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Ein Musikabend beim Prinzen Louis Ferdinand

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Titel: Ein Musikabend beim Prinzen Louis Ferdinand
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aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 724–727
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[724]
Ein Musikabend beim Prinzen Louis Ferdinand.

„Wie von unsichtbaren Geistern gepeitscht, gehen die
      Sonnenpferde der Zeit mit unsers Schicksals Wagen durch …
Wohin es geht – wer weiß es?“
 Goethe, Egmont.

Die Goethe’sche Egmont-Gestalt ist für uns der Inbegriff aller Ritterlichkeit, der Typus eines Volkshelden im höheren Sinne des Wortes geworden, jenes Helden, der überall zu siegen wußte, eine Erscheinung, die jedes menschliche Wesen bezauberte und vermöge ihrer glänzenden Eigenschaften und ihres Herzens Jeden bezaubern mußte, gleichviel ob Mann ob Weib, Jung oder Alt, – fast wie Bertrand de Born, der Troubadour, von dem es heißt:

„er sang sie Alle in sein Netz!“

Aber jener „Prinz von Gaure“, der sich am liebsten „Graf Egmont“ nannte, bleibt doch mehr oder weniger nur ein Bild aus ferner Zeit im Schleier der Dichtung, kein warmes lebendiges Menschenkind, dessen Augen wirklich leuchten und lächeln, dessen Blut heiß durch die Adern rollt, dessen Herz klopft, dessen Stimme wir noch zu vernehmen glauben, und dessen Athem wir fast an unserer Wange hinwehen fühlen. Welchen Eindruck ein Egmont von Fleisch und Blut hervorrufen mußte, und – hervorgerufen hat, wird uns erst klar in der Erinnerung an jene einzige Gestalt der neueren Zeit, die unserm Dichter zu dem Bilde seines Lieblings gesessen haben könnte, in Erinnerung an den Prinzen Louis Ferdinand.

Wer kennt sie nicht, die kurze Geschichte des preußischen Königssohnes, des Neffen Friedrich’s des Großen, des genialen Mannes, mit dem seine Umgebung nicht recht fertig zu werden wußte? War sie zu klein und armselig, die Welt der damaligen Zeit für den Thatendrang der Feuerseele? Lebte Prinz Louis Ferdinand ein Jahrhundert zu früh oder zu spät? So fragen wir uns unwillkürlich, diesem reichen und doch so unbefriedigten, thatenlosen Dasein gegenüber. Es ist, als wären die Schranken für ihn überall zu eng, als paßte sie in den Rahmen ihrer Zeit nicht recht hinein, diese Männergestalt, deren Schönheit die Frauen bewunderten,

[725]

Beethoven beim Prinzen Louis Ferdinand.
Originalzeichnung von L. Pietsch.

deren Kraft Niemand brauchte, und deren Ringen und Streben Keiner theilte.

Romantisch von Anfang bis zu Ende erscheint uns sein Geschick, ein fast dämonischer Zauber geht von ihm aus, er ist ein wiederauferstandener Troubadour, Ritter und Sänger zugleich, um die Stirn den Kranz von blutgetränktem Lorbeer und frischen lachenden Rosen.

Es ist aber nicht der geniale Mensch, nicht der Held von Saalfeld, den heut unsere kleine Skizze zu schildern versuchen will, es ist Louis Ferdinand der Liebling der Frauen, und vor Allem Louis Ferdinand der Musiker. –

Wie ein lebendiger Stern geht die Liebe zur Musik durch Leben und Wesen des Prinzen. Schon in frühster Jugend zeigte sich diese glühendste Leidenschaft seiner Seele, und sein großes [726] und vielseitiges musikalisches Talent wurde in der sorgfältigsten Weise ausgebildet. In der Schule Benda’s und Himmel’s erwuchs er zum Clavierspieler und Componisten ersten Ranges, und in allen wechselvollen Stimmungen seiner so erregbaren Seele flüchtete er sich zu seinem geliebten Instrument. Der alte Hofinstrumentenmacher und Kammermusikus Bachmann mußte ihm die sogenannten englischen Flügelclaviere bauen, die der Prinz vorzugsweise liebte, und von denen er, wie man sagt, dreizehn von verschiedenster Tonfärbung in seinem Palais aufstellen ließ, die er abwechselnd nach Lust und Laune spielte.

