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Ein Besuch im Brester Bagno

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Textdaten
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Autor: L. K.
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Titel: Ein Besuch im Brester Bagno
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 7–9
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Ein Besuch im Brester Bagno.

Auf meinen Reisen durch Frankreich kam ich auch nach Brest, wo ich nicht versäumte, den traurigen Aufenthalt der Galeerensclaven zu besuchen, der für psychologische Studien ein so großes Interesse bietet.

Das Brester Bagno, welches einen Theil des Kriegshafens bildet, ist ein großes, fast zweihundert Fuß langes Gebäude. Es hat drei Abtheilungen, von denen die mittlere, bei weitem die größte, aus vier langen Sälen besteht; in jedem derselben können sechshundert Sträflinge untergebracht werden. Sie befinden sich im ersten Stockwerke, zu welchen eine breite steinerne Doppeltreppe führt. In den beiden Seitenflügeln wohnen die zahlreichen Beamten und Aufseher der Anstalt, so daß die Sträflinge rechts und links von tausend Augen bewacht werden. Kaum hatte ich mich der Treppe genähert, als ich ein wahrhaft betäubendes Kettengerassel vernahm, und bald kam mir ein Trupp Sträflinge entgegen, die, je zwei aneinander gekettet und von ihren Aufsehern begleitet, zu der Hafenarbeit abgingen. Es mochten ihrer ungefähr zweihundert sein und ich merkte zu meinem Erstaunen, daß in ihren wilden, sonnenverbrannten Gesichtern keine Spur von Trauer oder Bestürzung zu lesen war. Mehrere von ihnen schienen sogar heiter und aufgeräumt. Vielleicht waren sie froh, das Gefängniß verlassen und mehrere Stunden, wenn auch bei der härtesten Arbeit, unter freiem Himmel zubringen zu können. Nach einigen Augenblicken befand ich mich in einem der Säle. Beim ersten oberflächlichen Anblick scheint ein solcher Saal viel heiterer, als ein gewöhnlicher Casernensaal. Er ist sehr hoch, breit und die Sonnenstrahlen dringen ungehindert durch die Fenster. Betrachtet man ihn aber etwas genauer und erfährt man die strengen, furchtbaren Vorschriften, welchen die Bewohner desselben gehorchen müssen, so wird man von Schauder und Mitleid und zugleich von Bewunderung der menschlichen Natur ergriffen, die sich auch an die fürchterlichsten, an die entsetzlichsten Qualen gewöhnt und das Unerträglichste ertragen lernt. Alles, was der menschliche Scharfsinn erfinden kann, um die Flucht unmöglich zu machen, ist hier angewendet. Der Boden eines solchen Saales ist weder gedielt, noch mit Quadern belegt, sondern asphaltirt; und diese dicke, glatte Asphaltdecke wird stets bewacht und die geringste Spalte oder Ritze in derselben sogleich wieder ausgebessert. Daß die Mauern von einer ungeheuern Solidität, versteht sich von selbst; die Fenster aber sind nicht nur sieben Fuß über dem Boden erhöht und mit einem dicken Eisengitter versehen, sondern oberhalb eines jeden Fensters befindet sich auch noch eine Laterne, welche die ganze Nacht hindurch brennt. Würden diese Laternen ausgelöscht, so wäre dies ein Zeichen der Empörung. Die Empörungen im Bagno sind indessen sehr selten und werden auch, wie man sich leicht denken kann, sogleich und mit der furchtbarsten Energie unterdrückt.

