Zum Inhalt springen

Ein überall beliebter Pfaffe

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Karl Müller
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein überall beliebter Pfaffe.
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 177–179
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Aufzucht und Abrichtung von Dompfaffen
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[177]
Ein überall beliebter Pfaffe.


Wir erzählen diesmal von einem Liebling des Volkes. Seine außerordentliche Befähigung, Lieder pfeifen zu lernen, hat dem Dompfaffen den Weg selbst über Meere in ferne Welttheile und Länder gebahnt. Um seinen Besitz buhlen bei uns auf dem Vogelsberg Hunderte von Händlern und Auswanderern. Die Erzieher und Pfleger der jungen Dompfaffen wetteifern mit einander in Hingebung und Sorgfalt. Man muß Augenzeuge gewesen sein, um die Gewissenhaftigkeit und die aufopfernden Bemühungen würdigen zu können, welche in den Dompfaffenschulen walten. Dort sitzt der alte Leinweber an seinem Webestuhl, und sein einziger Gedanke, der ihn von seiner Arbeit ablenkt, umschwebt das kleine Nest mit den hülflosen Vögelchen. In vielen Fällen theilen Frau und Kinder mit dem Manne die Sorge um die zarten Nestlinge. In einem Tassenschälchen befindet sich das Futter, welches aus Sommerraps, der mit den Zähnen fein zermalmt und mit Speichel vermischt wird, und aus zu Brei bereitetem hartgesottenem Hühnereigelb besteht. Ein Federkiel oder ein Hölzchen, in welches vorn eine löffelartige Rinne geschnitten ist, dient dazu, den Vögelchen in regelmäßigen Zwischenräumen von einer halben oder dreiviertel Stunde mehrere Gaben Futters zu reichen. Reinlichkeit wird als Grundbedingung angesehen, unter welcher der junge Vogel gedeiht. Nach der Fütterung deckt man die Kleinen mit einem wollenen Lappen zu. An rauhen Tagen wird der Ofen mäßig erwärmt und das Nest in dessen Nähe oder auch in ein auf demselben angebrachtes Kästchen gesetzt. Scheint die Sonne warm zum Fenster herein, so findet das Nest seinen Platz auf dem Fenstergesimse, wo jedoch die Strahlen nicht unmittelbar die Vögelchen treffen, sondern durch Erwärmung der Decke wirken. Die Erfahrung hat den Pfleger gelehrt, den Pfleglingen die geeignete ihnen zusagende Temperatur zuzuführen; ebenso weiß er das Quantum des Futters richtig abzuwägen und die Pausen ohne Uhr einzuhalten. Ein vortreffliches Mittel wird hier zu Lande angewendet, um etwa im Kropfe sitzen gebliebenes und zu einem Klümpchen verhärtetes Futter, welches die Ursache von Entzündung und dem unausbleiblichen Tod sein würde, zu entfernen. Man gießt dem Vogel einige Tropfen Thran ein, worauf Erbrechen erfolgt. Sollte Durchfall bei einem der Jungen sich zeigen, so wird dieses unverzüglich allein gesetzt und sehr warm gehalten, denn es würde sonst das Nest beschmutzen, und die Feuchtigkeit wäre ein Verderben für die Geschwister, welche außerdem von der Krankheit noch angesteckt werden würden.

Unter solcher unausgesetzt treu und gewissenhaft vollzogenen Pflege und Wartung gedeihen die jungen Dompfaffen vortrefflich, und es kommt in der That nur selten vor, daß eins derselben stirbt. Täglich decken die aus den Kielen sich entfaltenden Federn als immer breiter werdende Fähnchen die Blößen des Körpers, und bald sind die Vögel flügge, das heißt, das Gefieder deckt den ganzen Körper, obwohl das Schwänzchen erst zur Hälfte gewachsen und die Schwungfedern noch nicht ihre vollkommene Länge erlangt haben. Wenn nun die Decke vom Neste oder dem Kästchen, worin sie sich befinden, gehoben wird, so schnurren sie mit den Flügeln und streben, dem engen Behälter zu entrinnen. Noch kurze Zeit, und sie sind reif, in Käfige versetzt zu werden. Sobald sie allein zu fressen vermögen, werden sie strenge von [178] einander abgesondert. Am besten ist es, wenn man die Männchen in verschiedene Zimmer vertheilt; da es aber oft an Raum mangelt, so gebieten die Umstände die Anhäufung mehrerer Männchen in einem Zimmer, wobei übrigens vermieden werden muß, daß sie sich gegenseitig sehen können. In manchen Wohnungen der Vogelsberger Dompfaffenzüchter sind sogar in den Viehställen Käfige mit jungen Dompfaffen angebracht. Die Männchen vermag man erst mit Sicherheit zu unterscheiden, wenn die rothen Federn an der Brust und der Kehle zum Vorschein kommen. Um die Ausscheidung der Weibchen, denen die Freiheit gegeben wird, vornehmen zu können, zieht man den Jungen sämmtlich einige der Brustfedern mit schnellem Ruck an verschiedenen Stellen aus. Wachsen röthliche Federn nach, so hat man ein Männchen vor sich, während der Nachwuchs brauner Federn untrüglich für ein Weibchen spricht. Es kommt zum Aerger des Pflegers vor, daß in einem Neste nur Weibchen sind, zu seiner Freude aber auch, daß der umgekehrte Fall, freilich weit seltener, sich ereignet, nämlich, daß die ganze Brut in Männchen besteht.

