Ein Soldatenfürst des vorigen Jahrhunderts
„Heut’ hat er wieder seinen Aerger mit den Soldaten gehabt, da wird’s gewiß heillose Schläge setzen!“ So raunten sich die ehrsamen Bewohner der guten Stadt Halle in die Ohren, als sie an einem Wintertage des Jahres 1734 die stattliche Gestalt des fürstlichen Generals mit festem Tritte durch die Straße schreiten sahen, ein gefahrdrohendes Donnerwetter in den Mienen und Blicken. Sie wußten, daß in solcher Stimmung nicht mit ihm zu spaßen sei, und zogen sich vorsichtig nach links und rechts in die Häuser zurück. Nur Einer, ein schwarz gekleideter junger Mensch, war aufrecht mitten in der leer gewordenen Straße stehen geblieben; er hatte seinen Hut in der Hand, trat dem Gefürchteten, als dieser sich genähert hatte, in den Weg und sagte schnell und in festem Tone: „Ein Feldprediger; Ew. Durchlaucht suchen einen Feldprediger, ich bin Candidat, aber bis jetzt ohne Dienst und schier am Verhungern; vielleicht können Sie mich brauchen!“
Der Fürst stutzte über diese plötzliche Erscheinung. Aber die Wahl eines seinen Wünschen entsprechenden Feldpredigers machte ihm in der That gerade schwere Sorge, und die Dreistigkeit des armen Teufels, sein fester Blick und vor Allem seine ansehnliche Gestalt gefielen ihm. Ein paar Augenblicke lang maß er ihn schweigend vom Scheitel bis zur Sohle. Dann sagte er: „Uebermorgen bin ich auf meinem Lustschlosse Oranienbaum, dort melde
[621]Er sich Schlag acht Uhr Morgens, Punctum!“ Und damit ging er weiter. –
Als der Candidat nach einer durchwanderten Nacht beim Castellan von Oranienbaum sein kleines Felleisen ausgekramt, schnell seinen Anzug ein wenig geordnet hatte, dann in das Cabinet des Fürsten trat und diesen schon vollständig angekleidet, zu seinen Füßen den großen knurrenden Jagdhund, im Arm den gefürchteten Stock, mit dem auf ihn gerichteten unheimlich durchdringenden Blicke sich gegenübersitzen sah, da überkam ihn doch ein Gefühl zitternder Beklommenheit, als ob er in die Höhle des Tigers sich gewagt hätte. Das Gefährliche seines Unternehmens ward ihm klar. Kein Abstand konnte größer sein, als der zwischen ihm und dem allgewaltigen Manne, vor dem er stand.
„Ich habe Ihn erwartet,“ sagte der Fürst, „Er ist pünktlich und das ist schon gut; hätte Ihm auch das Gegentheil nicht rathen wollen. Nun zeig’ Er gleich, was Er gelernt hat. Ich sehe, Er hat da Papier, Zeugnisse, Empfehlungen und anderes Geschmier in der Tasche, das behalt’ Er für sich, ich kann’s nicht brauchen. Was Er sonst ist und gewesen ist, geht mich nichts an, ich will nur einen richtigen und ganzen Kerl für meine Soldaten haben. Denn so lange es Frieden giebt, sind die Canaillen des Teufels und durch alle Zucht und Strafe nicht zur Raison zu bringen; da [622] soll Er nachhelfen und ich will sehen, ob Er’s versteht. Denk’ Er sich also, ich selber sei ein solcher Bruder Liederlich, Saufer und Raufer, Ihm vom Hauptmann zu einer tüchtigen Kopfwäsche zugeschickt. Und nun stell’ Er sich dort hinter den Stuhl und leg’ Er los, Zeit habe ich nicht viel!“
Der arme, vor Hunger und Durst schier verschmachtende Candidat begriff, was für ihn an diesem Augenblicke hing, Brod und Ehre oder Schmach und Elend, vielleicht bei seinem hohen Wuchse der Soldatenrock. Der Magen klapperte immer bedenklicher und die müden Füße wankten. So begann er, sich räuspernd und den Angstschweiß von der Stirn wischend, mit matter Stimme seine Predigt. Kaum hatte er jedoch ein paar Sätze gesprochen, so war er in seinem Elemente und mit der Begeisterung wuchs auch der Muth. Und je länger er sprach, desto mehr vergaß er, wo er sich befand, bis er wirklich in dem Fürsten nur den hartgesottenen Sünder sah und dem Gewaltigen in unerschöpflicher Fülle einen so brausenden Strom der ausgesuchtesten Kraft- und Schimpfworte in’s Gesicht zu schleudern wagte, daß ringsumher die Wände erdröhnten.
Der Fürst hörte erst prüfend zu, dann verwandelte sich seine Aufmerksamkeit in sichtbare Bewunderung, zuletzt saß er regungslos in sich versunken mit gefalteten Händen da und verwandte kein Auge von dem feinen und bleichen Gesicht des jugendlichen Redners, der sich dieses Mal durch den forschenden Blick nicht stören ließ, sondern fortfuhr, ihm in allen möglichen Variationen die derbsten Wahrheiten in donnerndem Tone entgegen zu brüllen. Der Lärm wurde so stark, daß er auch in die Gemächer der Fürstin drang. Erschreckt eilte sie herbei, warf von der Seite einen Blick in das geöffnete Zimmer und stand erstarrt vor der überraschenden, ihr gänzlich unerklärlichen Scene, nicht ohne Besorgniß über den Ausgang und die unbegreifliche Dreistigkeit des seltsamen jungen Mannes; erst als derselbe geendigt hatte, trat sie eilig in die Thür und sagte: „Um Gotteswillen, was geht hier vor?“ Sie wollte Schlimmes verhüten und im Nothfalle den Zorn des Gatten beschwichtigen.
