Ein österreichisches Soldatenbild
Lassen wir uns das Mannesbild, das wir unseren Lesern vorführen, nicht durch den Hintergrund beschatten, aus dem es sich hervorhebt. Weder der Krieg, in welchem unser Held seine ausgezeichnete Rolle spielt, noch die Politik des Staates, dem er dienstbar ist, sollen mit unserem Bilde Etwas zu schaffen haben; weder die Politik eines Rechberg noch die eines Bismarck ist eine solche, mit der ein deutscher Ehrenmann sich einverstanden erklären kann; am wenigsten soll jedoch unsere Skizze einen Schatten auf die Kampfgenossen werfen, deren einköpfiger Adler diesmal dem zweiköpfigen die Bahnen vorzuzeichnen hat. Also: ein österreichisches Soldatenbild der Gegenwart ohne Seitenblicke und Nebenbedeutung, als ein solches steht vor uns der Freiherr Ludwig von Gablenz, k. k. Feldmarschalllieutenant und Armee-Commandant im Kriege der deutschen Großmächte gegen Dänemark.
Das österreichische Heer ist das eigenthümlichste der Welt. Nur die Kriegerschaaren des alten Römerreichs boten eine ähnliche Erscheinung, und zwar die der Zusammensetzung aus den verschiedenartigsten Völkerschaften und der festen Gliederung und des Zusammenhaltes derselben durch ein geistiges Band. Auch Napoleon I. hat vielerlei Völker unter seine Fahnen vereinigt, von denen einzelne sogar mit Begeisterung für ihn kämpften, ja, es schien sogar, als ob eine Erneuerung des Römerreichs durch ihn [171] sehr nahe gebracht sei; aber die Mehrzahl der nicht französischen Truppen folgte nur gezwungen seinen Fahnen, und es war noch lange kein durch ein geistiges Band zusammengehaltenes Ganzes, als der russische Winter das kühne Spiel beendete, indem er das größte europäische Völkerheer, das seit der Römerzeit einer Hand gehorcht, vernichtete. Napoleon’s Herrlichkeit war vergangen, wie ein ungeheurer Traum, während das Römerreich und Oesterreich das Throndach ihrer Herrschaft über Völker aller europäischen Zungen durch ihre Heere Jahrhunderte lang gestützt und geschützt sahen.
Das geistige Band, welchem die „kaiserliche Armee“ ihre feste Einheit bei der buntesten Mannigfaltigkeit verdankt, ist ein doppeltes, ist die strenge Disciplin in den Einzelkörpern, die von unten auf den einzelnen Mann erzieht und bindet, und die gemüthliche Kameradschaft, die das ganze Officiercorps umschließt und die wiederum hinabwirkt bis zum gemeinen Mann, bei dem das „Du“ Naturlaut, nicht ein mit dem Rang erworbenes Recht ist. Dieses „Du“ übt in der österreichischen Armee eine wunderbare Gewalt aus, es ist das Zauberwörtchen, welches jeden Standesunterschied, jeden Vorzug der Geburt im Officiercorps aufhebt, der Mann ist nur das, was sein Dienstrang ihm verleiht, einerlei, ob er einen bürgerlichen, einen adeligen, gräflichen, fürstlichen Namen trägt, und alle die Männer gleichen Ranges in der Armee, durch alle Waffengattungen und Nationalitäten, nennen sich „Du“. Der Leinwebergeselle aus Coburg, den als Handwerksburschen der Uebermuth unter die österreichischen Soldaten trieb und der es als braver Haudegen bis zum Officier brachte, erlebt dadurch die in der Heimath undenkbare Freude, mit dem hochgeborenen Schwager seines Herzogs auf Du und Du zu stehen; der arme Bauernjunge, der hinterm Düngerhaufen hervor zur Aushebung gezogen wird, kann, wenn er Glück und Muth hat, der ebenbürtige Camerad seines hochgräflichen Dienstherrn werden, der ihn mit dem „Du“ der Gleichheit begrüßt. Und dieses „Du“ ist kein widerwilliges, erzwungenes, sondern der österreichische Officier lebt sich so in dasselbe hinein, daß es gar bald auch ihm zum Naturlaut wird. Nur dem plötzlich in diesen Kreis emporgestiegenen Mann wird es meistens ergehen, wie neulich dem Unterofficier, einem Helden von Oeversee, der unversehens Lieutenant wurde und vor dem freudigen „Du“ seiner bisherigen Gebieter erst nach und nach zur Fassung kam. Man möchte sagen, es herrscht ein demokratischer Geist in diesem Corps, in welchem nur der Rang den Mann macht und nur die That oder das Recht den Rang giebt; ein gegen den Bürgerstand sich aufblähendes Junkerthum kann wenigstens in einer solchen Armee nicht aufkommen.
