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Ein Maler des Krieges

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Textdaten
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Autor: Hermann Trescher
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Titel: Ein Maler des Krieges
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 151–152
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[151] Ein Maler des Krieges. Noch bis vor Kurzem war der schnell zu europäischer Berühmtheit gelangte russische Maler Wasili Wereschagin bei dem größeren Publicum Deutschlands so gut wie unbekannt; London, Petersburg, Paris feierten ihn als einen der ersten Meister unter den Lebenden. In Deutschland aber nannte Niemand seinen Namen, obgleich er vier Jahre in München gelebt und geschafft hatte; erst als er seine Werke in Wien ausgestellt hatte und die österreichische Presse mit seltener Einstimmigkeit und ungewohnter Begeisterung seinen Ruhm verkündete, wurde auch das Echo bei uns lebendig.

Jetzt ist Berlin in der Lage, selbst zu prüfen und findet sich vor etwas Ungeahntem, Erstaunlichem, Gewaltigem, vor einem Meister, der durch die Kühnheit seiner Composition und die dramatische Lebendigkeit der Schilderung ebenso hinreißt, wie er durch seine grauenvollen Vorwürfe und die unbarmherzige Wahrheit, mit welcher er die Natur wiedergiebt, [152] oft erschüttert, oft abstößt, immer aber fesselt. Dazu gesellt sich eine Technik, die mit souverainer Meisterschaft über alle Hülfsmittel ihrer Kunst verfügt, hier mit kühnen breiten Pinselstrichen Riesengemälde auf die Leinwand wirft und dort sich mit peinlichster Sauberkeit in die Ausmalung des Details vertieft. Auch die Farbe ist dem Künstler unterthan zu jedem Dienste, den er von ihr fordert; Luft und Wasser, Licht und Dunkel behandelt er mit gleicher Treffsicherheit; großartig concipirte Landschaften stehen neben kolossal angelegten Historienbildern, charakteristische Portraitstudien neben fein ausgeführten Genrescenen – kurzum, er wagt sich auf jedes Gebiet seiner Kunst, und in jedem ist er Meister.

Die in den schönen Sälen des Kroll’schen Theaters befindliche Collectivausstellung seiner Werke bildet seit Wochen den Mittelpunkt des künstlerischen Interesses der Reichshauptstadt. Sie bietet auch mehr als eine unserer gewohnten Gemälde-Ausstellungen; denn sie führt uns gleichsam den ganzen Mann vor, sein bewegtes, abenteuerliches Leben, die Früchte und Sammlungen seiner zahlreichen Reisen und Feldzüge, die Trophäen seiner oft lebensgefährlichen Jagden, wie Tiger- und Bärenfelle, kurzum, Sie trägt einen ausgeprägt individuellen Charakter von pikantestem Reize.

Erhöht wird derselbe durch das ganze Arrangement. Versetzen uns schon die bärtigen russischen Diener in ihrer Landestracht in eine fremde Welt, so fühlen wir uns völlig von dem Treiben draußen isolirt, wenn wir plötzlich in dem mit elektrischem Lichte beleuchteten Saale stehen und uns mächtige, buntprangende Schildereien entgegenleuchten, die alle Farbengluth des Orients über uns auszuströmen scheinen. Jene düsteren, entsetzlichen, nervenerregenden Bilder aus dem russisch-türkischen Kriege, dazu die mit ernsten, getragenen Männerchören wechselnden Töne des unsichtbaren Harmoniums, dessen klagende, schwermüthige Weisen eine weihevolle Stimmung in uns erwecken – das ruft einen überwältigenden, unvergeßlichen Eindruck hervor. Nebenbei sei bemerkt, daß die Beleuchtung der Gemälde mit elektrischem Lichte sich ganz vortrefflich bewährt; die Farben behalten Glanz und Frische, und jede vom Künstler beabsichtigte Wirkung kommt zur vollsten Geltung.

Ueber Wereschagin’s Lebensgang giebt uns der Katalog einige Anhaltspunkte. Geboren wurde er am 26. October in Tscherepovetz, Gouvernement Nowgorod, von russischen Eltern, doch war eine seiner Großmütter Tatarin. Er erwarb in der Marineschule zu Petersburg das Officierspatent, wandte sich dann der Malerei zu und wurde Schüler der Akademie, die ihm für sein erstes Bild, „Odysseus tödtet die Freier“, eine Medaille zuerkannte. Er hat später dieses Bild eigenhändig vernichtet. 1863 ging er auf Studienreisen nach Berlin, Paris und den Pyrenäen, 1864 in den Kaukasus, trat aber noch in demselben Jahre in Paris als Schüler in das Atelier Gérome’s. 1867 bis 1870 nahm er an dem Feldzuge des Generals Kaufmann in Turkestan Theil und erwarb für seine persönliche Tapferkeit hohe militärische Auszeichnungen; 1870 bis 1873 arbeitete er in Horschelt’s Atelier in München, und 1874 bis 1876 bereiste er, zum Theil im Gefolge des Prinzen von Wales, Indien.

