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Ein Besuch bei den Helden der Friedenskonferenzen in Paris

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Ein Besuch bei den Helden der Friedenskonferenzen in Paris
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 168–172
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[168]

Die Friedenskonferenz in Paris
Mehemet Djemil-Bei. Lord Cowley. Graf Cavour. Ali Pascha. Lord Clarendon. Graf Walewski Marquis Villamarina. Baron Brunnow. Baron von Hübner. Graf Orlow. Graf Buol-Schauenstein.

[170]
Ein Besuch bei den Helden der Friedenskonferenzen in Paris.
(Mit Abbildung.)

Es war ein conservativer Krieg. Auch der Friede soll conservativ werden. Obgleich es eine alte Geschichte ist, daß, was man eben blos conserviren will, tödten und in Spiritus setzen muß und die Türkei, das specielle Objekt, welches conservirt werden sollte, auch bereits vollends todt gemacht ward (nur fehlt noch der Spiritus), glaubten doch wenigstens die Conservatoren etwas zu conserviren, sich. Das zeigt sich auch als starker Irrthum. Alle kriegführenden Parteien haben ihre Armeen und die Arme einer Million starker, arbeitsfähiger Männer und die Millionen, welche sie auf die Nationen borgten, verloren. England hat außerdem speciell die Glorie des Glaubens, die um seine Flotte, um seine Aristokratie, um seine „Freiheit“ strahlte, zugesetzt Und wer hat gewonnen? Ein paar Lieferanten, ein paar Pfandleiher. Die kriegführenden Mächte und die betreffenden Nationen haben alle nur verloren. Auch nicht ein Schmetterlingsflügel ist conservirt worden. Auch die nicht Kriegführenden haben nur verloren, zwei Jahre der Kultur mit mehrjährigen Nachwehen. Während man das große Ritterschauspiel aufführte, drängte sich das Publikum Europa’s in die Logen und ließ Geschäft und Haus und Herz und Kopf und Tasche unbewacht, und sperrte voll Bewunderung über die großen Scenen mit Donner- und Knalleffekt das Maul auf und merkte es gar nicht, wie ihm geschickte Taschenspieler inzwischen Geld und Uhr wegstahlen, Rechtsparagraphen, kleine durchgeschmuggelte Andenken an „Errungenschaften“ und dergleichen anmuthige Nippsachen.

Jeder vermißt etwas nach diesem vorläufigen Ende des conservativen Krieges. O und was und wie viel vermissen Tausende von Müttern und Frauen und Bräuten und Kindern und Greisen und Greisinnen? Es gab eine Zeit, wo halb England und halb Frankreich in Trauer gingen, und die Todtenlisten sich noch täglich enggedruckt und ellenweise verlängerten. Außerdem bezahlten die ihrer Jugend- und Produktionskraft beraubten Trauernden doppelte Steuern und doppelte Preise für Lebensmittel. Ja, wir haben Alle verloren durch diesen Krieg für die Erhaltung dessen, was die „Civilisation“ zu besitzen meinte. Blos mein liebes Deutschland hat verhältnißmäßig gewonnen. Zwar übte oft der Muth in der Brust seine Spannkraft, und wollte mitschlagen und bluten und fallen und wieder auferstehen für die Freiheit, die im Kaiser Napoleon eine so glänzende Krone trug und ein so reines, blankes Feldherrnschwert führte und die englischen Feldherren mit so warmen Gichtstiefeln versorgte; aber wir durften doch halt nun mal nicht, und so gewöhnten wir uns an Declinirung lauter Dinge keinerlei Geschlechts, was man Neutralität nennt auf Deutsch, und lasen Gartenlaube, spielten mit Bausteinen zu einer naturgemäßen Selbstheillehre, statt mit Kronen und Sceptern und Stern, studirten Natur und gewöhnten uns den stillen Trunk ab, dem wir uns so lange an den Quellen des Idealismus hingegeben, indem wir uns immer mit der schönen Stelle trösteten: „’s hilft am Ende doch!“ Und nun? Revalenta arabica ist Wicken- oder Bohnenmehl und die revalenta orientalis des Krieges, expreß im Großen zur Erhaltung und Stärkung der Gesundheit fabricirt, besteht aus noch schwerer verdaulichen, blauen, bleiernen und eisernen Bohnen, so daß selbst Petschens[WS 1] „Eppelwein“ in Berlin, obgleich verurtheilt, noch vorzuziehen wäre. Werden’s nun die Friedenspillen thun? I nun, wer gesund ist, kann viel vertragen und mancher Kranke, den eine starke Natur mit Gewalt kuriren will, allenfalls auch trotz einiger Pillen und Bullen wieder gesund werden. Insofern aber unser Gewinn während des Krieges wesentlich darin besteht, daß wir etwas von der Natur und der Selbstheillehre gelernt haben, werden wir auch alle Pillen, die wir uns nicht selbst gedreht haben, mehr als idealisirten Bohnen- Wicken- und sonstigen componirten Brei ansehen und uns dergleichen Artikel ohne Ideal-Preiserhöhung verschaffen, im Uebrigen uns aber nur auf das verlassen, was wir uns selbst zur Erhaltung, Herstellung und Stärkung der Gesundheit kochen und componiren. Dies befähigt uns auch zu einer mehr objektiven Auffassungsweise des Friedens-Pillen-Collegiums in Paris.