Dieser aber erwachte bei dem Anrufe aus einem Gefühl sanfter Beseligung; er war weich geworden, der Geist hatte die Form und den Ton gefunden, in der er zu ihm zu sprechen, sich ihm verständlich zu machen, nicht blos den Soldaten, sondern auch ihm selber in’s Gewissen zu greifen vermochte. So viel erfinderische, Mark und Bein erschütternde Grobheit hatte er noch von keinem Menschen gehört. Mit einem Schimmer von Milde in dem eisernen Gesicht nickte er der Gattin zu und entgegnete: „Nichts, gar nichts, mein Kind; ich habe mir blos von dem da ein paar Schmeicheleien sagen lassen, wie sie Unsereinem nicht alle Tage zu Theil werden; er hat sein Examen gemacht und gut bestanden. Und nun scher’ Er sich in die Küche und laß Er sich ein tüchtig Frühstück geben; Er ist mein neuer Feldprediger. Himmel-heilig-Donnerwetter, der Kerl versteht’s!“
Triumphirend verneigte sich der junge Mensch und stürmte hastig davon. Das Frühstück, das er sich durch seine Probepredigt verdient hatte, war ihm in diesem Augenblicke wichtiger als das neuerworbene Amt. –
So lebt das Geschichtchen von dem mächtigen Heldenfürsten und dem armen, hungrigen Candidaten seit länger als hundert Jahren im Munde des Volkes und so ist es von dem rühmlichst bekannten Theobald v. Oer in Dresden neuerdings in einem trefflichen Gemälde verewigt worden, von welchem unsere umstehende Illustration eine getreue Nachbildung ist. Mögen die Leser sich den Fürsten ansehen. Wir haben die obige drastische Scene aus seinem Leben herausgegriffen, weil sie plastischer als jede andere Einleitung die Eigenart des Mannes uns vor Augen stellt, dessen Charakterbild die nachfolgenden Schilderungen veranschaulichen sollen.
In einer Nacht des Jahres 1694 wurden die Bewohner eines der ersten Gasthäuser Venedigs durch den Lärm eines Auftrittes erweckt, dessen eigenthümlich wilde Leidenschaftlichkeit selbst die heißblütigen Italiener mit zitterndem Schrecken erfüllte. Es war in der Carnevalszeit, wo damals die imposante Königin des adriatischen Meeres sich noch in ihrem üppigsten Glanze zeigte, wo täglich das farbenprächtige Maskengetümmel in den buntgeschmückten Straßen und Häusern, der bacchantische Taumel, die tanzende und singende, zechende und brausende Ausgelassenheit eines entfesselten Volkslebens erst mit dem Grauen des Morgens erlosch, um nach einem kurzen Rasten der erschöpften Kräfte das Werk der tollen Lust von Neuem zu beginnen.
In dieser Stunde, da schon die ersten Strahlen des Tageslichts die verödeten Stätten entwichener Lust beleuchteten, kehrte ein vornehmer junger Deutscher von einem lustigen Gelage in jenes Hotel zurück und blieb betroffen und unmuthig an der Thür seines Zimmers stehen, als er in demselben den ihm zur Begleitung mitgegebenen Hofmeister noch wachend und vollständig angekleidet fand.
„Zum Teufel, seid Ihr verrückt geworden, Baron von Chalisac, was soll’s mit diesem späten Besuche?“ fuhr er, seine hohe Gestalt aufrichtend, mit herrischem und weinerhitztem Blicke seinen Begleiter an.
„Nichts als eine Erfüllung meiner Pflicht, gnädiger Herr,“ erwiderte ruhig der Angeredete; „mein Gewissen gebot mir, Sie zu erwarten, ich muß zum letzten Male meine warnende Stimme erheben. Italien ist schön und Niemand wird Sie hindern, es zu genießen, wie es einem fürstlichen Herrn geziemt; es ist aber auch eine berauschende giftsprühende Sirene für Jeden, der noch nicht ein tapferer Soldat, ein souverainer Fürst geworden gegen den Feind in seinem eigenen Blut. Gesund an Leib und Seele sind Sie hierher gekommen. Was rauh und unbändig in Ihnen war und der hohen Mutter oft tiefen Schmerz bereitete, sollte unter diesem milden Himmel, im Anblicke erhabener Natur- und Kunstschönheiten besänftigt werden. Statt dessen sehe ich in Ihnen neue Leidenschaften mit einer Gewalt erwachen, die mich erschreckt, stürzen Sie sich in den wüstesten Taumel Ihnen bisher unbekannter Genüsse, durchschwärmen in lockerster Gesellschaft, in Raufereien und wilden Orgien Ihre Tage und Nächte. Sie sind erst siebenzehn Jahre alt, mein gnädigster Herr, unerfahren, meiner Leitung anvertraut; bedenken Sie, was die Pflichten, welche Ihrer warten, was Ihre Ehre …“
Ueberrascht und mit wachsendem Erstaunen hatte der Jüngling bis dahin der an ihn gerichteten Vermahnung zugehört. Als er jedoch das Wort „Ehre“ vernahm, griff er nach seinem Degen, stampfte mit dem Fuße und ein Zug wilden Ingrimms ging über sein sonst schönes und regelmäßiges Gesicht. „Schweig’ Er, ich bin hier der Herr und Er der Knecht!“ rief er mit einer Stimme, daß die Wände des Zimmers erdröhnten.
„Verzeihung, aber ich darf nicht länger schweigen …“
„Schweig’ Er, sage ich ihm. Will Er’s versuchen, mir Ketten anzulegen? Ich habe keine tragen gelernt; ich hacke die Hand ab, die mich binden will, und wenn es des Teufels selber wäre, thue wie’s mir gefällt und höre auf, wenn ich Lust habe. Und damit gut, ich will jetzt schlafen!“
„Aber meine Instruction …“, rief der Hofmeister.
