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Ein Besuch bei Hermann Allmers

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Textdaten
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Autor: H. B.
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Titel: Ein Besuch bei Hermann Allmers
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 207–209
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Bei Hermann Allmers in Rechtenfleth
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[207]
Ein Besuch bei Hermann Allmers.


Der große Krieg der Deutschen gegen Frankreich 1871 neigte seinem Ende zu. Als auch Paris sich fallend beugte vor der Ueberlegenheit deutscher Kriegskunst, deutscher Kraft und Tüchtigkeit, gewährte der deutsche Sieger großmüthig und ohne Feindeshaß den erbetenen Waffenstillstand. Bald darauf, im Februar desselben Jahres wurde ich von dem pommerschen Regimente, bei dem ich stand, im Jura-Departement mit einem militärischen Commando nach Hannover beauftragt, das mich demnächst auf einige Wochen nach Oldenburg führte. In dieser Hauptstadt des glücklichen Großherzogthums genoß ich nach den Anstrengungen des Krieges behagliche Ruhe und Erholung im Kreise liebenswürdiger Cameraden, im Genuß der Kunstleistungen der Stadt und auf Ausflügen in die Umgegend. Die schönste Seelenstärkung gewährte mir ein Besuch, den ich dem deutschen Dichter Hermann Allmers, den Lesern der Gartenlaube durch sein schönes Gedicht „An meine Mutter“ im Jahrgang 1869 schon längst bekannt, in seiner Marschenheimath Rechtenfleth abstattete.

Mitte März früh fuhr ich auf Hunte und Weser mittelst eines Dampfbootes von Oldenburg nach Sandstedt. Der Schiffer, welcher mich hier vom Bord des Dampfschiffes auf einem kleinen Nachen an das Land, das heißt zunächst an den Deich hinanfuhr, fragte mich ohne Weiteres, ob ich Herrn Allmers besuchen wollte, und fügte auf meine bejahende Antwort hinzu: „Wenn Herr Allmers das wüßte, würde er Sie gewiß hier am Deiche erwarten. Er ist ein so freundlicher Herr! Wir lieben ihn Alle hier zu Lande.“

Nachdem ich in dem naheliegenden Wirthshause ein gutes Frühstück eingenommen hatte, machte ich mich gegen zwölf Uhr Mittags auf den Weg, um nach dem eine halbe Stunde entfernten hannoverschen Dorfe Rechtenfleth zu gehen. Auf dem neben der Weser sich dorthin ziehenden Deiche trat ein einfach und sauber gekleideter Marschbewohner grüßend zu mir heran und bat um die Erlaubniß, mich nach Rechtenfleth begleiten zu dürfen, zumal er dort wohl bekannt und jetzt gerade dorthin zu gehen im Begriff sei. Wir wanderten also zusammen und kamen in munterer, zwangloser Unterhaltung bald bei den ersten Häusern des Dorfes vorbei, das neben dem Deich in der Marschebene sich ausdehnt. Von einer den Deich hinabführenden, durch wohlgefügte Mauersteine ausgezeichneten Treppe aus sahen wir wenige Schritte vor uns das bäuerliche, jedoch durch einen kunstvollen Giebelaufsatz, eine epheuumrankte Veranda und ein reichverziertes Erkerfenster geschmückte Landhaus liegen, welches Allmers bewohnt. [208] Auf einer Brücke überschritten wir den vorliegenden Graben und traten aus wohlgepflegten Gartenanlagen durch die Hauptthür in das Haus ein. Hier, glaubte ich, würde sich der Marschbewohner empfehlen. Ich sprach ihm daher meinen Dank für seine Begleitung aus. Aber der Biedere dachte anders und sagte, er möchte Herrn Allmers heute auch besuchen, er habe ihn so lange schon nicht gesehen. Durch die würdige Haushälterin (Allmers ist unverheirathet) angemeldet, traten wir also Beide in die Arbeitsstube des Dichters ein, wo uns derselbe auf’s Freundlichste empfing. Es ist dies ein kleines, gemüthliches, helles Zimmer, einfach, bequem und sinnig ausgestattet. Rings an den Wänden reihen sich schönwissenschaftliche, cultur- und naturgeschichtliche Werke in guter Ordnung aneinander, von einem erhabenen Platze schaut Schiller’s Büste auf den Schreibtisch, der vorn durch überhängende Zweige von Palmen und anderen Blattpflanzen umsäumt und mit Lebensluft angehaucht wird. Davor sitzt auf einem großen, hartgepolsterten

Hermann Allmers.

