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Ein Paar „Rebeller“ von Anno Neun

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Textdaten
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Autor: Friedrich Hofmann
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Titel: Ein Paar „Rebeller“ von Anno Neun
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 59–63
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Ein paar „Rebeller“ von Anno Neun.
Von Friedrich Hofmann.

Wer zum ersten Male im Leben den Berg Isel und den Innstrom begrüßt, dem tritt vor Allem der große Heldenkampf Tirols vor den Geist. Rings um Innsbruck ist blutgetränkter Boden, auf allen diesen Bergwänden lag der rothe Schein der Brandfackel, und kein Thal öffnet sich hier dem Wanderer, wohin nicht aller Schrecken und Jammer dieses Krieges gedrungen ist. Sechszig Jahre sind darüber hingegangen, von den zwanzigtausend Kämpfern jener Tage leben nur noch wenige als steinalte Greise, kein Herz trägt mehr eine Wunde des großen Leids, es ist Alles begraben, aller Haß der Rache und auch aller Jubel der Thaten. Eines aber bleibt: die Geschichte dieses Krieges ist ein ewiger Kranz um den Namen Tirol.

Von solchen Gedanken erfüllt wandelte ich im vergangenen Spätherbst dem Städtchen Hall am Inn zu. Man ist mit den Menschen übel daran in solcher Stimmung; man trägt einen heiligen Feiertag in sich herum und fühlt sich verletzt, überall auf Alltagsgesichter zu stoßen, die von der heimlichem Feierlichkeit keine Ahnung haben. Unwillkürlich lenkt man die Schritte dem Friedhof zu, um für den Ernst der Erinnerung verwandte Bilder zu suchen. Und hier fand ich mehr, als ich suchte: beim Wandeln um die Kirche stand ich plötzlich vor dem Grabdenkmal des kühnsten und schönsten Helden Tirols, von dem ein Landsmann sagt: „er war im eigentlichen Sinne der Odysseus des Volkskriegs von 1809, unerschöpflich an Rath zum Siege, scharfblickend und kalt in Anlegung seiner Pläne, schnell und listig in der Ausführung, um Mittel zum Zweck nie verlegen, nie ängstlich in der Auswahl derselben, nicht blos im Hoffen und Thun, sondern ganz besonders im Verstande der aushaltigste.“ Erzherzog Johann nannte ihn: der „Mann von Rinn“, sein Name steht in der Geschichte neben dem Hofer’s und Haspinger’s als der größere: Joseph Speckbacher.

[60] Ein Volksheldenleben wie das dieses Tirolers und seines Söhnleins Anderl findet in unseren Tagen seines Gleichen nur noch in dem großen Freistaat jenseits des Oceans, wo urwüchsiger Kraft ein Feld geboten ist, auf dem sie sich entwickeln, wo sie austoben und doch dabei im harten Kampfe Ziele verfolgen kann, die ein großer Gedanke gesteckt hat. Den Nachkommen in milderen Jahrhunderten wird Speckbacher’s Leben erscheinen wie ein Stück wilder, gewaltiger Poesie: er muß neue, noch ungehörte Weisen anschlagen, der Dichter, welcher einst dies Heldenlied singen will. Einstweilen freut es uns, daß die deutsche Kunst den Gegenstand so würdig erfaßt hat. Der beigegebene Holzschnitt, dessen Original von Franz Defregger in München für den Rathhaussaal in Innsbruck gemalt ist, ist sicherlich eine Wohlthat für Auge und Herz unserer deutschgesinnten Freunde.

Wie Hercules in der Wiege, begann Speckbacher schon im Knabenalter den Kampf gegen die Raubthiere des Hochgebirges, gegen Adler und Bären. Der spätere Führer im Gebirgskriege konnte keine praktischere Schule durchmachen. Früh verwaist und von den Verwandten verwahrlost, wuchs er als freier Sohn der Wildniß auf und war bald der gefürchtetste Wildschütz der ganzen Gegend. Die Land- und Gebirgsbevölkerung hielt es mit ihm und sogar die einheimische Obrigkeit sah ihm Vieles nach, eben weil er auch allen Raubthieren den Krieg erklärt hatte. Wochenlang kam er nicht in die Thäler und unter Menschen. Um eine Gemse war keine Gefahr ihm zu ungeheuerlich; die kühnsten Wagnisse gehörten zu seinen besonderer Freuden.