In jedem Saale zieht sich auf der den Fenstern zugekehrten Seite eine Reihe von Pritschen hin, welche die Schlafstätten der Sträflinge bilden. Zur bestimmten Zeit des Abends werden diese je zwei aneinander gekettet. Durch sämmtliche Ketten läuft eine dicke eiserne Stange, die an der Pritsche befestigt wird, so daß jeder Sträfling während der Nacht nicht nur an seinen Cameraden, sondern auch an seine Schlafstätte gefesselt ist. Seine eigene Kette ist indessen so lang, daß er sich etwa zwei Schritte von der Pritsche entfernen kann, sobald ihn ein unabweisliches Bedürfniß dazu nöthigt. Auf dieser Pritsche stehen die Sträflinge eine wahre Höllenqual aus. Sie haben dort nicht mehr Raum, als eine Leiche in ihrem Sarge und können sich nur mit Mühe von einer Seite auf die andere wenden. Im Sommer werden sie von der furchtbarsten Hitze, im Winter von der entsetzlichsten Kälte geplagt. Die Kälte ist um so empfindlicher, als sie nur eine dünne schmale Matratze zur Decke haben. Früher gab man ihnen auch eine Matratze zur Unterlage; diese wurde ihnen aber 1823 abgenommen. Eine Empörung brach deshalb im Bagno aus; sie wurde indessen auf der Stelle unterdrückt und seit jener Zeit müssen die Sträflinge auf der bloßen Pritsche zubringen.

Sobald sie auf die eben beschriebene Weise an ihr Lager befestigt worden, ertönt ein Peitschenknall. Das ist das Signal zur Ruhe. Nach diesem Signal muß Todesstille in allen Sälen herrschen und kein einziges Wort darf mehr bis zum folgenden Morgen gesprochen werden. Ein solches Nachtlager ist viel mehr ermüdend, als erquickend, und wer von den Sträflingen nicht eine eiserne Constitution hat, siecht bald hin und wird ein Opfer dieses Pritschenbettes; so wie umgekehrt diejenigen, welche die ersten Jahre im Bagno überstanden, die Aussicht auf ein sehr hohes Alter haben. Diese Aussicht ist aber unter solchen Umständen gewiß mehr betrübend als erfreulich; denn kein Tod ist schrecklicher, als ein solches Leben.

Das Brester Bagno bildet, wie bereits erwähnt, einen Theil des Kriegshafens, der bekanntlich erst unter dem Cardinal Richelieu, dem Schöpfer der französischen Marine, angelegt wurde. Noch bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts wurden die Galeerensträflinge nicht unmittelbar von der Regierung nach dem Bagno gesendet. Diese Sendung geschah vielmehr durch einen Speculanten, der den Titel Capitaine de la Chaine trug und für eine bestimmte Summe die Sträflinge nach den Galeeren beförderte. Unter ihm standen ein Lieutenant und ein Unterlieutenant, so wie mehrere Sergeanten und eine gewisse Anzahl Soldaten, die zusammen aus den verschiedenen Gefängnissen die Verurtheilten abholten und nach Brest transportirten.

Im Bagno angelangt, wurde ihnen sogleich die „Toilette“ gemacht. Die alte Kleidung wurde ihnen nämlich ausgezogen und nachdem sie am ganzen Körper gewaschen worden, schnitt man ihnen die Haare ganz kurz ab und steckte sie in die Galeerenkleidung. Diese bestand und besteht noch heute aus weiten Drillhosen, aus einer rothen Jacke von grobem Tuche und aus einer rothen oder grünen phrygischen Mütze. Die grüne Farbe der Mütze zeichnet die auf Lebenszeit verurtheilten Galeerensclaven von denen aus, die blos auf eine bestimmte Zeit verurtheilt sind. Außerdem ward und wird noch heute an die Mütze des Sträflings eine mit einer Nummer versehene Blechplatte befestigt. Der Sträfling hat keinen Namen mehr, er wird eine Ziffer. Aber damit ist die traurige „Toilette“ noch nicht vollendet. Es wird ihm jetzt um den Fuß der eiserne Ring geschmiedet, den er bis zum Ende seiner Gefangenschaft, oft bis zum Ende seines Lebens tragen muß. An diesen Ring wird die Kette befestigt, welche ihn an den Mitsträfling knüpft. Ring und Ketten haben ein Gewicht von vierzehn Pfund. Früher wurden die Sträflinge, nachdem sie am Pranger ausgestellt gewesen, auch gebrandmarkt. Der Sträfling wurde auf einem öffentlichen Platze ausgestellt und der Henker brannte ihm mit einem glühenden Eisen ein Zeichen auf der Schulter ein. Diese Strafe wurde aber im Jahre 1832 abgeschafft. Seit 1835 werden die Sträflinge in Zellenwagen nach dem Bagno gebracht und seit 1848 hat die provisorische Regierung auch die Ausstellung am Pranger unterdrückt. Sonst ist es so ziemlich beim Alten geblieben.