Im strengsten Studium der alten Italiener und Deutschen auferzogen, von Scarletti, Durante und Pater Martini an bis zu Bach, Mozart und Haydn, war es besonders Mozart, der Unerreichbare, dessen höchste Formenschönheit, bei allem Reichthum der Melodien und aller Leidenschaft, die Seele des Prinzen entzückte und in Banden schlug, bis die magischen Augen jenes seltsamen Zauberers ihm begegneten, der sich Ludwig van Beethoven nannte. –

So vollendet nun auch Louis Ferdinand die Schöpfungen Anderer wiedergab, liebte er es doch noch mehr sich in freien Phantasien zu ergehen, und diese eben wirkten, nach den Berichten seiner Zeitgenossen, wahrhaft hinreißend. Er vergaß dann Alles um sich her und spielte weiter und weiter, von einem Gedanken in den andern tauchend, bis ihm die Hände ermatteten und er sich plötzlich erhob wie aus Träumen erwachend. Niemand hätte ihn zu stören gewagt, keinerlei Nachricht erschien wichtig genug ihm in solchen Augenblicken zugetragen zu werden. „Dieses Glück wenigstens will ich ganz und ungetrübt genießen,“ sagte er, „man soll es mir gönnen!“

In so mancher kritischen Lebenslage fand er an seinem geliebten Clavier allein das Gleichgewicht wieder, so manchen Sturm beschwichtigten die Töne. Prinz Louis Ferdinand liebte es nicht vor einem großen Kreise zu spielen, nur Auserwählte durften ihn so hören, und vor Allem Frauen.

Wie oft hat die schöne Königin Louise seinem wunderbaren Spiel gelauscht; ebenso die ernste Rahel Levin, jene Prophetin des neunzehnten Jahrhunderts, deren Herz nicht minder groß als ihr Geist, und neben ihr vielleicht die reizende Schauspielerin Unzelmann, zu deren lachendem Bilde das Motto paßt: „wenn ihr das Leben gar so ernsthaft nehmt, was ist denn dran?“ Es mag wohl eine lange Liste reizender Frauen sein, die den Prinzen als Musiker bewundern dursten, eine Galerie weiblicher Schönheiten, unter denen die edle Henriette Herz und die wunderbare Pauline Wiesel geb. Cäsar als die hervorragendsten bezeichnet werden dürften. So verschieden wie der Charakter ihrer Schönheit war aber auch das Wesen und Leben dieser beiden Frauen. Henriette Herz mit ihren stolzen, fast classischen Zügen, der wundervollen Haltung und dem fleckenlosen Leben, jene Frau, die Prinz Louis Ferdinand einst der Rahel zuführte mit den Worten: „diese Frau ist nie so geliebt worden, wie sie es verdiente,“ und der strahlende Schmetterling Pauline, ein Wesen, das sich seiner Schönheit freute und wie ein Falter von Blume zu Blume, von Genuß zu Genuß flatterte. Von ihr könnte man sagen: „sie wurde mehr geliebt, als sie es verdiente.“

Sie klingen so märchenhaft, die Schilderungen jener Tage des Berliner Lebens und die Beschreibung der Kreise, deren Mittelpunkt Louis Ferdinand bildete. Die Frauen und nur die Frauen waren es, die den Ton angaben, Schönheit, Geist und Grazie regierten, man spielte mit den Herzen wie mit den Worten, und die Männer schienen nur da zu sein, um zu lieben, zu bewundern und mit sich spielen zu lassen. Und Einer eben war unter ihnen, der nicht nur lieben und tändeln, sondern auch geliebt, tief und wahrhaft um seiner selbst willen geliebt sein wollte, und dieser Eine war der Prinz. Ob ihm jene echte wahre Frauenliebe und Treue über Tod und Grab hinaus geworden, die er so heiß ersehnte? Wer kann es sagen?

Man hört oft die Behauptung aufstellen, daß auf die musikalische Bildung Louis Ferdinand’s, auf seine Richtung und seine Compositionen die Bekanntschaft und Freundschaft mit dem Claviervirtuosen und Componisten Dussek den wichtigsten Einfluß ausgeübt.

