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Ein Hexenproceß in Loango

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Textdaten
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Autor: Eduard Pechuel-Loesche
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Titel: Ein Hexenproceß in Loango
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 177–180
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[177]

Ein Hexenproceß in Loango.
Von Dr. Pechuel-Loesche.[1]

In dem unsrer Station Chinchoxo sehr nahe gelegenen Dörfchen Lusala war Nsoami, das junge Weib eines uns wohlbekannten Negers, von der unheilbaren und von den Schwarzen sehr gefürchteten Schlafkrankheit befallen worden. Da der Neger der Loangoküste – übereinstimmend mit den Angehörigen wohl aller wilden, sogenannten Naturvölker – eine natürliche Todesursache höchstens nur dann annehmen und verstehen kann, wenn hohes Alter und dem entsprechender langsamer Verfall des Körpers ihn folgerichtig auf ein endliches Erlöschen der Lebenskraft vorbereitet haben, da ihm aber ein Erkranken und Sterben rüstiger und junger Leute widernatürlich erscheint, so findet er, von Gespensterfurcht gequält und in seinem Schrecken und seiner geistigen Unfreiheit nach einer Erklärung, nach Beruhigung suchend, solche nur in der Annahme von wirksamer Bosheit zauberkundiger Mitmenschen. Diese sind ihm greifbar; er kann sich gegen sie wehren, sich an ihnen rächen.


Ngangas aus der Umgegend von Chinchoxo.
Nach einer Photographie des Stabsarztes Dr. Falkenstein.


Das Leiden des in voller Jugendkraft erst kürzlich erheiratheten Weibes konnte demnach auch nur die Folge geheimer Böswilligkeit Andrer, das Resultat einer Verhexung sein. Ngo, der junge Ehemann, aus guter Familie stammend, wohlhabend und, wie seine zahlreichen Geschwister, durch körperliche und geistige Vorzüge gleich ausgezeichnet, hatte die Ngangas der Umgegend und manche Berühmtheit aus der Ferne herbeigerufen, doch erwiesen sich alle Heilkünste derselben nicht stark genug, um den Bann zu brechen.

Diese Ngangas sind Zauberärzte, Hexenmeister, welche, theils als schlaue Betrüger, theils im festen Glauben an ihre eigene geheimnißvolle Macht über die bösen Zauberkünste Andrer und wirksam unterstützt durch die Schwächen ihrer Mitmenschen, Kranken, Besessenen und Verhexten mit ihrem Hocuspocus gegen Bezahlung zu Hülfe kommen. Sie sind übrigens auch im Besitze mancher heilkräftiger Mittel, sowie einiger Gifte und erfahren in deren Anwendung. Stirbt ihnen der oder die Behandelte, oder ist ein Todesfall ohne ihre Mitwirkung eingetreten, so sind sie auch bereit, gegen weiteres Honorar den schlimmen Zauberer, den Ndodschi, [178] aufzuspüren. Mit der Verhältnissen des öffentlichen Lebens und der Familien entweder schon hinreichend vertraut oder sich im besondern Falle darüber unterrichtend, folgen sie, bewußt oder sich in eine Ueberzeugung hineinlügend, mit ziemlichem Glücke dem Volksinstincte und suchen die Schuldigen immer unter Denjenigen, welche das meiste Interesse haben konnten an einer Schädigung von Leib und Leben eines Andern. Das wichtigste Leitmotiv hierbei ist zunächst der bei dem Neger neben dem Selbsterhaltungstriebe am stärksten hervortretende Eigennutz, die Habgier. Bei einem Todesfalle, welchen nur ein Ndodschi bewirkt haben kann, ist es gefährlich, Erbe zu sein; es ist im Allgemeinen schon gefährlich, wohlhabend oder mißliebig, ohne ausgebreitete Familienverbindungen zu sein, in Feindschaft mit dem Verstorbenen gelebt oder übelwollend von ihm gesprochen zu haben. Der öffentlichen Meinung schmeichelnd, bezeichnen die Ngangas einen Mann oder ein Weib oder auch mehrere zugleich als Ndodschi, welche dann dem Gottesgerichte sich zu unterwerfen haben. Viele Verklagte nehmen nun ohne Weiteres vertrauensvoll die Nkassa, die Rinde eines Giftbaumes (Erythrophloeum Guineense), deren Wirkung über ihre Schuld oder Unschuld entscheidet, ja Manche erbieten sich freiwillig auch bei einem weniger ernsten Verdachte hierzu. Andere aber, unsicher, befangen in der Beurtheilung des eigenen Wesens, aber schon aufgeklärter und mißtrauisch geworden gegen die Gerechtigkeit eines nur von Menschen verwalteten Gottesurtheiles, trachten demselben zu entgehen durch den Einfluß der Familie, der Freunde, durch Bestechung, im schlimmsten Falle auch durch die Flucht und durch freiwillige Hingabe in Sclaverei an einen Mächtigen, welcher sein Eigenthum zu schützen vermag.

