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Ein Schauspieler

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Textdaten
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Autor: Adolf Douai
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Titel: Ein Schauspieler
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 360–363
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Deutsch-amerikanische Lebensläufe, Nr. 2
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[360]
Deutsch-amerikanische Lebensläufe.
Von Adolf Douai.
2. Ein Schauspieler.

„Nun muß der Pfarrer erzählen,“ schlug Einer aus der Gesellschaft vor, nachdem der Kaufmann geendet, und alle Augen waren auf S.… gerichtet, einen beliebten Schauspieler der Stadt, von dem allbekannt war, daß er Theologie studirt hatte und sogar Geistlicher gewesen war.

„Meint Ihr mich?“ sagte S. phlegmatisch. „Aber mein Lebenslauf hier zu Lande ist nicht der eines Pfarrers gewesen, sondern eher alles Andere. Und wenn ich alle tollen Streiche hier erzählen sollte, die mir gespielt worden sind und die ich Anderen gespielt habe, so kämen heute Abend die noch übrigen Erzähler nicht an die Reihe.“

„Immer heraus damit!“ rief’s im Chore. „Und wenn die morgende Sonne darüber aufgehen sollte!“

„Nun denn, Ihr habt’s gewollt. Die Folgen habt Ihr Euch selber zuzuschreiben. Ich will’s also nur gestehen, ich bin ein Pfaffe gewesen und in der deutsch-katholischen Bewegung diesem Handwerke, das seinen güldenen Boden hat, abtrünnig worden. Als ich in Amerika landete, überlegte ich einen Augenblick, ob ich in eine kirchliche Anstellung zurückkehren sollte. Ich wäre natürlich mit offenen Armen von der Klerisei aufgenommen worden; denn – Ihr wißt – es ist mehr Freude im Himmel über ein verlorenes Schaf, das zur Hürde zurückkehrt, als über neunundneunzig, die nicht verloren gegangen. Schließlich aber siegte in mir die Leidenschaft zur Hungerleiderei, die vertrackte Ehrlichkeit.

Das Erste, was ich that, um Verdienst und Brod zu suchen, war, daß ich die Zeitungen durchstöberte, um Arbeit zu finden. Da war nichts, was für mich paßte. Nur ganz am Ende las ich eine Anzeige, die meine Aufmerksamkeit erregte. Sie lautete: ‚Gesucht werden eine Anzahl Hunde und Katzen, das Stück zu einem bis anderthalb Dollars da und da‘. Vermuthlich – dachte ich bei mir selbst – ein Arzt, der physiologische Experimente an Thieren anstellt. Dem Manne kann geholfen werden.

