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Ein Pygmäen-Theater

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Textdaten
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Autor: Hermann Pilz
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Titel: Ein Pygmäen-Theater
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 156
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Theatergruppe von Kleinwüchsigen
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Ein Pygmäen-Theater.

Mit Illustrationen nach Photographien im Verlage von Pflaum u. Co., k. k. Hofphotographen in Berlin.

Mignon mit ihrer Soldateska.

Die Welt hat schon oft große Schauspieler gesehen, die leider recht kleine Künstler waren, gegenwärtig kann sie einmal die umgekehrte Erfahrung machen und kleine Schauspieler betrachten, die in ihrem Fache groß sind. Seit mehreren Jahren hat sich ein kleines Völkchen von Schauspielern zu einem Ensemble vereinigt und unter dem Namen der „Liliputaner“ im In- und Auslande Theatervorstellungen gegeben, die überall Sensation erregten und den Miniaturkollegen unserer berühmten Helden der Posse und Operette Lorbeerkränze einbrachten, hinter denen sie selbst verschwanden, wie Lichtwer’s „Kleiner Gernegroß“ im väterlichen Hute. Wohl zeigten sich schon in früherer Zeit auf Messen und Märkten geniale Zwerge, die angestaunt wurden, als ob sie Gulliver von seinen Reisen mitgebracht hätte, und die aus ihrem körperlichen Taschenformat goldenen Nutzen zu ziehen wußten, aber die Neuzeit hatte sich nach und nach gegen das Schauspiel dieser „menschlichen Phänomene“, wie sie die große Glocke der Reklame ausrief, abgekühlt, und sie mußten sich seitdem in Marktflecken und auf Dörfern mit ihren winzigen Leibesdimensionen um kargen Sold „groß thun“. Was den Einzelnen aber versagt blieb, gewann eine ganze Gesellschaft von Zwergen wieder, und die „Liliputaner“, welche sich nach und nach zu einem Zwergensemble von neun liebenswürdigen Köpfchen vereinigt haben, ernten in Berlin, Chemnitz, Leipzig, wo sie gegenwärtig im „Krystallpalast“ die „Kleine Baronin“ zur Aufführung bringen, kurz überall, wo sie ihre Füßchen hinsetzen, reichen Applaus, so daß sie unter den reisenden Virtuosen schon, wenn uns der Ausdruck gestattet ist, mit „ins Gewicht fallen“.

Ida Mahr und Selma Görner.

Die kleinen, liebenswürdigen, anmuthigen Kobolde, die es gewagt haben, die hohen Stufen zum Tempel Thaliens hinaufzutrippeln, spielen aber auch mit einer Verve und Würde, mit einer so ergötzlichen Drolerie, daß ihren Vorstellungen, mögen sie nun „Robert und Bertram“, „Lumpaci Vagabundus“ oder „Schneewittchen“ von ihrem Repertoire auftischen, immer reiches Interesse gezollt werden wird. Man glaubt die geschäftigen Heinzelmännchen, wie Kopisch sie besungen hat, auf den weltbedeutenden Brettern agiren zu sehen, und unter normalen Verhältnissen würden einzelne der modernen Pygmäen, die freilich nichts von der elementaren Kraft der mythologischen Zwerge und Wichtelmännchen besitzen, wirklich bemerkenswerthe schauspielerische Kräfte geworden sein. Es sei uns gestattet, die Mitglieder des Zwergtheaters hier mit Namen vorstellen zu dürfen; sie selbst werden es uns gewiß gern verzeihen, wenn wir dem Namen indiskreter Weise Alter und Größe hinzufügen, denn letztere spielen ja bei diesen Nachkommen des „huldrevolks“ der Gattin Odin’s selbstverständlich die Hauptrolle. Die begabtesten der kleinen Truppe sind unstreitig Selma Görner, 21 Jahre alt und 105 Centimeter hoch, Ida Mahr, 19 Jahre alt, 108 Centimeter hoch, und der lustige Komiker Franz Eberl, das Nesthäkchen der Truppe, 19 Jahre alt und 88 Centimeter hoch. Neben ihnen lassen Johannes Wolf, 40 Jahre alt und 106 Centimeter hoch, sowie Ignaz Wolf, 28 Jahre alt und 96 Centimeter hoch, ihr schauspielerisches Licht besonders leuchten, und auch die übrigen kleinen theatralischen Nippfiguren, Minna Mignon, 22 Jahre alt und 117 Centimeter hoch, Bertha Jaeger, 17 Jahre alt und 103 Centimeter hoch, Max Walter, 23 Jahre alt und 111 Centimeter hoch, und schließlich Hermann Ring, 23 Jahre alt und 104 Centimeter hoch, vollbringen mit Fleiß und Routine, was „in ihren Kräften“ steht. Es macht zwar auf manchen Theaterbesucher einen verzweifelt komischen Eindruck, wenn die kleinen, fidelen Bürschlein mit edler Grandezza über die Bühne marschiren, die Beredsamkeit eines miles gloriosus beim Bericht ihrer Heldenthaten entfalten oder gar in den Liebesscenen praktisch zur Anwendung bringen, was Madame Amour sie gelehrt hat, aber wer einmal näher mit dem Zwergvölkchen verkehrt hat, der wird auch wissen, daß ihr Herzchen ebenso heiß zu fühlen versteht, wie das Herz von uns „Riesen“.