Johann Ludwig Dussek aus Czaslau in Böhmen hatte, als er 1790 nach Berlin kam, ein ziemlich bewegtes Leben als gefeierter Musiker in Paris und London geführt, eine Musikalienhandlung in London angelegt und durch dies Unternehmen fast sein ganzes Vermögen verloren. Mit jenem schönen Enthusiasmus und jener echten Herzenswärme, die ihn charakterisiren, näherte sich der Prinz Louis Ferdinand seinem Kunstgenossen, dessen Spiel er lebhaft bewunderte, und bot ihm in der feinsten und unwiderstehlichsten Weise alle und jede nur irgend erwünschte Unterstützung an. Seit jener Zeit war Dussek der tägliche und stets willkommene Gast im Palais des Prinzen und wurde zugleich sein Vertrauter und Freund. Mit erneutem Eifer widmete sich Louis Ferdinand nun der Composition und unterwarf mit der liebenswürdigsten Bescheidenheit seine Schöpfungen dem Urtheil des erfahrenen Musikers. Dussek staunte über solch’ eminentes Talent, sowohl in dem freien Vortrag, als auch in der Composition. Er erklärte aber zugleich frei und offen, daß er hier nicht als Lehrer aufzutreten sich fähig fühlte, und in der That waren es auch nur die Rathschläge der Erfahrung und die Winke des Musikers von Profession, die der Prinz Louis Ferdinand benutzte. Nicht der Hauch eines gemeinsamen Gedankens findet sich in den Schöpfungen Beider. Dussek componirte glatt und liebenswürdig, seine Muse könnte man mit einer leicht dahinschwebenden Schwalbe vergleichen, der musikalische Flug des Königssohns ist der eines Adlers. In seinen Variationen, Quartetten, Trios, Quintetten (bei Breitkopf und Härtel erschienen) und vor allem in seinem ergreifenden F-Moll-Quatuor wogt und wallt eine Fülle tiefer Ideen, glühender Empfindung, sie sind frisch und glänzend figurirt, voller Größe und Kühnheit, regellos zuweilen, aber immer durchaus edel.

Von gleicher Verschiedenheit war das Spiel Beider. Dussek zeigte sich hier blendend und elegant, glänzend und zuweilen auch warm, der Prinz leidenschaftlich und ungestüm, voll Gluth und Seele, Licht und Innigkeit, nirgend gemaltes Feuer, echte Flammen! Einen verbesserten Dussek zu finden in unseren Tagen dürfte nicht schwer sein, bei dem Spiel des Prinzen kann man nur an Liszt und Chopin denken, nach den Beschreibungen, die davon vorliegen.

Dussek’s heiterer Sinn, sein leichtes, halb französisches Wesen waren dem Prinzen angenehm, der gefeierte Musiker verstand in seltenem Maße die Kunst den Augenblick zu genießen, er dachte nicht besonders hoch von den Frauen und kümmerte sich wenig um die Männer; alle Wärme aber, deren sein Herz fähig war, gab er seinem königlichen Freunde, an ihm hing er wie an Nichts in der Welt bis zum letzten Hauche seines Lebens. Einfluß auf die musikalische Richtung, wie sie in seinen Compositionen zu Tage tritt und in seinen freien Phantasien sich kund gab, hat nur Einer gehabt: Ludwig van Beethoven.

Himmel war es, damals 1796 noch Kapellmeister in Berlin, der dem Prinzen eines Tages Beethoven’sche Compositionen spielte, von denen Louis Ferdinand hingerissen war.

„O wer ihn kennen lernen, mit ihm reden, ihn hören konnte!“ rief der Prinz begeistert.

„Dazu könnte Rath werden; wenn Durchlaucht den Beethoven, der jetzt auf der Reise nach Wien in Leipzig verweilt, aufforderten nach Berlin zu kommen, würde er sicher nicht zögern. Man sagt, daß er ein Meister sei im Phantasiren, nebenbei freilich ein etwas seltsamer Kauz, der mit den Großen dieser Erde nicht viel Umstände macht!“

„Desto besser! Schreiben wir ihm auf der Stelle!“

Wenige Wochen später war Ludwig van Beethoven in Berlin. –

Das größte Musikzimmer des prinzlichen Palais strahlte am Abend des 10. October 1796 in einem Meer von Licht. Von den Kronleuchtern und Girandolen floß es wie Sonnenschein und das lebensgroße Bildniß Friedrich’s des Zweiten schaute aus seinem prachtvollen Rahmen ganz erstaunt darein. Das Clavier war aufgeschlagen, Notenblätter lagen auf dem Tabouret, das man daneben geschoben hatte. Auf dem spiegelglatten Parket bewegte sich eine kleine auserlesene Gesellschaft von Musikfreunden. Man erwartete Ludwig van Beethoven. Die Prinzessin Ferdinand in ihrer königlichen Ruhe rauschte in ihrem blaßgrünen Schleppkleide daher, auf den Arm ihres jungen Schwiegersohns, des Fürsten Anton Radziwill gestützt, während die Kronprinzessin Louise mit der jungen Fürstin Arm in Arm leise plaudernd folgte. Der jugendliche Prinz [727] August und der schöne Graf Tilly standen in einer Fensternische harmlos scherzend und lachend, und nur Prinz Louis Ferdinand erschien zerstreut und unruhig. Wiederholt glitt er mit der schlanken Hand über die Tasten, wanderte hin und her und warf ungeduldige Blicke auf die prachtvolle Pendule, die bereits die siebente Stunde zeigte. Der Capellmeister Himmel war von ihm abgesandt worden, den Ehrengast in das Palais zu geleiten, und mit einer Spannung ohne Gleichen erwartete Louis Ferdinand den Eintritt Beethoven’s. Jede Unterhaltung ermüdete ihn, er brach sie, kaum begonnen, wieder ab. In diesem Augenblick nun blieb er bei der Kronprinzessin stehen und sagte lächelnd: „es ist als ob ich eine Geliebte erwartete, ich bin wie im Fieber!“