Der Standort des Käfigs befindet sich in leichtem Dämmerlicht, da, wo der Vogel nur die nächste Umgebung überblicken kann und nicht durch die zerstreuenden Erscheinungen der freien Welt abgelenkt wird. Im Zimmer selbst sind ebenfalls auffallende Auftritte ferne zu halten, namentlich ist der Vogel vor Schrecken und Aergerniß zu bewahren, wozu er seinem reizbaren Naturell zufolge sich sehr geneigt zeigt. Zu jeder Tageszeit darf ihm das auserwählte Lied vorgepfiffen werden, wiewohl der frühe Morgen und die späten Nachmittagsstunden besondere Berücksichtigung verdienen. Kein Kunstinstrument kommt im Entferntesten dem menschlichen Munde als lehrendes Mittel gleich. Mit dem runden, vollen Ton muß das Lied rein und deutlich in einem Zug von Anfang bis zu Ende vorgepfiffen werden. Dabei nähert sich der Pfeifende dem Gitter des Käfigs unmittelbar, so daß der Dompfaffe gänzlich gefesselt dem Vortrage lauscht. Neben Deutlichkeit, Reinheit des Tons und Tactmäßigkeit ist Festhalten der Tonhöhe unbedingt geboten, welche zwar der musikalisch Gebildete leicht zu treffen versteht, welche dagegen bei der geringsten Unsicherheit von Seiten eines Anderen mit Hülfe der Stimmgabel gesucht werden muß. Das Lied darf nicht zu umfangreich oder zu complicirt, die Melodie muß faßlich und behaltbar, einfach, in mittlerer Tonlage sich bewegend und von ansprechender Wirkung sein. Der heitere und ernste Charakter des Liedes eignet sich in gleicher Weise für den Lehrling, nur wird man in der Wahl des Tempos immer Rücksicht nehmen müssen auf das bedächtige, etwas schwerfällige Auftreten und Wesen des Dompfaffen, welches sich auch im Vortrage nicht verleugnet. Die getragenen Melodien werden unstreitig am schönsten und charakteristischsten wiedergegeben, vorzüglich die lyrisch-wehmüthigen Weisen, weil in dem Tone des Vogels selbst Anklang und Verwandtschaft liegt.

Uebrigens nimmt man in dieser Beziehung mannigfache Unterschiede zwischen den Lehrlingen wahr. Während der eine in der allermechanischsten Weise nachpfeift, legt der andere einen gewissen Schmelz und geheimen Zauber in seinen Vortrag, welcher in der Eigenartigkeit seines Stimmorgans begründet ist. Es erscheint dieser Umstand unabhängig von dem Ausdruck, welcher dem Vogel durch die ästhetische Betonung und andere geschmackvolle Beobachtungen im Vortrag von Seiten des Lehrers beigebracht wird, und ist schwerer zu schildern als durch aufmerksames Zuhören herauszufinden. Ich bin weit davon entfernt, den gelehrten Vogel für fähig zu halten, die in einer Melodie ausgedrückte Empfindung der menschlichen Seele nachfühlen zu können, nein, so hoch versteigen sich meine Begriffe von der Thierseele nicht, ich weiß vielmehr und spreche es mit untrüglicher Sicherheit aus, daß das gelernte Lied des Vogels einzig und allein auf mechanischer Nachahmung beruht. Dennoch pfeift nach menschlicher Auffassung der eine Dompfaffe empfindungsvoller als der andere, natürlich immer nur unbewußt. Hier kann man eben so gut wie bei den Sängern unter den Menschen von sympathischen und nichtsympathischen Stimmen reden.