Die Friedens-Konferenzen wurden nach einem sehr europa-wichtigen Streite über den Vortritt zwischen zwei „Bevollmächtigten“ am 25. Februar Mittags um die erste Stunde im Hotel des auswärtigen Ministers an der Seine eröffnet. Stühle und Meubles und Pracht sollen viel kostbarer sein, als beim wiener Congreß 1815.

Graf Walewski, Minister des Auswärtigen von Frankreich, präsidirt. Als Napoleon I. auf der Höhe seines Ruhmes eine große Festlichkeit zu Warschau besuchte, ward er, der Held von Austerlitz, von einer polnischen Schönheit total geschlagen. Sie war Gattin eines bejahrten sarmatischen Edeln, und ihr junges [171] Herz loderte in Flammen auf für den von ihr geglaubten „Befreier Polens.“ Napoleon, nicht minder Flamme, überwand ihren Kampf für die Pflicht zu Gunsten ihres hoffnungsvollen, liebenden Herzens und ging mit ihr durch. Graf Walewski ist Sohn Napoleon’s und dieser schönen, patriotischen Polin, deren Fehler, wie Lamartine einmal sagte, durch Täuschung ihrer patriotischen Hoffnungen und Unglück geheiligt ward. Einige weitere Notizen über den Präsidenten dieses Friedens-Congresses gaben wir in einem frühern Artikel. Ihm zur Seite steht Baron de Bourqueney, ehemals Gesandtschaftssekretair Chateaubriand’s in Rom, nach der Revolution von 1830 Beamter im Ministerium des Auswärtigen, dann diplomatisch thätig in London und Constantinopel mit Vorliebe für das Haus Orleans, bis ihn Napoleon zum Gesandten in Wien machte, als welcher er schon Mitglied der Friedens-Konferenzen des vorigen Jahres war.

Ali Pascha, Vertreter der Türkei, steht in dem Rufe, der gelehrteste und gebildetste Mann seines ganzen Landes zu sein. Er ist lebendiger, ausdrucksvoller, freier, als die meisten Türken, auch als unkäuflich einzig unter den Beamten der Türkei und hat blos eine Passion, eine noble, die für seine berühmte Bibliothek. In der Politik gehört er der „nationalen“ Partei an. Er war Gesandter in England, dann sechs Jahre Minister des Auswärtigen, 1852 Premierminister, dann Gouverneur von Brussa, später Präsident des obersten Staatsraths. Zu Ende 1854 wieder Minister des Auswärtigen, vertrat er die Türkei in den wiener Friedenskonferenzen des vorigen Jahres. Jetzt erscheint er mit derselben Funktion in Paris, zugleich als Groß-Vezier und erster Minister des Sultans. Mehemet Djemil-Bei, Gesandter in Paris, ist sein Assistent.

Graf Buol-Schauenstein, einer Familie angehörend, die dem Hause Habsburg seit länger als einem Jahrhundert diente, ward vor sechzig Jahren in der Schweiz geboren und trat schon im neunzehnten Jahre seine diplomatische Laufbahn an, die er als Legationssecretär in Florenz, Haag, Paris und London und als Gesandter in Karlsruhe u. s. w. fortsetzte. Als Gesandter in Turin 1848 forderte er von Karl Albert auf eigene Verantwortlichkeit seine Pässe. Als Gesandter in Petersburg und in London, neuerdings als Minister des Auswärtigen bekam er die Fäden des Krieges und Friedens mehr als andere Diplomaten in die Hand und spielt demnach auch eine wichtige Rolle in Paris. Baron von Hübner, außerordentlicher Gesandter und Bevollmächtigter in Paris, unterstützt ihn. Er ist ein Schüler Metternich’s. Im Jahre 1848 bewieß er viel persönlichen Muth mitten unter revolutionären Kugeln, durch welche er zum Kaiser nach Schönbrunn ging. Er leitete die Abdankung des Kaisers u. s. w. und was sich demnächst anschloß.