„Zeig’ Er her den Lumpenwisch, daß ich ihn zerreiße, zertrampele, in’s Feuer schmeiße. Frage nichts nach Weiberinstructionen und Weibergeplärr! Mein Vater ist todt, glaubt man mich nun kirre kriegen, in’s Joch spannen, Duckmäusern und Flederwischen ein Commando über mich geben zu wollen? He?“
Es wäre jetzt Zeit gewesen, daß Herr von Chalisac geschwiegen hätte. Denn die Gebehrden seines Schutzbefohlenen wurden mit jedem Augenblicke heftiger, eine aufsteigende Zornröthe überflog sein Gesicht und seine Züge nahmen immer mehr den Ausdruck eines gereizten Tigers an. Als daher der muthige Hofmeister noch eine Entgegnung versuchte, brach unaufhaltsam, wie glühender Lavastrom, die Flamme der Wuth hervor – ein fürchterlicher Anblick. Mit schäumendem Munde und stampfenden Füßen, bald in wieherndes Hohngelächter ausbrechend voll wildesten Grolles, bald in brüllend hervorgedonnerten Flüchen und Schimpfworten sich Luft machend, durchmaß der junge Mann erst einige Augenblicke das Zimmer, schmetterte klirrend und polternd von Spiegeln und Geräthen zu Boden, was er erfassen konnte, schlug sich mit den geballten Fäusten gegen den eigenen Kopf, riß dann, schnell entschlossen, ein geladenes Pistol von der Wand, stürzte mit gespanntem Hahn auf den Gegenstand seines Hasses zu und brüllte, kaum noch seiner Sinne mächtig, in entsetzlichem Tone: „Mensch, jetzt werde ich Dich los, jetzt schieße ich dich nieder, wie einen tollen Hund!“
Als Herr von Chalisac das bestialisch flammende Auge und die wahnwitzige Entschlossenheit in den wuthverzerrten Mienen seines Zöglings sah, trat er zwar einige Schritte seitwärts, richtete aber dann furchtlos das Haupt empor und sagte mit fester Stimme: „Thun Sie, was Ihnen beliebt, aber bedenken Sie wohl, was man sagen wird, wenn es einst in der Geschichte heißt: Prinz Leopold von Dessau hat seinen Hofmeister ermordet!“
[623] Dieser ernste Anruf blieb nicht wirkungslos. Es trat eine kurze Pause ein, der dämonisch auflodernde Zorn entflog mit den Geistern des Weines. Tief beschämt ließ der Jüngling den erhobenen Arm sinken, schleuderte das Pistol weg, umarmte seinen Führer und sagte: „Sie haben Recht, ich war, bei Gott, im Begriff, eine ehrlose That zu verüben!“
Der geräuschvolle nächtliche Vorgang hatte Horcher herbeigelockt, denen der zum Theil in französischer Sprache geführte Streit ein bis dahin streng bewahrtes Incognito enthüllte. Man wußte jetzt in Venedig, daß der junge Mann, welcher schon seit einer Reihe von Wochen in jenem Hotel wohnte und durch die straffe Derbheit seines Auftretens, so wie durch sein ungezähmt dem berauschenden Athem des südlichen Lebens sich hingebendes Jugendfeuer vielfach die öffentliche Aufmerksamkeit erregt hatte, der Sohn eines berühmten regierenden Fürstenhauses sei. Was hier in der Fremde an ihm auffiel, jene frühreife Sicherheit, das bereits scharf hervortretende Gepräge, das borstige, allen Regeln der damaligen französischen Politur spottende Ungestüm seines Wesens und Benehmens, war durch eine seltsame, an die Zeiten des ungebundensten Ritterthums erinnernde Erziehung in ihm gepflegt und entwickelt worden. Wie ein wildes Steppenroß ohne Zaum und Zügel war er in den dunklen Eichenwäldern, den stillen lichtgrünen Auen seines abgelegenen norddeutschen Heimathländchens aufgewachsen. So hatte es sein Vater, Johann Georg II. von Anhalt, der bekannte Kriegsheld und Feldmarschall des großen Kurfürsten, ausdrücklich gewollt; dem ihm spät geborenen einzigen Sohn und Thronerben sollte jeder Zwang und jede Dressur fern gehalten, seinen Wünschen und Neigungen ein Widerspruch. niemals entgegengesetzt werden. Es war daher kein Wunder, daß der kräftig und kerngesund heranblühende Knabe, der ungestraft jeder Wallung folgen durfte, schon frühe in den Räumen des alten Fürstenschlosses zu Dessau die Rolle eines trotzigen, seine Umgebungen beherrschenden Gebieters spielen lernte und selbst den Bemühungen der gebildeten Mutter, seine Wildheit durch wissenschaftlichen Unterricht zu zähmen, einen so hartnäckigen Widerstand leistete, daß es nicht möglich war, ihm neben der französischen Sprache, die er spielend erlernte, mehr als die allernothdürftigsten Schulkenntnisse beizubringen.
Hatte er aber zum Lernen keine Geduld und Neigung gezeigt, so war dagegen der im Familienblute steckende Sinn für alles Kriegerische und Militärische, für Alles, was auf körperliche Gewandtheit und Abhärtung sich bezog, um so früher in der rauhen Seele des zuchtlosen Kindes hervorgetreten. Den Uebungen der Soldaten beizuwohnen, oder selbst die Waffen zu führen und an der Spitze ausgelassener Knabenschaaren in tollen Wagnissen durch Wald und Feld zu streifen, oder zu Hause in einem heimlichen Winkel bei den alten Schloßsoldaten zu sitzen und sich von ihnen schauerliche Kriegsabenteuer erzählen zu lassen, waren die einzigen Belustigungen, denen er mit Lust und unermüdlicher Ausdauer sich hingab. Auch an den Jagden des Hofes hatte er schon vom neunten Jahre an Theil genommen und seitdem manchen Tag und manche rauhe Winternacht mit den Jägern unter freiem Himmel gelegen. Und wenn er sich gar an der Seite des Vaters in Berlin befand, wurde sein ausschließlich kriegerischer Hang in den militärischen Umgebungen am Hofe des prachtliebenden Friedrich des Ersten so heftig aufgereizt, daß er der Aufmerksamkeit nicht entging und sogar Kaiser Leopold in Wien den erst elfjährigen Knaben zum Obersten und Inhaber eines Regiments ernannte.
So war er auf den Exercirplätzen und Fechtböden, in den Forsten und auf den Reitbahnen, die Waffen in der Hand und in stetem Umgange mit Soldaten, Jagdleuten und Pferden siebenzehn Jahre alt geworden, als plötzlich sein Vater starb. Es ist nichts über die Art aufgezeichnet, wie dieser schnelle Verlust eines so liebevollen Vaters, dessen Glück und Stolz er gewesen, das Gemüth des jungen Sohnes berührt hat, aber man weiß, daß er glücklich war, die Regierung, seiner Minderjährigkeit wegen, noch einstweilen in den guten Händen der Mutter zu sehen, um ungehindert nur seiner Leidenschaft für Jagd und Kriegswesen folgen zu können. Wenn er in jener Zeit auf dem wildesten Renner, über Hecken und Zäune setzend, mit der Hetzpeitsche knallend oder mit der Büchse die Vögel von den Dächern schießend, durch die Straßen Dessau’s jagte, krochen die Bürger scheu und ängstlich in ihre Häuser zurück, um hier von einem sicheren Verstecke aus voll bangen und doch wiederum stolzen Grauens die unheimlich fremdartige Jünglingserscheinung mit dem fliegenden schwarzen Haar und dem gebräunten Antlitz zu betrachten, aus dem zwei schon ernst und streng blickende Augen mit der Gluth ungeduldiger Rastlosigkeit hervorblitzten.