Seine Unschuld erweist nur der, welcher die ihm verabreichte Giftrinde, als solche, durch Erbrechen vollständig wieder von sich giebt, bevor die tödtliche Wirkung derselben eintritt. Dann wird er gefeiert, im Triumph umhergeführt und ist gewöhnlich für alle Zukunft gegen ähnliche Anklagen gefeit. Denn die Ankläger haben Reugeld, für ihre Verhältnisse oft ein sehr hohes, an den Unschuldigen und seine Familie zu zahlen, und halten sich ihrerseits wieder an die Ngangas oder deren Angehörige, welche ihnen natürlich nicht nur diesen Verlust ersetzen, den Lohn zurückgeben, sondern auch noch eine Buße zahlen sollen. Zuweilen wird wohl an einem oder dem andern der Ngangas eine exemplarische Volksjustiz geübt, wenn das Volk sich plötzlich bewußt wird, daß es ja in den Händen dieser Leute liegt, die giftige Rinde zu präpariren, zu vermischen, ihre Eigenschaften durch Auslaugen abzuschwächen oder sonst wie beliebig zu verändern. In der Regel aber wissen dieselben sich schlau zu helfen, geben an, daß irgend welcher Umstand die gebrauchten Mkissi (sogenannte Fetische, irgend welche von kundiger Hand geformte Dinge, von welchen geglaubt wird, daß ihnen eine besondere, dem Besitzer dienstbare Macht innewohne) verwirrt und erzürnt habe, und suchen den Irrthum wieder gut zu machen durch Ausspüren anderer Schuldiger, bis dem Verlangen nach einem echten Ndodschi Genüge gethan ist. Wäre nicht die Furcht vor dem zu zahlenden Reugelde, hielte die Habgier der Neger ihrem Aberglauben nicht so häufig das Gleichgewicht, so würde jeder Todesfall so viele andere nach sich ziehen, daß das Land längst entvölkert wäre. Angeklagte, welche dem Gifte erliegen, werden oft von der erregten Menge in wildem Getümmel niedergeschlagen und dann regelmäßig durch Feuer vernichtet. So geschah es dem Koch unserer Station, zur Zeit, als wir noch zu wenig Einfluß besaßen, um sein Schicksal abwenden zu können; er wurde, selbst von der eigenen Familie als ein gefährlicher Ndodschi gänzlich verlassen, in Sicht von Chinchoxo, am Strande des Meeres verbrannt. – Früher, als der Sclavenhandel noch eine Deportation derartiger Uebelthäter ermöglichte, wurden dieselben, nebst anderen Verbrechern, an weiße Händler verkauft.

Das junge Weib von Ngo, Nsoami, welches in Lusala erkrankt war und nicht gesunden konnte, wurde endlich nach einer anderen Besitzung ihres Gatten, nach einen ungefähr eine Stunde von Chinchoxo gelegenen Dorfe gebracht und ihrer dort wohnenden Mutter übergeben, da bei der großen Furcht der Neger vor der Ansteckung durch die Schlafkrankheit wohl Niemand sich ihrer angenommen hätte. Alle Künste der Ngangas blieben auch dort erfolglos; die Verhexung erwies sich als zu stark; die Kranke siechte schnell dahin und war dem Verscheiden nahe.

Ngo sparte nichts, um die Schuldigen zu entdecken und damit vielleicht noch das Leben von Nsoami zu retten. Die Ngangas bezeichneten endlich als Ndodschi eine Frau, welche in Lusala wohnte. Sie wurde von Ngo und der Familie angeklagt. Nachdem alle Vorbereitungen getroffen waren, sollte das Gottesurtheil an einem Octobertage über ihre Schuld oder Unschuld entscheiden.