Ich hatte mich mit noch einem Seereisegefährten bei einem Bekannten eingenistet, der ein paar Jahre früher eingewandert war und ein elendes Dachstübchen im deutschen Viertel bewohnte. Er hatte keine andere Schlafstelle für uns, als die Dielen, auf welchen wir, in unsere Decken eingewickelt und mit Sorglosigkeit und gutem Gewissen zugedeckt, auch ganz leidlich die erste Nacht geschlafen hatten. Wir gingen also aus, um auf Hunde und Katzen Jagd zu machen. Wir sahen nun wohl auch Hunde und Katzen genug auf den Straßen und hatten uns mit Wurst und dergleichen versorgt, um sie hinter uns her in einen unbeachteten Winkel zu locken, aber es war, als hätten diese Bestien die Absicht gemerkt und wären verstimmt geworden. Ein einziger Köter lief uns nach, den wir aber nicht wollten; denn es war ein räudiger Hund, dem Alles aus dem Wege ging. Ganz spät des Abends erst, beim Nachhausegehen, begegneten wir einem Herren, hinter dem ein hübscher Affenpinscher hertrollte. So flink stürzt sich der Teufel nicht auf eine ihm verfallene Seele, wie ich mich auf das arglose Thier, das ich mit einer mir selbst unbegreiflichen Gewandtheit in den bereit gehaltenen Sack prakticirte, mit welchem ich rasch um die nächste Ecke verschwand. Nach Hause gelangt, sperrten wir das Thier in unsers Gastfreundes Zimmer und kletterten aus einem Fenster des Hinterhauses auf ein benachbartes Dach, wo wir die Stimmen von Katzen gehört hatten. Es war eine lange Flucht von Dächern, welche hier aneinander stießen, und da gerade die Zeit war, wo auch die Katzen ein menschliches Rühren, den Gram der Liebe und die Sehnsucht nach Anerkennung durch ihres Gleichen, fühlen und darüber weder hören noch sehen, so hatten wir bald vier Katzen erobert und in unser Zimmer eingesperrt. Ein ermuthigender Anfang eines neuen Lebenslaufs! Wir legten uns auf die Dielen nieder – unser Gastfreund, ein Schriftsetzer, pflegte erst um Mitternacht nach Hause zu kommen. Die fünf eingesperrten Thiere hockten, ängstlich und jammervoll quikend, in allen [361] Ecken. Wir hatten uns vorgenommen, bis zur Nachhausekunft des Gastfreundes wach zu bleiben, damit die Thiere nicht entwischten, wenn er hereinträte. Aber ach! Die lange Jagd hatte uns ermüdet, und trotz aller Schnurren und spaßigen Erzählungen, mit denen wir uns wach zu erhalten versuchten, waren wir bald genug eingeschlafen. Wir erwachten über einem heidnischen Lärm, der im Zimmer entstand. Der Gastfreund war nach Hause gekommen und bei Oeffnung der Thür war die ganze Katzen- und Hundegesellschaft, von deren Anwesenheit er sich nicht das Mindeste träumen ließ, ihm zwischen die Beine und zur Thür hinaus gerannt. Und nun lag er der Länge nach im Zimmer – er hatte einen schweren Fall gethan, zum Glück mit dem Kopfe mir auf den Leib. Er tobte und fluchte und wir jammerten über die fünfmal einen bis anderthalb Dollars, welche uns entwischt waren.

Endlich hatte er Licht angebrannt und wir ihm den Vorfall erklärt. Indeß er sich nun brummend schlafen legte, suchten wir, die Lampe in der Hand, jeden Winkel des Hauses ab, wo sich die Flüchtlinge versteckt haben möchten. O, sie rächten sich an uns, die Bestien, für die unrechtmäßige Art, mit der wir sie uns angeeignet hatten! Glücklicherweise waren die Hausthür und alle Fenster auf den Fluren geschlossen, so daß sie nicht entwischen konnten; aber sie hetzten uns wohl zwei lange Stunden hinter sich her, treppauf, treppab, vier Stockwerke hindurch, ehe wir sie alle wieder hatten. Wir waren barfuß oder in Strümpfen, schon um bei der wilden Jagd die Hausgenossen nicht zu wecken, und so biß der Pinscher uns Beide derb in die Beine, ehe wir ihn in den Sack stecken konnten. Die Katzen zerkratzten uns Hände und Gesicht – es war ein unentgeltlicher Aderlaß, den wir uns aber doch noch lieber gefallen lassen wollten, als einen Aderlaß am Beutel. In dieses Augenblickes Höllenqualen gelobte ich mir’s heilig, nie wieder zu stehlen, meine Herren, nie wieder, und wäre es auch blos Regenschirme oder anderes halb herrenloses Gut.“

„Nun,“ unterbrach hier ein Vorwitziger „und habt Ihr ihn denn gehalten, diesen heiligen Schwur? Ihr wißt ja, der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.“

„Pst! pst!“ riefen viele Stimmen. „S. braucht keinen Beichtvater.“

Der Erzähler aber nahm eine Miene an, deren gewichtiger Ernst ungemein lächerlich zu der tiefausgeprägten Komik aller seiner Gesichtszüge stand. „Ich halte es mit Jean Jacques Rousseau und mache aus meinen Sünden kein Hehl; dafür pflege ich aber auch nicht etwa mein Licht unter den Scheffel zu stellen. Auf der Bühne gebe ich mich für das, was in der Rolle steht, überall sonst für das, was ich bin. Nein, dies war mein einziger Diebstahl im Leben, obschon ich Vieles Diebstahl nennen muß, was die Welt ehrlichen Erwerb nennt. Kurz, die Bestien waren endlich wieder eingefangen und am Morgen früh trugen wir sie an die angezeigte Stelle. Es war bei einem Apotheker.