Selbstverständlich kannte bald Niemand das Gebirg bis zu seinen geheimsten Schlupfwinkeln weit umher so genau wie der junge Wilderer, den an Körperkraft, Gewandtheit, Ausdauer, Waffenfertigkeit und Schärfe der Sinne Keiner erreichte. Einst kam er in Hall zufällig zu einem „Hosenlupfen“ oder „Schmeißen“, wo ein vierschrötiger Hausknecht über alle Gegner Sieger geblieben war. Da ließ der „Speckbacher Seppel“ sich die flinke Hand auf den Rücken binden und warf ihn mit der rechten allein zu Boden. Ein andermal überfielen ihn vier bairische Jäger, als er eben am Heerd einer Almhütte sich einen „Schmarn“ (Gebäck aus Mehl und Schmalz) bereitete; er aber schleuderte ihnen das prasselnde Schmalz in die Gesichter, schlug alle Vier mit dem Kolben nieder und war frei.

Dafür mußte er kurz nachher erfahren, wie sein liebster Freund von bairischen Jägern an einen Baum gebunden und niedergeschossen wurde. Dies ging ihm tief zu Herzen, noch tiefer aber gleich darauf die Liebe zu seiner Maria Schmiederer, denn nun trat eine gewissenhafte Mutter gegen sein „heimathloses Wildlingsleben“ auf.

Jetzt zeigte sich aber auch die Kraft seines Willens der seines Körpers ebenbürtig. Er sollte ein Jahr Probe bestehen. Die Büchse blieb fortan am Nagel hängen und war nur dem Kampfe für’s Vaterland gelobt; Speckbacher war von jetzt an der fleißigste Holzarbeiter in der Saline zu Hall, und als das Jahr ihm in aller Bräutigamswonne vergangen war, trat er mit seinem Moaidl, das schönste Paar des Gebirges, vor den Traualtar.

So ward der Wilderer im fünfundzwanzigsten Jahre zum wohlhabenden Bauer, und als so tüchtiger und solider Mann that er sich hervor, daß man ihn schon nach zwei Jahren in den Gemeindeausschuß wählte.

Trotz des häuslichen Glücks behielt der Reiz der Gefahr oder des Außergewöhnlichen für ihn die alte Kraft; die Büchse mußte von der Wand, so oft ein Raubthier sich zeigte, oder die Sturmglocken zu den Schützenfahnen riefen. Daran änderte auch 1798 die Geburt seines ersten Ebenbildes, des Anderl, nichts. Er war mehrmals mit gegen die Franzosen ausgezogen. Als aber zu Anfang 1806 Tirol bairisch geworden war, hielt er sich still daheim, bis das große Jahr für ihn kam.

Der Aufstand in Tirol ist bekanntlich von der Kriegspartei in Wien angeschürt worden. Das Geheimniß des Aufstandes wurde in allen von Wien oder Tirol aus der Post anvertrauten Briefen verdeckt unter einer Liebesgeschichte; eine Braut sehnte sich nach der Hochzeit, und diese Braut war Tirol, der Bräutigam – Erzherzog Johann – Andreas Hofer, Peter Hueber und Franz Anton Nessing waren die drei Männer, welche endlich selbst nach Wien gingen, um dort in nächtlichen Zusammenkünften den Plan des Aufstandes festzustellen. Gleich nach der Heimkunft wählten und sammelten diese dann den Vertrauten, die wiederum weiter warben. So wurden nach und nach sechszigtausend Menschen, und darunter viele Frauen, in das Geheimniß eingeweiht, und sie bewahrten es drei volle Monate. Solche Treue und solcher Gemeinsinn stehen einzig da! –