Bei Sonnenaufgang gingen wir die wenigen hundert Schritte über die kleine regennasse Savane, auf welcher ein Jahr später unsere schönen Plantagen grünen sollten, nach dem Dorfe. Die Oelpalmen schüttelten, wie erwachend, die schweren Tropfen von ihren Wedelkronen; aus dem hohen Grase, dem Gebüsche und vom nahen Walde klangen die Stimmen der gefiederten Sänger. Schwärme der schönen grünen Tauben, ihrem regelmäßigen Zuge folgend, sausten mit pfeifenden Flügelschlägen über unsere Köpfe hin nach Süden, und von dem breitästigen Bombax am Dörfchen, dessen Gezweig eine unzählbare Schaar von Webervögeln gänzlich in Besitz genommen und mit tausenden ihrer Nester behängt hatte, schallte lustig der Lärm der kleinen eifrigen Baumeister herab. Zwischen den wenigen ärmlichen Hütten Lusalas, welches erst später durch die Nähe unserer menschenreichen Besitzung und unter unserem Schutze sich vergrößerte und zu Wohlstand gelangte, war es recht still und einsam. Einige der dürren, immer hungrigen Dorfhunde knurrten uns mißtrauisch an und verschwanden, ihrem Charakter getreu, eiligst um die nächste Ecke; verschiedene Hühner scharrten im feuchten Boden nach Würmern, und die kleine Ziegenheerde des Dörfchens naschte vorsichtig die Blätter am Saume des nassen Gebüsches. Auf einem freien Platze endlich fanden wir eine Anzahl uns bekannter Dorfbewohner, sowie einige fremde Ngangas, mit jenen verhandelnd.

Unter einer Art niedrigen Schuppen, von einem einfach auf die Erde gesetzten langen Palmblätterdache gebildet, saß auf einer Matte die Angeklagte, ein rüstiges, stattliches Weib, vielleicht in der Mitte der dreißiger Jahre stehend, die Augen starr in die Ferne gerichtet, unsere Ankunft kaum beachtend. Wir kannten sie wohl, da sie uns häufig schon Nahrungsmittel zum Markte nach Chinchoxo gebracht hatte. Die Ngangas hatten ihre wunderlichen Fetischzeichen, aus weißen und wenigen rothen Strichen und Punkten bestehend, je nach Vorschrift im Gesicht, auf Brust, Leib, Armen und Beinen angebracht und waren zur Beschwörung fertig. Einer derselben, mit einem durchlöcherten weißen Hemd bekleidet, kramte im dunkeln Hintergrunde des Schuppens in einem grün angestrichenen Kasten, in welchem allerlei zum Theil in feine Matten gewickelte Gegenstände lagen, und trat endlich hinter die Angeklagte, einen kurzgestielten Holzlöffel und eine Holzschale von der Größe aber doppelten Tiefe einer kleinen Untertasse in der Hand haltend. (Der ganze, Spuren sehr häufigen Gebrauches zeigende Apparat befindet sich jetzt in dem Museum zu Berlin.) Aufgehäuft in der Schale befand sich die Nkassa, gemahlenem, hellbraunem Kaffee gleichend.

Ohne jeden Versuch, durch irgend welche Formalitäten dem Gottesurtheil eine besondere Weihe zu geben, füllte nun der Nganga (um 7 Uhr 35 Minuten) der Angeklagten die erste Dosis des trockenen Pulvers, einen gehäuften Löffel voll, in den Mund. Sie kaute es, wälzte es mit der Zunge hin und her und würgte es langsam hinunter. Zehn Minuten später erhielt sie den zweiten Löffel voll. Der Ausdruck ihres Gesichtes war stumpf, vielleicht resignirt, jedenfalls aber nicht so, wie man es von einer zwischen Leben und Tod Schwebenden erwarten konnte. Auch die Uebrigen zeigten eine unangenehm berührende Gleichgültigkeit; der ganze Vorgang erschien empörend nüchtern und inhaltslos. Viele Einwohner des Dorfes gingen ihren Verrichtungen nach; junge und alte Männer, ihre Flinten auf der Schulter tragend, passirten gelegentlich vorüber, grüßten, fragten und gingen ruhig weiter. Geputzte Mädchen und junge Weiber aus anderen Dörfern versammelten sich nach und nach, von Neugier getrieben, und hielten sich schwatzend und lachend in der Nähe; auch bei ihnen suchte man vergeblich nach einem Zeichen von Mitleid oder Schrecken – und wie bald konnte doch jeder dieser Zuschauer vom gleichen Schicksal betroffen werden!

