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Ein Parvenu

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Titel: Ein Parvenu
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aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 345–347
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Ein Parvenu.


Als einen solchen bezeichnen wir Heinrich Karl Schimmelmann, eine ihrer Zeit in ganz Europa bekannte Persönlichkeit, den Stifter einer neuen gräflichen Dynastie. Schimmelmann’s Name, sein Wirken und sein fast fabelhaftes Emporsteigen werden in der Geschichte fortleben, wenn auch die Periode längst vorüber ist, in welcher er in dem Gemälde der wichtigsten Begebenheiten unseres Erdtheils seine hervorragende Stelle einnahm.

Zur Schilderung des Glückes, welches den Grafen Schimmelmann vom Beginn seiner letzten Lebenshälfte an nicht nur keinen Augenblick verließ, vielmehr sich ununterbrochen steigerte, möge folgende biographische Skizze dienen, die ein Zeitgenosse desselben entworfen, aber nie dem Druck übergeben hat.

Schimmelmann stammte von einer unbemittelten Familie zu Demmin in Pommern und ward daselbst 1724 geboren. Noch ehe er das Mannesalter erreicht hatte, kam er als Hutmacher nach Hamburg. Ausgestattet mit einem unternehmenden Geiste, befaßte er sich bald mit ausgedehnten Handelsgeschäften. Als aber deren gänzliches Mißlingen ihn zum Concurs brachte, begab er sich nach Berlin. Um diese Zeit brach der dritte schlesische Krieg aus. Es gelang Schimmelmann, Lieferant bei der ausrückenden Armee zu werden,[1] ein Amt, zu dessen Verwaltung er vollkommen befähigt war. Bei seiner rastlosen Thätigkeit und mit seinem hellen Kopfe wußte er das Geschäft so trefflich zu leiten, daß die Armee stets zufrieden sein konnte und dennoch schon in den ersten Jahren des Krieges sich große Summen in seinem eigenen Säckel anstaueten.

[346] Die Gelegenheit zu einer außerordentlichen Vermehrung derselben ließ nicht lange auf sich warten.

Friedrich II., im Besitz von Sachsen und dieses gesegnete Land auf alle Weise aussaugend, hatte u. A. auch laut werden lassen, daß die Porcellanfabrik in Meißen mit allen Vorräthen, Utensilien und den Niederlagen in Dresden und Leipzig verkauft werden solle. Kaum erfuhr Schimmelmann diesen Beschluß, als er ungesäumt zum König eilte mit dem Anerbieten: Er wolle das ganze Geschäft übernehmen, auf die von Sr. Majestät bestimmte Kaufsumme einen großen Theil derselben à conto sofort auszahlen, dann mit den gesammten Gegenständen auf der Elbe sich einschiffen, über Havelberg nach Berlin fahren und daselbst eine Porcellanfabrik für Sr. Majestät Rechnung anlegen. Die vier Arcanisten wie die meisten der Fabrikarbeiter würden, da sie doch außer Brod kämen, dem neuen Wirkungskreise gewiß gern folgen.

Für Friedrich II. hatte diese Perspective ausnehmenden Reiz; er ging den Vorschlag ein. Schimmelmann brachte ihm all sein vorräthiges Geld, hatte jedoch auch an den reichen Kaufmann St…n in Hamburg geschrieben (dem er am meisten verschuldet war): „Wenn Sie mir umgehend noch 20,000 Mark Banco anvertrauen, kann ich ein so eminentes Geschäft abschließen, daß Sie die alte und neue Schuld nebst einem ansehnlichen Disconto binnen wenigen Monaten erhalten sollen.“

St…n entsprach dem Wunsche, und Friedrich II. trauete dem gegebenen Versprechen seines Käufers, der nun keine Zeit verlor, die kostbaren Waaren auf einer Menge großer Elbkähne zu verladen. Außer den Porcellan-Schätzen nahm er auch viele Statuen vom Brühl’schen Garten mit, die noch bis zu unseren Tagen hinter dem Wandsbecker Schlosse standen. Als er jedoch mit seiner Porcellanflotille bei Havelberg ankam, ließ er dieses sammt der Einfahrt nach Berlin rechts liegen und hielt für gerathener, nach der freien Reichsstadt Hainburg zu schwimmen. Bald nach seiner Ankunft bezahlte er alle seine Schulden, kaufte den Flecken Wandsbeck, bauete in Hamburg das sogen. Schimmelmannsche Palais in der Mühlenstraße und ein großes Haus auf dem Valentins Camp. Schon damals galt er, ohne Uebertreibung, für einen Millionär.

