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Ein Abenteuer Offenbach’s

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Titel: Ein Abenteuer Offenbach’s
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aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 288
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Jacques Offenbach und ein Mißverständnis
Blätter und Blüthen
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[288] Ein Abenteuer Offenbach’s. Wer kennt nicht Jacques Offenbach, den Componisten des Orpheus in der Unterwelt, der schönen Helena und so vieler anderen Operetten, deren Melodien sich schnell überall eingebürgert haben?

„Was halten Sie von Offenbach?“ fragte man kürzlich einen berühmten Musiker.

„Er besitzt viel Talent und einen ungeheueren Fehler,“ entgegnete derselbe.

„Was ist das für ein Fehler?“

„Man kann ihm nie ein Compliment machen, denn steht man eben im Begriff, ihm zu sagen: ‚Sie haben wirklich Talent,‘ so spricht er schon: ‚Nicht wahr, ich besitze Genie?‘“

Diese Künstlereitelkeit spielt ihm zuweilen einen kleinen Streich, wie man aus folgendem Geschichtchen ersehen kann.

In einer kleinen nassauischen Ortschaft wurde vor einiger Zeit ein Denkmal enthüllt und der Ort wie die ganze Umgegend betrachtete dies als ein Fest; überall sah man Fahnen und Guirlanden flattern und die gesammte Einwohnerschaft hatte sich in Feiertagsschmuck geworfen. Man erwartete nur noch einen der obersten Regierungsbeamten aus Wiesbaden, welcher bei der Enthüllung eine Rede halten und dem Festessen präsidiren sollte; die Böller standen bereit und die Artilleristen harrten des Signales, um den Präsidenten mit einhundert und ein Kanonenschüssen zu begrüßen, aber wer nicht kam, das war der Präsident. Nach zwei Stunden ungeduldiger Erwartung entschloß man sich endlich, sechs Abgeordnete nach Wiesbaden zu senden, die den Präsidenten im Triumph einholen sollten. So vergingen abermals drei Stunden allein weder die Abgeordneten noch der Präsident erschienen; Nachmittags langte jedoch eine telegraphische Depesche an, welche folgendermaßen lautete:

„Deputation Pech gehabt; schickt Geld zur Rückkehr!“

Die sechs Unglücklichen hatten den Präsidenten unwohl im Bett gefunden und waren zur Unterhaltung ein wenig in den Cursaal spaziert, wo sie auch am grünen Tisch ihr Heil versucht und ihre Baarschaft bis auf den letzten Gulden verloren hatten.

Während dieser Zeit wartete daheim die enthusiastische Volksmenge, welche nicht um ihr Fest kommen wollte, immerfort noch, obwohl das Festessen schon ziemlich kalt geworden war. Endlich gegen sieben Uhr Abends signalisirte man die Rückkehr der Deputation, welche auf dem Dampfschiff ohne Präsidenten anlangte. Der Zufall hatte Jacques Offenbach gleichfalls an Bord desselben Dampfschiffes geführt; in dem Augenblick, als das Schiff anlegte, stimmte die Musik gerade die Orpheusquadrille an.

„Sieh, sieh!“ dachte Offenbach, „man bereitet mir einen Empfang.“

Die am Ufer daherströmende Menge brach in anhaltendes Hurrah- und Vivatrufen aus; die sechs Abgesandten bemühten sich fortwährend, den Leuten zu erklären, daß der Präsident gar nicht mit sei, allein die seit dem Morgen unterdrückte Freude und Begeisterung der Masse wollte ihr Recht haben und ihre Ausbrüche ließen Niemand zu Worte kommen. Offenbach war fest überzeugt, daß der ganze Jubel ihm gälte; er grüßte huldreich nach allen Seiten, so daß die Leute der festen Meinung waren, er sei der erwartete Präsident. So hielt er unter dem Kanonendonner und Beifallsgeschrei des Volkes seinen Einzug in dem Flecken, höchlich befriedigt von der Anerkennung, die ihm hier zu Theil wurde. Von Zeit zu Zeit hörte er den Ruf: „Der Herr Präsident soll leben! Vivat hoch!“

Dann grübelte er wohl einen Augenblick lächelnd darüber und dachte: „Warum in aller Welt nennen sie mich nur Präsident?“

Aber die Musik, der Kanonendonner, das Glockengeläute und die Ehrenpforten ließen ihn nicht zu weiterem Nachdenken kommen. So geht der Zug in prachtvollster Ordnung durch den Flecken; alle Fenster sind illuminirt, voran schreiten weißgekleidete Mädchen und streuen Blumen, dann kommt der Bürgermeister mit den andern Beamten, darauf die Schulkinder mit ihrem Lehrer und zuletzt die sechs Deputirten mit ihren Schärpen und Jacques Offenbach. Und die ganze nebenher und hinterdrein strömende Menge ruft aus vollem Halse: „Der Herr Präsident soll leben! Vivat hoch! hoch! hoch!“

Endlich hält der Zug vor dem Rathhause still und Offenbach spricht mit sehr gerührtem Ton: „Meine lieben Freunde, Dank, tausend Dank für Euren herzlichen Empfang!“

Nun tritt der Bürgermeister vor, nähert sich dem Componisten und hält seine wohlgesetzte Anrede, in der er von allem Möglichen spricht, vom Fortschritt, vom Dampf, von der Gnade der Regierung etc., bis er zuletzt damit schließt, daß er den Präsidenten bittet, sein Fürwort dahin einzulegen, daß der Ort baldigst mit Gasbeleuchtung beglückt werden möchte. Jetzt erst wurde Offenbach das Mißverständniß klar; er ärgerte sich tüchtig, schritt jedoch schweigend weiter, und während die Beamten, Notabilitäten und die sechs Abgesandten sich nach dem Banketsaale wendeten, wo das wieder aufgewärmte Festessen ihrer harrte, verschwand Offenbach in der Dunkelheit und reiste nach Ems ab.