„Und ist es nicht eine Geliebte, theurer Vetter,“ erwiderte die schöne Frau, „wenn auch in etwas seltsamer Gestalt, nämlich die heilige Cäcilia? Wenn die Schönste und Gefährlichste der Frauen einen Besuch verheißen, da ist solch Fieber wohl natürlich!“

Kaum waren diese Worte gesprochen, als die Flügelthüren sich öffneten und Francois, der Kammerdiener des Prinzen, die Erwarteten meldete. Tief aufathmend und erregt eilte Louis Ferdinand ihnen einige Schritte entgegen. Am Arme Himmel’s trat Ludwig van Beethoven in den Saal.

Die damalige Erscheinung des Meisters beschreibt Seyfried folgendermaßen: „Der Körperbau Beethoven’s war gedrungen, nicht groß, starkknochig, voll Rüstigkeit, ein Bild der Kraft; sein Haupt hatte sich mit dunklem Haargebüsch bedeckt, das ungeordnet, mehr mähnenartig als lockig umherlag; die Stirn war breit und vordringend über den dunkeln Augen gelagert, die schon tiefer und verschlossener zurücktraten; die Nase war kräftig, mehr in die Breite entwickelt als vordringend, von deutschem, nicht römischem Profilschnitt; der Mund war wohlgebildet.“

Ohne Schüchternheit, aber auch ohne Verbindlichkeiten grüßte Beethoven die Versammlung und war, als die Vorstellung vorüber, sofort mit dem Prinzen in ein tiefes Gespräch verwickelt. Später nahm auf den Wunsch der Prinzessin Ferdinand der Capellmeister Himmel Platz am Clavier und phantasirte mit gewohnter Meisterschaft unter dem lebhaftesten Beifall, indem er aus seinen Opern von dem primo navigatore an bis herab zu der beliebten Fanchon die bekanntesten Melodieen kunstvoll in einander webte zu einem lebendigen farbenfrischen Tonbilde. Dann spielte Prinz Louis Ferdinand auf die Bitte seines Gastes die Beethoven’sche Fdur-Sonate mit ihrem herrlichen Largo. Als er geendet, reichte ihm Beethoven beide Hände in lebhafter Bewegung hin und sagte mit seinem herzgewinnenden Lächeln: „Das war gar nicht königlich oder prinzlich, sondern meisterlich wie ein tüchtiger Clavierspieler und Musiker gespielt!“

Wie oft und mit welchem freudigen Stolz citirte Louis Ferdinand später noch diese Worte seines geliebten und bewunderten Meisters! Man durfte nun endlich hoffen auch den Gast spielen zu hören. Eine erwartungsvolle Stille trat ein, nachdem die Damen Platz genommen, Aller Augen wandten sich dem Clavier zu, ein mächtiger Accord – und Ludwig Beethoven spielte die Seelen aller seiner Hörer gewaltsam mit sich reißend hinauf in seine Sonnenbahn.