Werfen wir nun einen Blick auf das Leben des Sträflings im Bagno. Von dem Augenblick an, da ihm die Galeerenkleidung angethan worden, wird seine Kette an die eines Andern befestigt und er ist verdammt, Tag und Nacht unzertrennlich mit einem Menschen zu leben, den er früher nie gesehen, dessen Namen er vielleicht niemals erfährt und der nicht selten körperlich und geistig gleich abstoßend. Unter den dritthalbtausend Individuen im Brester Bagno sind alle Stände der Gesellschaft vertreten. Man findet unter ihnen Aerzte, Advocaten, Richter, Priester, Künstler, Schriftsteller, Kaufleute, Soldaten und Handwerker. Welche furchtbaren Qualen muß also derjenige Sträfling dulden, der noch vor Kurzem mit den gebildetsten und geistreichsten Menschen verkehrt hat und jetzt, nachdem er in einem Augenblick der Selbstvergessenheit eine dunkle That begangen, gezwungen wird, Jahre lang gleichsam die andere Hälfte eines Menschen zu bilden, der, ohne Geist, ohne Bildung in den Lastern jeder Art verhärtet, nur darauf sinnt, wie er sich an der menschlichen Gesellschaft, die ihn ausgestoßen, am empfindlichsten rächen kann. Diese Zusammenkoppelung ist einer der furchtbarsten Mißbräuche. Sie ist grausam, unbarmherzig, unvernünftig. Sie erfüllt den Sträfling mit unversöhnlichen Rachegefühlen, und statt seine Vergangenheit zu bereuen, hält er sich bald für den Märtyrer einer ungerechten Justiz.

Hat der Sträfling sich Morgens zur bestimmten Stunde von seinem Pritschenlager aufgemacht, so muß er zur Arbeit. Diese ist sehr hart und zwar so sehr, daß sie nach einigen Stunden auch den Allerstärksten erschöpft. Er muß die Schiffe bemasten, das Hafenbett baggern, helfen sprengen und ungeheuere Lasten ziehen [8] oder tragen. Wie innerhalb des Bagno, so ist der Sträfling auch außerhalb desselben, nämlich bei der Arbeit, stets unter der strengsten Aufsicht. Er darf sich keinen Augenblick von der Arbeit entfernen. Wird er aber durch ein Bedürfniß unabweisbarer Natur dazu genöthigt, so muß er seinen Aufseher (garde-chiourme) erst um Erlaubniß bitten. Ist das ihm zugewiesene Quantum Arbeit vollbracht, so darf er ausruhen und wird dann unter Begleitung der Aufseher, von denen je einer einen Trupp von Zehn zu überwachen hat, nach dem Bagno zurückgebracht. Den Rest des Tages verbringt er dann gewöhnlich mit der Anfertigung kleiner Handarbeiten, die fast jeder Sträfling im Bagno ohne Meister erlernt. Sie wissen aus Holz, Elfenbein und Cocosschalen tausenderlei Dinge zu schnitzen, oder aus Stroh zierliche Körbchen oder Kästchen zu flechten. Solche Arbeiten zerstreuen den Sträfling und liefern ihm auch die Mittel zur Bestreitung seiner Bedürfnisse an Obst und Tabak. Die von den Sträflingen verfertigten Gegenstände werden in einem eigens für dieselben eingerichteten Laden, dem sogenannten Bazar, und unter der Aufsicht eines Beamten von einigen Sträflingen verkauft, die man im Bagno „Marchands“ nennt. Die Waaren haben, wie man sich leicht denken kann, feste Preise. Jedes verkaufte Stück wird von einem beständig anwesenden Aufseher in ein Buch eingetragen. Die Hälfte des Erlöses nimmt der Staat. Die andere Hälfte gehört zwar dem Sträfling, doch wird ihm auch von dieser Hälfte nur ein Theil eingehändigt und der Rest ihm aufbewahrt. Ueberhaupt darf kein Sträfling mehr als zehn Franken des Monats ausgeben und niemals mehr als diese Summe besitzen.