Um so größer war das Erstaunen, als kurz nach dem Tode des alten Fürsten die Klatschbasen der Stadt sich einander zuflüsterten, daß der furchterregende Nimrod, den man so ganz außerhalb der Kreise gewöhnlicher Menschengefühle sich bewegen sah, von einer zarteren Empfindung, einer jugendlichen Neigung zu einem menschlichen Wesen, ergriffen sei. Das sechzehnjährige Apothekertöchterchen, dem seine Huldigungen galten, wurde fortan ein Gegenstand scheuer Beobachtung und Aufmerksamkeit. Wer jemals das jugendliche Portrait dieses Mädchens gesehen, wird sich freilich nicht wundern, daß selbst das Herz des tollsten Wildfangs von einem solchen Zauber bezwungen werden konnte. Nur selten wohl hat ein heller Verstand, ein mildes und reines Engelsgemüth einen so strahlenden Ausdruck gefunden, als in dieser edeln Gestalt, in diesen seelenvollen blauen Augen, in den schwungvollen Linien und Zügen dieses kindlich blühenden, von einer üppigen Fülle goldigen Lockenhaars umwallten Gesichts. Schon vom zartesten Alter an hatte das Bürgermädchen zu den Gespielen des Fürstensohnes gehört, man war es gewöhnt, die Kinder bei einander und Leopold oft in dem Hause des Apothekers zu sehen, ja man wußte, daß die Fürstin sogar diesen Umgang begünstige, da sie in der stillen und sanften Anna Louise Föhse das einzige Wesen fand, das auf den starren Eigensinn, den trotzigen Jähzorn des wilden Prinzen einen sänftigenden Einfluß zu üben vermochte. Daß jedoch mit den zunehmenden Jahren aus dieser kindlichen Gemeinschaft eine leidenschaftliche Liebe sich entzündet hatte, merkten die scharfen Augen der Residenzbewohner früher, als es der Arglosigkeit der fürstlichen Mutter möglich war. Leopold war nicht der Mann, der seine Empfindungen verbergen konnte.
Je rosiger seine jungfräuliche Freundin emporblühte, um so offenkundiger wurde der leidenschaftliche Eifer seiner stürmischen Bewerbungen. Man wunderte sich, wie gesagt, ihn auf Liebeswegen zu sehen, aber man fand nichts Arges darin. Denn das so hart orthodoxe, in Bezug auf seine Standesgenossen bis zur äußersten Engherzigkeit sittenstrenge Pfahlbürgerthum jener Tage wurde erstaunlich naiv und duldsam, sobald es sich um die Frivolitäten und sogenannten kleinen Vergnügungen jener Erdengötter handelte, die für ihre Person das ausschließliche Privilegium besaßen, über die unzweideutigsten Vorschriften der Religion und Sittlichkeit öffentlich sich hinwegsetzen zu dürfen. Fürstlichen Freundinnen gegenüber steckten selbst der geistliche Zelotismus und die scharfkantigste und zungenfertigste Moralität ihre Maßstäbe ehrfurchtsvoll in die Tasche, und nicht gerade häufig waren die Fälle, wo eine unbeugsame Ehrenfestigkeit adeliger oder bürgerlicher Familien den anlockenden Vortheilen widerstand, welche sich für ihre Verhältnisse und ihre Stellung aus einer allerunterthänigst gehorsamsten Willfährigkeit gegen allergnädigste Herzenswünsche eines gebietenden Herrn ergeben mußten.
Nur ein derartiges Verhältniß konnten denn wohl auch die ehrsamen Dessauer im Auge haben, als sie die Gunst ihres zukünftigen Gebieters so unverhohlen über dem Hause ihres wohlhabenden Mitbürgers leuchten sahen. Wie groß war daher das Erstaunen, als sich plötzlich eines Morgens eine unerhörte, eine unglaubliche Kunde in der Stadt verbreitete. Laut wagte man damals über Verhältnisse des Hofes nicht zu sprechen, aber auf den Bierbänken und in den Winkeln der Häuser zischelten sich die Leute mit erhitzten Gesichtern und Gebehrden der Ueberraschung heimlich in die Ohren, daß Fürst Leopold mit ansehnlichem Gefolge die Residenz verlassen habe.
Seiner schleunigen Abreise war ein heftiger Auftritt mit der Mutter vorhergegangen. Diese war eine sittenstrenge Dame und hatte es endlich gemißbilligt, daß der Sohn schon in so jungen Jahren ein unbeflecktes Bürgerhaus in den Verdacht eines leichtfertigen Verkehrs bringe. Leopold aber erwiderte, daß seinen Besuchen in der Apotheke die ehrlichsten Absichten zu Grunde lägen. Ehrliche Absichten? Und welche könnten das sein? So fragte halb spöttisch die Fürstin, so flüsterte es von den ersten Hofschranzen bis zur letzten Küchenmagd herab durch die Räume des stolzen Askanierhauses. Und selbst die geharnischten Ahnenbilder und die ernstblickenden Frauen an den Wänden schienen die Köpfe zu schütteln und in unhörbarem Geflüster die seltsame Frage zu wiederholen. Ehrliche Absichten! [624] „Ja wohl, ehrliche Absichten!“ rief Leopold, indem er mit gewaltiger Faust auf den Tisch schlug und mit jähaufflammendem Blicke Schweigen gebot. „Glaubt man etwa, daß ich ein leichtfüßiger Schönthuer und verrätherischer Schwindler bin? Die tugendsame Jungfrau Anna-Liese wird meine rechtsame Frau und dabei bleibt es!“
Alle Vorstellungen und Beschwörungen, alle Thränen, Bitten, Drohungen mütterlicher Zärtlichkeit blieben vergebens. Nur in den Vorschlag, sich wenigstens für längere Zeit auf Reisen zu begeben, willigte der Unbeugsame mit Freuden ein. Er hatte aus Büchern nichts lernen können, er fühlte, daß er aus dem großen Buche des Lebens die Lücken seines Wissens füllen müsse. Schnell wurden die Vorbereitungen getroffen, am 25. November 1693, ungefähr drei Wochen nach dem Tode des Vaters, brach er auf, beurlaubte sich bei seinem Vetter Friedrich dem Dritten und zog mit seiner Begleitung von dannen „in das ferne Land Italia“. Schon am ersten Weihnachtstage war er in Venedig angelangt, wo wir ihn in jener Carnevalsnacht eine jener Scenen wiederholen sahen, wie sie auf dem Boden seiner heimathlichen Selbstherrlichkeit nicht selten vorgekommen waren.