Der Lehrmeister unseres Dompfaffen hat aber noch andere Regeln zu beobachten, als diejenigen, welche ich bereits angegeben habe. Ich will nicht unerwähnt lassen, indem ich auf vorhin allgemein Ausgedrücktes hinweise, daß in dem Zimmer oder in der Nähe desselben keine schreienden oder singenden Vögel geduldet werden dürfen, auch sollen sich die menschlichen Hausbewohner des Pfeifens während der Lehrzeit des Dompfaffen gänzlich enthalten, weil zu befürchten ist, derselbe fasse Einzelnes auf und mische es in das zu erlernende Lied ein oder werde doch wenigstens irre gemacht. Mit der vollständigsten Isolirung des Lehrlings legt man den ersten Grund zu günstigem Erfolg.

Wenn schon die lernende Amsel zum Absetzen inmitten der Melodie geneigt ist, so zeigt sich diese Unart nicht weniger bei dem Dompfaffen. Der Grund des Absetzens und Pausenmachens kann in Erschrecktwerden liegen, gewöhnlich aber ist er Folge mangelhaften Vorpfeifens. Ohne Ausnahme muß das Lied gerade durchgepfiffen werden. Viele Lehrmeister glauben aber dadurch sicherer und rascher an das Ziel zu kommen, wenn sie dem, wie man zu sagen pflegt, steckenbleibenden Schüler an der Stelle des Anstoßes forthelfen. Der Lernende meint, er müsse hier auch wiederholen und wird dadurch ein sogenannter Radbrecher, der nie das Lied in einem Zug und Fluß durchpfeift. Daß es dem einen Exemplar leichter fällt, das Lied nachzupfeifen, als dem andern, bestätigt die Erfahrung. Es giebt gänzlich unfähige Lehrlinge, an denen Zeit und Athem verschwendet werden; man macht Bekanntschaft mit mittelmäßig Begabten, bei denen Fleiß und Ausdauer endlich zum Ziel führen; es ragen aber auch wunderbar talentvolle Vögel weit über ihre Brüder hervor, welche gleichsam spielend die Melodie tief in sich aufnehmen und mit staunenswerther Gewandtheit, Treue und Anmuth wiedergeben. Sie sind sogar im Stande, mehrere kleine Liedchen zu erlernen und nie dieselben zu vermengen.

Mein Bruder Adolph in Gladenbach hatte vor mehreren Jahren zwei Dompfaffenmännchen gezogen, von denen er sich das größere und stärkere zum Liebling in der Wohnstube erkor und mit größter Sorgfalt unter Beobachtung der besten Erfahrungsregeln in die Lehre nahm. Den kleineren, schwächlich, ja fast kränklich aussehenden Vogel versetzte er mit dem Käfig in die Küche, von wo aus dieser das Lied nur gedämpft aus der Stube her vernahm. Eines Tages aber überraschte der zurückgesetzte, in seiner trefflichen Begabung verkannte Dompfaffe meinen Bruder mit der Wiedergabe der ganzen Melodie, welche er nach Aussage meiner Schwägerin und der Köchin heimlich leise eingeübt hatte. Gerade dieser Vogel legte einen eigenthümlich zauberhaften Reiz in Stimme und Betonung. Ich vermuthe, daß die Entfernung, aus der er das Lied hörte, zur Bildung des zarteren und wehmüthig klingenden Tones wesentlich beitrug. Dieser Ausdruck paßte nun auch zu dem rührenden Liede:

 Eines Christen Tod
 Weiß von keiner Noth,

welches mein Vater componirt hat und das mit so vielen anderen seiner Lieder zur wahren Volksweise in unserm Lande nicht nur, sondern auch unter den Deutschen in vielen Städten Amerikas, wo Lehrer, die seine Schüler waren, der Verbreitung Vorschub leisteten, geworden ist. Der Bruder des begabten Vogels hatte durchaus nichts Sympathisches in seiner Stimme, vielmehr etwas unbestreitbar Leichtfertiges in Wesen und Vortrag, wozu ihm wahrlich durch den ernst gehaltenen, präcisen Vortrag seines Lehrmeisters ganz und gar keine Veranlassung gegeben war.

Zur Befestigung des Erlernten wird dem Dompfaffen auch nach Verlauf der eigentlichen Lehrzeit noch immer täglich die Melodie vorgepfiffen. Namentlich muß dies alljährlich zur Zeit der Mauser oder des Federwechsels geschehen, wo der Vogel eine Zeit lang schweigt und zum Vergessen hinneigt.