‚Was zum Henker!‘ empfing er uns, ‚immer noch mehr Hunde und Katzen? Einhundert und elf Stück habe ich schon gestern und heute annehmen und bezahlen müssen. Ich halte mich nicht länger für verpflichtet, die mir angebotenen Thiere zu kaufen, da ich blos einige gesucht habe.‘

Wir legten uns auf’s Bitten und sagten, wir hätten kein Geld und nichts zu essen.

‚Das haben sie Alle gesagt, die mir welche gebracht haben. Wo soll denn am Ende das Geld bei mir herkommen? Die Futterkosten allein zehren ja den ganzen Ertrag meiner Apotheke auf. Ich werde ohnehin einige der wenigst werthvollen wieder in Freiheit setzen müssen.‘

Wir erzählten ihm unser Abenteuer der letzten Nacht.

Am Ende gab er uns Jedem einen Thaler als Schmerzensgeld und für unsere Mühe und bat uns, unsere Thiere nur wieder mitzunehmen, ohne sie nur angesehen zu haben. Vor der Thür setzten wir die Katzen wieder in Freiheit; aber den Hund behielten wir, als ein schönes Exemplar, um ihn anderweit zu verkaufen.

Wir postirten uns an die Ecke des Broadway und der Broomestraße, den Hund unterm Arme, und redeten jeden Vorübergehenden in unserem besten Englisch an: ‚Kaufen Sie einem Hund, mein Herr, meine Dame? Wir lassen es billig aus Noth, das treue Thier!‘

Stundenlang hatten wir so dagestanden, Niemand antwortete uns. Einigen schien der Hund offenbar zu gefallen, aber dann mochten sie sich mit einem Blick auf uns überzeugen, daß wir ihn gestohlen haben müßten, und sie gingen trotz aller unserer Bitten kaltsinnig weiter. Das Wetter war rauh, wir zitterten vor Frost und wollten schon nach Hause gehen, als ein Angloamerikaner auf uns zutrat und sagte: ‚Euern Hund mag ich nicht; aber wenn Ihr versteht, einen kranken Hund zu curiren – ich habe einen daheim.‘

‚Ich curire ihn,‘ rief ich zuversichtlich, ‚mag ihm fehlen, was da will.‘

‚So kommt mit!‘ sagte er und führte uns eine kurze Strecke, bis wir in seiner Wohnung, einem kostbar eingerichteten Privathause, ankamen. Im Erdgeschoß, neben der Küche, lag ein mächtiger Neufundländer auf einem Polster. Er war offenbar vergiftet und ich gerieth auf den gescheidten Einfall, aus der nächsten Apotheke ein derbes Brechpulver herbeizuholen. Aber als ich damit zurückkam, war es bereits zu spät. Wir quälten uns vergebens, ihm den eingerührten Wundertrank beizubringen – er starb unter unsern Händen.

‚Was bin ich Euch schuldig?‘ fragte der Amerikaner.

‚Zwei Dollars dem Manne,‘ sagte ich kühn und nahm eine doppelt wichtige Miene an.

‚Ich will Euch was sagen,‘ entgegnete er kurz, ‚ich gebe Jedem von Euch einen Dollar, aber dafür schafft Ihr mir den todten Hund aus dem Hause und der Stadt.‘

Am Ende willigten wir ein, das Verlangte für diesen Preis zu thun. Wir erbaten und erhielten noch einen alten Sack, steckten die Hundeleiche hinein und verließen das Haus.

Das Thier war schwer und die Frage war, wie wir die Bürde am schnellsten los werden könnten. Auch dafür war bald Rath gefunden.

