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Egypten und Mehemed Aly

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Textdaten
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Titel: Egypten und Mehemed Aly
Untertitel:
aus: Das Ausland, Nr. 145 S. 577-578
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum: 1828
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Scans bei Commons
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Egypten und Mehemed Aly.


Die Sphynx enthält folgendes, mit R. M. unterzeichnetes Schreiben an den brittischen Minister der auswärtigen Anglegenheiten, Grafen Dudley:

Der politische Zustand Egyptens und der Charakter seines Herrschers sind in England so wenig gekannt, daß ich mich aufgefordert fühle, aus meiner neuern und persönlichen Erfahrung ein richtigeres Bild jenes Gegenstandes mitzutheilen. In der Unwissenheit der brittischen Regierung und in den vorherrschenden falschen Ansichten über Egypten und seinen Herrscher muß man hauptsächlich den Grund des „unangenehmen und unvorgesehenen Ereignisses“ bei Navarin suchen. Die nachfolgende Ueberschiffung der griechischen Sklaven von Morea nach Alexandrien, und der entschiedene Vorzug, den in allen Handelsmaßregeln Egyptens Frankreich vor England erhält, beruht auf demselben Grunde.

Was die Schlacht bei Navarin betrifft, so war der erste Fehler das unbesonnene Vertrauen, das man auf das Wort des Pascha setzte, als er versicherte, die türkisch-egyptische Expedition, deren Großadmiral er war, sey nicht gegen Morea bestimmt. Admiral Codrington hatte Befehl, die Ankunft derselben in dem Peloponnes zu verhindern, zugleich aber war er instruirt, ganz darauf zu bauen, daß der Pascha nie durch Treubruch seine Ehre beflecken werde. Er befolgte diese Instruction und ward betrogen. Die Schlacht bei Navarin ward die natürliche Folge. Das nämliche Vertrauen setzte man in die Versprechungen des blutdürstigen Ibrahim, der sich verbindlich machte, keine Sklaven mehr aus Morea wegzuführen: er hatte kaum sein Wort gegeben, als er auf’s Neue zweitausend nach Egypten schickte, und so waren wir abermals betrogen. Während dieß geschah, hatte man die Griechen gezwungen, den Waffenstillstand zu halten, und zu dulden, daß ihre Weiber und Töchter aus ihren Hütten gerissen und in die Sklaverei geschleppt wurden. Unsere Servilität in den letzten Unterhandlungen endlich benahm dem Pascha alle sonst so heilsame Furcht vor uns; wir verloren seine Achtung, und die Folge war, daß er die französischen Handelsinteressen, die er bis jetzt blos privatim begünstigt hatte, nun ausschließlich beschützt.

Fast in ganz Europa wird der politische Charakter Mehemed Aly’s überschätzt: man betrachtet ihn als einen gebildeten Fürsten, mild in seiner Regierung, redlich in seinen Zusagen, aufgeklärt in seinen Ansichten, nach Unabhängigkeit strebend, und derselben würdig. Seine ganze Bildung besteht jedoch blos darin, daß er gegen Christen, die seinem Geize dienen, eine verstellte Höflichkeit beobachtet, und daß, wenn er sich herabläßt, Handelsverbindungen mit den Ungläubigen einzugehen, der Fanatismus augenblicklich der Gewinnsucht weichen muß. Kann man aber bei dem hinterlistigen Mörder der Mamelucken wirklich Treue und Glauben voraussetzen? Wenn er gegen unsere Gesandte freundlich lächelt, erinnert man sich da nicht, daß er mit derselben Miene seine Gäste empfing, während schon das Schwert gezückt war, das sie morden sollte? Setzt man Vertrauen auf seine Mäßigung, weil er mit scheinbarer Gleichgültigkeit die Vernichtung seiner Flotte vernimmt? weil er gelernt hat, seinen Grimm hinter freundlich geglätteter Stirne zu verbergen, und die Rache tief im Busen verschlossen zu halten? Hat man vergessen, daß der Türke nie einschmeichelnd ist, als wenn er über Verrath brütet?