Speckbacher tritt als Führer im Großen erst um die Mitte Mai in den Vordergrund; bis dahin kämpfte er an der Spitze der Unterinnthaler und hier und da mit Straub rivalisirend, aber jetzt schon mit dem Blick, welchem Niemand den Gehorsam zu verweigern wagte. Die damalige äußere Erscheinung Speckbacher’s giebt unser Bild mit Natur- und geschichtlicher Treue. Der schöne, große schlanke Mann mit der hochgewölbten Brust und den breiten starken Schultern bekleidete sich mit der Landmannstracht des Unterinnthals, die, wie der Biograph Speckbacher’s, Joh. Georg Mayr, („Der Mann von Rinn und die Kriegsereignisse in Tirol 1809“) behauptet, damals noch malerischer war, als jetzt, und hauptsächliche bestand aus dem dunkelbraunen Lodenrock oder der kürzeren Joppe, dem sogenannten Leibstückel mit dem grünen Hosenträger, den schwarzledernen Hosen, Strümpfen und kurzen Schnürstiefeln und endlich der Hauptzierde in doppelter Bedeutung, dem breitkrempigen, grüngefütterten, mit Spielhahnfedern, Rautenkraut oder Nußbaumlaub geschmückten Hut. Als Waffen trug Speckbacher einen tüchtigen Kernstutzen und einen großen Säbel an schwarz lederner Kuppel. Und seine geistige Erscheinung? „In seinem ganzen Wesen,“ sagt Mahr, „war nichts Einnehmendes, nichts Verführendes, wie es wohl sonst im Volkskrieg unerläßlich ist, ja eher etwas Finsteres, Abstoßendes; darum war er auch nie ein Parteihaupt, wohl aber ein durch sein großmüthiges Bezahlen mit der eigenen Person das höchste Zutrauen einflößender Feldhauptmann, jeder Zoll ein wahrhaft inwendiger Krieger, jeder Nerv ein Mann der That.“

Von diesem „Bezahlen mit der eigenen Person“ mögen hier die charakteristischesten Beispiele folgen, sie bringen uns den Mann menschlich näher, als die Aufzählung aller seiner kriegerischen Thaten, so ungern man von der erschütternden Bilderreihe, die mit ihnen vor uns vorüberzieht, sich auch trennt.

Der Tirolerkrieg ist durch die Thatsachen selbst in vier Abtheilungen geschieden. Die erste begreift die Zeit der Vorbereitung bis zum Ausbruch des Aufstandes und die nicht volle vierzehn Tage der Beendigung desselben durch die Vertreibung der Baiern und Franzosen. Speckbacher zeichnete sich dabei durch den Sturm auf Hall aus.

Des Drama’s Zweiter Act beginnt mit der Himmelfahrtskanonade Wrede’s gegen die Tiroler Thermopylen, den Staubpaß, dann folgt die Flucht der österreichischen Generale und Truppen, die furchtbare Rache der Baiern stachelt das Volk zu neuem Aufstande auf, an dessen Spitze nun Speckbacher mitsteht, und durch den Sieg am Berg Isel, am 29. Mai, schlägt Tirol sich zum zweiten Mal frei. Damals trat Anderl zum ersten Mal auf. Speckbacher stand eben an der Innbrücke unweit Bolders im heftigen Kampf, als sein Söhnchen plötzlich neben ihm herlief. Nur Schläge konnten ihn aus der Gefechtslinie zurücktreiben. Sobald er von seinem Vater nicht mehr gesehen wurde, macht er Halt, um mit seinem Taschenmesser die feindlichen Kugeln, die dort in den Boden fuhren, herauszugraben. Am andern Morgen brachte er sein Hütchen voll Kugeln dem Vater; an die Herzensangst der Mutter daheim dachte im Pulverdampf der Sohn seines Vaters nicht. Dieser ließ ihn auf eine ferne Alm abführen und glaubte ihn dort wohlbewahrt, aber er täuschte sich.