‚Soweit ist es also mit mir gekommen,‘ seufzte ich, ‚daß ich todte Hunde begraben muß! Das dachte wohl mein Vater nicht, als er von früh auf mir’s einprägte: Junge, Du mußt einmal Generalsuperintendent werden.‘

‚Unsinn,‘ versetzte mein Camerad, der schon mehr Feuer- und Wasserproben des Schicksals bestanden hatte, freilich nicht ohne die Spuren davon in einer verdächtig rothen Nase zu behalten. ‚Was meinst Du, wenn wir ein Geschäft ganz neuer Art hier am Platze errichteten?‘

‚Und das wäre –?‘

‚Du weißt doch, Du Grasgrüner (‚Grüne‘ heißen die Neulinge im Lande), was ein Undertaker ist?‘

‚Ein Leichenbestatter, der alle mit einem Begräbniß verbundenen Geschäfte besorgt.‘

‚Richtig. Wir wollen also ein Undertakergeschäft für todte Hunde, Katzen, Pferde, Kanarienvögel und Papageien errichten. Wir werden ungeheuren Zulauf haben, denn wieviel Tausend solche Hausthiere segnen nicht in einer so großen Stadt alle Jahre das Zeitliche und die Eigenthümer wissen nicht, wohin sie mit der sterblichen Hülle ihrer Lieblinge sollen. Wir aber wissen es, wir machen Guano davon, der Centner vierzig Dollars werth, und lassen uns außerdem die Wegschaffungsgebühren theuer bezahlen.‘

‚Weißt Du was,‘ rief ich ärgerlich, ‚hier hast Du gleich den Hund. Mache Guano daraus, soviel Du willst. Ich habe meine Hälfte davon weit genug getragen.‘ Und ich warf ihm das Bündel in die zum Gesticuliren erhobenen Arme.

‚Und da denkst Du wohl,‘ rief er mit hochkomischem Pathos, ‚ich soll meine Hälfte tragen bis an’s Ende der Welt oder bis die Guanofabrik fertig ist? Du irrst, paß’ auf, was Erfindungsgeist vermag!‘

Wir waren an der Ecke der Bowery angelangt. Ein Milchmann fuhr mit leerem Wagen hurtig heimwärts. Wie der Blitz hatte mein Gefährte das Bündel in den Wagen hineingeworfen und ging davon triumphirenden Blickes. ‚So rasch,‘ sagte er, ‚kann man in Amerika einen Dollar verdienen.‘

Der Milchmann aber mußte den Fall des Bündels auf den Boden seines Wagens gehört haben. Ohne im Fahren innezuhalten, drehte er sich langsam mit dem Oberleibe um, erblickte das Bündel und – fuhr mit verdoppelter Geschwindigkeit davon.

‚Siehst Du,‘ sagte mein Gefährte, ‚nebenbei habe ich noch einen Menschen glücklich gemacht. Der brave Kerl meint gewiß Wunder, was für eine Bescheerung ihm da geworden ist.‘

‚Und wenn er den todten Hund findet?‘ sagte ich mit vor krampfhaftem Lachen unterbrochener Stimme.

[362] ‚Nun, so macht er Guano daraus an meiner Statt,‘ versetzte er mit einer so philosophischen Ruhe, daß mir vor Lachen die Thränen in die Augen traten.

Denselben Abend – er bleibt der denkwürdigste in meinem Leben – kam ein großer Entschluß in mich, welcher mir für alle Lebenszeit meine Laufbahn ebnete. In dem Wirthshause, in welchem wir nach löblicher altdeutscher Sitte einen Bruchtheil des Verdienstes dieses Tages der Fortuna opferten, trafen wir den Theaterzimmermann des New-Yorker Stadttheaters. Wir wurden kraft der Tugenden des Gerstensaftes sehr bald gute Freunde, und er erbot sich dazu, mir einen angenehmen Abend zu verschaffen, indem er mich hinter die Coulissen mitnähme, den einzigen Platz im Theater, auf welchen er Freibillets ausstellen könne.

