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Ein Sommertagebuch

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Textdaten
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Autor: Albert Fränkel
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Titel: Ein Sommertagebuch
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aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 348
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[348] Ein Sommertagebuch. Allen Respect vor der Wahrhaftigkeit Johannes Scherr’s, – sie ist uns stets einer der werthvollsten Charakterzüge dieses Autors gewesen – aber an den jetzt von ihm gemeldeten Tod seines Freundes Jeremias Sauerampfer können und wollen wir nicht glauben. Stände nicht deutlich der Name Scherr auf dem Titel des „Sommertagebuch“ vom Jahre 1872, das er im Nachlasse des angeblich verstorbenen Freundes gefunden haben will und so eben (bei Schabelitz in Zürich) herausgegeben hat, es würde dennoch jede Zeile, jede Wendung dieses Büchleins ein verrätherischer Beweis sein, daß kein Anderer als der mannhafte Geschichtskündiger in Zürich diese wuchtigen Streiche geführt, aus ureigenster Geistes- und Herzenswärme diese Blitze geschleudert haben kann. Forschen wir also nicht indiscret den Gründen nach, die Scherr bestimmt haben, bekannte Seiten und Tonarten seines Auffassens und Urtheilens hier einmal als Aeußerungen eines Anderen in die Welt zu führen. Ernstlichen Protest nur möchten wir erheben, wenn er damit gesagt haben wollte, daß der alte Freund Sauerampfer in ihm todt und begraben sei, daß er fortan verstummen und nicht mehr als ein Lebendiger zu den Lebenden sprechen solle.

Denn mehr als den wohlgedrechselten und hochtönenden Bombast, an dem wir keinen Mangel haben, brauchen wir in dem vielfach so ungeklärten, auch vielfach noch so schlummerig und mattherzig sich bewegenden Wirrsalen unserer Tage den scharfen und schneidigen Hauch solcher aufrüttelnden Prophetenstimmen, wie sie erst im vergangenen Jahre aus Scherr’s „Hammerschlägen“ durch Herz und Nieren der Nation gedrungen und wie sie jetzt wieder aus diesem „Sommertagebuch“ des Dr. Sauerampfer eine Fülle nicht blos des Genusses, sondern auch der erfrischendsten Belebung in voraussichtlich sehr weite Kreise tragen werden. Eine etwas schwarzsichtige und gallicht gefärbte Lebensanschauung? Nun ja, der Verfasser hat etwas davon, er nennt das seinen „Pessimismus“, aber wir möchten den denkenden und fühlenden Menschen sehen, der nicht respectvoll vor dieser Eigenthümlichkeit sich bewegen sollte. Denn Scherr’s mit urkräftigem Humor gepaarter Pessimismus ist keine coquette Phrase, keine frivole Blasirtheit und krampfhafte Grille; widerhaarig und abweisend, stachlig und beißend, wie er da vor uns erscheint, ist er lebendige Frucht eines großen Denkens, ist er einem unbestechlich in das Herz der Dinge eindringenden „Scharfbeobachtungsblicke“ und einem kerngesunden und goldigreinen Grunde entsprossen.

Als dieser Grund aber zeigt sich uns ein gewaltiger Haß gegen das Schlechte, das Unreife, das Narren- und Lumpenhafte, wenn es im gespreizten Lügenmantel des Guten, Berechtigten und Gereiften einherstolzirt, zeigt sich aber ferner auch eine energische Theilnahme für alles Ernste und Tüchtige, alles wahrhaft Edle, Ideale und Poetische, die oft wie lachendes Frühlingslicht das Gewölk des begründeten Zornes zertheilt und dann in hinreißend weichen und warmen Liebestönen zu unserm Gemüthe spricht. Wie sollte also nicht hochinteressant und bewegend sein, was ein solcher Originalcharakter, ein so kenntnißreicher, im Leben und Wissen erfahrener, geist- und gemüthvoller Schriftsteller beinahe vier Sommermonate hindurch ungezwungen in sein Tagebuch geschrieben hat? In kurz hingeworfenen Schilderungen, Randglossen, Bemerkungen und Urtheilen verbreitet sich das frische Buch über die verschiedensten Erscheinungen und Fragen der Zeit und des Tages. Wie bunt und mannigfaltig sich aber auch alle diese eigenartigen Aeußerungen vor uns entfalten mögen, beherrscht und zusammengehalten und sie doch sämmtlich durch den kraftvollen Grundton, die „reine und große Flamme“ einer wahrhaft heiligen Liebe zum deutschen Vaterlande, der aufjubelnden Freude über seine neu errungene Einheit und Größe. Hoffen wir also, daß Scherr mit der Trauernachricht vom Absterben dieses schwer entbehrlichen Sauerampfer nur einen kleinen Faschingsscherz gemacht, daß Sauerampfer noch lange seinen angeblichen Nachlaß überleben und uns unter diesem oder anderem Namen noch oft mit solchen Tagebüchern bis in die innerste Seele erfreuen und ergreifen wird.
A. Fr.