Es versteht sich von selbst, daß sich die Sträflinge im Bagno nicht ausschließlich mit diesen Handarbeiten beschäftigen können. Es gibt noch gar mancherlei Dinge, die sie dort zu verrichten haben. Sie müssen ihre Kleider ausbessern, ihr Linnenzeug waschen, den Saal sauber halten, die Küche besorgen und das Küchengeräthe scheuern. Auf diese Weise lebt der Sträfling einen Tag wie den andern, wenn er sich nämlich gegen die Disciplin nicht vergeht. Weh’ ihm aber, wenn er sich eines Vergehens gegen dieselbe schuldig macht! Die Strafe folgt sogleich nach und ist unter Umständen so hart, daß ihr der Bestrafte nur durch ein Wunder nicht unterliegt. Die mildeste dieser Strafen besteht darin, daß man dem Verurtheilten die Ration Wein und Fleisch entzieht, ihn dabei zu noch schwereren Arbeiten zwingt und das Gewicht seiner Ketten verdoppelt. Die härteren Strafen bestehen im Einzelgefängniß und in der Bastonnade. Das Einzelgefängniß wird von den Sträflingen sehr gefürchtet. Es besteht aus einem gleichsam in Stein gehauenen Kasten, in welchem sich eine Pritsche befindet. An diese wird der Sträfllng gekettet und muß mit Wasser und Brod fürlieb nehmen. Das Licht fällt durch ein dickes eisernes Gitter, aber mit dem Lichte dringen zugleich die kalte Luft, der Regen und der Schnee hindurch, da eine solche Zelle mit keinem Fenster versehen ist. So hart auch eine solche Strafe, so kann sie doch bis auf die Dauer von sechzig Tagen, ja, unter erschwerenden Umständen bis auf ein ganzes Jahr ausgedehnt werden. Wer übrigens ein Jahr in einem solchen Gefängnisse aushält, darf sich einer gußeisernen Gesundheit rühmen.

Was die Bastonnade betrifft, so wird diese mit der „Garcette“, einem dicken getheerten Strick, ertheilt. Der Verurtheilte wird auf ein Bret gelegt und in einem der großen Säle vor den versammelten Galerensträflingen gezüchtigt. Die Zahl der Streiche beträgt mindestens zehn und höchstens hundert. Doch ist es kaum möglich, daß Jemand den hundertsten Streich erlebt. Diese entsetzliche Züchtigung wird von einem auf Lebenszeit verurtheilten Sträfting ausgeführt, nachdem vorher mit lauter Stimme das Urtheil verlesen worden. Der Galeerensträfling, der die Streiche führt, wird von seinen Mitgefangenen gehaßt und verachtet. Jeder flieht ihn und er führt ein trauriges, einsames Leben; dadurch wird er nicht selten veranlaßt, bei der nächsten Gelegenheit die Streiche noch stärker und kräftiger zu führen. So hat im Bagno zu Toulon ein solches Individuum durch die teuflische Grausamkeit, mit der er die Garcette schwang, sich einst den Namen Jean le Bourreau erworben und er steht noch heute bei den dortigen Sträflingen in einem höchst traurigen Andenken.

Im Brester Bagno wird die Bastonnade nur nach einem sehr schweren Vergehen ertheilt, so daß sie unter den dritthalbtausend Sträflingen nur fünfzig bis sechzig Mal des Jahres stattfindet. In Toulon aber, dem größten und furchtbarsten der drei französischen Bagno’s, ist man durchaus nicht sparsam damit. Es soll dort kein Tag vergehen, an welchem die Bastonnade nicht an einem oder an mehreren Individuen ausgeführt würde, und zwar wegen sehr unbedeutender Vergehen, wie z. B. wegen Karten- oder Würfelspielens, ja, wegen des dort unerlaubten Tabakrauchens.

Einmal des Monats, und zwar an einem bestimmten Tage, ist es den Verwandten der Sträflinge gestattet, diese zu besuchen. Indessen wird diese Erlaubniß nur von denjenigen Verwandten benutzt, vor deren Liebe zu dem unglücklichen Gefangenen jede andere Rücksicht schwindet. Es fallen bei dieser Gelegenheit oft die rührendsten, die ergreifendsten Scenen vor.