Was das Wesen und Betragen des Dompfaffen im Käfig betrifft, so ist der Grundzug seines Charakters, wie schon angedeutet, Launenhaftigkeit und große Reizbarkeit. Er zeigt bei seiner Zu- oder Abneigung gegenüber gewissen Persönlichkeiten unverkennbare Eigenartigkeit. Die Gewohnheit macht ihn vielfach zum Sclaven, weshalb ihn die geringste Veränderung in Aufregung versetzen kann. Merkwürdiger Weise begegnen ihm Personen, an die er sich nie anschließen mag und deren erster ihn abstoßender Eindruck dauernd wirkt. Dagegen tritt er Anderen heiter bis an das Gitter entgegen und giebt durch unzweideutige Beweise sein Wohlgefallen und sein Zutrauen zu erkennen. Worin die Ursache liegt, daß er dem weiblichen Geschlecht im Allgemeinen mehr huldigt als dem männlichen, wüßte ich nur mit der Hinweisung auf das sanftere Auftreten des ersteren zu erklären. Die Ausprägungen seiner Empfindungen sind sehr sprechend in seinem Benehmen. Dem Freunde und [179] Wohlthäter begegnet er mit Bücklingen und Wendungen zur Rechten und Linken, sowie mit der Bereitwilligkeit, auf Commando oder Aufforderung sein Liedchen zu pfeifen; dem Verhaßten dagegen haucht er mit geöffnetem Schnabel entgegen, indem er sich im Zorn wie ein Bolzen aufbläst und so eine wahrhaft gegnerische Stellung einnimmt. Wird er gar von dem Gegenstande seiner Abneigung geneckt, so steigert sich die Erregung nicht selten zu einem solchen Grade, daß Krämpfe ihn befallen und zu Boden werfen. Selbst die zärtlichsten Schmeicheleien und auserlesensten Leckerbissen vermögen selten den eigensinnigen Vogel versöhnlich zu stimmen. Die Gewohnheit vermag es am ersten, ihn umzustimmen. Sein Gedächtniß ist vorzüglich, und er unterscheidet genau die verschiedenen ihm bekannten Erscheinungen.

Mein Bruder hatte seinen Dompfaffen, welchen er dem Vater geschenkt, ein ganzes Jahr nicht gesehen, dennoch erkannte der in freudige Aufregung versetzte Vogel seinen alten Pfleger augenblicklich wieder und begrüßte ihn mit nicht enden wollender Wiederholung seines Liedchens. Wie sehr der Dompfaffe die einmal gewohnte Erscheinung liebt, geht aus folgendem Erlebniß hervor.

Ein Müller pfiff seinem Dompfaffen stets mit der weißen Kappe auf dem Kopfe vor. Daran gewöhnte sich der Vogel so sehr, daß er, in andere Umgebung versetzt, förmlich zu trauern anfing und trotz aller dringenden Ermunterungen seiner neuen Pfleger das Pfeifen hartnäckig verweigerte. Da kam die Tochter des Hauses auf den Gedanken, sich eine weiße Nachtmütze ihres Vaters aufzusetzen und vor den Käfig des Vogels zu treten. Wie vom Zauber gerührt, erhob der Dompfaffe seine Stimme und stellte sich vor Freude ganz ungeberdig. Man sieht hieraus, daß die Dompfaffen unter Umständen ebenso gut um den Finger zu wickeln sind, als die Männer; es müssen nur unsere Schönen den Männern gewisse Lieblingsneigungen und unschuldige Gewohnheiten lassen, auf denen sie wie die eigensinnigen Dompfaffen bestehen.

Der Handel mit gelehrten Dompfaffen gewinnt immer mehr an Ausdehnung. Sehr auffallend ist es indessen, daß in unseren Gebirgsgegenden (Vogelsberg) in dem einen Dorfe kein einziger Einwohner sich um Dompfaffen kümmert, während in anderen ein großer Theil der Ortsbürger sich der Pflege und Abrichtung derselben leidenschaftlich widmet. Vorzugsweise sind es besondere Familien, in denen dieses Geschäft als Erbschaft seit vielen Jahrzehnten sich erhält. Die Buben müssen in Rücksicht hierauf schon frühzeitig den Mund zum Pfeifen spitzen und am Unterricht ebenso aufmerksam wie die Vögel theilnehmen.