Lehnstuhle Allmers, eine kräftige Friesengestalt mittlerer Größe; über den breiten Schultern erhebt sich das Haupt mit blonden Haaren und edelgewölbter Stirn. Das Gesicht mit der kühn gebogenen Adlernase wird von den Geistesblitzen der scharfen und doch so mild und treu blickenden Augen erhellt und verklärt durch den Ausdruck der kindlichen Seelenreinheit und Herzensgüte, die diese Künstlernatur auszeichnen.

In lebhaftem, gemüthlichem Gespräch saßen wir hier vereint und stießen die hellklingenden Gläser an, in denen uns der liebenswürdige Wirth einen vorzüglichen Portwein spendete. Dann verabschiedete sich der Marschbewohner. Allmers und ich waren nun allein beisammen, rückhaltlos und ungestört schauten wir einander in die Seele. Voll edler Begeisterung pries er in kräftigen Worten die Großthaten der Deutschen in dem jüngst vollendeten Kriege gegen Frankreich, die Wiedergeburt des deutschen Kaiserreichs und den frischen freien Geistesfrühling, der alle edeln Kräfte neu belebt und stärkt im Dienste des deutschen Vaterlandes. In gehobener weihevoller Stimmung führte er mich durch die Räume seines Hauses, die so reich an Alterthümern und Kunstschätzen aller Art sind, daß man in ihnen cursorisch Kunst- und Culturgeschichte studiren kann. Wir traten zuerst in die untere große Halle ein, die in mittelalterlichem Stil gehalten ist. Die Wände sind mit den Wappen der vier auf Allmers’ künstlerische Entwickelung von hervorragendem Einfluß gewesenen Städte Bremen, Berlin, München, Rom, und mit sinnreichen Inschriften verziert, unter denen sich der Wahlspruch befindet:

Starkes Herz in Noth und Streit,
Weiches Herz bei fremdem Leid,
Frisches Herz für jedes Schöne,
Treues Herz in alle Zeit.

Ueber den kunstvollen Portraits von Raphael, Albrecht Dürer, Murillo und Rembrandt prangen in altdeutscher Schrift die Worte:

Wer die wohledle Kunst verachtet,
Wohl selber nicht nach Edlem trachtet.

Alte geschnitzte Möbel, Geräthe, Waffen, Trinkgefäße und Hirschgeweihe vervollständigen die Einrichtung der Halle, deren Hauptschmuck das lebensgroße, auf Goldgrund gemalte Bild Karls’ des Großen ist, des Culturbringers des Friesenlandes. Eine breite Treppe führte uns von hier hinauf in das altdeutsche Gemach, welches der Dichter für besuchende Freunde bestimmt und mit der goldenen Inschrift geschmückt hat:

Jegliche Lust wird alt und verblüht,
Doch nimmer die Freude am Menschengemüth.

An den Wänden erregen ferner besonderes Interesse das von G. v. Dörnberg gemalte Oelbild „Die Einführung des Christenthums in die Marschen durch Bischof Wilhadus“, ein alterthümliches holdseliges Marienbild und das Reliefmedaillon Seume’s nach dem ihm auf Allmers’ Anregung gestifteten Denkmal in Bremen. In dem an dieses trauliche Gemach stoßenden größeren Zimmer stellen friesartig aneinander gereihte Wandbilder – meist von Allmers selbst in den Grundzügen entworfen – die Hauptabschnitte der Marschengeschichte dar. Das schönste Bild, „Die Landung der Römer an der Weser“, ist von Otto Fitscher (dem Schöpfer des berühmten Oelgemäldes „Barbarossa’s Erwachen“) gemalt, G. v. Dörnberg malt die übrigen Bilder und hat deren vier bereits vollendet, nämlich: 1) „Fischer- und Jägerleben der ersten Marschbewohner“, 2) „Gründung der Deiche“, 3) „Kampf mit Adel und Geistlichkeit“ (Stedinger Schlacht) und 4) „Kampf mit den Fluthen“.

Zum Schluß zeigte mir Allmers den zu ebener Erde belegenen Antikensaal, der Abgüsse und Nachbildungen der besten Bildsäulen des Alterthums und eine reichhaltige archäologische Sammlung von Münzen, Gemmen, Terracotten und Vasen enthält, die der Dichter selbst in Italien kunstforschend erworben hat.