Graf Cavour, Schöpfer und Seele des jetzigen liberalen Regierungssystems in Sardinien und der Alliance mit den Westmächten, machte in Bezug auf letztere Erfahrungen, die auch andere Leute noch zu machen und zu überwinden haben. Die Hoffnungen und Illusionen, welche zu der Alliance einluden, sind die Westmächte zu erfüllen weder Willens noch fähig. Marquis de Billamarina, sardinischer Gesandter in Paris, ist College Graf Cavour’s in den Friedens-Konferenzen.

Die Vertreter und Bevollmächtigten Rußlands, Graf Orlow und Baron Brunnow, stehen zugleich in dem Rufe einer bedeutenden Superiorität über ihre diplomatischen Friedens-Collegen. Ersterer war der intimste Freund und Rathgeber des Kaisers Nikolaus. Schon 80 Jahre alt, ist er noch frisch, gesund und thatkräftig, Aide-de-Camp-General, General der Kavallerie, Kommandeur der Kavallerie, Kommandeur des kaiserl.-militärischen Haushaltes und Mitglied des Staatsraths. Er war tapferer Krieger in allen Kämpfen dieses Jahrhunderts, wurde bei Austerlitz verwundet und sieben Mal bei Borodino. Als General der Garde unterdrückte er hauptsächlich die Revolution vom 26. December 1825, welche dem Kaiser Nikolaus den Thron versagen wollte. Seitdem war er stets der intimste Freund des Kaisers. Er kommandirte 1828 im türkischen Kriege und zeichnete 1829 den Frieden von Adrianopel, dessen Inhalt Palmerston Jahre lang leugnete, entstellte und umging, wenn er darum gefragt ward, bestimmte auf den Konferenzen wegen Belgiens und begleitete den Kaiser auf allen seinen Reisen: Seit 1845 an der Stelle Benckendorff’s als Chef der dritten Section der kaiserlichen Privatkanzlei und der Gendarmerie des ganzen Reichs leitete er die Inspectionen der Administration, welche die Vollmacht einschlossen, jederzeit zum Kaiser zu gehen und über Alles und Jeden mit ihm zu sprechen. Er mißbilligte Menschikow’s Mission und Stil, in der Türkei, welche zum jetzigen Kriege führte, mit den Worten: „Menschikow verlangte viel, um wenig zu erhalten; ich verlange wenig, um viel zu bekommen.“ - Ein sehr inhaltvoller Ausspruch. – Baron Brunnow, von Geburt ein Deutscher, trat seit 1818 in bestimmte Verbindung mit dem Hofe von Petersburg. Die vierzig Jahre, die er in dessen Dienste zubrachte, gaben ihm eine europäische Reputation. Er wirkte entweder im Ministerio des Auswärtigen oder als politischer Missionär mit Orlow, Nesselrode und allein in Constantinopel, London, Stuttgart u. s. w., besonders aber als vierzehn Jahre langer Gesandter in London, als welcher er durch seine feine, weltmännische Persönlichkeit und geistige Ueberlegenheit die englischen Staatsmänner stets in einer Abhängigkeit hielt, die Niemand merkte oder, wenn bemerkt, so angenehm gefunden ward, daß es Niemand über’s Herz bringen konnte, sich davon loszumachen. Beim Ausbruche des Krieges reis’te er unter allgemeinem Bedauern und mit Lobeserhebungen der Presse und des Publikums ab.

Die beiden Diplomaten, welche jetzt Rußland in Paris vertreten, haben dreißig Jahre lang Hand in Hand nach einem bestimmten Plane gearbeitet; sie werden es jetzt auch thun und zwar mit besonderer Aussicht auf Erfolg, da das vom Kriege erschöpfte Rußland in Concessionen an die Kultur und Civilisation, welche Kapitalien und Kapacitäten für Industrie und Handel, Eisenbahnen, Fabriken u. s. w. anziehen will, sein Heil sucht, während England sich bemüht, eine Polizei und Politik einzuführen, welche Rußland in seinem Interesse als abgetragene Schuhe ablegen will. Außerdem gehört jetzt mehr als je die Türkei den Russen, da England und Frankreich durch diesen Krieg jede Lust verloren haben, die von ihnen nun gründlich ruinirte Türkei jemals wieder zu retten. Ueberhaupt kann Rußland, wenn die westliche Civilisation auf ihren diplomatischen Wegen so fortfährt, wieder ein Asyl für verfolgte westliche Flüchtlinge werden, wie schon einmal unter Alexander – – –