Die Nahrung der Sträflinge ist gut und es gibt manchen ehrlichen Mann in Brest, dessen Kost nicht halb so schmackhaft ist. Von den meisten Verbrechern wird daher das Bagno dem Zellengefängniß vorgezogen. Aber die Folgen der Galeerenstrafe sind furchtbar, entsetzlich. Mag der Galeerensträfling während seiner Strafzeit sich noch so vortrefflich aufgeführt, mag er die tiefste Reue über sein begangenes Verbrechen, den löblichsten Vorsatz in Bezug auf sein künftiges moralisches Betragen gezeigt haben, – er ist doch für immer verloren. Seine Familie verleugnet ihn; die Gesellschaft schaudert vor ihm zurück und wehrt sich dagegen, mit ihm in Berührung zu kommen. Da sich ihm nun jede Thüre verschließt, da sein eigen Fleisch und Blut ihn von sich stößt, wird er bald mit Groll gegen die menschliche Gesellschaft erfüllt. Er verübt jetzt aus Rachegefühl und mit tückischem Vorbedacht das Verbrechen, das er früher in einem Augenblick der Verblendung und der wild auflodernden Leidenschaft begangen, und wird wieder in’s Bagno gebracht, aus welchem ihn diesmal nur der Tod befreit.

Solcher verhärteter Verbrecher gibt’s in jedem Bagno sehr viele. So sah ich im Brester Bagno einen alten Mann, der auf seiner Pritsche saß und Schachfiguren drechselte. Er war ein heiterer Geselle mit einem freien, offenen Gesichte; und als ich ihm meine Verwunderung über seine Heiterkeit ausdrückte, antwortete er:

„Mein Herr, ich bin Philosoph und denke, man muß das Leben nehmen, wie es eben ist. Wenn ich mich jetzt auch in Klagen ergösse, was würde das nützen? Durch Thränen wird diese Pritsche nicht weicher werden; durch Seufzer wird sie sich nicht in ein Federbett verwandeln. Der Eine wird geboren, um auf einen Thron, der Andere, um auf die Galeeren zu kommen. Der Mensch mag thun, was er will: er kann seinem Schicksal doch nicht entgehen. Das ist meine Meinung. Als ich vor einundzwanzig Jahren meine erste zehnjährige Strafzeit überstanden, hatte ich den festen Vorsatz, mir ein Stück Brod redlich zu verdienen. Die wenigen Verwandten, die ich früher hatte, waren alle inzwischen gestorben, bis auf einen reichen Vetter, mit dem ich zusammen auferzogen worden. Ich begab mich zu ihm, um von ihm so viel Geld zu erbitten, als nöthig ist, die Ueberfahrt nach Amerika zu bezahlen. Kaum hatte er mich aber erkannt, als er mir die Thüre wies und mir drohete, polizeilichen Beistand herbei zu rufen, wenn ich noch einmal es wagte, mich bei ihm sehen zu lassen. Ohne ein Wort zu erwidern, verließ ich ihn und wandte mich an den Geistlichen dem Ortes. Ich setzte ihm meine Lage auseinander; aber statt mir zu helfen, gab er mir christliche Ermahnungen und sprach dabei sehr viel von der ewigen Seligkeit, von der ewigen Verdammniß und dergleichen Dingen, die nicht kalt und nicht warm machen. Das Unglück wollte, daß zur selben Zeit in mehreren Häusern der Umgegend eingebrochen wurde. Man brachte meine Anwesenheit mit diesen Einbrüchen in Verbindung. Ich wurde verhaftet und der eifrigste Zeuge gegen mich war der Geistliche. Ich wurde natürlich schuldig erklärt und wiederum in’s Bagno gebracht. Nun, es ist gut, daß ich hier sitze; denn ließe man mich los, ich würde den Pfaffen am Altare umbringen.“

Bei den letzten Worten ballte er die Fäuste und sein Gesicht verzerrte sich so furchtbar, daß mich ein kalter Schauer ergriff.