Zum dritten Kampf, eine Folge des Waffenstillstandes von Znaym, schickte Napoleon vierzigtausend Franzosen, Baiern und Sachsen unter dem Marschall Lefèbvre in’s Ländel, dessen österreichischer Militärschutz, ohnedies kaum der Rede werth, nun vollends dahin war. Die feindliche Uebermacht und die Nachricht vom Waffenstillstand bewogen endlich auch Speckbacher, von Weib und Kindern, Haus und Hof zu scheiden und Alles Feinden preiszugeben, deren Wuth und Rohheit er kannte, und sich mit den hervorragendsten anderen Führern nach Oesterreich zu retten. Da begegnete ihm Hofer auf dieser Fahrt, und der einzige Seufzer: „Auch Du, Seppel, willst mich im Stich lassen?“ änderte seinen Entschluß und das ganze Bild des Krieges.

Im Kreuzwirthshaus zu Brixen kamen die Männer zusammen, welche den Kampf mit der Uebermacht aufnahmen: Hofer, Martin Schenk, der Kreuzwirth, der alte Wirth Peter Mayr, Haspinger und Speckbacher, – und die Folge dieser Schwurversammlung auf dem Rütli von Tirol war die furchtbare Niederlage der stolzen

[61]

Speckbacher sieht seinen Sohn Anderl als Landesschütz wieder.

[62] Soldaten des französischen Kaiserreichs und des Rheinbundes. Nach dem Siege bezog Hofer als dermaliger Regent von Tirol die Hofburg zu Innsbruck und Speckbacher begann als „Erster Postenobercommandant in Tirol und in dem Salzburger Gebirgslande“ eine neue organisatorische Wirksamkeit, um künftigen Stürmen militärisch vorzubauen, und leitete dabei die Belagerung von Kuffstein, bei welcher er Thaten unerhörten Muthes vollbrachte. Er besuchte unter Anderem verkleidet den Commandanten in der Festung, löschte eine Granate mit dem Hut aus, schlich sich heimlich in die Festung und verdarb die Spritzen, schnitt die unter den Mauern liegenden Schiffe ab etc.

Am zehnten September saß Speckbacher im Bärenwirthshaus zu St. Johann mit seinen Adjutanten zur Berathung neuer Entwürfe zusammen, als er von ferne, von der Ellmauer Straße her, den tirolischen Schützenmarsch hörte. Er trat an’s Fenster und sah auf der Straße frische unterinnthalische Schützencompagnieen jauchzend und schnalzend anrücken; hinter dem Trommler und dem Schwegler (Querpfeifer) flatterte eine große tirolische Fahne, und gleich hinter ihr sah er einen bewaffneten Buben einherziehen. Fast ärgerlich brummte er in den Bart: „Nu wird mir der Sandwirth bald gar noch Kinder nachschicken!“ Da kam der Knabe ehrerbietig auf ihn los und küßte ihm die Hand, und Speckbacher erkannte nun seinen Anderl. Schüchtern gestand dieser: er hab’s auf der Alm nimmer ausgehalten, weil er so viel Schießen oben gehört; und so sich den Landvertheidigern „zum Soldatenschießen“ zugesellt und war schon einen Monat mit ihnen herumgezogen. Die Schützen hatten den barfüßigen und ganz abgerissenen Jungen wie einen Ihresgleichen ausstaffirt und ihm auch einen leichten Stutzen gegeben. So hungrig er war, er hatte in vierundzwanzig Stunden nichts gegessen, so gestand er dies doch nicht, sondern heftete seine Blicke unverwandt auf ein schön eingelegtes Gewehr, welches an der Wand hing. Der Wirth nahm es herunter und schenkte es ihm. Aber es hatte ein Radschloß, und Anderl versuchte vergeblich, es aufzuziehen. Sein Vater lächelte. Darüber wurde er blutroth, sagte aber kein Wort. Kurz darauf ging er heimlich zu einem Waffenschmied und gab diesem eine Vorrichtung mit einem Handgriffe an, der ihm das Spannen des Hahns erleichterte. Voll Freude zeigte er nun das veränderte Gewehr dem Vater, der die Verbesserung so zweckmäßig fand, daß sie sofort an vielen anderen Stutzen nachgeahmt wurde. Von da an blieb Anderl immer, wie ein Großer bewaffnet, an der Seite seines Vaters, selbst bei den hitzigsten Gefechten. Aber bald ging die Sonne Tirols unter.