Ignaz und Johannes Wolf nebst „Hänschen“.

Der große und der kleine Mime (Franz Ebert).

Unsere Bilder zeigen die flotten Akteure in einzelnen Scenen aus der bereits genannten Posse von Groß „Die kleine Baronin“, ein Stück, das ihnen „auf den Leib geschrieben“ und trotzdem von ziemlicher Länge ist. Da präsentirt sich die kleine Baronin, Fräulein Mignon, mit ihrer Soldateska im schneidigen Parademarsch, da lehnen sich die beiden lustigen Soubretten, Fräulein Ida Mahr und Fräulein Görner, die Eine als flottes Stubenmädchen, die Andere als Oekonomie-Inspektor, traulich an einander, nachdem sie sich ihr Herz entdeckt haben, und dort schreiten gravitätisch Ignaz und Johannes Wolf als Kutscher Knicker und Koch Josef mit Hänschen, dem „Riesen“, auf der Suche nach der entflohenen Baronesse einher. Auf dem letzten Bilde endlich mißt sich Herr – das Epitheton klingt fast zu stolz für den kleinen Kobold – Franz Ebert mit dem genannten „großen Mimen“, dem er nicht allzu viel übers Knie reicht und doch künstlerisch „gewachsen ist“.

In keinem der lustigen Gnomen macht sich ein krankhafter Zug bemerklich, und die medicinische Weisheit, daß Zwerge selten über 30 Jahre alt würden, macht der Senior der Gesellschaft Johannes Wolf, der bereits 40 Lenze zählt, zu Schanden, wie sie schon seiner Zeit durch die berühmte 86 Centimeter hohe Zwergin Anna Therese Sonbrey aus den Vogesen, die 64 Jahre alt wurde, hinfällig gemacht worden ist. Uebrigens präsentiren sich die „Liliputaner“ trotz ihrer Kleinheit immer noch in mittlerer Statur unter ihres Gleichen, denn die Geschichte berichtet von Zwergen, die nur eine Höhe von 42 Centimeter erreichten. Die beiden Miniatursoubretten Selma Görner und Ida Mahr verstehen sich auch auf die Kunst des Gesanges und tragen ihre Lieder und Kouplets mit großem Chic vor, wenn ihre Stimme auch natürlich kein Material für eine Wagner’sche Ortrud oder Brunhilde hergiebt. Die Stimme ist ebenso groß – Pardon, ebenso klein, wie die Sängerinnen selbst. Pfiffig sind sie allesammt und schlagfertig dazu; sie sind mit ihrem Schicksal zufrieden, wenn auch die goldne Zeit für die Zwerge vorbei ist, wo sie an die Höfe der Fürsten gezogen wurden und als „Kammerzwark“ bei Tafel die hochfürstlichen Gäste durch „allerley Kurtzweyhl und Narrenspossen ergetzeten“. Haben sie doch dafür heut zu Tage alle Rechte der „Großen“ und gelten nicht mehr ihr Leben lang, wie im Mittelalter, wo sie wie die Krüppel auch für lehn- und erbunfähig gehalten wurden, für unmündige Bürschchen. Seit der Zeit Peter’s des Großen, der bekanntlich alle Zwerge seines Reiches an seinem Hofe versammelte und die berühmte „Zwergenhochzeit“ arrangirte, hat man gewiß nicht wieder ein solches Pygmäenvölkchen zusammen agiren sehen, ein Völkchen, das einen so gewitzigten, schlauen Eindruck macht wie die Gesellschaft unserer „Liliputaner“.
Hermann Pilz.