Friedrich II. war außer sich über den ihm gespielten Streich und ging so weit, die K. K. Maria Theresia in einem confidentiellen Schreiben zu bitten, den wortbrüchigen Schimmelmann ausliefern zu lassen; da jedoch diese den Verlust Schlesiens noch nicht verschmerzt hatte, so nahm sie von der Sache keine Notiz, wodurch, wenigstens vor der Hand, des Bedroheten Aufenthalt gesichert war. Da las man kurz nachher in den Berliner Zeitungen folgende Bekanntmachung: „Der Kaufmann Schimmelmann habe, wegen der Kriegsunruhen, sich nach Hamburg gewendet, werde aber nach dem bald zu hoffenden Frieden eine Porcellanfabrik in Berlin anlegen, und suche schon jetzt paßliche Räume zu den Gebäuden.“ Das beschwichtigte den aufgebrachten König für den Augenblick; indeß hatte er bald genug die Erfahrung zu machen, daß zu seinen verlorenen Schlachten auch das Scharmützel mit seinem ehemaligen Lieferanten zu rechnen sei; denn urplötzlich hatte derselbe einen Alliirten gefunden, dessen Aegide ihn gegen alle ferneren Verfolgungen sicherte.

Dänemarks Monarch, Friedrich V., suchte eine Anleihe von einer Million. Kaum war dies in Hamburg bekannt geworden, als Schimmelmann dem Könige meldete: „Wenn Se. Majestät ihm, nächst einem billigen Zins, das Indigenat in Dänemark und dessen deutschen Herzogthümern, sowie das Diplom als dänischer Reichs-Freiherr bewilligen würde, sei er erbötig, die Anleihe aus eigenen Mitteln zu machen.“ Alles ward ihm gewährt, und nun nahm er sein Hauptdomicil zu Kopenhagen in einem prächtigen Palais. Im Jahre 1762 wurde er Freiherr, bald darauf Finanzminister, Geheimerath, Schatzmeister, 1779 in den Grafenstand erhoben; dabei Besitzer von Wandsbeck, auf das er große Summen verwendete, namentlich für zahlreiche Bauten (darunter das Schloß), für prächtige Gartenanlagen, ausgedehnte Pflanzungen, Fabriken etc. etc., wie er denn überhaupt diesen Ort mit besonderer Vorliebe unausgesetzt gepflegt hat; ferner Besitzer des adeligen Gutes Ahrensburg (von mehr als 6000 Tonnen Landes), der Herrschaft Lindenborg, der Gewehrfabrik in Helsingör, ansehnlicher Pflanzungen auf den dänisch-westindischen Inseln und des erwähnten kostbaren Palais in der Residenz, ungerechnet große Capitalien, die er gleich nach dem Tode des Papstes Clemens XIV. noch um eine Tonne Goldes vermehrte. Letzteres geschah durch eine kaufmännische Speculation, an welche tausend Andere in der katholischen Christenheit eben so gut und noch eher hätten denken können, als ein im fernen Norden lebender evangelischer Staatsminister. Jener Papst war der edle Ganganelli, welcher bekanntlich, nach langem Zögern, 1773 die Aufhebung des Jesuiten-Ordens proclamirt und dabei ausgerufen hatte: „hiermit unterzeichne ich mein Todesurtheil.“ Die böse Ahnung ward bald zur Wahrheit. Ganganelli’s Kräfte schwanden von dieser Zeit an, und nach längeren schweren Leiden verschied er 1774. Schimmelmann, von Allem unterrichtet, basirte darauf bei Zeiten den Ankauf sämmtlicher Vorräthe weißen und gelben Wachses, was ihm mit seinem großen Vermögen und seinen ausgedehnten Verbindungen in und außer Europa leicht gelang. Bequem konnte er nun dem Zeitpunkt entgegen sehen, wo Milliarden Wachslichter geliefert werden mußten. Damals erforderte die Leichenfeier eines Papstes in der ganzen katholischen Welt zahllose castra doloris, welche mindestens sechs Wochen lang mit brennenden Kerzen umstellt wurden. Der damals fast alleinige Besitzer des unentbehrlichen Wachses wucherte keineswegs damit; er begnügte sich mit einem mäßigen Vortheile; dennoch stieg derselbe, wegen der Menge des Absatzes, zu einer enormen Summe.