Um 8 Uhr 3 Minuten wurde der Angeklagten der dritte, vierzehn Minuten später der vierte Löffel, dieser schon nicht mehr gehäuft, eingegeben, um 8 Uhr 31 Minuten erhielt sie die letzte Dosis, und zwar wurde nun die Schale, in welcher sich der Rest der Rinde befand, mit Wasser ausgespült und ihr zum Trinken gereicht. Nachdem sie auch das ungefähr noch einen [179] halben Liter enthaltende andere Wassergefäß ausgeleert, hatte sie nach der Mitte des freien Platzes zu gehen und sich dort mit gekreuzten Beinen auf ihre Matte niederzulassen, nach Anleitung ihre Arme vorwärts streckend und die Hände leicht geöffnet mit der Handfläche nach oben haltend; sehr bald ermüdend, stützte sie dieselben auf die Kniee. Die fünf anwesenden Ngangas begannen nun zum ersten Male ihre Künste zu treiben. Verschiedene Fetische wurden herbeigebracht und der Angeklagten gegenüber aufgestellt, lange röhrenförmige Holztrommeln mit Klöppeln und Händen bearbeitet, Antilopenhörner und Pfeifen geblasen und Beschwörungen bald einzeln, bald im Chor gemurmelt oder laut gerufen, wobei dann die Umstehenden oft kräftig mit einfielen. Man verließ sich also doch nicht so ganz unbedingt auf die Unfehlbarkeit der mit der Entscheidung betrauten höheren Macht, sondern hielt es für nöthig, die eigenen guten Zauberkräfte auch noch gegen die schlimmen der Hexe in’s Treffen zu führen, zumal die Tochter der letzteren ebenfalls ihre eigenen Fetische in der Nähe herumtrug und ihre Hülfe anrief.

Trotz alledem hatten die Zuschauer nur geringe Aufmerksamkeit für den Vorgang, der sie doch versammelt hatte. Die Männer kamen und gingen, lagerten sich, schwatzten und rauchten, bei letzterem Vergnügen sich, dem Gebrauche gemäß, vorsichtig unter dem Winde von der Verklagten haltend. Der eisgraue, von Rheumatismus geplagte Dorfherr erschien nur für kurze Zeit, auf seinen langen Stab gelehnt, unter dem Mangobaum vor seinem kleinen Gehöfte. Zwei niedliche, nur wenige Jahre alte Kinder waren nahebei beschäftigt, Palmnüsse zwischen Steinen zu zerschlagen und die Kerne sorgfältig zu sammeln, während eine junge Mutter, ihren Säugling in das Tuch auf dem Rücken eingebunden, dicht neben unseren Sitzen knieend, emsig weiter flocht an einem feinen Körbchen von Palmblattstreifen. Unmittelbar neben den Zauberapparaten hatte sich eine kleine Negerin niedergelassen, uns Weiße ununterbrochen mit ihren großen staunenden Augen musternd; sie sowohl, wie auch der daneben stehende Nganga ließen es ruhig geschehen, daß eine dreiste Ziege neugierig die Fetische beroch. Im Schatten einer Hütte waren junge Mädchen zu einer malerischen Gruppe vereint, fesselnd sowohl durch die schöne Farbenwirkung der bunten Stoffe und der warmen, dunkelbraunen Haut, wie durch eigenartige Anmuth der Stellung. Eine derselben, auf einer Matte hingestreckt, das blaue Gewand nachlässig zurückgeworfen, erinnerte überraschend an Correggio’s „Büßende Magdalena“. Sie plauderten und scherzten; die fröhlichen Augen glänzten, und die Zähne schimmerten herüber, so oft die eine oder die andere in gewohnter Weise irgend welche lustige Bemerkung über uns zum Besten gegeben. Etwas abseits ließ ein Weib ihr Kind auf der Hüfte reiten, und bedeutete es, mit der Hand zeigend: „Nkassa, Nkassa!“ Die Irrsinnige des Dorfes drängte sich mehrere Male heran, unter wilden Gesten, mit kreischender Stimme einen unverständlichen Wortschwall und gellendes Gelächter hervorstoßend; auch sie schleppte einen eingebildeten Talisman, ein Grasbündel, mit sich herum.

