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Ein Besuch bei meinem Freunde Gerstäcker

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Herbert König
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Titel: Ein Besuch bei meinem Freunde Gerstäcker
Untertitel:
aus: Fliegende Blätter, Band 17, No. 408, Seite 185–188
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Braun & Schneider
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Erscheinungsort: München
Übersetzer:
Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: UB Heidelberg und Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein Besuch bei meinem Freunde Gerstäcker.
Von Herbert Kg.

Wer etwa daran zweifeln wollte, als wäre ich nicht sein Freund, mag unten die Bescheinigung lesen.[1]

Kaum eine halbe Stunde über Leipzig hinaus, witterte

ich bereits, Plagwitz, wo mein Freund wohnt, müsse in der Nähe liegen. Denn kaum trat ich aus einer Pappelallee, so wehte mich schon heiße Tropenluft an, hie und da schwirrte ein Pampas-Papagei durch die Luft, vor Allem aber die herrlichsten Palmenwäldchen begrüßten mich, so daß der alberne Wegweiser ganz überflüssig war, abgesehen davon, daß mich eine Art Onkel Tom am Thore zu erwarten schien, und ich Löwengebrüll zu vernehmen glaubte.

„Hullalalleya“ begrüßte mich, bis zur Erde geneigt, der Nigger, was, wie mir später mein Freund übersetzte, ungefähr heißt: „Haben Sie die Gewogenheit, weißer Mann der kalten [186] Zone, gefälligst in die Hütte meines Herrn einzutreten.“ Gewiß sehr höflich.

Dann führte mich Onkel Tom, immer in scheuer Sklavenhaltung, wobei ich Gelegenheit hatte, die graziösen Bewegungen seines schlanken Leibes zu bewundern, durch den Hof an die Hausthüre, wo ich mit einiger Befangenheit an der Klingelschnur zog, die aus Menschenzähnen gemacht war, so wie mich der Lämmergeier etwas genirte, der hier an der Stelle eines Hundes an der Kette lag, und mein Erscheinen mit eigenthümlichem Gaumenlaute markirte. Auch ein Cactus in vollster Blüthe starrte zu meiner Rechten, und die Vorhänge des Fensters zu meiner Linken waren aus Pantherfellen. Einige wahrscheinlich indianische Schriftzüge waren an die Thüre geschrieben, wobei ein Zeichen täuschend einem europäischen G-Schlüssel ähnlich sah. Ueber der Thüre, die merkwürdig schmal war, prangte ein Ornament von allerlei Waffen, Schädeln, Menschenknochen und Federn. Auch ein Halbmond aus massivem Golde war dabei, denn, wie ich später aus seinem Munde erfuhr, war mein Freund auch Inhaber von zwei Roßschweifen.

Der Fußboden war mit den seltensten Edelsteinen, Perlen, Muscheln und Goldstaub förmlich übersäet und ich kann wohl sagen, ich trat auf mindestens 25,000 Thaler. Der Nigger blieb immer in Sklavenhaltung.

Auf mein Läuten wurde mir von einer jungen Quadronin geöffnet, der ich im Vorübergehen einige Artigkeiten sagen wollte, als ich einen Strick am Halse fühlte, an dem ich ein Paar Schritte vorwärts gezogen wurde. Der Strick, wie mein Freund mir später mittheilte, war ein Lasso, der jedem Besuchenden umgeworfen wurde, was so viel als „Willkommen“ bedeutete. Als ich mich von dieser mir bisher völlig unbekannten Begrüßungsformel erholt, war die Quadronin bereits mit einem furchtbaren Satze und einem Freudengeschrei wie verschwunden. Ich stand mitten in einem hohen geräumigen Vorzimmer. Dieses war bis auf die Umkleidung einer mir gegenüber stehenden Thüre höchst einfach, nur schien es mir mit Galle angestrichen und der Fußboden mit Menschenblut gewichst. Doch eben diese Thüre nahm meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Ich will nur vorübergehend eines grünen Storchs mit einem enormen Schnabel erwähnen, und eines Affen in Livrée, der eben das Zimmer fegte und mich höflichst ersuchte, einzutreten, als ich zufällig über mir ein Scheusal erblickte, das mich beben machte.