Welch herziges Verhältniß der von oben nach unten vordringende kameradschaftliche Ton in einer solchen Truppe schafft, dafür spricht die Geschichte von dem „Hauptmann mit dem neunmal durchlöcherten Mantel“, welchen Ehrentitel die österreichischen Soldaten in Schleswig dem tapferen Hauptmann Eder von dem fünften Jägerbataillon ertheilten, und einem Oberjäger dieses Bataillons, den die goldene Medaille schmückte. Beim feierlichen Empfang der durchpassirenden österreichischen Decorirten in Altona war bereits manche schlichte und brave Rede gehalten worden, als in straffer militärischer Haltung genannter Oberjäger den Hauptmann um die Erlaubniß bat, auch einen Toast ausbringen zu dürfen. Da sprach der Hauptmann: „Schau, Oberjäger, wir sind hier nicht unterm Gewehr! Red’, wie’s Dir um’s Herz ist!“ – „Wenn Du meinst, Hauptmann, so will ich’s thun,“ – entgegnete der junge Mann, und sein Sprüchlein lautete: „Schleswig-Holstein für alle Ewigkeit ein deutsches Land! Hoch!“ – „Wir meinten, die Fensterscheiben müßten springen vor dem Jubel, der nun ausbrach,“ erzählt der Berichterstatter.
Nicht weniger, als Disciplin und Cameradschaft, trägt zu dem kriegerischen Geist der Armee der ihr eigenthümliche Regimenterstolz bei. Jedes Regiment hat seine Geschichte, seine Trophäen; einzelne Regimenter erfreuen sich noch heute uralter, ganz besonderer Vorrechte und Ehren. Dieser von der Compagnieschule an gepflegte Corpsgeist dringt der jungen Mannschaft aller Nationalitäten rasch in’s Blut und erzeugt in jedem Einzelnen gleichsam die moralische Verpflichtung einer heldenhaften Gesinnung. Und diese kann sich wohl kaum schöner und rührender aussprechen, als in jener Einfachheit der volksthümlichen Form des steyerischen Schnaderhüpfels:,
Ades, lieber Vada,
Frau Muada, buß d’ Hand!
Enger Hansel der stirbt itzt,
Aber er macht Eng kan Schand!“
Dieser Regimentsgeist stieß an keiner Nationalität an, weil Oesterreich nur National-Regimenter hat; ebendarum war er es gerade, der dem Kaiserhaus selbst gegen einzelne nationale Selbstständigkeitsbestrebungen im eigenen Reiche – gegen welche die Todfeindschaft des österreichischen Kaiserhauses durch die natürlichste aller Fragen vom „Sein oder Nichtsein“ hervorgerufen ist! – bisher immer die wirksamste Hülfe sicherte. Vor Allem war dies der Fall, wenn die Armee Führer hatte, denen jeder einzelne Mann mit Begeisterung anhing. In Radetzky’s siegreicher „italienischer Armee“ konnte in Wahrheit wieder gesungen werden:
„Krowatisch, deutsch, wellisch,
Ungarisch durch anand,
Und do red’n ma an Sprach,
Gilts Oestreicherland.“
Seit dem Unglück der zweiten italienischen Armee Oesterreichs ist im Staate Vieles anders geworden; in der Armee, dem Augapfel der Dynastie, suchte man den alten Geist zu bewahren. Die Vorgänge in Schleswig zeugen wenigstens dafür, daß der kriegerische Geist in ihr noch ebenso munter ist, als die soldatische Vorliebe für volksthümliche Persönlichkeiten tüchtiger Heerführer.