Speckbacher stand am 16. Oktober auf seinem Posten in Meleck, als die Baiern einen klug vorbereiteten Ueberfall ausführten, der vollkommen gelang. Das Gefecht dauerte nur eine Stunde, kostete jedoch viel Blut. Speckbacher selbst schlug sich mit fast übermenschlicher Anstrengung durch, sein Sohn aber ward gefangen. Als der Vater, blutend, krank und zerschlagen, nach der halsbrechenden Flucht auf’s Gebirg den Sohn vermißte, stieß er einen herzzerreißenden Schrei aus, wie ein verwundeter Löwe. Mit Gewalt hielten die Seinen ihn zurück, sich für die Befreiung seines Kindes zu opfern. Um dieselbe Zeit führten die Baiern den Anderl auf dem Schlachtfelde umher, damit er ihnen die Leiche seines Vaters heraus suche. Wirklich fand er dessen Säbel und Kleiderfetzen und weinte bitterlich. Man behauptet aber, daß der kluge Junge absichtlich einen langen todten Tiroler mit sehr zerhacktem Gesicht für seinen Vater ausgegeben, um die Flucht desselben dadurch um so mehr zu sichern. Anderl wurde nach München gebracht, wo König Max sich des kecken, bildschönen Knaben annahm und ihn einem Seminar übergab.

Schon zwei Tage nach dieser Niederlage schrieb Speckbacher von Oberau aus an Hofer um Hülfstruppen, und zur selben Zeit kam die Kunde vom abgeschlossenen Frieden, in welchem Tirol abermals vergessen war, und nun drangen die Napoleon’schen Schaaren der Rache und der Strafe für die Rebellen ins Land. Noch einmal erhob sich das Volk zum Widerstand, aber nach den drei großen Siegen am Berg Isel erfolgte eine ebenso große Niederlage, und darauf begann das Plündern, Erschießen und Hängen „zu Jedermann’s abschreckender Beschauung“.

Wie Speckbacher im Kampf das Äeußerste gethan, so sollte er nun auch bei der Verfolgung das Aeußerste leiden. Um den „Feuerteufel“, wie die Baiern ihn nannten, zu fangen, durchsuchten sie schaarenweise das Gebirg. Sie wollten „Riemen aus seiner Haut schneiden, wenn sie ihn fingen.“ Steckbriefe wurden von den Kanzeln verlesen, man vertheilte sein Conterfei, in Holz geschnitten, an die Soldaten und setzte einen Preis von 500 Gulden auf seinen Kopf. Vergeblich versuchte er, auf den schon verschneiten Pfaden der Hochgebirge nach Oesterreich zu entkommen. Er kam nur bis Dux. Ein Verräther führte die Baiern in das Haus, wo er verborgen war, und nur durch einen Sprung vom Dach herab konnte er sich retten, verletzte sich aber schwer dabei. Nun irrte er siebenundzwanzig Tage in leichter Kleidung und in der schrecklichsten Kälte in den verschneiten Wäldern umher, einmal vier Tage lang ohne jede Nahrung. Vom fürchterlichsten Hunger gepeinigt wagte er sich etwas weiter in’s Thal. Da erblickte er auf einem Schneefelde mühsam heraufklimmende Gestalten, sie kamen näher, es war ein Weib mit drei Kindern, – es war sein eignes Weib auf der Flucht, die nichts mehr als trocknes Brod für ihre Kleinen hatte. Der Seelenschmerz, der da über ihn kam, ließ ihn das eigne Leid und die Gefahr vergessen. Er führte sie in eine hochgelegene Hütte zu Bolderberg, wo sie bis Lichtmeß versteckt blieben. Ihr größter Schatz im Unglück war jetzt ihr treuer Knecht Georg Zoppel, der daheim das Haus verwaltete und Herrn und Frau die Nahrung in ihre Schlupfwinkel zutrug.