Bekanntlich ist Beethoven als musikalischer Improvisator unerreicht gewesen. Selbst bei dem Wettstreit zwischen ihm und dem berühmtesten Pianisten der damaligen Zeit, Wölfl, der einst in Wien im Hause des Freiherrn von Werthern stattfand, siegte er glänzend, obgleich beide Nebenbuhler in der Technik auf gleicher Stufe standen und Wölfl’s Hand viel größer war und mit Leichtigkeit zehn Töne spannte. Aber Wölfl „unterhielt“ nur angenehm, während Beethoven allem Irdischen entrückt „im Reiche der Töne schwelgte“, wie Seyfried sagt, „und sein Geist ihn zu Kraftäußerungen trieb, denen das Instrument kaum zu genügen vermochte.“ Das Feuer seines Vortrags, die düstere Leidenschaft seines Wesens, die überraschenden Wendungen und Contraste, die abenteuerlich erhabenen Ideen wirkten immer überwältigend. Jeder mußte eben fühlen, wie heiliger Ernst es ihm war mit der Musik, wie er sie als die einzige wirkliche Sprache seiner Seele betrachtete. Die Gruppe seiner Hörer war in Fesseln geschlagen. Der Fürst Radziwill, auf den Sessel seiner Frau gestützt, verwandte kein Ange von dem Spieler. Seine musikalische Seele war hingerissen, und auf den Wangen der lieblichen Prinzessin blühten die Rosen lebhaftester Erregung. In tiefes Sinnen verloren lehnte die Prinzessin Ferdinand in ihrem Sessel, die Mutteraugen ruhten mit einem Gemisch von Zärtlichkeit und Sorge auf dem Antlitz ihres Lieblings, Louis Ferdinand, dessen Sein und Wesen ihr schon so manchen stillen Kummer gebracht, den sie bewunderte, auf den sie stolz war, und um dessen Zukunft ihr doch heimlich bangte, wie eben nur einer Mutter, deren Herz sie ja so oft zur Hellseherin macht, bangen kann. Unmittelbar hinter dem Sessel Beethoven’s saß der Prinz. Das vollste Licht fiel auf die schlanke Jünglingsgestalt, auf diese wunderbar edle Stirn, auf das Antlitz, das im Glanze höchster Begeisterung strahlend schöner als je erschien. Die Seele, jene wunderbare Doppelseele, von der

Die eine hält in derber Liebeslust
Sich an die Welt mit klammernden Organen,
Die andre hebt gewaltsam sich vom Duft
Zu den Gefilden hoher Ahnen – –

durchleuchtete die Hülle, es war ein Bild ungebrochener Jugendkraft. – Zehn Jahre später an demselben Tage, vielleicht zu derselben Stunde, wer hätte es damals ahnen können, umzog dies stolze Haupt die Glorie des Heldentodes – Prinz Louis Ferdinand lag kalt und starr auf dein Schlachtfeld von Saalfeld.

Und jetzt? Die eine Hand umschloß fest die goldene Verzierung der Lehne des Sessels Beethoven’s, wie in Träumen verloren hing sein Blick an jener Frauengestalt, die sich langsam erhoben und jetzt, wie die Muse der Tonkunst selber, neben dem Spieler stand. In tiefster Bewegung, das wunderschöne Haupt gegen ihn hingeneigt, war die Kronprinzessin unwillkürlich näher und näher herangetreten, wie gewaltsam vorwärts getrieben – bis sie endlich hingerissen, unter strömenden Thränen leise die zarte Hand auf den Arm Beethoven’s legte und flüsterte: „O laßt den Himmel wieder blau werden, das Herz thut mir zum Sterben weh!“

Da hob er seine Augen und sah sie lange und fast staunend an, die schöne Frau, die künftige Königin Louise, und – allmählich zog ein leises Lächeln wie ein Sonnenstrahl über das ernste Antlitz. Mit einem kraftvollen Accord verließ er nun das Reich der bangen Klage, die wilden Wogen ebneten sich, Wolkenschatten huschten dahin, die Nacht verschwand allmählich, höher und höher zog das Licht herauf, bis Alles hell wurde und blau wie die Augen der zauberischen Frau, deren Thränen eben vor ihm geflossen.

Beethoven hat dem Prinzen Louis Ferdinand zum Andenken an jenen Abend des 10. Octobers 1796 sein herrliches C moll-Concert op. 37 dedicirt. Es war in dem Rudolstädter Schlosse in der Nacht vor der verhängnisvollen Schlacht bei Saalfeld, als Prinz Louis Ferdinand es zum letzten Mal spielte.

Wie eine Fata Morgana stieg die Erinnerung an jenen Musikabend in den glänzenden Räumen daheim vor seiner Seele auf: er sah den geliebten Meister so deutlich vor sich und fühlte, sein Herz von seltsamen Schauern bewegt, es sang und klang wunderbar um ihn her, auf den goldenen Wellen der Töne tauchten sie empor, alle jene lieben fernen Gestalten, die ihn damals umgaben, und wie zwei Sterne strahlten sie ihn an, die thränenvollen Augen einer angebeteten Königin, und er hörte ihre süße Stimme so deutlich flüstern: „das Herz thut mir zum Sterben weh!“ daß er erschrocken aufsprang und das Clavier schloß. Ahnete er, daß ein Tag heraufzog, um den noch heißere Thränen aus den schönsten Augen fließen sollten, als damals, daß die Königin Louise bald noch bitterer klagen werde: „mein Herz thut mir zum Sterben weh,“ als an jenem Musikabende – – und daß diese Thränen und diese Klage dann ihm galten – einem Todten?!