Der Zufall wollte, daß ‚Rochus Pumpernickel‘ von Kotzebue gegeben wurde, ein Stück, in welchem ich daheim im lieben deutschen Vaterlande auf einer Liebhaberbühne schon mitgespielt hatte, und zwar in der Rolle des ersten Helden. Das kam mir jetzt zu Statten. Als ich nämlich so hinter dem Proscenium stehe, dem Beginn des Stückes entgegenharrend, höre ich den Regisseur entsetzlich fluchen. ‚Und das sagt der Bursche jetzt erst? jetzt, wo wir das Stück nicht einmal mehr abbestellen und ein anderes dafür aufführen können?‘

Ich trete hervor und erkundige mich, was es giebt.

Was es gab? – Je nun, der Darsteller des Rochus Pumpernickel war so schwer betrunken, daß er eben in der Garderobe außer Stande befunden worden war, sich in sein Costüm zu werfen. Einen Stellvertreter innerhalb des Darsteller-Personals gab es bei den damaligen so beschränkten Mitteln des New-Yorker Stadttheaters nicht. So erbot ich mich denn, die Rolle zu geben. Man machte große Augen und wollte meinen Namen wissen. Ich setzte mich auf’s große Pferd und rief: ‚Fragt mich nachher, wenn ich den Rochus Pumpernickel gespielt habe, wer ich bin!‘ Diese wenigen Worte in der Art, wie sie gesprochen wurden, haben mein Glück gemacht. Jeder der Anwesenden war sofort überzeugt, in mir stecke incognito eine der europäischen Theaterberühmtheiten. Man fragte nicht länger, man führte mich in die Garderobe.

Im dritten Acte, von wo an die Hauptthätigkeit der Titelrolle beginnt, kommt bekanntlich Rochus Pumpernickel auf einem Esel in die Residenz geritten. Die Regie des Stadttheaters hatte für einen wirklichen Esel gesorgt, um ihrem Publicum desto mehr Lachstoff zu geben. Der Esel war schon bei Tage durch eine Hinterthür auf die Bühne gebracht worden, um sich einigermaßen an scenische Darstellungen zu gewöhnen. Da aber der Weg auf die Bühne über eine kurze Treppe führte, hatte man die Unmöglichkeit bald eingesehen, ihn in so kurzer Zeit auch noch Treppen steigen zu lehren, wogegen er äußerst halsstarrig Protest einlegte, und hatte ihn über eine hölzerne Thür heraufgebracht, welche über die Treppe gelegt worden war. Dabei war es schon aufgefallen, wie hoch er die Beine hob, als ob er wüßte, daß die Treppe dennoch vorhanden wäre. Seitdem hatte er hinter dem Proscenium angebunden gestanden.

Die große Scene kommt denn endlich, wo ich, auf dem Rücken dieses Pegasus sitzend, vor dem New-Yorker deutschen Publicum erscheinen soll. Eine feierliche Stimmung überrieselte mich eiskalt vom Nacken bis zum Knie. Ich setze meinem Esel die Fersen in die Flanken. Umsonst – er rührt sich nicht. Ich streichle ihn, ich rede ihm zu, ich gebe ihm gute Worte – er geht gerade zwei Schritt, so daß er mit Kopf und Oberleib vor die Coulisse und in’s Gesichtsfeld des Publicums tritt. Hier in der Fülle des Gaslichts und unter dem dröhnenden Gelächter der Zuschauer geht ihm sein bischen Vorrath von Muth aus, und er setzt die Vorderbeine weit vorwärts, die Hinterbeine weit hinterwärts, als wollte er sagen: ‚Bis hierher und nicht weiter!‘ Ich jucke ihn an den Ohren und komme dadurch ebenfalls hinter der Coulisse hervor zum Vorschein, ich kitzle ihn, ich sporne ihn – vergebens. Da steht er, ein stummer feierlicher Protest gegen Alles, was mit ihm vorgenommen werden soll.

Auf einen Wink des Regisseurs eilen zwei Theaterdiener herbei und ergreifen den resignirten Esel vorn am Gebiß, um ihn an’s Lampenlicht zu ziehen. Zwei andere ergreifen die nächsten besten Prügel und bearbeiten seine Kehrseite mit erschütterndem Nachdruck.