Ungefähr ein Jahr war seit Leopold’s Aufbruch nach Italien verflossen, als sich am 24. Februar 1695 in den damals noch sehr öden und traurigen Umgebungen Dessau’s ein kleiner Reisezug zeigte. Es war der junge Landesfürst, welcher nach vierzehnmonatlicher Abwesenheit in seine Heimath zurückkehrte. Nicht weit vom Thore ließ er halten, sprang hastig aus dem Wagen, eilte im Schneesturm durch die engen, einsamen, armselig dorfartigen Straßen und stand schon nach wenigen Augenblicken sprachlos und mit der Miene tiefster Erregung vor dem überraschten, züchtig erröthenden Bürgerkinde, das er in längerer Entfernung hatte vergessen sollen. Es muß dieses Wiedersehen ein prächtiger Anblick, eine unvergleichlich originelle und schöne Scene gewesen sein. Nur die Gegenwart der Eltern hinderte einen Ausbruch ungezügelter und rauher Zärtlichkeit. Erst als er die Geliebte begrüßt, ihr stumm und ohne ausdrückliche Betheuerung diesen Beweis unerschütterter Treue gegeben hatte, verfügte er sich zu seiner Mutter, die ihn unter Thränen heißester Zärtlichkeit in ihre Arme schloß.
Auch in dem Städtchen wurde bei der Nachricht von seiner Wiederkehr und bei seinem Anblicke eine lebhafte Freude laut. Denn so furchtbar er auch den Seinigen von früher Kindheit an gewesen, so wenig sein Zorn jemals eine Schranke, seine tobende Eigenwilligkeit eine Rücksicht gekannt, so oft er also nach allen Seiten hin beleidigt und gekränkt, erschreckt und geschädigt hatte, so lag doch wiederum in seiner derben Natürlichkeit, in der ganz seltsamen Eigenart, dem groben Humor und vor Allem in der immer dreist und fest zugreifenden Unerschrockenheit seines Wesens ein gewisses Etwas, das Bewunderung erregen und ihm das Zutrauen, ja eine aufrichtige Liebe des in Knechtssinn versunkenen, eingeschüchterten, ohnehin an Püffe und Stöße gewöhnten Musterunterthanen jener Zeit gewinnen mußte. Das wuchtige Commando, die oft spaßhaften Gewaltsamkeiten und übermüthigen Streiche des „jungen Herrn“ hatten den Leuten während seiner Abwesenheit gefehlt und sie jubelten daher und freuten sich, als sie ihn endlich wiedersahen. War er doch einer jener kraftvollen Stämme, an welche die Schutzbedürftigkeit eines ausgedörrten Bürgerthums ihr unselbstständiges, gehalt- und gedankenloses Dasein so gern zu lehnen pflegte.
Was auf der langen Reise aus ihm geworden war? Nun, die ihm näher kamen, überzeugten sich bald, daß die eigenthümlich schwere, metallartige Härte seiner Natur sich in der Ferne eher gefestigt, als gemildert hatte; er kam entwickelt, aber nicht verändert zurück, sein Wille war vielmehr noch unbiegsamer, seine Leidenschaften waren noch stärker geworden. In gründlicher Durchstürmung der Genüsse und Lustbarkeiten Italiens hatte die ganze Sinnlichkeit des vollsaftigen und schrankenlosen Jünglings sich ausgetobt. Seinen Geist jedoch auf Höheres und Ideales zu richten, ihm dort Geschmack an Alterthümern und Kunstwerken einzuflößen, hatte sich als fruchtlos erwiesen; was ihm Derartiges gezeigt wurde oder von selber sich ihm in den Weg stellte, würdigte er kaum eines Blickes. Dagegen war er auf den Reitbahnen, den Fechtböden und in den Ballhäusern Rom’s, Neapel’s und Turin’s ein steter Gast und setzte hier durch Kühnheit und Fertigkeit die größten Meister in Erstaunen. Auf der Heimreise verweilte er noch in Wien, wo er das Anerbieten des Kaisers, ihn auf den Antrag seiner Mutter zur sofortigen Uebernahme der Regierung für großjährig erklären zu wollen, mit der ganzen Keckheit des ihm eigenthümlichen Trotzes zurückwies: davon habe er nichts gewußt, er sei um seine Bewilligung nicht befragt worden und wolle deshalb mit dem Regierungsantritt nun warten, bis er wirklich einundzwanzig Jahre alt sei.
Hatte so die Mutter ihren Zweck nicht erreicht, die Last der Regierung von ihrem Herzen gewälzt zu sehen, so waren auch in anderer Hinsicht ihre Wünsche unerfüllt geblieben. Aller Glanz und alle Lust, alle ernsten und heiteren Eindrücke der Reise, sowie alle mißbilligende Vorstellungen der beunruhigten Verwandten hatten die Liebe zu „Mamsell Föhse“, wie man die schöne Louise nannte, nicht aus dem Herzen des wilden Sohnes verdrängen können. Man sah, daß die lange Trennung und der Widerstand und Widerspruch, dem sein eiserner Wille überall begegnete, die Gluth dieser Neigung nicht geschwächt, sondern nur immer mehr zu unvertilgbarer Flamme angeblasen hatten. Er wollte endlich den Gegenstand derselben sich gesichert sehen und zu seinem Verlangen und dem Zorn über die Hindernisse, welche sich demselben entgegenstellten, gesellte sich auch noch die beschwingende Macht des Argwohns und der Eifersucht.
Noch hatte bisher kein junger Mann es gewagt, sein Auge zu der holden Jungfrau zu erheben, um welche die auszeichnende Gunst des hochmächtigen Gebieters gleichsam einen geweihten und unnahbaren Kreis gezogen hatte. Scheu und ängstlich wichen ihr die Patriciersöhne des Oertchens aus; sie wußten, daß in solchen Fällen die fürstlichen Herren keinen Spaß verstanden und schon der bloße Verdacht einer Mitbewerbung Gefahr und Unheil zur Folge haben könne. Nur ein naher Verwandter der Apothekerfamilie, ein sehr gebildeter und liebenswürdiger junger Arzt, der während der Abwesenheit des Fürsten von weiten Studienreisen zurückgekehrt war, glaubte sich auch nach der Heimkehr des Letzteren an jene ängstlichen Rücksichten eines furchtsamen Spießbürgerthums nicht kehren zu dürfen; er besuchte nach wie vor das Haus des Oheims und Leopold sah ihn dort öfter, als ihm lieb war. Ob die ehrbaren Eltern diese Besuche des Neffen begünstigten und durch eine baldige Verheirathung der Tochter dem Stadtgerede und den ihrer Ansicht nach zu keinem reellen Ziele führenden Bewerbungen des Fürsten ein Ende machen wollten, ist niemals aufgeklärt worden. Genug, Leopold bemerkte mit grimmigem Mißfallen einen ganz unbefangenen, harmlosen, aber freundlich verwandtschaftlichen Verkehr zwischen seiner Anne-Liese und dem angenehmen Vetter. Ein kochender Groll gegen denjenigen, der den Muth besaß, ihm gegenüber die Rolle eines Nebenbuhlers zu [658] spielen, setzte sich in seinem Herzen fest, vielleicht genährt und geschürt auch durch aufhetzende Einflüsterungen der Höflinge, die hier endlich das geeignete Mittel gefunden zu haben glaubten, einen Bruch mit der verpönten Geliebten herbeizuführen.