„England wird sich beugen, aber nicht seinen Nacken,“ wie die berliner Volkszeitung zu ihrer Genugthuung prophezeite Für das Gelingen dieses äußerst schwierigen Kunststückes diplomatischer Gymnastik bürgen die Bevollmächtigten Englands, George William Frederik Villiers Lord Clarendon und Lord Cowley. Um über Ersteren nicht selbst zu urtheilen, übersehen wir die in der „lllustrated Times“ vom 1. März Seite 154 dritte Spalte als Volksmeinung über ihn angegebene Stelle: „Armer Lord Clarendon, Du bist der rechte Mann für die Konferenzen. Sieh nur diese schwache, dünne, schwankende Figur in einem Comité kämpfend gegen Männer wie Brunnow, Buol und Walewski! Man wird Sr. Lordschaft mitspielen, man wird ihn compromittiren und „„gemacht““ („„squelched““) und ganz und gar an die Lust gesetzt („„utterly exploded““) mit einem Frieden in der Tasche nach Hause schicken. Man wird ihn verhöhnen, wie man Bolingbroke verhöhnte, und er, der kein Bolingbroke ist, wird zusammensinken, ehe man ordentlich anfängt zu zischen.“

Lord Clarendon war Gesandtschaftsattaché in Petersburg 1820–23, dann Steuercommissär in Irland bis 1833, Zollcommissionär in Dublin, Gesandter in Madrid und vom vierzigsten Jahre Mitglied des Oberhauses, wo er nie weder als Redner noch als Staatsmann eine männliche Rolle spielte. Der große Moment des Krieges fand ein kleines Geschlecht, in welchem Lord Clarendon selbst nie groß erschien. Von Lord Cowley, seinem Collegen, wußten die besten Freunde fast nie etwas Rühmlicheres zu sagen, als daß er Neffe Wellington’s sei, und sein Vater, Sir H. Wellesley, sich während des Krieges mit Napoleon fast an jedem Hofe Europa’s aufgehalten habe. Auch Lord Cowley hielt sich und Andere an vielen Höfen auf, erst als Attaché in Wien (1824), dann in Haag, als Legationssecretär in Stuttgart (1832) und als Gesandtschaftssecretär in Constantinopel (1838), 10 Jahre später als Bevollmächtigter in der Schweiz und in Frankfurt, wo er dem deutschen Bunde die Ruhe Deutschlands wieder herstellen half. Jetzt ist er Gesandter am Kaiserhofe Frankreichs, den sein Vater ruiniren half, und der Assistent bei Wiederherstellung der Ruhe Deutschlands wird auch das Seinige thun, den Frieden wieder herstellen zu helfen und ihn dem Lord Clarendon in die Tasche stecken.

Das sind die Haupthelden, welche jetzt das Schicksal Europa’s, Asiens u. s. w. bestimmen. Aber darum keine Angst. Was [172] die Diplomaten auch bestimmen, sie sind ein ganz besonderes Geschlecht, das ganz außerhalb der Kreise steht, welche das Schicksal der Welt bewegen. Sie beschließen, bestimmen, machen Paragraphen, und draußen beschließt und bestimmt und treibt das Leben und das Interesse der Kultur, die Eisenbahn, das Dampfschiff, der Geldmarkt, die Erfindung, Produktion und Bedarf der Völker ganz nach den Natur-, Sitten- und socialen Gesetzen des Lebens, ohne sich um die Paragraphen der Diplomaten zu bekümmern. Du Diplomatie glaubst zu schieben und du wirst geschoben. Setzen wir gemeinen Leute, die wir im gemeinen Leben irgend etwas Nützliches und Gescheidtes treiben, überall, wo wir einen Karren in der Tinte sitzen sehen, unsere Schultern mit an’s Rad, so schieben wir und die Diplomaten werden geschoben, denn sie sitzen fast immer auf solchen in’s Pech gerathenen Karren. Lassen wir sie dabei ruhig in dem Glauben, daß sie durch ihre Hü’s und Hott’s den Karren und sogar die Welt regieren.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Johann Christian Wilhelm Petsch (1804-1882); Vorlage: Pietschens