weiher, wie an König Nobel’s Hofe. Man weiß nicht, wo man zuerst hinschauen soll. Da stolziren feierlich gemessen hochgebaute stolze Gesellen im weithin leuchtenden feuerfarbenen Talar und mit seltsam geformten Schnäbeln. Es sind die Flamingos aus den Antillen. Da schreitet mit schön rosenroth gefärbter Wange und tiefschwarzer Stirn der Pfauen- oder Kronenkranich. Da läuft auf kohlschwarzen Beinen im schneeweißen Gewände und mit gelbem Federschopf der Löffelreiher. Da zeigt sich als schönste Zierde der Stelzvögelwiese der schlanke und in all seinen Bewegungen graciöse Jungfernkranich. Malerisch schwanken silberweiße Federn über seinem Haupte. Doch wer nennt die Namen des zahlreichen andern Völkchens der Schnepfen, Kiebitze, Brachvogel und Austernfischer, die alle munter durcheinander laufen, während die an dem einen Ende der Wiese sitzenden und sich wiegenden Papageien in fast ununterbrochenem Geschrei – als echte Schaubudenausrufer – das Publicum gleichsam zum Besuche dieses erlesenen ornithologischen Cabinets einladen.

Aber ungeblendet von der Pracht der aristokratischen Flamingos, unangefochten ob der verführerischen Anmuth des Jungfernkranichs, unbeirrt durch das marktschreierische Gebrüll der Papageien und erhaben über das leichtsinnige, unzurechnungsfähige Hin- und Wiederlaufen des seiner Beachtung völlig unwerthen Volkes der Schnepfen, Brachvögel und Kiebitze wandelt ernst und langsam, als echter Philosoph, Freund „Leisetritt“ der Storch seine gemessene Bahn, bedächtig ein langes Bein aufhebend und ebenso bedächtig niedersetzend, oder er steht stundenlang versunken im ernsten Nachdenken, regungslos, ein zweiter Säulenheiliger. Welches mögen die dunkeln Räthsel und umschleierten Geheimnisse sein, worüber der treue Dachbewohner des deutschen Landmannes nachdenkt? Ist es vielleicht die Zeit, wo er berufen sein wird, seinem deutschen Volke das Kindlein der Freiheit klappernd in’s Haus zu tragen?

Dies ungefähr ist die Physiognomie des dermaligen Dresdner zoologischen Gartens, dessen Erweiterung und Vervollständigung das fürsorgende Directorium sich fort und fort angelegen sein läßt. Der zoologische Garten ist darum schon jetzt ein Hauptversammlungspunkt der wohlhabendern und mittlern Classen Dresdens. Seine wahre Volkstümlichkeit kann aber dieses ebenso belehrende, interessante wie unterhaltende Institut erst erhalten, sobald die Eintrittspreise – wenigstens für ein paar Wochentage – derart ermäßigt werden, daß auch den wenig bemittelten Ständen der Besuch erleichtert wird.

F. St.