Nicht immer ist die zu schnelle Glücksperiode hochstehender Staatsmänner von Dauer; Schimmelmann’s vorsichtiges Benehmen bewahrte ihn vor all’ und jeder höfischen Intrigue, führte selbst eine höchst gefährliche Epoche der dänischen Monarchie (Struensee!) ohne irgend eine Anfechtung an ihm vorüber, und immer blieb er in gleichem außerordentlichem Ansehen.

Diesen Höhepunkt sublunarischen Glückes hatte der Mann erreicht, der 1755 noch in sehr beschränkten Umständen zu Berlin sich aufgehalten; er hatte ihn erreicht durch seinen unternehmenden Geist und seine unermüdliche Thätigkeit. Beide Eigenschaften veredelten sich mit seinen Standeserhebungen und blieben ihm treu bis zur Urne. Trachtete er auch seine Reichthümer zu vermehren, so verwendete er diese doch unausgesetzt zum allgemeinen Besten: Fabriken, Handlung und Ackerbau zu befördern, Menschen nützlich zu beschäftigen, dazu war er mit seinen Schätzen immer bereit, weshalb sein frühes Dahinscheiden eine große, fast unersetzliche Lücke zur Folge hatte. Daß er bei den bedeutenden Staats- und Privatgeschäften den Kaufmann nie vergaß, bewies die eben erwähnte Speculation bei des Papstes Tode. Schimmelmann überlebte diesen Papst nicht einmal ein Decennium; erst 58 Jahre alt starb er 1782. Man schätzte seinen Nachlaß auf 8 Millionen Speciesthaler. Mit einem solchen Vermögen pflegt sich der glückliche Besitzer über die Kritik der Zeitgenossen, wegen etwaiger Unregelmäßigkeit in der Erwerbsweise solchen Reichthums, zu erheben. Von allgemeinem Interesse bleibt aber immer die folgende Mittheilung. Der plötzliche Reichthum Schimmelmann’s wurde zwar fast allgemein auf Rechnung des Porcellans geschoben, doch ging auch das Gerede: es seien in der Meißner Fabrik bedeutende Schätze an Gold und Juwelen verwahrt worden, und diese hätten den Werth der Porcellanvorräthe bei weitem überstiegen etc. Wenn man die damalige Lage Sachsens in Betrachtung zieht, so verstößt jenes Gerede wenigstens nicht gegen die Wahrscheinlichkeit.

Die Festung Königstein war nämlich von jeher vor Allem die sicherste Stelle im Lande für die ersten Kostbarkeiten der Residenz, und in jedem Kriege wurden die Archive, die Bildergallerie, die Schätze des grünen Gewölbes und des regierenden Hauses dahin abgeführt. Friedrich’s ungeahnter Einfall hatte jedoch damals die königliche Familie so überrascht, daß, der Sage nach, von deren Privatschätzen ein großer Theil nach Meißen gesendet worden, um sie in der Porcellanfabrik zu verbergen, und wie? – – in den hohlen Untersätzen kolossaler Urnen, die allerdings Raum genug darboten, um einige Millionen dem Auge zu entziehen. Diese unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit vollführte Sache sollte gleichwohl Schimmelmann zugeflüstert und aus der Stelle von ihm benutzt worden sein, durch sehr splendide Gratiale an die vertrauten Mitwisser. Ueberdies war er ja der Käufer aller Gegenstände in der Fabrik, die nicht zu den „niet-, wand-, band- und nagelfesten“ gehörten. Erwiesen ist jedoch dieser Umstand nicht, aber er führt zu einer interessanten Parallele zwischen König und Unterthan: Friedrich II. erfuhr durch Felonie die Anschläge seiner Feinde, und Schimmelmann durch Verrath das Geheimniß verborgener königlicher Schätze, und Beide machten von ihren Entdeckungen den Gebrauch, der ihnen der richtigste schien.

