Ein Denkmal der „Völkerschlacht bei Leipzig“
Die außerordentliche Bedeutung des großen Kampfes bei Leipzig ist schon durch seine Bezeichnung als „Völkerschlacht“ ausgedrückt. Wie in unserem Kriege von 1870 und 1871 die Schlacht bei Sedan nicht der letzte Sieg über den Feind war und dennoch als höchster Ehrentag gefeiert wird, so war auch diese Schlacht zwar nicht der letzte Entscheidungskampf in den Feldzügen von 1813 bis 1815 gegen Frankreich, aber der glorreichste, denn durch den Sieg bei Leipzig wurde der „deutsche Befreiungskrieg“ erhoben zu dem Befreiungskriege aller Völker Europas von der Gewaltherrschaft des furchtbarsten Mannes seiner Zeit und aller Jahrhunderte. Das hat den Boden der Leipziger Ebene geweiht, denn –
„Wem auf der Welt wär’ es nicht kund,
Wie reich besä’t ist dieser Grund
Von aller Völker Todten!“
Und darum ist das Schlachtgebiet von Leipzig seit jenen Tagen ein Wallfahrtsziel für Tausende aus allen Nationen geworden und noch bis heute geblieben.
Wie war es aber möglich, daß für ein solches nationales Ereigniß weder Erz noch Stein zur Verherrlichung vorhanden zu sein schien? Fühlte die Kunst nicht den Beruf, auf der Stätte einer solchen That ein Denkmal zu erhöhen, der Größe des Siegs und der gefallenen Helden würdig? Fünfzig Jahre vergingen, ehe nur der Gedanke an ein Leipziger Schlachtdenkmal ausgesprochen wurde, und abermals über zwanzig Jahre mußten vergehen, um den im Jahre 1863 festlich gelegten Grundstein zu einem damals geplanten Denkmale spurlos wieder in den Schlachtfeldboden versinken zu lassen.
Wir brauchen die Ursachen einer solchen Möglichkeit nicht zu erörtern; sie lagen in den politischen Zuständen Deutschlands während der Bundestagszeit. Und nun die im Jahre 1863 noch so heiß pochende Sehnsucht nach einem einigen und mächtigen Vaterlande in großartigster Weise erfüllt worden, hat die Kunst näher liegende Aufgaben der Siegesverherrlichung gefunden, und die „Völkerschlacht“ glänzt abermals nur noch in der Geschichte.
So kam es, daß die Erinnerung an die große „Völkerschlacht“ sich nur mit wenigen vereinzelten Denkstätten begnügen muß. Selbst das Bild des weiten Schlachtfeldes ist ein anderes geworden, als es uns die Pläne von 1813 zeigen. Besonders durch Straßen, Canäle und Eisenbahnen sind wesentliche Veränderungen in die Landschaft gebracht; Häuserreihen stehen da, wo der Krieg lange Zeit noch seine Spuren hatte erkennen lassen; die Gegenwart hat keine Scheu mehr vor der Wegräumung von allem Alten, wenn es ihren Verkehrstrieb stört.
Um so aufmerksamer betrachten wir eine Stätte, die uns ein noch unangetastetes Bild jenes Kampfes vor Augen führt: das Schloß, welches unsere Illustration uns im Schmucke winterlicher Umgebung zeigt.
Südlich von Leipzig an den bewaldeten Ufern der Pleiße liegt das Dörfchen Dölitz, auch einer der Orte, wo Goethe seinem eigenen Geständnisse nach „so glücklich war und so viel litt“.