Seit dem alten gefeierten Radetzky hat Oesterreich sich keines Heerführers von größerer Popularität im Heer und Volk, aber auch von größerer Feldherrentüchtigkeit erfreut, als des Freiherrn von Gablenz, den man gern „des Alten gelungensten Jungen“ nennen möchte. Eine der freisinnigsten unserer größeren deutschen Zeitungen berichtet über das österreichische Armeecorps und seinen Führer, in Folge der Kämpfe bei Selk und Oeversee (3. u. 6. Febr.) in voller Anerkennung, daß ein eigenthümlich rastloses, vorwärtsstrebendes und leichtes Element in den österreichischen Truppen walte. Ihr Geist, sagt sie, ist ein wahrhaft ausgezeichneter zu nennen. Das Corps, so verschieden die Volksstämme auch sein mögen, ist zu einem solchen Ganzen geeinigt und von solchem Geiste beseelt, daß man demselben wohl die schwierigsten Leistungen und die größte Aufopferungsfähigkeit zutrauen kann. Sehr viel zu diesem kriegerischen Geiste trägt die Persönlichkeit ihres Führers bei. Fest gewurzelt ist in Allen das unerschütterliche Vertrauen zu ihm, welches sein ideal-soldatisches Wesen, verbunden mit hohen militärischen Fähigkeiten, wie auch die Liebe und Achtung für ihn als Mensch hervorgerufen. Das der österreichischen Armee eigenthümliche kameradschaftliche Verhältniß im Officiercorps bildet eine enge Kette, um diesen Geist selbst auf die tiefer stehenden Nationalitäten zu übertragen, die dann gerade in ihrer Naturwüchsigkeit unverdrossen darauf losstürmen, fest auf ihren Plätzen ausharren und auch die größten Anstrengungen und Entbehrungen ertragen.
Nicht weniger warm sprechen unsere größten Tagesblätter über den General und sein Hauptquartier. Feldmarschalllieutenant Gablenz, darin stimmen Alle überein, ist jetzt der eigentliche Held des Tages, man kann die treffliche Weise nicht genug anerkennen, in der er mit Freund und Feind, Soldat und Bürger umzugehen weiß. Seine Anreden sind markige Inprovisationen voll Schwung, aus dem Herzen kommend und deshalb zum Herzen sprechend, aber frei von jenen abgedroschenen Gemeinplätzen, welche in der Regel die militärische Beredsamkeit charakterisiren; sie zeugen von einer in der That ungewöhnlichen Begabung und besonders von einem sehr feinen Takt, mit dem er den Bundesgenossen stets einen Antheil seiner Lobsprüche zuzuwenden weiß.
Wahrhaft ergötzliche Früchte verdankt man der Freiheit, die er dem Humor im Lager gestattet. So haben, wie jetzt ein Blatt dem andern erzählt, die ebenso liebenswürdigen als „schneidigen“ Kibitze des Hauptquartiers – mit diesem Spitznamen bezeichnet die kecke Feldsprache des Soldaten sämmtliche Ordonnanz-Officiere und Generale – unter welchen es tüchtige Zeichner giebt, sich als unverantwortliche Herausgeber eines illustrirten Lager-Kladderadatsch aufgethan, das dem Berliner Urbilde nicht nachsteht. Auf einem der Bilder desselben sind sämmtliche Kibitze dargestellt, alle portraitähnlich carrikirt, wie sie zu Pferde gegen eine furchtbare Verschanzung anstürmen, aus der es Bomben und Granaten von monströser Größe hagelt, mit der Aufschrift: „Nachdem der Sturm der Preußen abgeschlagen wurde, unternahmen die Kibitze des Hauptquartiers zur Verminderung ihres Effectivbestandes einen Angriff auf die Düppeler Schanzen; – solcher Tapferkeit wichen die Dänen.“ –
Es braucht kaum bemerkt zu werden, daß die Person des Generals von den neckischen Griffeln durchaus nicht verschont wird. Nach der Uebergabe des Danewirkes und der energischen Verfolgung [172] der Dänen durch die Oesterreicher hielt F.-M.-L. v. Gablenz ungefähr folgende Ansprache an seine Soldaten: „Leute, Nichts ist mehr dem Wechsel ausgesetzt, als das Soldatenleben. Noch vor wenigen Tagen standen wir im schneeigen Bivouak vor dem für unüberwindlich angesehenen Danewirke, um dessen Besitz verschiedene Nationen seit Jahren im Kampfe liegen. Ihr hattet einen tapferen Gegner vor Euch, und die Lage war kritisch und gefährlich im höchsten Grade. Aber schon heute stehen wir hinter den furchtbaren Schanzen des Feindes. Außer der Ehre, Euch zu führen, giebt es für mich kein schöneres Vorrecht, als das von Sr. Majestät mir verliehene: die Stellen der gefallenen Tapfern durch die Ausgezeichnetsten unter Euch bis zum Hauptmann aufwärts zu besetzen und hervorragende Thaten zu belohnen.“ Auch diese Rede erschien im Lager-Kladderadatsch, die Illustration stellt neben dem hochaufgeschossenen, schlanken General ein winziges, buckliges Männlein dar, welches die Rede in ein riesiges Notizbuch einzeichnet.