[347] Wir schließen diese Mittheilungen mit zwei Geschichten aus der Schimmelmann’schen Familie, die sich bis zur Stunde, besonders in den deutschen Herzogthümern Dänemarks, erhalten haben. Die erste fällt in die Zeit, da Schimmelmann noch arm in Berlin lebte. Im Hause des dänischen Gesandten am preußischen Hofe diente damals eine Kammerjungfer, welche Schimmelmann’s oft besuchte. Der Gesandte (Graf B…) war aus völlig unbekanntem Grunde gegen Schimmelmann sehr eingenommen und untersagte der Kammerjungfer jene Besuche ein für allemal. Nicht im Strome, nein, im Fluge der Zeit überholte der Freiherr von Schimmelmann den Grafen B. im Range und weit mehr noch in pecuniärer Hinsicht; der frühere Widerwille ward vergessen, eine Tochter des reichen Freiherrn und Staatsministers vermählte sich dem Grafen B. und brachte ihm Rixdorf, ein großes, schönes adeliges Gut als Brautschatz.

Dieselbe Frau Gräfin spielte leidenschaftlich Pharo. Eines Abends verlor sie in Berlin in einem vornehmen Privatcirkel an den Cavalier …, der eigentlich nur zur Unterhaltung der Gesellschaft ein sogenanntes Bänkchen aufgelegt hatte, die ungeheuere Summe von 70,000 Louisd’or. Tags darauf ließ der Cavalier sich bei ihr melden, ward empfangen, und sogleich sprach sie von der Schuld.

„O, nicht deshalb sehen Sie mich hier, gnädige Gräfin, ich kam nur, um Ihnen zwei Bitten vorzutragen, durch deren Gewährung Sie mich auf’s Angenehmste verpflichten würden.“

„Und die wären?“ erwiderte die Gräfin.

„Die erste, daß Sie mir Ihr gräfliches Ehrenwort geben, niemals wieder ein Hazardspiel zu spielen; die zweite, daß Sie mir vergönnen, durch die Schuld – wie Sie sagten – einen Strich zu machen und ihrer nicht mehr zu erwähnen.“

„Das Erste thu’ ich sogleich, hier meine Hand und mein Wort! (Sie blieb ihm treu.) Das Zweite betrifft die Ehre unseres Hauses, mein Gemahl ist, wie Sie wissen, verreist, von ihm muß ich die Antwort auf Ihr großmüthiges Anerbieten erwarten.“

Kurz darauf kam Graf B. zurück, vernahm den Hergang der Geschichte und entschied: „Dieser seltene Mann darf uns an Edelmuth nicht übertreffen, er muß vollkommen bezahlt und Rixdorf verkauft werden.“

Beides geschah, und das Gut, eine Million werth, kam in den Besitz des Grafen Westphalen, dessen Nachkommen es noch gehört.

Kehren wir nun noch einmal zu Schimmelmann’s geliebtem Wandsbeck zurück. Auf dem Kirchhofe daselbst steht eine Kapelle, welche die irdischen Reste des Grafen und seiner Gemahlin in porphyrnen Särgen bewahrt. Diese Ruhestätte liegt außer dem Bereiche der großen industriellen Umwälzungen, die der Flecken seit Kurzem erfahren und die fast alle Lustbauten Schimmelmann’s der Erde gleich gemacht haben; und wahrscheinlich überdauert jenes Trauer-Denkmal noch mehr als eine Regeneration echter und verfehlter Anlagen, wie der Geist der Zeit sie zu Tage fördern wird.

Erst nachdem Schimmelmann den Ort gekauft, erstand dort reges Leben, Wohlstand und Ansehen, erst von da an trat Wandsbeck mit in den Vordergrund der Hamburgischen Umgebungen, ward auch in weitern Kreisen genannt und seines glänzenden Besitzers stets dabei gedacht. Wenige Lustren später siedelte sich ein stiller, frommer Mann daselbst an, dem es vorbehalten war, den Namen des Ortes nicht nur in ganz Deutschland, sondern diesseits und jenseits der Oceane, kurz überall wo Deutsche von Bildung seßhaft sind, bekannt zu machen. Sein Name genügt, diese Behauptung zu rechtfertigen: er hieß Matthias Claudius, der Wandsbecker Bote.



  1. Nach anderen Nachrichten war er, der Sohn eines Kaufmanns, anfangs ebenfalls Kaufmann, und zwar erst in Stettin, später, nachdem er einige Zeit in der preuß. Armee gedient, in Dresden. Als es hier mit seinem Materialhandel bedeutend rückwärts gegangen, soll er die Generalacccise in den kursächsischen Ländern gepachtet und den Titel eines Acciserathes erhalten haben. Seiner örtlichen und praktischen Kenntnisse halber sollen ihm dann beim Beginn des siebenjährigen Krieges die Kornlieferungen für die preußische Armee in Sachsen anvertraut worden sein.