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[130] Heute ist freilich die Erinnerung an Goethe’s Anwesenheit in Dölitz, wo damals der berühmte Maler Oeser ein Landhaus besaß, verweht; nichts erinnert mehr an die Besuche des Dichters, die doch mehr als flüchtiger Art gewesen sein müssen. Von ganz anderer Bedeutung ist, wie wir bereits angedeutet haben, die Rolle, welche das Dölitzer Schloß in der deutschen Geschichte gespielt hat. Eine Tafel über dem alten Thore des Schlosses nennt den Tag, der für Dölitz so bedeutungsvoll geworden ist: es ist der 16. October 1813. Bis zum Jahre 1813 wird Dölitz in den Leipziger Chroniken kaum erwähnt; wenigstens nur im Zusammenhange mit gleichgültigen Vorgängen; eine Vergangenheit im Sinne des Geschichtsschreibers hatte weder das Dorf noch das Schloß Dölitz bis zum ersten Tage der großen Leipziger Schlacht. An diesem Tage aber wurde das Schloß der Schauplatz eines Kampfes von Oesterreichern gegen Polen und Franzosen, der an Heftigkeit vielleicht selbst die Blutscenen von Probstheida, Möckern und Schönefeld überbot. Die Spuren dieses Kampfes sind erhalten geblieben; der Thorweg, der vom Schloßhofe nach dem Dorfe führt, ist ein Unicum, die Mauer ist wie zerhackt von den Geschossen der Belagerer, von Flintenkugeln und Granaten, und wohin das stärkste Feuer gerichtet war, da mag man nicht eine Stelle finden, auf welche man die Hand legen könnte, ohne eine Kugelspur zu bedecken. Wie ein vom Sturme an die Mauer gepeitschter Regen, so müssen die Kugeln hier eingeschlagen haben, und man konnte da mit Recht von einem „Kugelregen“ sprechen. Es giebt wohl kaum ein zweites Bauwerk, an welchem Aehnliches zu sehen ist und das uns die Gewalt eines verzweifelten Kampfes so anschaulich macht. Dafür ist das Dölitzer Schloß freilich auch das einzige noch erhaltene Baudenkmal Leipzigs und der Umgegend, welches von der Erbitterung jener Octoberkämpfe Zeugniß ablegt. Ein Seitenstück dazu fiel leider mit dem alten Zollhause am Ausgange der Gerberstraße, einem mit preußischen Kugeln so reichlich bedeckten Baue, daß man die Erhaltung desselben wohl wünschen konnte. Eingemauerte Kanonenkugeln findet man übrigens noch hier und da an den älteren Vorstadthäusern.
Um zu erklären, warum das Schloß Dölitz für die Verbündeten wie für die Franzosen einen so besonderen Werth hatte, daß kein Preis für seinen Besitz zu hoch schien, müssen wir von den Dispositionen des Fürsten Schwarzenberg, des Oberstcommandirenden der verbündeten Heere, wenigstens das Folgende angeben. Die französische Armee, mit ihrem rechten Flügel bis zum Ufer der Pleiße im Süden Leipzigs reichend, dehnte sich in halbmondförmiger Stellung im Osten der Stadt aus. Gegen ihre Front sollten zwei russisch-preußische Corps in der Stärke von je etwa 50,000 Mann und von den beiden russischen Generalen Barclay de Tolly und Bennigsen commandirt den Hauptvorstoß machen; während dessen aber sollte eine österreichische Colonne unter dem Befehle des österreichischen Cavalleriegenerals Erbprinz von Hessen-Homburg, in der Stärke von 40,000 Mann, vom Süden her über Dölitz, Lösnig und Connewitz vordringen, den Feind in der hinteren Flanke fassen und ihm den Rückzug abschneiden.
Gegen diese Umgehungsbewegung hatte jedoch Napoleon wirksame Maßregeln getroffen; der hier commandirende polnische Fürst Poniatowski wies die Versuche, bei Connewitz oder Lösnig den Uebergang über die Pleiße zu erzwingen, um so erfolgreicher zurück, als seinen Truppen das dichte Gebüsch der Pleißenufer zu statten kam. Nach sehr erheblichen Verlusten mußte der Gedanke, bei einem der beiden erwähnten Dörfer den Uebergang durchzusetzen, aufgegeben werden, und so befahl Fürst Schwarzenberg, die Angriffe gegen die Connewitzer Brücke nur zum Schein fortzusetzen, den Hauptangriff aber gegen Dölitz zu richten, um den Franzosen in die Flanke zu kommen. Das Schloß Dölitz lag auf dem linken, das Dorf auf dem rechten Ufer der Pleiße; der Mühlgraben floß durch den Hof hindurch, während die Pleiße, über welche die hölzerne Brücke vom Schloßthor aus führte, das Schloß und die Wirthschaftsgebäude auf der Ostseite umgab. Zwei österreichische Compagnien stürmten das von den Franzosen schwach besetzte Schloß, überwältigten die Vertheidiger und warfen sie sowohl über die Brücke des Mühlgrabens als auch über die Pleißenbrücke zurück; aber das Schloß war schwerer zu behaupten, als es zu erobern gewesen war. Die zurückgeworfenen Feinde sammelten sich und versuchten, durch zwei Grenadierbataillone verstärkt, wieder in dasselbe einzudringen.
Die vor dem Thor befindliche Pleißenbrücke vertheidigte der österreichische Hauptmann Penzt; nahe davor standen am jenseitigen Ufer die polnischen Tirailleurs theils hinter dicken Bäumen, theils in den gegenüberliegenden Häusern und beschossen Thor und Brücke mit einer bewunderungswürdigen Ausdauer, während die in den Dorfgassen und auf den hinter Dölitz gelegenen Höhen des Kellerberges aufgefahrenen polnischen Geschütze das Schloß mit Granaten und Kartätschen überschütteten. Außerdem war die nahe gelegene Mühle, sowie die buschige Aue rechts und links des Schlosses von zahlreichen französischen Schützen besetzt, sodaß die Oesterreicher ebenso wenig vorwärts zu dringen vermochten, wie die Franzosen und Polen das Schloß überwältigen konnten.