Dieses Scheusal hatte mein Freund, wie ich später erfuhr, zum Geschenke erhalten. Es war ein ausgestopfter australischer Häuptling von den Sandwichsinseln, der jetzt in furchtbarer Haltung auf einem von gebrannter Thonerde geformten Postamente über der Thüre thronte. Schade, daß der Häuptling etwas verbogen war; er soll durch den Transport bedeutend gelitten haben. Zu beiden Seiten hingen zwei

Porträts auf indianisches Käsepapier gemalt, von denen ich nicht recht unterscheiden konnte, ob männlichen oder weiblichen Geschlechts; jedenfalls aber zwei höchst interessante Physiognomien, und gewiß ebenfalls Geschenke überseeischer Freunde, denn an dem Bilde links steckte eine Karte von Gerstäcker mit der Bleistiftanmerkung: Von meinem lieben Quickquick am Sakramento. Also!

In einem mit den seltensten Gegenständen völlig überstopften Zimmer empfing mich endlich mein Freund in ruhig-ernster Haltung, sich an einen Löwen lehnend. (Dieser Löwe ist bei ihm, was für uns Europäer ein Lieblingshund ist. Er heißt Ami.)

Ich muß gestehen, ich war bei diesem Anblicke mehr als befangen, und verneigte mich wie vor einem Vorgesetzten, blieb jedoch immer in bescheidener Entfernung von Ami.

Mein Freund betrachtete mich mit jener Gravität, welche Einem zur andern Natur werden soll, wenn man lange unter den Wilden gelebt hat. Sein Antlitz war edel wie sonst, Haar und Bart wirr, auch sah ich deutliche Spuren von Wüstenstaub. Er trug einen Schlafrock von Büffelleder, der durch einen ungeheuern californischen Goldklumpen zusammengehalten

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wurde. Die Stiefel waren von schwerem Seidenstoff, mit Menschenhaaren durchflochten.

Nach den ersten Eingangsreden und nachdem ich all’ die seltenen Gegenstände betrachtet hatte, die rings an den Wänden und an der Decke angebracht waren, lud mich mein Freund ein, eine Friedenspfeife mit ihm zu rauchen.

„Dienstag,“ rief mein Freund mit lauter Stimme, und herein trat der Nigger mit dem scheuen Sklaventritte, und den mein Freund „Dienstag“ geheißen, weil er ihn eines Dienstags in der Wüste aus dem Kampfe mit sechs Tigern befreit und so erworben hatte.

„Quili!“ sprach mein Freund weiter. Welches Wort richtig auszusprechen sich mein Freund einer kleinen silbernen Pfeife bediente, die er stets am Halse trug.

Und nach drei Minuten erschien Dienstag mit zwei langen wohlgestopften Pfeifen.

Mein Freund lud mich ein, auf einem Sopha von Granit Platz zu nehmen, das mich auf egyptische Abkunft schließen ließ, und einen wunderbaren Flötenton von sich gab, sobald wir darauf Platz nahmen. Ich wollte mich nun als gemeiner Europäer ganz ordinär d’raufsetzen, was mir mein Freund mit einem beinahe höhnischen Kopfschütteln wehrte.

Nachdem er sich und mich mit einem chinesischen Strohhut bedeckt, nahm er mir gegenüber Platz, indem er seine beiden Beine auf meinen Leib stemmte, und meine Beine mit einer rapiden Gewandheit über seine Schultern warf. In dieser sehr bequemen Situation begannen wir unsern Tabak zu rauchen, der sich wie Kieselerde anfühlte und dann und wann blaue Flämmchen ausspie.

Schon vorher hatte ich mich gewundert, als mein Freund mir den Strohhut mit der langen peruanischen Hahnenfeder aufsetzte, wie sorgfältig er bedacht war, daß die Spitze der Feder nach hinten nickte. Ich frug ihn deshalb, und er erklärte mir, daß dies das Zeichen unverbrüchlichster Freundschaft sei, während die Spitze nach vorn die gräßlichste Feindschaft signalisire. Diese wilde Sitte gefiel mir außerordentlich.

Als unsere Friedenspfeifen ausgeraucht waren, biß mich mein Freund in das linke Ohrläppchen und riß mir ein Haar aus (abermals ein indischer Gebrauch unter Freunden), und frug mich, ob ich ein Albumblatt aus Chile sehen wolle. „O Gott!“ konnte ich nur stammeln.