So mochte er in vergeblichem Kampfe gegen wühlende Leidenschaft und heißauflodernden Zorn schon einige qualvolle Wochen verlebt haben, als er eines Tages an der Apotheke vorüberging und hier am offenen Fenster im Scheine der jungen Frühlingssonne wiederum den Verhaßten und neben ihm in heiter vertraulichem Geplauder die strahlende Gestalt Louisens sah. Dieser Anblick reichte hin, die letzte Spur menschlicher Erwägung und Rücksicht aus seinem Innern schwinden zu lassen. Von der blutlechzenden Wuth des Tigers ergriffen, stürzte er mit gezogenem Degen in das Zimmer und mochte wohl dem überraschten jungen Manne ein noch entsetzlicheres Antlitz zeigen, als es der Herr von Chalisac in Venedig gesehen. Denn der plötzlich Ueberfallene ergriff sofort die Flucht, rannte angstvoll von Zimmer zu Zimmer, bis er in einem entlegenen Gemache von dem hinter ihm herstürmenden Wütherich ereilt und ohne Erbarmen meuchlings niedergestoßen wurde.
Lautlos brach der hoffnungsvolle, kenntnißreiche Sohn einer angesehenen Familie unter diesem Gewaltstreich fürstlichen Rachedurstes zusammen, kaum ein Augenblick war von dem jähen Ueberfalle bis zur Vollführung des gräßlichen Mordes verflossen. Ein Gemurmel tiefen Entsetzens ging durch die Stadt, aber Niemand wagte es, den Zorn des Mörders zu reizen, gegen ihn aufzutreten oder überhaupt dieser natürlich straflos gebliebenen Schandthat zu gedenken, die sicher niemals wäre aufgezeichnet worden, wenn sie nicht durch mündliche Ueberlieferung im Gedächtniß der Bewohner sich erhalten hätte. Bezeichnend namentlich ist es, daß sich von dem Namen, den Angehörigen und nähern Verhältnissen des Ermordeten schon vor siebenzig Jahren bei den ältesten Bewohnern nicht die geringste Kunde erhalten hatte.
Ob Leopold selber jemals ein Gefühl der Beunruhigung oder Reue wegen dieses von liebedienerischen Schriftstellern als „Uebereilung“ und „Jugendstreich“ bezeichneten Verbrechens empfunden hat, läßt sich aus Allem, was über ihn bekannt geworden, nicht ersehen. Man weiß nur, daß er sich mehrere Tage nach Verübung desselben zur Eröffnung seiner kriegerischen Laufbahn nach den Niederlanden begab und noch in späteren Jahren über sein fast unmittelbar nach jenem Morde erfolgtes Eintreffen beim Heere also schrieb: „Es kann wohl kein Mensch begreifen, als der von Jugend auf so viel Lust zu dienen in sein wallendes Herze hat, wie ich beständig in das meinige befand, daß ich mir so vergnügt sahe, als ich es mir tausend und tausend Mal gewünscht hatte, das Glück zu erleben, was ich anjetzo völlig besaß.“
Nur seinen Zorn gegen die Hofschranzen, die ihm in Bezug auf die Unschuld der Geliebten unwahre und verdächtigende Mittheilungen gemacht, hatte er vor seinem Abgange von Dessau noch ausgelassen und hoch und theuer geschworen: „Anne-Liese wird meine Frau, und nunmehr ganz wie sie da ist, ohne adelige Zuthat!“
Wie der junge Selbstherrscher, der schon bis zu seinem achtzehnten Jahre so entschiedene Proben einer ganz bestimmten Sinnes- und Wesensrichtung kundgegeben hatte, nachher in schnellem Aufsteigen zu glänzendem Waffenruhm und beinahe unumschränkter Feldherrngewalt sich entwickeln mußte; wie aus ihm in einem fast ununterbrochenen Kriegs- und Lagerleben, in vierundzwanzig Feldschlachten und dreiundzwanzig Belagerungen, die er siegreich bestanden, allmählich jene grell individualisirte, durch grotesk ungeheuerliches Gepräge aus Hunderttausenden hervorstechende Originalgestalt, kurz jener gefürchtete und in der That auch fürchterliche Mensch geworden ist, den der gleichwohl an seine Eigenthümlichkeit sich knüpfende Volkshumor den „alten Dessauer“, den „Schnurrbart“ oder den „Schwerenöther“ nannte, wird nach den vorgeführten Scenen und Mittheilungen aus seiner ersten Jugendperiode kein psychologisches Räthsel sein. Seine Lebensgeschichte zu erzählen ist hier nicht unsere Absicht. Nur aus einigen Zügen derselben wollen wir ein Bild seiner Art, seines Charakters, seiner in mancher Hinsicht sehr denkwürdigen Persönlichkeit zu gewinnen, wollen wir uns namentlich den ungeheueren Abstand deutlich zu machen suchen, den die Gedankenarbeit eines einzigen Jahrhunderts zwischen dem Boden, auf dem wir gegenwärtig stehen, und den Culturverhältnissen eines Zeitalters gerissen hat, in welchem eine so monströse Erscheinung, wie diese, überhaupt noch möglich, ja sogar beliebt und volksthümlich war. Wir überspringen daher gleich diejenigen Jahrzehnte, welche allen bereits in dem Knaben und Jüngling so stark sich äußernden Neigungen und Anlagen den ungehindertsten Spielraum zu allseitiger Bethätigung geboten hatten, und finden den allgewaltigen Heerführer, den gefeierten Helden und Sieger von Hochstädt, Cassano, Eutin und Stralsund in jener langen Reihe von Friedensjahren wieder, unter der Regierung des friedliebenden Soldaten- und Paradekönigs seiner an kriegerische Bewegung gewöhnten, unaufhörlich nach Schlachtgetümmel dürstenden Natur so unwillkommene Schranken setzten.