Selbst die hereinbrechende Nacht, die fast auf der ganzen Schlachtlinie das Gefecht zum Schweigen brachte, machte dem Kampfe um das Schloß Dölitz nicht sogleich ein Ende. In völliger Dunkelheit, Abends nach acht Uhr, griffen die Belagerer von Neuem an, indem sie, nachdem ein Parlamentär die Besatzung vergeblich zur Uebergabe aufgefordert hatte, das Geschützfeuer wieder eröffneten. Die Oesterreicher konnten indessen nicht durch die Heftigkeit des Feuers bestimmt werden, die mit so schweren Opfern behauptete Position aufzugeben; wohl aber ging in der Nacht das Dorf in Flammen auf. Gegen zwanzig Häuser und Güter wurden in Asche gelegt, und was das Feuer an Gebäuden verschont ließ, glich in den folgenden Tagen Lazarethen eher als Wohnhäusern. Mit welcher Erbitterung und Ausdauer von beiden Seiten gekämpft worden war, ergiebt sich aus der Thatsache, daß beiden kämpfenden Theilen die Munition ausging. Die Oesterreicher im Schlosse hatten schon am Tage ihre Munition verschossen und mußten durch neue Compagnien abgelöst werden; Fürst Poniatowski aber meldete in der Nacht dem Kaiser Napoleon: „Aller Schießbedarf ist verbraucht, sämmtliche Infanteriepatronen sind verschossen, die Patronentaschen geleert und alle Munitionswagen leer.“
Man weiß, daß die Resultate dieses Schlachttages zu den von beiden Seiten gebrachten Opfern in keinem Verhältniß standen. Diese Opfer waren furchtbare; denn einmal hatte Napoleon bis dahin in der Kriegsgeschichte unerhörte Massenangriffe der Cavallerie und Artillerie ausführen lassen – die große Attacke des Königs Murat mit achttausend Reitern gegen Güldengossa, das concentrirte Feuer von mehr als hundert Geschützen auf die Russen zwischen Wachau und Liebertwolkwitz – andererseits war im Einzelkampfe, Mann gegen Mann, mit der größten Erbitterung gekämpft worden. War es doch stellenweise den Kämpfern nicht möglich gewesen, die Leichen der Gefallenen zu überschreiten. Diesen enormen Verlusten gegenüber fehlte der sichtbare Erfolg; kein Theil war besiegt, wenig Terrain von beiden Seiten gewonnen. Und trotzdem war das Spiel für Napoleon verloren; wurde auch am 18. October so erbittert gekämpft, daß dieser Tag für den Hauptschlachttag der Leipziger Kämpfe gilt, Napoleon kämpfte doch nur noch für seinen Rückzug, der am 19. begann und auch das Dorf Dölitz ein für alle Mal von den Franzosen säuberte.
Das Initialbild unseres Artikels stellt jenen hartumstrittenen Thorweg dar, welcher vom Dorfe Dölitz in den Hof des Schlosses führt und gegen den sich in erster Linie das Feuer der Franzosen und Polen richtete. Die Wirthschaftsgebäude umgeben den Schloßhof von drei Seiten, während man, denselben überschreitend, zum Herrenhause gelangt, hinter welchem sich der Park ausdehnt. Den vortheilhaftesten Blick auf das Herrenhaus gewinnt man ohne Zweifel vom Park aus, und unser Zeichner hat seinen Platz so glücklich gewählt, daß sich aus der Aufnahme des Schlosses ein anziehendes Bild ergeben hat. Hier im Parke befindet sich auch ein Heldengrab aus den Tagen der Schlacht. Ein Rasenhügel, von einer Eiche beschattet, bezeichnet die letzte Ruhestätte eines hohen österreichischen Stabsofficiers, der schwer verwundet vom Schlachtfelde auf den Dölitzer Herrenhof getragen wurde und hier seinen Wunden erlag. Aber auch Fürst Poniatowski sollte bekanntlich nicht nach seiner Heimath zurückkehren; er fand seinen Tod bei dem Versuche, die Elster am Frankfurter Thor zu durchreiten, das vornehmste und von Freund und Feind aufrichtig betrauerte Opfer jener Brückensprengung, welche der großen Leipziger Schlacht einen so grauenvollen Abschluß gab.