Man denke sich an die Stelle des Publicums, dessen Ungeduld durch das lange Ausbleiben des erwarteten Titelhelden aufs Höchste gespannt ist! Es erblickt vor sich einen halben Esel und ein entsprechendes Stück von mir. Es sieht die verzweifelten Anstrengungen der Theaterdiener vorn, es hört die gewichtigen Schläge hinten, welche den Zauber vergebens zu lösen suchen. Eine ungeheure Heiterkeit erfaßt die ganze große Versammlung. Das Gelächter wächst und wächst bis zum Sturme, bis zur Raserei. Endlich, endlich gelingt es den vier Nothhelfern und verschiedenen andern Verbündeten, den Esel bis zur ganzen Länge hervorzuschieben. In diesem verhängnißvollen Augenblicke öffnet er seine Kinnbacken mit einem Ausdruck, der ebenso viel beredte Klage über die ihm widerfahrene Mißhandlung als stolzes Bewußtsein über die Heldenthaten, welche schon Simson mit einem Eselskinnbacken zu vollbringen vermocht, darzulegen scheint, zu einem volltönenden Yah!

Es ist kein Gelächter mehr, es ist ein allgemeines Wiehern im Publicum. ‚Herr Jeses, ich sterbe vor Lachen!‘ tönen drei, vier Stimmen im hohen Discant durch das donnernde Gebrüll. Auch der Ernsteste, der bis dahin noch an sich gehalten haben mochte, mußte in dieses Gelächter einstimmen, als jetzt der Esel, offenbar durch den allgemeinen Beifall ermuthigt, das Improvisiren beginnt. Er hebt, stolz an den Souffleurkasten vorschreitend, ein Bein um das andere zu einer solchen Höhe, daß man denken sollte, er ginge auf Wolken. Er traut offenbar dem hohlen Breterboden nicht, und indem er dröhnend jeden Fuß niedersetzt, gähnt er ein Yah um das andere.

Selbst ein weniger genügsames Publicum als das New-Yorker hätte sein inniges Vergnügen an diesem Impromptu haben müssen. Hier aber kannte das Entzücken keine Grenzen. So gut hatte sich im Stadttheater noch Niemand amüsirt. Das Lachen wirkte ansteckend. Ich selbst, die Theaterdiener, die mich noch umstanden, und alle Mitspieler hinter den Coulissen, wir brachen in ein Gejohle aus, welches kein Ende nehmen wollte. War hier und da ein Theil der Zeugen im Lachen erschöpft, so begann ein anderer mit frischem Athem von Neuem, bis endlich eine ganze Anzahl der Frauen ihre Sitze verließ, um anderswo sich von der Anstrengung des Trommelfells zu erholen.

Endlich war die Ruhe wiederhergestellt; endlich konnte ich fortspielen. Ein Stümper müßte an meiner Stelle nach einer solchen Einführung ungewöhnlich Gutes haben leisten können. Ich, der auf den Bretern kein Neuling mehr war, wurde dadurch in eine so gute Laune versetzt, daß ich diesmal mich selbst übertraf und bei jedem Abtreten hinter den Coulissen von den Kunstgenossen mit aufrichtigen Glückwünschen empfangen wurde, die sich schließlich zu einer Art Begeisterung steigerten.

Das Stück war vorüber, und der Regisseur kam, Hand in Hand mit dem Bühneneigenthümer, auf mich zu, um eine feierliche Ansprache an mich zu halten:

‚Wer Du auch sein mögest, unbekannter Künstler, Du bist der Morgenstern einer neuen Aera für unsere Bühne. Sei willkommen, Komus, in unserer Mitte!‘

Ich hielt für gut, mein Incognito noch lange beizubehalten. Ich spielte es aber geschickt und war bereits ein erklärter Liebling des New-Yorker Publicums in allen komischen Rollen, ehe ich meinen wahren Namen, und daß ich noch nie für Geld gespielt habe, zu entdecken wagte. Dieser Unverschämtheit – oder wie Ihr’s nun nennen wollt – verdanke ich meine Stellung im hiesigen Bühnenleben. Ich bin wie Minerva in die Bühnenwelt hereingesprungen, nicht weil ich eine Minerva wirklich wäre, aus dem Haupte des Zeus entsprungen, sondern weil ich – obschon bei meiner Geburt nicht gerade auf den Kopf gefallen – durch den merkwürdigsten Zufall in der Welt im rechten Augenblicke meinen rechten Wirkungskreis angewiesen bekam, so daß ich an meiner Bestimmung nicht mehr irre werden konnte.“

Der Erzähler lehnte sich hier in die Sophakissen zurück, als wäre er fertig.