Beim Ausbruch des russisch-türkischen Krieges schloß er sich sofort der Avantgarde des älteren Skobeleff an, wurde an der Donau schwer verwundet, ging nach seiner Genesung mit General Gurko über den Balkan und kehrte nach Abschluß des Waffenstillstandes nach Paris zurück, wo er seitdem in seinem riesigen Atelier in Maison Lafitte eine rastlose Thätigkeit entfaltet.

Wereschagin’s künstlerischer Charakter ist mit wenigen Worten bezeichnet: er ist ein rücksichtsloser Realist, welcher der Natur unerschrocken zu Leibe geht und nur ein Gesetz über sich anerkennt: die Wahrheit. Aber er ist von unseren modernen Realisten, die sich meist als bloße Photographen und Abschreiber der Natur zu geben lieben, grundverschieden; denn er stellt seine Kunstübung überall in den Dienst einer sittlichen Idee, und „Krieg dem Kriege!“ ist die Losung, welche auf seinem Banner steht. Man komme hier nicht mit dem Einwand der Tendenzmalerei; die Forderung, daß jedes Kunstwerk Selbstzweck sei, schließt nicht aus, daß sich der Künstler seiner culturellen, seiner ethischen Aufgabe bewußt bleibe, und der Priester des Schönen soll immer auch ein Priester des Wahren und Guten bleiben. Daß freilich Wereschagin über[WS 1] dem Wahren und über seiner sittlichen Idee das Schöne häufig über Gebühr vernachlässigt und in den Hintergrund drängt, läßt sich nicht ableugnen, und hier ist der Vorwurf der Einseitigkeit, die aus der ausschließlichen Betonung der einen Tendenz entspringt, in einem gewissen Grade gerechtfertigt.

Aber sind etwa unsere landläufigen Realisten Verkünder des Schönheitsideals? Die Wände unserer Ausstellungsräume predigen seit Jahren das Gegentheil mit abschreckendster Deutlichkeit. Und jene haben nicht einmal den Entlastungsgrund, daß, was sie dem Schönen rauben, dem Guten zu Statten komme. Ueberdies gilt diese Einseitigkeit, die man vom künstlerischen Standpunkte aus bedauern mag, vom ethischen und volkserziehlichen aber zustimmend begrüßen muß, nur von Wereschagin’s Kriegsbildern; in Seinen Orientbildern, welche Vorwürfe des Volkslebens und dergleichen behandeln, vereinigen sich genaues Studium der localen Verhältnisse und poetische Auffassung und Wiedergabe zu Werken von unbestreitbar großer harmonischer Schönheit.

Dazu gehören beispielsweise: „Der Großmogul in seiner Privatmoschee in Delhi“, „Die Moschee über Tamerlan’s Grabe in Samarkand“ und vieles Andere. Das neuerdings so populär gewordene ethnographische Genre hat durch Wereschagin, beiläufig bemerkt, eine unschätzbare Bereicherung erfahren; von deutschen Meistern kann sich unter den Lebenden nur Wilhelm Gentz, von fremden nur der Pole Joseph Brandt mit ihm messen, welche beide, wie er, „vieler Menschen Städte geschaut und Sitten erfahren“ und in der künstlerischen Wiedergabe fremder Volkstypen, in dem sicheren Erfassen des Charakteristischen, sowie in der Leuchtkraft der Farbe und der Sicherheit der Technik ihm ähnlich und ebenbürtig sind.

Es ist unmöglich, aus der mehr als hundertfünfzig Nummern umfassenden Ausstellung auch nur das Wichtigste herauszuheben. Neben den farbenprangenden indischen Bildern, deren eines den Einzug des Prinzen von Wales in Jeypore mit vier nahezu lebensgroßen Elephanten schildert, während uns daneben auf einer Wiesenlandschaft die Gipfel des Himalaya in ihren blendenden Schneemänteln entgegenleuchten, wird das Interesse des Publicums in erster Linie durch die Schlachtenbilder gefesselt. Nie ist das Elend, das Entsetzen, all der trostlose Jammer des Krieges ergreifender, beredter, abschreckender gepredigt worden, als in diesen Darstellungen aus dem russisch-türkischen Kriege.

Von den idealen Seiten, die man dem Kriege nachrühmt, weiß Wereschagin nichts; er schildert nicht homerische Einzelkämpfe, die das Herz des Jünglings höher schlagen machen, nicht den begeisterten Tod für’s Vaterland, nicht den frischen, fröhlichen Kampf für eine menschheiterlösende Idee – er sieht überall nur den Massenmord, das erbarmungslose, brutale, entsetzliche Hinschlachten von Tausenden und Abertausenden. Wofür fielen diese Männer, wofür erfroren unsere Jünglinge, welcher begeisternde Gedanke wärmte diesen Vorposten das Blut, bis sie im Schipkapasse von den Schneewehen begraben wurden?