Die Angeklagte erhob sich und ging mit festen Schritten zwischen ihrer Matte und den Fetischen auf und ab, mehrere Male, wie ein Recrut, kräftig die Beine streckend und die Arme wie im Faustkampfe vorwärts werfend. Um acht Uhr sechsundfünfzig Minuten erbrach sie zum ersten Male eine ziemliche Menge hellgelben Schleimes. Die Ngangas untersuchten den Auswurf und verkündeten: es sei keine Nkassa. Ein Jeder konnte sich davon überzeugen. Die Schwester der Frau, ein kräftiges, jugendliches Weib, sprang plötzlich herbei, wechselte einige Worte mit der Angeklagten und wandte sich dann in leidenschaftlicher Rede an die Umstehenden, schließlich den Ngangas mit heftigen Geberden auf den Leib rückend und mit hoch erhobenen Armen die Fetische bedrohend. Kein Wort wurde ihr erwidert, und sie stürmte fort, um sich wieder der Tochter der Hexe anzuschließen, welche wehklagend mit Zauberklappern den Platz umlief und ihre Mkissi anrief, die Mutter zu schützen, zu retten. Um neun Uhr dreißig Minuten trat ein abermaliges Erbrechen gelben Schleimes ein. Die Ngangas wandten sich abseits und beriethen. Zuweilen kehrte einer derselben zum Platze zurück, klemmte eine Trommel zwischen die Beine und entlockte ihr mit Klöppel und Fingern weder besonders laute noch schaurige Töne. Wie ein Kind, das schnell ermüdet, legte er dann das Instrument achtlos bei Seite und ging. Ein Anderer näherte sich der Inquisitin, hielt eine Hand über ihren Kopf und umschritt sie, Beschwörungen murmelnd. Zuweilen versammelten sich auch wieder Alle, um vereint unter dem üblichen Lärmen auf Hörnern, Pfeifen und Trommeln ihre Fetische anzurufen. Ihr Treiben machte entschieden auf alle Anwesenden nicht den geringsten Eindruck; ein Nganga, welcher über einen Zauberkasten stolperte, wurde sogar mit schallendem Gelächter und lauten Zurufen verhöhnt; die weibliche Jugend geberdete sich hierbei ganz besonders eifrig und respectwidrig. Ngo, der als Ehemann doch am meisten Betheiligte, ließ sich nur selten blicken und schien sich absichtlich fern zu halten.

Mehrere der Knaben, welche in unserem persönlichen Dienste standen, waren unterdessen von der Station herbeigekommen und hielten sich neben uns; zu ihnen gesellten sich andere junge Leute beiderlei Geschlechts, ihre Meinungen austauschend. Ein Mädchen wußte genau, daß man der Frau besonders giftige Nkassa gegeben habe und sie sicher umbringen wolle; ein anderes erzählte, die Frau müsse sterben, denn in letzter Nacht habe die Eule im Dorfe geschrieen; ein junger Mann theilte mit, man warte nur, bis die Weißen gegangen seien, dann würde man die Schuldige auf den Hügel schleppen und dort einander so lange zuwerfen, bis sie todt sei; ein zweiter bestritt dies und behauptete, sie würde lebendig begraben werden, und so fort. Der Einfluß, welchen die abenteuerliche Phantasie des Negers auf sein Denken und Sagen hat, zeigte sich auch hier wieder einmal recht deutlich. Darüber waren Alle einig, daß Jene eine sehr böse Frau, eine schlimme Hexe sei.

Um neun Uhr vierundfünfzig Minuten erfolgte das dritte Erbrechen; der Auswurf war der gleiche wie vorher. Die Inquisitin ging nun wieder eine Zeitlang auf und ab, nahm dann ihre Matte und setzte sich, da die Sonne sehr heiß brannte, ruhig in den Schatten einer Hütte. Die Ngangas remonstrirten dagegen, aber ohne Erfolg, denn die Zuschauer nahmen zum Theil Partei gegen sie. Nach einer längern allgemeinen Berathung begab sich die ganze Gesellschaft nach einem andern Platze, in den Schatten des von den Webervögeln besetzten Bombax und einiger anderer Bäume. Dort erbrach das Weib um zehn Uhr fünfundzwanzig Minuten zum vierten Male, wieder hellgelben Schleim, aber mit Schaum gemischt. Sie erschien zwar etwas matt, aber sonst vollkommen wohl, blickte aufmerksam umher, sprach mit Verschiedenen und hielt sich wahrscheinlich für gerettet.