Man weiß, daß er inzwischen längst auch die Regierung seines eigenen Landes angetreten, unmittelbar darauf der Geliebten seiner Jugend die allerdings frisch noch mit dem Blute ihres Verwandten befleckte Hand gereicht, sie durch Vermittlung des Kaisers zur ebenbürtigen Reichsfürstin erhoben und eine lange, glückliche, durch zahlreiche Nachkommenschaft gesegnete Ehe mit ihr geführt hat. Auch ist es bekannt, daß er sich hohe Verdienste um den preußischen Staat nicht blos auf den Schlachtfeldern erworben, sondern daß er überhaupt der erste Schöpfer und Ordner der preußischen Armee und der Begründer ihrer Kriegstüchtigkeit gewesen ist. Alle diese Erfolge hatte der junge Staat, dem er mit Leib und Seele ergeben war, nur seiner genauen Sachkenntniß, seiner niemals ermüdenden Willenskraft, der Energie seines rastlosen Feuereifers, sowie einer ganzen Reihe von bedeutsamen Erfindungen zu danken, durch welche sein militärischer Genius die Bewegung, Verpflegung, Bewaffnung und Ausrüstung der Truppen in durchgreifender Weise vervollkommnet hat. In der neuen europäischen Kriegsgeschichte glänzt unbestreitbar sein Name als ein Stern erster Größe.
Aber die Stürme und Mühseligkeiten, die Gefahren und Leidenschaften eines solchen Lebens waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Kaum jemals haben Beruf und Beschäftigung der Erscheinung eines Mannes so fest und unverkennbar ihren Stempel aufgedrückt. Die ihn in der Jugend gesehen, erkannten ihn schon nach zwanzig Jahren nicht wieder. Das blühende Roth der Wangen, der Schmelz, den jugendliche Frische über rauhe und harte Züge gebreitet hatte, war längst gewichen und hatte einer auffallenden Schwärze Platz gemacht, die von seinen Zeitgenossen theils dem Pulverdampfe, theils der rauhen Luft und der brennenden Sonnenhitze zugeschrieben wurde. Dabei war das Feuer seiner Augen nicht matter geworden, sondern stammte noch unheimlicher als früher aus diesem schwarzen und starkknochigen Gesichte hervor, dessen lebhafter Ausdruck, gleichfalls nach zeitgenössischen Mittheilungen, „zwar etwas Glückliches und Nachdenkliches, zugleich aber auch Furchtbares zeigte, dem man gern ausweichen mag“. Und in der That sah man oft Leute, selbst ganze Massen, denen er noch nicht begegnet war, vor seiner hohen, über die gewöhnliche Körperlänge hinausragenden Gestalt mit dem gewaltigen Kopfe zurückweichen, wie vor dem plötzlichen Erscheinen eines wilden Thieres. Niemand behielt leicht die Fassung, der unvermuthet von seinem Blicke getroffen wurde; man nahm den Eindruck des Schreckens mit von ihm weg, vorzüglich wenn er zu sprechen begann. Denn abgesehen von der kurzen und harten Art seiner gewöhnlich mit Flüchen untermischten Anrede hatte auch seine Stimme durch das fortwährende Befehlführen die herbe Derbheit seines ganzen Wesens angenommen, selbst wo er freundlich war und es gut meinte. „Wenn er aber in Zorn geräth,“ sagt Einer, der ihn gekannt hat, „sind seine Worte dem Donner gleich und Alles um ihn her hat zu erzittern.“ Als Erhöhung der Scheu, welche sein Anblick einflößte, wird von gleichzeitigen Berichten auch das lang und zwanglos an den Seiten herabhängende, hinten in einen Bandzopf eingebundene schwarze Haar, sowie der schwarze Zwickelbart bezeichnet, dem er einen seiner Beinamen verdankte.
Trotzdem zeigte sein Gesicht nicht immer den finsteren und tigerhaften Ausdruck. Wenn sich der Schalk in ihm regte, oder wenn ihm etwas gefiel und sein Behagen erweckte – und es waren dies in der Regel nicht die zarteren und feineren Seiten des menschlichen Lebens – konnte sich auch ein leiser Schimmer freundlicher Gemüthlichkeit über sein meistens rohes und schweigsames Wesen verbreiten. Solch’ ein Moment ist es, in dem wir ihn auf dem in unserer vorigen Nummer befindlichen Bilde finden. Um aber ganz die charakteristische Scene zu verstehen, welche auf diesem Bilde in einer so sprechenden Weise verewigt wurde, müssen wir uns erst noch einige Eigenthümlichkeiten des eisernen Alten vergegenwärtigt haben.
[659] Das Gebiet eines höheren Geisteslebens, die ganze Welt der Bildung, der Wissenschaften und Künste war dem Liebling und vertrauten Freunde Friedrich Wilhelm’s des Ersten, dem Genossen seines Tabakscollegiums in den späteren Jahren seines Lebens so fremd geblieben, als sie ihm in seiner Kindheit und Jugend gewesen. Daß er Wissenschaft und Kunst gehaßt hätte, meint einer seiner Biographen, wäre zu viel gesagt; es fehlte ihm jedes Organ dafür, er nahm gar nicht so viel Kunde von ihnen, als zu einem Hasse erforderlich gewesen wäre. Nur für die Musik, so weit sie bei Jagd und Krieg als ein wirksames Reiz- und Prachtmittel dient, zeigte er einige seltsam genug sich äußernde Empfänglichkeit. Als er am 16. August 1705 nach der furchtbaren Blutarbeit bei Cassano an der Spitze seiner preußischen Regimenter durch dieses italienische Städtchen zog, wurde ihm von den Bewohnern, die Zeugen seines Todesmuthes gewesen, ein feierlicher Empfang bereitet. Sie stellten sich in Reih’ und Glied auf und begrüßten den erst neunundzwanzigjährigen Feldherrn mit einem eigens zu diesem Zwecke componirten Festmarsche, der auf ihn und seine Schaaren eine wunderbare Wirkung übte. So mächtig hatte noch niemals ein Klang sein Inneres berührt, als die feste, kühne und anfeuernde Weise dieses Tonstückes, dasselbe wurde sofort sein Lieblingsmarsch und später ihm zu Ehren der „Dessauer Marsch“ genannt, unter welchem Namen es bekanntlich fast ein Jahrhundert hindurch den Siegesschritt der preußischen Heere begleitet und bis zum heutigen Tage in allen Theilen der Welt als eine der volksthümlichsten Melodien sich erhalten hat. Auf diese Melodie beschränkte sich Leopold’s Liebe zur Musik, es war die einzige, welche er festzuhalten vermochte und an der er sein ganzes Leben hindurch mit treuester Beharrlichkeit festhielt; ihr legte er jeden beliebigen Text unter und nur die Gewohnheit vermochte namentlich das Aufsehen abzustumpfen, das es im Anfange erregte, wenn von seinem Sitze in der Kirche aus die kriegerischen Töne des Dessauer Marsches sich in den Gesang der Gemeinde mischten, denn auch die geistlichen Lieder sang er nur nach der geliebten Leibmelodie.