„Nichts da!“ rief Einer aus dem heiteren Kreise. „Sie müssen uns noch erzählen, wie Sie zu Ihrer Frau gekommen sind; denn das ist nicht das Uninteressanteste an Ihrem hiesigen Lebenslaufe.“

Er weigerte sich dessen anfänglich, weil er seine Frau nicht vorher um Erlaubniß gefragt habe, ob er dieses ihr Geheimniß ausplaudern dürfe. Aber das half ihm nichts. Die Erlaubniß, hieß es, könne er hinterher einholen; deren sei er bei einer so vortrefflichen Frau ohnehin sicher. Kurz, er mußte wiederanknüpfen.

„Ich hatte den Petrucchio in Shakespeare’s ‚Zähmung einer bösen Sieben‘ gegeben, als ich mit der Stadtpost ein duftendes Billetchen enthielt, welches ungefähr also lautete:

[363] ‚Der Dichter hat sich’s mit der von Ihnen gestern dargestellten Zähmung einer bösen Sieben ziemlich leicht gemacht. Das Kunststück dürfte in dieser Weise bei mancher Anderen nicht anschlagen. Bei mir z. B. schwerlich. Die Art, wie Sie den Petrucchio gaben, muß in meinen Augen eine Verbesserung des Dichters genannt werden, wenigstens der auf englischen Theatern üblichen Auffassung dieser Rolle. Ich möchte mit Ihnen darüber ein Weiteres reden und erwarte Sie zu diesem Behufe morgen Nachmittag um drei Uhr zu Hause zu finden.

Eine alte Theatergängerin.‘

Nun bangte mir erbärmlich vor dieser Zusammenkunft. Gewiß eine alte, grundhäßliche, halb übergeschnappte Kunstenthusiastin, die Dich langweilen und sich die Zeit vertreiben will, – dachte ich. Allein ausweichen durfte ich ihr nicht, da die Beliebtheit eines Schauspielers mitunter durch Intriguen im Publicum gefährdet werden kann. Wer beschreibt also mein Erstaunen, als zur festgesetzten Zeit ein bildhübsches, wenn auch nicht mehr ganz junges Mädchen bei mir eintritt! Ich war in der äußersten Verlegenheit, zumal die bescheidene Einrichtung meiner Wohnung mich beschämte. Diese meine Verlegenheit wuchs von Secunde zu Secunde, als ich an den ersten Tönen ihrer warmen wohlklingenden Stimme merkte, daß sie trotz alles angezwungenen Muthes leise zitterte.

‚Sie werden wissen wollen, wer so ungesucht bei Ihnen vorspricht,‘ sagte sie, indeß ich sie auf meinen einzigen Polsterstuhl geleitete, während ich mich auf einem Holzstuhle ohne Rückenlehne niederließ, um dadurch zugleich eine schwache Seite meines Haushaltes zu verdecken.

‚Gewiß, wenn ich so unbescheiden sein darf.‘

‚Ich bin eine in Amerika geborene Deutsche, die frühzeitig ihre Eltern verloren und deswegen eine ganz englische Erziehung genossen hat. Wenn ich mein bischen Deutsch nicht ganz vergessen, vielmehr recht lieb gewonnen habe, so verdanke ich das Ihnen.‘

‚Mir? – Sie machen mich schamroth.‘

‚Ihnen. Seit ich Sie, schon bei Ihrem ersten Auftreten hier, gesehen habe, versäumte ich keine einzige Ihrer Darstellungen, weil meine Muttersprache aus Ihrem Munde mir so viel besser klang als das Englische und weil Ihre Auffassung Shakespeare’scher Charaktere mich eine über die landläufige englischer Schauspieler weit erhabene dünkte. Seitdem studire ich Deutsch mit Leidenschaft; seitdem bin ich – ein gewiß seltener Fall unter den eingebornen Deutschen – stolz darauf, eine Deutsche zu sein.‘