Wir warten vergebens auf Antwort. Entsetzen, Grauen, Vernichtung überall – nirgends ein Strahl des Lichtes, der Verheißung! Nur in des Künstlers Seele dämmert ahnungsvoll das Morgenroth eines künftigen schönen Tages, von dem unsere Dichter sagten und sangen. Ob er kommen wird, ob er kommen kann – wer vermöchte das zu sagen? Klar wird uns aus diesen Wereschagin’schen Bildern jedenfalls das Eine, daß die Art der modernen Kriegführung den letzten Hauch der Poesie vom Schlachtentode abgestreift hat; die Tapferkeit des Einzelnen vermag sich nicht mehr in kühner That, sondern nur in schweigendem Dulden, in willenlosem Erliegen zu bekunden; nicht mehr sausen die Walküren über das Schlachtfeld, um den Helden nach Walhall emporzutragen – gestorben, verdorben und – ach in wie vielen Fällen! – zweck- und ziellos geopfert, modern sie im gemeinsamen Grabe – kaum, daß sie wußten, wofür sie ihr Leben ließen.

Es gehören starke Nerven zur Vertiefung in diese Bilder. Als Titelblatt können wir die Apotheose des Krieges betrachten, welche der Künstler allen Siegern der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft widmet. Eine Schädelpyramide, wie sie Tamerlan als Denkmäler seiner Kriegsthaten zu errichten pflegte – Schädel auf Schädel gethürmt und ringsum die Geier, welche das letzte Fleisch von den Knochen reißen. In diesem Bilde wird uns der Cyklus symbolisch angedeutet. Man erlasse mir die Schilderung des Schlachtfeldes bei Plewna, des türkischen Lazareths, der Gräber auf Schipka, des mit Leichen besäeten Weges von Plewna nach der Donau!

Einen wahrhaft erschütternden Eindruck macht das Bild „Besiegte“, zu welchem der Maler folgenden Commentar giebt: „Zwei Tage nach der Uebergabe der Festung Telisch trugen die Russen die von den Türken verstümmelten Leichen, ungefähr 1300 an der Zahl, zusammen. Der Priester sprach ein letztes Gebet; dann wurden sie in das gemeinsame Grab gelegt ....“

Ein ödes, weites Blachfeld. Nebel erfüllt die Luft – bald wird er sich zu Schnee verdichten und sie alle einhüllen, die hier Reihe an Reihe neben einander liegen, starr, kalt, todt. Die einzig Lebenden in der schauerlichen Stille sind der Pope im schwarzen Gewande und ein russischer Unterofficier. Die Wirkung ist um so grauenerregender, als aus dem Massengrabe uberall die Köpfe hervorragen, während die Leiber dürftig mit Erde beschüttet sind.

Ja, diese Bilder reden mit fürchterlicher Beredsamkeit, und daß wir wissen, ihre Worte werden ungehört verhallen, wie die Stimme des Predigers in der Wüste, verbittert die trostlose Stimmung, in welcher uns der Künstler entläßt. Doch bald siegt das Gefühl der Bewunderung über sein eminentes Können, sein in allen Sätteln gerechtes Genie. Mag man nun über Nutzen und Nothwendigkeit der Kriege denken, wie man wolle, mag man einwerfen, daß, wenn Millionen durch die Ruhmsucht von Despoten oder die Eifersucht und Intriguen der Cabinete in den Tod getrieben wurden, auch die Sonne der Freiheit bisher stets in Blut getaucht über den Völkern aufging, daß jede große, weltumwälzende Idee Hunderttausende von Opfern forderte, ehe sie ihre segensreichen Einflüsse zu entfalten vermochte – unserem Künstler wird man zugeben müssen, daß er seinen Standpunkt mit aller Energie seines Talentes vertheidigt und jedenfalls die von ihm beabsichtigte Wirkung voll und ganz erzielt. Aber abgesehen davon, bietet er eine solche Fülle des Schönen, des Vollendeten, daß ihm Niemand den Zoll der Bewunderung versagen wird. Und seine Technik verblüfft auch den Meister. Er malt den Marmor, wie es nur je Alma Tadema gekonnt; seine große, ganz in Weiß gehaltene Schneelandschaft springt uns in all ihren Contouren mit plastischer Schärfe in die Augen; hier hebt sich der in den weißen Burnus gehüllte Indier in vollster Körperlichkeit von der glänzenden Marmorwand der Moschee ab; dort schafft der Künstler im „Gefängniß zu Samarkand“, in dessen tief im Schatten liegende schreckliche Höhlen ein verirrter Sonnenstrahl fällt, ein Meisterstück des Helldunkels. Diese Beispiele ließen sich bei der phänomenalen Vielseitigkeit Wereschagin’s in’s Unendliche vermehren, und es ist gleichgültig, ob, namentlich in den großen Tableaus, manches zu flüchtig ausgeführt worden; denn jedem kleinen Vorwurfe gegenüber vermögen wir auf eine Reihe großer Leistungen hinzuweisen, die bekunden, daß unser Künstler alles kann, was er will.

Hermann Trescher.     

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: stber