Kaum hatte Speckbacher hier ein wenig Ruhe gefunden, so späheten die Baiern auch da nach ihm. Sieben Mann kamen auf die Hütte los. Da ergreift Speckbacher mit bewunderungswürdiger Geistesgegenwart einen Holzschlitten, wirft ihn auf die Schultern und geht ihnen, als wäre er der Knecht des Hauses, gerade entgegen. Diese List rettete ihn. Nun flüchtete er in eine Höhl auf dem Gemshaken, einer der steilsten und wildesten Klippen, wo er den Winter gar zubrachte. Aber in den ersten Tagen des Frühjahrs riß ihn, beim Holzsuchen, eine Schneelawine eine halbe Stunde weit mit fort in’s Thal. Zwar arbeitete er sich aus dem Schnee heraus, aber er hatte das Hüftbein verrenkt und war nicht im Stande, in seine Höhle zurückzuklimmen. Unter unsäglichen Schmerzen kroch er, sieben Stunden lang, auf allen Vieren nach Voldersberg, und von dort trugen zwei Vertraute, oft durch tiefen Schnee, den wunden Mann nächtlicherweile nach Rinn, wohin seine Familie zurückgekehrt war, und legten ihn in den vom Wohnhaus ziemlich entfernten Stall nieder. Hier fand ihn früh sein Knecht Zoppel, und obwohl bairische Einquartierung im Hause lag, wußte er doch Rath für seine Sicherheit. Er grub unter dem Stand der Kühe ein Loch, lang und breit genug, um den Mann völlig aufzunehmen, bedeckte ihn mit Stroh und Mist und ließ ihm nur eine Oeffnung zum Athmen und um Nahrung zu sich zu nehmen, die er ihm allnächtlich brachte. In dieser Lage hielt Speckbacher sieben Wochen aus; Niemand wußte darum; selbst die Frau nicht. Als er seine Wunden geheilt fühlte, entstieg er, am 2. Mai 1810, diesem Grabe, nahm Abschied von Weib und Kindern und entkam nun glücklich, aber noch manche Gefahr durch List überwindend, nach Wien.

Hier ward auch ihm der berühmte „Dank vom Hause Oesterreich“ zu Theil. Die Söhne der Berge sollten in den ungarischen Ebenen angesiedelt werden. Speckbacher zog es vor, sich bei Wien aus eigenen Mitteln ein Gütchen zu kaufen, mußte es aber, weil sein Geld nicht hinreichte, wieder aufgeben und gerieth in tiefe Noth, ja, er hätte betteln müssen, wäre ihm nicht von Hofer’s Sohn, dem der Kaiser ein schönes Gut geschenkt hatte, die Verwaltung desselben übergeben worden.

Speckbacher’s Gattin versuchte es einmal, bei und in Wien zu leben, aber bald trieb das Heimweh sie in ihre Berge zurück, wobei Baiern sich noch die große Genugthuung verschaffte, die arme Frau in Salzburg zu verhaften und dreizehn Wochen in dem finstern Taschenthurm in München einzusperren.

Trotz der bitteren Erfahrungen vom Jahre Neun ließ im Jahre Dreizehn Speckbacher sich abermals verlocken, in österreichischem Interesse Tirol von Neuem gegen Baiern und Franzosen in die Waffen zu hetzen; die plötzliche Versöhnung der Kronen ersparte aber dem Volke das Blutvergießen, Speckbacher wurde wieder friedlicher Bauer auf seinem Eigen und erhielt 1816 endlich den Charakter eines Schützenmajors mit der dazu gehörigen Pension. Er genoß es nicht lange; die Leiden hatten diesen Riesenkörper aufgelöst, der Mann von Rinn starb, kaum dreiundfünfzig Jahre alt, Ende März 1820 zu Hall; Kaiser Franz Joseph ließ [63] ihm neben dem des Sandwirths und des Capuziners in der Innsbrucker Hofkirche ein Grab weihen und ein Denkmal setzen.

Anderl kehrte 1816 in die Heimath zurück und ward ein ausgezeichneter Berg- und Hüttenbeamter, starb aber ebenfalls schon 1834 zu Hall; die Speckbacherin aber, die als Gattin und Mutter von Freud und Leid mehr als tausend andere Frauen erfahren, überlebte die beiden „Rebeller“ und starb erst, hochbetagt, im Jahre 1843.