Man sieht, daß des Dessauers musikalisches Verständniß dem Grade seiner anderweitigen Geistesbildung entsprechend war. Ganz ähnlich verhielt er sich zur Religion. Es ist bekannt, daß er das Reformationslied („Eine feste Burg ist unser Gott etc.“) gern hatte und es „unseres Herrgotts Dragonermarsch“ nannte. Ueber die einzelnen Glaubenssatzungen jedoch hatte er wohl niemals nachgedacht; er ließ dies dahingestellt und fand sich ohne genaue Rechnung lieber im Ganzen ab, da er über sein fortwährend gutes Einvernehmen mit dem höchsten Wesen nicht den geringsten Zweifel hegte. In Bezug auf das Volk und die Soldaten aber sollten neben dem Zuchtstocke, den Spießruthen und dem Galgen auch Religion und Kirche zur Aufrechthaltung und Befestigung der Disciplin und des unbedingten Gehorsams, zur Belebung der Tapferkeit und einer nüchternen Moralität im Heere das Ihrige beitragen. Darum eben nahm er es mit der Wahl seiner Feldprediger sehr genau, freilich, wie wir gesehen haben, in seiner Weise.
Der Rauhheit seiner Sitten, seinem Mangel an Bildung und edlerem Geschmacke entsprach im Uebrigen auch seine Lebensweise. Er liebte den Prunk nicht, war einfach in Wohnung, Speise und Trank und nur bei feierlichen Gelegenheiten sah man ihn anders als in der Kleidung des gemeinen Soldaten, ohne daß er deshalb jemals aufgehört hätte, sich als den unumschränkten Beherrscher und Gebieter seiner Untergebenen zu fühlen, zu denen natürlich auch die Bewohner seines Landes gehörten. Sein scharfzugespitzter Feudalismus sprach nicht französisch, sondern wußte die eigensüchtige Anmaßlichkeit seiner Ansprüche hinter den cynischen Formen der damaligen Volksthümlichkeit zu bergen. Dadurch ward seine Persönlichkeit dem gemeinen Manne verständlich. Heute würde von der Art seines Wohlwollens, von der oft burlesken Schonungslosigkeit seiner Herablassung und Theilnahme der ärmste Recrut, der erbärmlichste Tagelöhner sich abgestoßen fühlen.
Gewiß hat er treffliche und in Bezug auf seinen militärischen Beruf auch große Eigenschaften gehabt. Grundzug seines Wesens aber blieb eine schrankenlose, auf Durchsetzung des eigenen Vortheils berechnete, oft bis zur Unmenschlichkeit sich steigernde Gewaltsamkeit. Seinem Willen, seinem Interesse und vermeintlichen Rechte gegenüber erkannte er keinen anderen Willen, kein anderes Recht und Interesse an. Befriedigung seines Ehrgeizes, Vermehrung seines Reichthums und Besitzes waren die Zwecke, die er mit allem Scharfsinn eines guten Rechenmeisters und aller Genialität und zähen Ausdauer einer naturwüchsigen Kraft verfolgte. Schon von früher Jugend an hatte er es sich zu einer Hauptaufgabe seines Lebens gemacht, den Boden seines Landes aus den Händen der bisherigen Grundeigenthümer in seinen persönlichen Besitz zu bringen. Die Verwirklichung dieses Lieblingsgedanken war kein leichtes Werk, da zur Erreichung der Absicht eine große Anzahl Familien ruinirt und von ihrem altererbten Besitze vertrieben werden mußten. Vor solchen Schwierigkeiten schreckte aber Fürst Leopold nicht zurück. Mit einer Härte und Beharrlichkeit ohne Gleichen setzte er im Laufe der Jahre seine Pläne durch: Edelleute, Bauern und Müller, ja selbst die dürftigen Landprediger jener Zeit mußten ihm im Laufe der Jahre ihre schönen Güter wie ihre kleinen Feldstücke gegen armselige Entschädigungen abtreten, bis das Land Dessau eine in solcher Art im deutschen Reiche einzige Erscheinung war, ein Fürstenthum ohne Grundbesitzer, in dem aller Boden der Krone gehörte und die Einwohner nur noch aus Beamten, Pächtern und Gewerbsleuten ohne allen echten Wohlstand bestanden. Faustrechtliche List und Gewalt waren die Mittel, durch welche dieses allem natürlichen Rechtsgefühl Hohn sprechende Ziel erreicht wurde.
Daß Leopold für diese verarmte, von ihm ausgesogene Bevölkerung in mancher Beziehung sorgen, ihr in Fällen der Noth hülfreich sein, den ihm gehörenden Boden durch Bauten verschönern, gegen Verwüstung durch Wasser schützen, durch gute Wirthschaft verbessern mußte, verstand sich von selbst. Er hat dies mit Geschick, Einsicht und Eifer gethan, aber als eine Regententugend haben wir es ihm eben so wenig anzurechnen, wie die in der That sehr zärtliche Liebe zu seinem eigenen Fleisch und Blut. Vergebens suchen wir in den von ihm aufbewahrten Zügen nach einem Beispiel, daß er außer den Seinigen noch irgend einen anderen Menschen uneigennützig geliebt hätte. Schon Friedrich der Große hatte einen sehr scharfen und klaren Einblick in diese Seite seines Charakters gethan. Er schätzte in dem am Hofe und im Heere seines Vaters so allmächtigen Manne den heldenmüthigen Krieger, den Ordner des Heeres, den Begründer so vieler Kriegstüchtigkeit, aber den Menschen in ihm liebte er nicht, nicht seine rauhen Sitten, seinen herrischen Despotismus. Als er auf den Thron gelangte, führte er sofort eine sanftere Behandlung der Truppen ein und verbot das unmäßige Schimpfen und Schlagen. Nach dem Tode des Fürsten urtheilte er über ihn: „Der Fürst von Anhalt war ein Mann von ganzem und gewaltsamem Charakter; lebhaft und zugleich klug in seinen Unternehmungen, verband er mit der Tapferkeit eines Helden die schönsten Erfahrungen aus den Feldzügen des Prinzen Eugen. Seine Sitten waren wild, sein Ehrgeiz war schrankenlos; geschickt in der Belagerungskunst, ein glücklicher Krieger, aber ein schlechter Bürger, wäre er aller Thaten der Marius und Sylla fähig gewesen, wenn das Geschick ihm die Stellung dieser Römer gegeben hätte; Unter vielen großen Eigenschaften, die er besaß, war keine einzige, die man gut nennen könnte.“