Das hochherzige Beispiel fand sofort Nachahmung, schon kurz nachher wurden dem General von den deutschen Frauen der Stadt Hadersleben 130 Thlr. anonym zugeschickt, ausdrücklich als Gabe für seine „Adoptivkinder“. Auch die Presse hat für die Anerkennung aus solchem Munde sich dankbar und würdig gezeigt. Sie wird nicht müde, Braves von dem Braven zu erzählen, und darum noch folgendes Geschichtchen: Zwei Soldaten aus der dänischen Armee, geborene Deutsche von der Insel Fehmarn, die bei Oeversee mit gefochten hatten und gefangen genommen worden waren, erzählten, in ihrem Bataillon seien 65 Schleswiger gewesen, die sich das Wort gegeben, nicht auf ihre deutschen Brüder zu schießen. So haben sie mehrere Male im Kugelregen gestanden und keinen Schuß gethan. In Flensburg auf dem Südermarkte sind sie aufgestellt, und siehe! alle 65 sind da, keiner fehlt! Da entläßt sie General Gablenz mit den Worten in die Heimath: „Euren Handschlag verlange ich nicht, denn ich kenne euren Herzschlag.“
Wer möchte nicht in die Vergangenheit eines Mannes blicken, welcher in der so wenig Herzerfreuendes bietenden Gegenwart fast die einzige wohlthuende Erscheinung ist? Diese Vergangenheit ist aber eine so thatenreiche, daß ein Buch zu ihrer Beschreibung gehört. Wir haben nur über Blätter, und zwar so vielfach in Anspruch genommene Blätter zu verfügen. Darum begnüge sich der Leser mit ein paar Notizen; vielleicht ist es uns später möglich, mehr zu bieten.
Freiherr Ludwig von Gablenz ist ein Dresdener Kind, am 19. Juli 1814 geboren. Er begann seine militärische Elementarschule in Sachsen, ging dann nach Oesterreich, wo wir seine Infanterie-, Cavallerie- und Generalstabsdienste als seinen Gymnasialcursus ansehen können, bis er im österreichischen Italien die Hochschule der Kriegskunst bezog, an welcher Radetzky Rector magnificus war. Die Praxis begann er im Jahre 1848 als Rittmeister in [173] Italien, wo er von Santa Lucia an alle Schlachten und Gefechte des ganzen Kriegs mitmachte, und setzte sie 1849 als Major in Ungarn fort, wo er in 46 Schlachten und Gefechten des blutigen Winterfeldzugs mitfocht und noch dem Schluß des großen Dramas, der Uebergabe von Komorn, beiwohnte. Er war in beiden Kriegen mehrmals schwer verwundet worden. Nach diesen siegreichen Zeiten der österreichischen Fahnen wurde er häufig auch zu diplomatischen Missionen verwendet, und machte als Oberst 1851 das denkwürdige Lager von Olmütz mit und commandirte 1854 als Generalmajor und Brigadier in der Moldau. Auch in dem zweiten italienischen Krieg, in welchem die Glücksgöttin Oesterreich verlassen hatte, blieb sie ihm getreu. Bei Magenta und Solferino hatte er allein Vortheile über den Feind errungen, die freilich in dem allgemeinen Mißgeschick wieder mit verloren gingen.
Im Jahre 1863 wurde Freiherr von Gablenz zum Geheimenrath und Feldmarschalllieutenant erhoben und mit dem Commando in Schleswig betraut, in welchem wir zuerst den ausgezeichneten Soldaten und Mann in größerer Selbstständigkeit handeln und darum in all seiner menschlichen Tüchtigkeit auftreten sehen. Möchte die Sache, für welche der Held so brav gefochten, ein Ende gewinnen, daß wir nicht vergeudete Kraft und vergossenes Blut bedauern, sondern Beides segnen müßten als zum Heil des deutschen Vaterlandes gewagt und geopfert!