Nach diesen reichen Kunstgenüssen stärkten wir unsern Leib durch ein einfaches Mahl, das in einer kleinen Stube angerichtet war, in welcher neben vielen anderen schönen Bildern sich ein im Jahre 1856 von Hermann Brücke in Berlin gezeichnetes Portrait Allmers’ befindet, welches das geistige und gemüthliche Wesen des Dichters treu zur Anschauung bringt. Nach einer Photographie dieses Portraits ist die nebenstehende Abbildung gefertigt.

Bei einem Nachmittagsausflug nach Bremerhaven richtete sich unser Gespräch, nachdem es wohl alle Gebiete der Kunst und Wissenschaft berührt hatte, schließlich auf das Gebiet der Religion. Mit Recht bemerkte Allmers, daß, wer über diesen wichtigen Gegenstand ernst und gründlich nachzudenken verabsäumt, während er doch über andere Dinge klare Begriffe zu gewinnen sucht, den Vorwurf geistiger und sittlicher Schwäche oder frevelhaften Leichtsinns verdient. Das Christenthum betrachtet unser Dichter als die schönste und sittlich erhabenste Erscheinungsform des Humanismus. Glücklich pries er sich, nach mancherlei Zweifeln und Bedenken seit einiger Zeit durch das Mittel der Kunstschönheit zu der Stufe des religiösen Bewußtseins durchgedrungen zu sein, daß er in jeder endlichen Gestaltungsform des Gottesdienstes, trotz der etwa vorkommenden einseitigen Beschränktheit der Ausübung, [209] sich wahrhaft erbauen und zum Unendlichen andachtsvoll erheben könne.

Schon breitete die Abenddämmerung ihre dunklen Schatten über die Erde aus, als wir in einem Wirthshause, an dessen Tafel wir die einzigen Gäste waren, ein Abendbrod einnahmen. In dem Zimmer stand ein Clavier, das Allmers bald volltönend erklingen ließ. Dazu sang er mit Feuer und Wohlklang sein von ihm selbst componirtes Lied: „Auf der Rudelsburg“, das mich lebhaft entzückte. Es war schon spät am Abend, als wir endlich herzlichen Abschied von einander nahmen, aber nicht für immer, sondern „auf Wiederseh’n!“

In kurzer Zeit sind wir so innig mit einander vertraut geworden für alle Zeit. Ich werde ihn nie vergessen, diesen herrlichen Mann voll frischer Volkskraft, milder Humanität und feiner Geistesbildung. Wissenschaftliche Gründlichkeit, Klarheit und Schärfe des Verstandes, Herzensgüte und tiefes deutsches Gemüth vereinigen sich in seinem Wesen zur kunstveredelten Natur. Seine Werke (Dichtungen – Marschenbuch – Römische Schlendertage, jetzt in dritter Auflage erschienen) tragen ganz das Gepräge dieses vorzüglichen, nur aus Liebe zur Sache schöpferisch thätigen Geistes und gehören zu den Zierden der deutschen Literatur. Maler, Musiker, Baukünstler und Dichter zugleich, eröffnet Allmers in seinen Schriften dem empfänglichen Gemüth des Lesers eine reiche Quelle des reinsten und ersprießlichsten geistigen Genusses, der namentlich deshalb so bildsam und fruchtbringend anregt, weil er durch die ursprüngliche, kunstnatürliche Darstellungsweise des Dichters einen Blick in die Entstehungsart seines künstlerischen Schaffens, in die Rüstkammer seines Geistes thun läßt.

Allmers entstammt einem alten stedingschen Häuptlingsgeschlechte und wurde am 11. Februar 1821 auf dem freien Friesen-Hofe zu Rechtenfleth geboren, der schon länger als fünfhundert Jahre sich im Besitze seiner Familie forterbte. Als einziges Kind seiner Eltern widmete er sich, auf den Wunsch seiner besonders innig geliebten Mutter, der Landwirthschaft und folgte erst nach dem Tode seiner Eltern der Wandersehnsucht, die ihn höhere wissenschaftliche und künstlerische Bildung auf mannigfachen Streifzügen durch Deutschland, Schweiz und Italien suchen und in stetem Verkehr mit ausgezeichneten Männern finden ließ. Dann kehrte der gereiste Mann nach seinem Heimathsdorfe zurück, dessen Gemeinde er längere Zeit als Vogt vorstand, und widmete sich seit etwa zwanzig Jahren fast ausschließlich der „wohledlen Kunst“ und Culturbestrebungen aller Art. Möge er noch lange segensreich wirken im schönen deutschen Vaterlande!

H. B.