Aus einem Rosenholzkästchen mit Fischzähnen verziert, holte mein Freund alsbald eine vertrocknete braune Menschenhand. Auf das Innere der Hand waren mehrere sonderbare [188] Zeichen tättowirt, die mir aber mein Freund durchaus nicht erklären wollte. Ich erfuhr nur so viel, daß er diese Hand

von einem König hinter den Pampas „poste restante Plagwitz“ als Souvenir erhalten hatte mit dem Bemerken, sie sei von seinem ältesten Sohne, der sich ein besonderes Vergnügen daraus mache, dem Freunde seines Vaters ein Erinnerungsblatt senden zu dürfen. Mein Freund zeigte mir den Brief des Königs hinter den Pampas, eine merkwürdige Briefmarke zu 18 kr. war darauf genagelt, der Brief selbst von Menschenhaut.

Ueber diesen aufopfernden Edelmuth dieses Königs hinter den Pampas war ich denn aufs Tiefste erschüttert, denn von einem solchen Albumblatt hatte ich bisher keinen Begriff gehabt.

Nun ging es zur Abendtafel.

Wie soll ich beschreiben, wo soll ich anfangen? Was habe ich auf dieser Tafel gesehen und gegessen!

Zuvor reichte uns Sklave Dienstag zwei Bestecke chinesischer „Eßwerkzeuge,“ die in einem Futteral von gehärtetem Quecksilber stacken. In ungeheuer großen ausgehöhlten Cocusnußschaalen wurde die Bouillon servirt. Aber was für eine Bouillon! Augen darauf, so groß wie der Knopf eines spanischen Rohres. Uebrigens bestand die Suppe aus Alligatorenmark und Pelikanfett. Junge peruanische Tauben und ähnliches Geflügel wurden halb gebraten, halb lebendig auf den Tisch gebracht, über welche Grausamkeit ich allerdings meinem Freunde einige Vorwürfe machen mußte. Allerlei Käfer und eßbare Spinnen vertraten hier die Stelle des Gemüses, so wie, seltsam genug, eine Aloestaude die einzige vegetabile Erscheinung war. Eine Art Austern wurde unter Anderm aufgetragen von so seltener Größe, daß sie Sklave Dienstag auf einem kleinen Wagen hereinfuhr. In den Schalen derselben fangen die Wilden das Regenwasser auf, auch hat diese Auster Knochen wie ein mässiges Kalb, jedoch das feinste Fleisch, welches mit eingesalzenen indianischen Vogelnestern angemacht einen vortrefflichen Leckerbissen gab. Straußeneier mit Büffelaugen, australische Zwerghirsche mit Lamabraten erschienen dann, als Sklave Dienstag plötzlich auf den Tisch sprang, was ein Zeichen war, daß die Tafel aufgehoben sei. Die Sklaven nämlich wachen in den Tropenländern immer über die Mäßigkeit ihrer Herren, und sind so die besten Mittel gegen Indigestionen.

Nachdem mir mein berühmter Freund einen kühlenden Abendtrunk gereicht, der aus gefrorener californischer Eselsmilch bestand, und ich ihm heilig versprechen mußte, nicht sobald wieder zu kommen (wieder eine indische Sitte), schied ich mit Verehrung und Dankbarkeit von ihm.

Es war inzwischen völlig Nacht geworden, weshalb mir der zarte Sklave Dienstag mit einer Laterne von den Freundschaftsinseln vorleuchtete, wobei er mir immer winkte. Als ich

ihm beim Abschied 5 Neugroschen in die Hand drücken wollte, verweigerte er es hartnäckig und grinzte: „Feisch, feisch, Masser!“ Ich errieth sogleich, daß er lieber Fleisch und Wasser, als Geld annähme, und beschloß, mich das nächste Mal darnach zu richten.

Als ich in mein Hausthor trat, gab mir Dienstag noch einen Tritt, um seinem Herrn schwören zu können, daß er mich pünktlich nach Hause gebracht.

So endete für mich einer der interessantesten Tage meines Lebens.


  1. Gefertigter bescheiniget hiemit der Wahrheit gemäß, daß Herr Herbert Kg. mit ihm befreundet ist. Ausgestellt zu Plagwitz am 1. April 1853. Friedrich Gerstäcker.