Unter den vielen Sträflingen ist jedes Alter, vom Jüngling bis zum Greise, sehr zahlreich vertreten. Die Sträflinge, die das kräftige Mannesalter bereits zurückgelegt und deren Haupt im Bagno weiß geworden, denken selten an die Freiheit mehr; während es besonders unter den jungen Männern sehr viel verwegene Individuen gibt, die beständig auf die Flucht sinnen und dieselbe auch nicht selten ausführen. Nach allem, was bisher von der Einrichtung des Bagno gesagt worden, sollte man nun eine solche Flucht für unmöglich halten; aber es ist in jedem Bagno bekannt, daß dem Sträfling, der ernstlich an die Flucht denkt, das Unmögliche möglich wird. [9] freilich nützt ihm die Flucht sehr wenig und von hundert Flüchtigen gelingt’s kaum Einem, der verfolgenden Justiz zu entgehen. Dessen ohngeachtet finden sehr häufige Fluchtversuche statt, besonders in der schönen Jahreszeit. Sobald ein Sträfling beim Appell fehlt, ertönen einige Kanonensalven und auf dieses Signal hin setzen sich alle Civil- und Militairbehörden in Bewegung, um auf den Flüchtigen zu fahnden. Wird dieser im Hafen selbst wieder ertappt, so erhält er die Bastonnade; fängt man ihn aber außerhalb des Hafens, so hat er eine Verlängerung seiner Strafzeit auszustehen, und wenn er bereits zu lebenslänglicher Galeerenstrafe verurtheilt war, wird er mit einer viel größern Härte als zuvor behandelt.

Gewöhnlich verbergen sich die Flüchtigen im Hafen selbst, ehe sie es versuchen, aus dem Festungsrayon zu kommen. Sie liegen wochenlang in den untersten Räumen der Schiffe, in Fässern, in unzugänglichen Schlupfwinkeln versteckt; aber sie mögen sich verstecken, wo sie wollen, sie werden von den nimmermüden Spähern am Ende doch aufgefunden. Ist es aber einem Sträfling gelungen, aus dem Hafen und dem Weichbilde der Stadt zu entkommen, so hat er neue Gefahren auszustehen, da man in der Umgegend durch die Behörden von seiner Flucht in Kenntniß gesetzt worden. Alles waffnet sich gegen ihn und hält es für eine Pflicht, zum Verräther an ihm zu werden. In der That ist ein entlaufener Sträfling sehr furchtbar, da er in seinem Selbsterhaltungstriebe keine Schonung, keine Rücksicht kennt und, um seinen Verfolgern zu entschlüpfen, nicht selten eine Mordthat begeht. Gelingt es ihm, bis Paris zu kommen, so kann er sich eines großen Glückes rühmen; denn hier wird es ihm leichter, den vielfachen Verfolgungen zu entrinnen. Allein von Brest bis Paris ist ein gar langer Weg und auf diesem langen Wege können ihn sein kurzgeschornes Haar, sein schleppender Gang, den er sich durch das vieljährige Tragen der Kette angewöhnt, sein unsicherer, mißtrauischer Blick und seine wilde Physiognomie hundertmal verrathen.

Man kann also ohne Uebertreibung behaupten, daß die Meisten von denen, die zu den Galeeren verurtheilt worden, im Bagno enden. Wer einmal in’s Bagno gebracht worden, ist aus der menschlichen Gesellschaft für immer ausgestoßen. Darin liegt das Grausame, das Unvernünftige, das Unmenschliche dieses Systems, das jetzt von allen Seiten auf’s Heftigste angegriffen wird. Die französische Regierung beabsichtigt daher, eine Verbrecher-Colonie zu gründen. Sie hat es bereits mit Cayenne versucht; aber das Cayenner Klima ist so ungesund, daß von den Sträflingen, die man dahin gesendet, nach einigen Monaten über die Hälfte hinweggerafft war. Sie wird sich nun, wie man glaubt, für Neu-Caledonien entscheiden. So viel aber ist sicher, daß die französischen Bagno’s kein Jahrzehend mehr bestehen werden.

L. K.