Ein Nganga theilte uns mit, für heute wäre das Verfahren beendet; morgen würde die Verklagte zum zweiten Male Gift nehmen. Man wollte uns offenbar zum Aufbruche bewegen. Viele der Zuschauer gingen auch wirklich fort, verschwanden in ihren Hütten oder zogen nach den andern Dörfern. Die Ngangas baten uns um ein Geschenk von Rum; wir schlugen es ab. Sie zogen sich zurück, ließen die Inquisitin allein, aßen und tranken und machten es sich unter einem Sonnendach bequem. Als sie endlich einsahen, daß sie unsere Geduld damit nicht erschöpfen konnten, hielten sie, auch mehrere Männer des Dorfes hinzuziehend, eine langdauernde Berathung. Das Resultat derselben war, daß sie zur Hexe zurückkehrten und verkündeten, sie habe, um ihre Unschuld zu beweisen, nochmals Nkassa zu nehmen. Hiermit war das Schicksal der Armen entschieden. Sie gingen auch sofort wieder in der früher beschriebenen Weise an’s Werk, doch nun unter stärkeren eindringlicheren Beschwörungen. Während die Andern auf den Instrumenten immer lauter und wilder lärmten, umliefen zwei Ngangas, zur Erde niedergebeugt und mit den Spitzen der Zeige- und Mittelfinger beider Hände abwechselnd den Boden berührend, die Verklagte, zuweilen vor ihr anhaltend, seltsame Töne ausstoßend, die Fetische anrufend und ihre Körper in wunderlichen Verdrehungen und Zuckungen bewegend; dann ruhten sie sich plötzlich wieder ganz unbekümmert neben ihren Zauberapparaten aus.

Seit dem frühen Morgen hatten wir den Vorgang beobachtet; Mittag war vorüber; und außer uns befanden sich nur noch etwa ein Dutzend Zuschauer am Platze. Der Fall war zweifelhaft geblieben; die Angeklagte hatte die Giftrinde weder nach Vorschrift von sich gegeben, noch war sie derselben erlegen. Wir konnten sie durch irgend welche Verwendung zu ihren Gunsten nicht retten, durch unser längeres Verweilen aber ihr Geschick nur verschlimmern, da unsere Anwesenheit, wie wir hörten, schon zu ihr nachteiligen Deutungen Anlaß gegeben hatte. Wir beschlossen also, vorläufig nach Chinchoxo zu gehen und später zurückzukehren.

[180] Gegen zwei Uhr brachte uns ein Beauftragter die Nachricht, daß das Gift gewirkt habe, die Hexe umgefallen sei. Vom Hofe der Station sahen wir, wie sie in eine an einer Tragstange befestigte Hängematte gelegt und in der üblichen raschen Gangart den Hügel hinaufgeschafft wurde. Unsre Gewehre nehmend, eilten wir schnellen Schrittes durch das verlassen erscheinende Lusala nach der Höhe. Oben, wo die Pfade sich kreuzten, hielten wir an und spähten landein. Die öden Grasfluren, in der Sonnengluth zitternd, dehnten sich vor uns über Hügel und Hänge; jenseits unsres Quellenthales mit seinen schönen Palmenbeständen und dem dichten Buschwalde lagen friedlich die uns bekannten Negerdörfer. Kein Vogel flog vorüber; kein andrer Laut, als das dumpfe Rollen der Brandung am Meeresstrande unterbrach die drückende Mittagsstille. Nirgends konnten wir ein Zeichen von dem traurigen Zuge entdecken; wir hatten die Spur verloren. –

Nsoami, das junge Weib, ist kurze Zeit darauf gestorben. Ihr Mann, der stattliche Ngo, trat in unsre Dienste, wurde durch seine Tüchtigkeit sehr bald der vielbeneidete Dolmetscher und Aufseher von Chinchoxo und ist bis zum letzten Tage unsres Verweilens in Loango der Expedition ein ebenso thätiger wie treuer Diener gewesen.


  1. Mitglied der ehemaligen von der deutschen Gesellschaft zur Erforschung Aequatorial-Afrikas nach der Westküste (Nieder-Guinea) ausgesandten Güßfeldt'schen Loango-Expedition.