Ein Ball in Paris (Fontane, 1905)
(Dezember 1849.)
Paris hat Ball: hin durch der Gassen Enge
Braust rasselnd der Karossen bunte Menge,
Die Quais entlang, entlang die Tuilerien[1],
Ein rastlos Jagen und Vorüberfliehn.
Schon dröhnt „La Grêve“[2] von ihrer Hufe Stampfen,
Und jetzt ein kurzes „Halt!“ – hell glänzt das Ziel,
Der prächtige Ballsaal des Hôtel de Ville.[3]
Rings Fackelglanz; die Nacht ist lichter Tag,
Leis knistert auf der steingehaunen Treppe
Der Atlasschuh,[4] es rauscht die Seidenschleppe,
Der Mantel fällt, und jetzt in luftgem Shawl,
Selbst luftig, schwebt die Schönheit in den Saal.
Wiegt sich der Glanz der neuen Republik[5]:
Die Abenteurer und die Schleppenträger,
Die Vettern all und all die Stellenjäger
(Auf deren Brust das Kreuz der Ehre blitzt,
All sind sie da, und leichter schwebt ihr Fuß,
Trifft sie des Kaiserneffen[6] flüchtger Gruß.
Zieht heut der Töne Macht an seinem Sinn,
Nach einem Punkt nur blinzelt Er empor:
Von wo herab in Purpur, goldgestickt,
Des Kaisers Bild auf ihn herniederblickt.
Das Kaiserbild! traun in das Festgebraus
Ein tiefer Ernst umschattet sein Gesicht,
Der Kronendurstge aber sieht es nicht,
Er sieht nur, wie der Goldreif blinkt und blitzt,
Der auf der Stirne des Allmächtgen sitzt,
Das Jener spielend fast in Händen hält,
Und zitternd nach des Glückes gleicher Huld,
Ruft er sich selber zu: „Geduld, Geduld!“
So aber denken nicht die schlanken Schönen,
Mit Blüthen sind die Blühenden geschmückt,
Wie wenn man Rosen noch auf Rosen drückt,
Und schier als wär’ die Gabe zu genießen
Selbst nur ein stundenkurzes Blüthensprießen,
In ewger Furcht, die Stunde sei verpaßt.
Ich tanze nicht; – im Durst nach Luft und Frische
Tret’ ich seitab in eines Fensters Nische,
Und hinter mir jetzt all den Saus und Braus,
Mit Eifersucht-umfinstertem Gesicht,
Und in des Saales Glanz und Pracht und Schein,
Starrt wie der Tod in’s Leben sie hinein.
Fest drück’ die Stirn ich an die feuchten Scheiben,
Da ist es mir, als ob mein Ohr es träf’:
„Kennst Du den Platz da draus? Kennst Du „La Grêve“?
La Grêve! wie kalt das Wort mich überlief,
La Grêve! wo Haß nur, der nach Rache schnob,
Der Freiheit Zerrbild aus der Taufe hob;
La Grêve! wo man von Menschenliebe schwur,
Wenn mal auf mal das Beil herniederfuhr;
Daß es – ein Strom sich in den Strom ergoß.
Und mir im Rücken jetzt erbraust es wilder,
Vor meinen Augen aber, grelle Bilder
Der Greuel all, die ringsumher geschehn,
Horch! Weiberstimmen durch die Lüfte kreischen;
Da sind sie selbst; in Wollust zu zerfleischen,
Hat ihres Fleisches Wollust sich verkehrt,
Blut heißt jetzt was die Sinnlichkeit begehrt.
Doch nirgends einer Mutter stille Lust,
Mit aufgelöstem Haar, halbnackt die Leiber,
So ziehn vorbei mir die Versailler Weiber.
Er zieht als Mordgesell dem Zug vorauf,
Und trägt zwei Stangen und zwei Köpfe drauf;
Wild heulend folgen aus den Rhône-Landen
Die Lyoneser und Marseiller Banden,
Seh’ ich die Blutgen mir vorüberziehn.
Vorbei, vorbei! jetzt aber Trommelklang
So dumpf, so hohl, – das ist ein Sterbegang;
Schon um den Platz wie eine Eisenkette
Und rasch, in Nacht herauf, steigt das Schaffot,
Vom Volk umtanzt in widerlichem Spott.
Zwei Männer schreiten herwärts, beide still,
Es winkt des Priesters Hand, die segnen will,
„Des heilgen Ludwig Sohn, steig’ auf gen Himmel!“
Ein Beilesblitz; (mein Auge schließt sich bang;)
Da hinter mir aufschreckt mich Beckenklang,
Und aus der Nische fort und ihrer Nacht,
Drin wogt es noch. Auf Klängen der Musik
Schwebt nach wie vor der Glanz der Republik,
Noch immer senken taktvoll sich und steigen
Die Walzerpaare nach dem Strich der Geigen,
Erblühen Arabesken und Figuren,
Und immer noch, rasch wie Gewitterhusch,
Braust der Galopp her im Orchester-Tusch.
Schau durch das Maskenwerk und seinen Schein
Tief in das Herz der Wirklichkeit hinein.
Sieh Jenen dort: es frömmelt sein Gesicht,
Mir sagt’s sein Aug’, daß er von „Tugend“ spricht,
Und Kühlung ihr mit seinen Blumen fächelt,
Sieh hin, – und denk dann an den Festeszug,
Wo der Hyänenmensch auch Blumen trug.
Und jenen Zweiten sieh: wie Dantons[7] Brust
Ein jedes Härlein schwört auf diesem Haupt,
Daß es an nichts als an sich selber glaubt.
Und jenen Hagren sieh! sag, kündet nicht
„La mort – sans phrase!“[8] dies steinerne Gesicht?
Pestbeule draußen, drinnen Höllengluth;
„Stirb an Dir selbst, Tyrann! zu rein für Dich
Ist einer Corday[9] keuscher Messerstich.“
Genug! Du aber Fürst, deß Blicke eben
Du Kaiserneffe, der im Herzen still
Noch immer rechnet; ob’s nicht werden will?
Und über sich und seine Welt vergißt,
Daß rings die Welt ein droh’nder Krater ist, –
Bluthochzeit wieder in den Gassen halten,
Bist Du’s dann, der das losgelassne Thier
Voll Ruh empfängt, des Sieges sicher schier,
Und eh’s in Blut sich voll und satt geschlürft,
Bist Du’s? – Du schweigst. Der Kaiser aber spricht
Von seiner Wand herab: Du bist es nicht!
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Tuilerienpalast
- ↑ Place de Grêve, heute Place de l’Hôtel-de-Ville
- ↑ Hôtel de Ville, Rathaus von Paris
- ↑ Atlas, Seidengewebe
- ↑ Zweite Republik
- ↑ Napoleon III. war der Neffe von Kaiser Napoleon.
- ↑ Georges Danton
- ↑ La mort – sans phrase! angeblicher Auspruch von Sieyès bei seiner Zustimmung zur Hinrichtung Ludwigs XVI.
- ↑ Charlotte Corday, Mörderin des Jean Paul Marat.