‚Sie haben Grund dazu, mein Fräulein. Die deutsche Nation ist trotz aller ihrer großen Schwächen dennoch die erste in der Welt.‘

Wir schwärmten eine lange Stunde in Patriotismus und Kunsterinnerungen. Ich Esel merkte noch immer nicht – so unglaublich das Ihnen auch vorkommen wird – daß das hübsche Kind in mich verliebt war. Ich hätte ihr wenigstens drei Viertel des Weges zur Erklärung dessen entgegenkommen sollen, und ich erschwerte ihr dieselbe auf eine unverantwortliche Weise. Aus meiner unbefangenen Art mit ihr zu reden mußte sie natürlich am Ende schließen, daß mein Herz vergeben sei, und so beurlaubte sie sich endlich mit dem großmüthigen Anerbieten ihrer Geldmittel, welche sie mir unbeschränkt zur Verfügung stellte, da sie an irdischen Gütern hinlänglich gesegnet sei.

Auch das wird Ihnen unglaublich vorkommen, daß ich von diesem Anerbieten Gebrauch machte. Ich wollte gern eine Kunstreise durch Nordamerika und Deutschland machen, um mich dabei in meinem Fache zu vervollkommnen, und ich nahm die Mittel dazu von ihr an. Bei den zahlreichen Zusammenkünften unter vier Augen, die ich vor meiner Abreise mit ihr hielt, hätte man eine allmähliche Annäherung an einander erwarten sollen, die von selbst zur Liebeserklärung führte. Aber sie beherrschte sich von nun an meisterhaft, und ich lebte ausschließlich in meinem Kunsteifer, und da sie einen so reichausgebildeten Geist hatte, gab es immer zwischen uns Gesprächsstoff genug, der als Blitzableiter der Liebesleidenschaft dienen konnte, so daß ich nur die reine Wahrheit ausspreche, wenn ich sage, wir waren am Ende weiter von einander entfernt als am Anfange. Ich war anderthalb Jahre auf Reisen. Ich kehrte zurück und fand in ihrer Gesellschaft öfter einen jungen Kaufmann, der ihr offenbar den Hof machte, und mit dem sie ein klein wenig schönthat.

‚Alice,‘ sagte ich endlich zu ihr, und die Gluth der Eifersucht stieg mir in die Wangen – ‚so oft ich den Gecken bei Ihnen sehe, ist mir, als müsse ich ihn kopfüber zur Thür hinauswerfen.‘

Sie sah mich eine lange Weile stumm an und Ironie und Erstaunen schienen in ihren Zügen abzuwechseln. Endlich war sie ihrer Sache gewiß und sagte trocken: ‚Ei, warum thun Sie’s denn nicht?‘

Da fiel mir’s wie Schuppen von den Augen. Ich wurde glühendroth. Ich schlug mir mit der geballten Faust vor den Hirnschädel, als wenn ich sagen wollte: O du Mammuth von einem Dummkopf! O du Leviathan von einem Gimpel! O du Nonplusultra eines blinden Hessen! Dann erst gewann ich die Sprache. ‚Erst heute wage ich, Ihnen, Alice, gegenüber an Liebe zu denken!‘

‚Und ich koche für Dich Eisberg schon seit Jahren wie ein Vulcan!‘ rief sie schalkhaft. ‚Ich glaube gar, wenn ich nicht mit dem Stutzer ein wenig Komödie gespielt hätte, Du wärest nie in Fluß gekommen!‘

‚Das aber will ich jetzt mit einem Male nachholen!‘

Die Sündfluth feuriger Liebeserklärungen, mit der ich nunmehr dieses Gelübde erfüllte, gehört jedoch nicht hierher. Der Vorhang fällt, sobald das Jawort gefallen und das wahre Stück des Lebens geht erst an, wenn das Vorspiel, das gewöhnlich allein auf die Breter kommt, die die Welt bedeuten, geschlossen ist.“

Soweit unser Komiker.