Die meisten Züchter verkaufen ihre Dompfaffen nach vollendeter Lehrzeit umherreisenden Großhändlern, welche selten mehr als zehn Gulden oder sechs Thaler für den besten Vogel geben. Wenn ein Leinweber im Laufe des Jahres acht bis zwölf Männchen großfüttert und pfeifen lehrt, so gehört er noch nicht zu den bedeutenderen Kleinhändlern, von denen manche zwanzig bis fünfundzwanzig Stück an die Großhändler jeden Winter verkaufen. Der Preis des Vogels richtet sich nach feststehenden Regeln. Pfeift er auf Commando, setzt er die Melodie nirgends ab und trifft er durchweg den Ton sicher, so ist sein Werth entschieden. Pfeift er gar zwei Lieder ohne Fehler, so steigt sein Werth um Wesentliches. Endlich entscheidet auch die größere oder geringere Beliebtheit und Schönheit der Melodie. Um den Anforderungen hierin zu entsprechen, bestellen die Großhändler alljährlich bei den Kleinhändlern die Lieblingsmelodien ihrer Abnehmer in England. Es werden nämlich in der einen Gegend oder Stadt diese, in der andern jene Lieder vorgezogen. Danach richtet sich natürlich der Lehrmeister um deswillen gern, weil die Höhe seines Verdienstes davon abhängt.

Hat nun der Großhändler Hunderte von Dompfaffen erhandelt, so begiebt er sich auf die Reise und schlägt seine Waare in großen Städten mit Gewinn los. Immer aber muß er nicht geringe Procente abrechnen, weil auf der Reise nicht blos Vögel zu Grunde gehen, sondern auch mehrere durch die veränderte Lebensweise und den Wechsel der Umgebung derartig verstimmt und übler Laune werden, daß sie schweigen oder wenigstens nicht auf Commando pfeifen. Um diesem Uebelstande vorzubeugen, setzt der Händler Zeit und Mühe daran, sich unterwegs mit den Pfleglingen recht vertraut zu machen und ihre Eigenheiten zu erforschen, nach welchen er seine Behandlung einzurichten hat. Diese Sorgfalt wird vorzugsweise den sortirten besten Vögeln zugewendet. Dennoch bleibt manche Aergerniß erregende Erfahrung nicht aus. Für ausgezeichnete Exemplare erhält der Großhändler drei, vier, ja in einzelnen Fällen sogar fünf Pfund Sterling. Die mittelmäßigen oder gar geringen Exemplare werden dagegen auch gebührend gering bezahlt. Der Gewinn fällt nicht ein Jahr wie das andere aus, weil eben die Umstände den Erfolg des Unternehmens bedingen. Die Händler wissen die Eigenheiten der Engländer nicht genug hervorzuheben. Ihre Vorliebe zu gewissen Melodien bestimmt sie, mitunter wirklich verschwenderisch zu lohnen, während der kleinste Mangel sie veranlaßt, so wenig zu geben, daß der Einkaufspreis nebst den Transport- und Fütterungskosten nicht gedeckt wird. Unstreitig ziehen die englischen Großhändler, von denen die unsrigen ganz abhängig sind, den größten Gewinn. Diese Engländer verkehren mit den Deutschen mittelst Dolmetscher, welche sie selbst bestimmen. Die Unkenntniß der englischen Sprache und der Mangel an ausgedehnten Verbindungen sind Ursache, daß die deutschen Händler gewissen englischen Firmen unterthan bleiben, von denen sie mit Leichtigkeit ausgebeutet werden können. Ohne Gewinn kehren aber unsere Händler nicht zurück. Sie sind doch zu geriebene Burschen, als daß sie nicht durch Erfahrungen klug würden und die Fehler in der Behandlung ihrer Vögel zu vermeiden bestrebt sein sollten. Immer noch werden jedoch die Dompfaffen unterwegs zu eng eingekerkert und zu wenig rein gehalten.

In neuerer Zeit haben sich bei uns Kleinhändler zu Großhändlern emporgeschwungen, welche den Fremden bedeutende Concurrenz machen In Rücksicht auf den Umstand, daß der Handel mit Dompfaffen ein nicht geringer Erwerbszweig bei einem Theile unseres Gebirgsvolks geworden ist, und in Erwägung, daß diese Vögel durchaus nicht zu den nützlichen gehören, auch keineswegs durch ursprünglichen Gesang in der Freiheit ergötzen, wird möglichst schonend gegen das Contingent der Dompfaffenhändler verfahren. Mögen diese gelehrigen Vögel fort und fort unsere schönen Volksweisen gleich unserer fröhlichen Schuljugend erlernen und sie über Berg und Thal, Fluß und Meer in die Ferne und Fremde hinübertragen!

Karl Müller.