Ein Käfer als Hausthier
[35] Ein Käfer als Hausthier. Wenige Kerbthiere erweisen sich bekanntlich so nützlich, daß der Mensch sie in seine Obhut genommen hat, sie gleichsam als Hausthiere pflegt und züchtet; so eigentlich nur die Honigbiene, Seidenraupe, Cochenille und zuletzt auch der Mehlkäfer (Tenebrio molitor), dessen Larven die Nachtigall, die gefiederte Sängerkönigin, ebenso gerne als Leckerbissen verzehrt, wie unsere Primadonnen für Austern schwärmen.
Dieser allbekannte schwarze Käfer von etwa 13 bis 14 Millimeter Länge ernährt sich, seinem Namen entsprechend, vorzugsweise von mehlhaltigen Stoffen, obwohl er auch mancherlei andere, so namentlich Fleisch, verzehrt. Er führt eine nächtliche Lebensweise und schwirrt in der Dunkelheit, nach Nahrung oder einem Ort zum Eierablegen suchend, umher. Die aus den letzteren schlüpfenden Larven, welche bis 28 Millimeter lang werden, walzenförmig und glänzend gelb sind, einen kleinen harten Kopf und drei Paar Füße haben, nennt man Mehlwürmer, und sie werden nicht allein in Mühlen, Bäckereien etc. eingesammelt, sondern auch massenhaft gezüchtet, da man mit ihnen die gefiederten Sänger, die im Käfig gefangen gehalten werden, zu füttern pflegt, ja unter Umständen füttern muß.
In einem geräumigen, mehr breiten als tiefen, innen glasirten Topfe oder einem entsprechenden mit Blech ausgeschlagenen Kasten wird am günstigsten in der Zeit vom April bis Ende Juni die Mehlwurmhecke eingerichtet, indem man den Raum bis etwas über die Hälfte mit gut ausgetrockneter Weizenkleie füllt, auf diese hartgetrocknete Brodkanten und darüber wollene, mit Weizenmehl schwach bestäubte Lappen, Tuchflicken u. dergl. packt. Hierauf schüttet man in den Topf eine Hand voll Mehlkäfer als Zuchtthiere oder in Ermangelung derselben große Mehlwürmer hinein. Man läßt nun den Topf einige Monate lang unberührt stehen, und in dieser Zeit setzen die Käfer ihre Brut in den wollenen Lappen ab. Zur Fütterung und Tränkung für die Käfer und dann auch für die heranwachsenden Mehlwürmer giebt man täglich nur zerriebene Gelbrüben oder Möhren auf einer Lage von mehreren Blättern Löschpapier, welches mit einer Stricknadel mehrfach durchstochen ist und auf einem Brettchen oder Bleche an eine Seite gelegt wird.
Sorgsamkeit und Reinlichkeit ist auch für die Verpflegung dieses Hausthierchens nothwendig, und man soll nicht glauben, daß dasselbe, wenn der Inhalt des Topfes faul wird oder zu schimmeln beginnt, gut gedeihe. Dringend gewarnt sei daher auch vor der Fütterung mit todten Vögeln oder anderm Fleische. Die faulenden Stoffe schaden zwar den Würmern selbst nicht. Da aber die Vögel bekanntlich auch den Darminhalt der Würmer mit verzehren, so können die in demselben vorhandenen fauligen Stoffe leicht eine vergiftende Wirkung ausüben. So bietet der Mehlwurmstopf, im warmen Zimmer unter einem Spinde oder dem Sopha stehend, nicht allein willkommene Nahrung für die gefiederten Lieblinge, sondern auch eine Quelle für erhebliche Nebeneinnahmen, da das Kilo Mehlwürmer überall für sechs Mark und darüber Abnehmer findet. In der Häuslichkeit aber birgt die Mehlwurmshecke, namentlich wenn viele Töpfe oder Kasten vorhanden sind, auch eine ernste Gefahr. Wenn irgend etwas darin fault oder stockt, so ist die Ausdünstung für die menschliche Gesundheit bedrohlich.
Fast ebenso schlimm aber kann die Mehlwurmshecke auch noch in einem anderen Falle werden. „Wehe, wenn sie losgelassen!“ – die Plage nämlich, welche, aus dem Mehlwurmstopf herstammend, wohl die ganze Wohnung mit Ungeziefer überschütten kann. Motten, Milben, Speckkäfer und dergl. entwickeln sich massenhaft darin, wenn man es nicht sorgsam verhindert. Die Mehlwurmhecke muß daher einerseits wohl verwahrt sein, während sie andererseits aber auch keinenfalls luftdicht verschlossen werden darf. Darum verbindet man den Mehlwurmstopf oder Kasten entweder mit einem festen Stück Gaze oder schließt ihn besser mit einem Deckel aus Metallgaze, durch welche die Luft hineindringen kann, die Käfer und Larven aber nicht hinaus können. Dr. Karl Ruß.