Kann man ferner eine Regierung aufgeklärt nennen, welche an die Stelle der Raubzüge der Beys ein förmlich organisirtes Plünderungssystem setzte, das durch keine Noth erweicht, durch keine List umgangen werden kann? Mag der Ruf dieses „Bonaparte des Ostens“ in Europa noch so groß seyn, so ist doch nichts desto weniger gewiß, daß Egypten nie einen gierigeren Tyrannen besaß. Er weiß, daß Egypten nur für seine Lebenszeit ein Interesse für ihn hat, und daß kein Sohn bestimmt ist, es als Erbe des Vaters zu übernehmen, da Ibrahim dort bei aller Welt persönlich verhaßt ist. Daher schindet er den Landmann, und drückt den letzten Para aus dem Beutel des Gewerbtreibenden. Eine dünne Bevölkerung, ein öde liegender Boden, und eine Schatzkammer, durch den Krieg erschöpft und ohne Hülfsquellen von außen, – dieß sind die Folgen jenes Unterdrückungssystems. Verweigert der arabische Fellah, das Land zu bebauen, so wird er geprügelt; entspricht die Ernte nicht den Erwartungen des Türken, so wird er wieder geprügelt; nicht eine Unze wagt er von der Frucht der Arbeit seiner Hände zu verzehren; jedes Produkt läßt der Pascha nach rein willkürlicher Preisbestimmung taxiren, und bezahlt den Producenten mit einer Anweisung auf seinen eigenen Schatz; von diesem wird er an den Kaufmann verwiesen, der ihm seine Forderung halb in Geld halb in Waaren bezahlt, so daß man die auf diese Art erhaltene Leinwand von den armen Bauern oft um weniger als die Hälfte des Preises erkaufen kann, um den sie selbst sie annehmen müssen. Daher kommt [578] es, daß man in dem einst so fruchtbaren Thale von Egypten nun überall auf verlassene Dörfer, auf entvölkerte Städte stößt, und daß ganze Districte, auf denen einst die reichsten Saaten wehten, nun Wüsten gleichen. Kaum zwei Meilen weit auf beiden Seiten des Nils erstreckt sich der angebaute Boden. Ist es da ein Wunder, daß die statistischen Angaben über das alte Theben als eine Fabel erscheinen? daß das ganze gegenwärtige Egypten nur noch eine Bevölkerung von zwei Millionen hat? und daß Alexandrien, einst die bevölkertste Stadt der Welt, jetzt kaum 16,000 Einwohner zählt?

Dieß ist der Zustand des Landes unter der milden Regierung eines „gebildeten Fürsten,“ des tributären Sklaven „des Schattens Gottes auf Erden,“ „unseres alten treuen und natürlichen Alliirten,“ „des kaiserlichen Todschlägers.“

Werfen wir einen kurzen Blick auf die Geschichte dieses Fürsten, vor seiner Erhebung zum Paschalik von Egypten. Se. Hoheit stieg vom gemeinen Soldaten zum Rang eines Bimbaschi, oder Obersts, in einem albanischen Regimente, vor seinem vierzigsten Jahre (er ist jetzt ungefähr 66 J. alt). Während des Kampfes der Türken und Mamelucken empfahl ihn sein thätiger und intriganter Geist zu den höchsten Stellen im Staate; den gewandten Rathschlägen eines „über-feinen“ Italieners (des jetzigen französischen Consuls in Alexandrien) folgend, erhielt er sich, trotz des Widerstrebens der Bey’s, im Gouvernement, so daß die Pforte auch zuletzt ihre stillschweigende Einwilligung dazu gab. Nun lud er die Bey’s als Freunde und Gäste zu einem festlichen Mahle in seinen Palast, und ließ sie, als sie versammelt waren, morden. Seine Verräthereien bewogen den Sultan zu wiederholten Versuchen, ihn aus dem Wege zu schaffen, aber jedes Mittel, jede List war vergeblich. Nie konnte der Kapudan Pascha ihn bewegen, zu ihm an Bord seiner Fregatte zu kommen. Zwei Commissäre der Pforte, in deren Turbanen man den Hattischeriff des Sultans, ihn zu ermorden, entdeckte, wurden in den Nil geworfen. Bei all dem aber hörte Mehemed Aly nicht auf, ein guter Muselmann zu seyn; er bezahlte einen größern Tribut nach Constantinopel als irgend einer seiner Vorgänger, trug nicht nur die Kosten des Kriegs gegen die Wechabiten in Arabien ganz allein, sondern rüstete zuletzt auch die ganze türkische Flotte aus.

Signor Drovetti, sein italienischer Rathgeber, brachte ihn zuerst auf den Gedanken einer regelmäßigen Armee und einer Flotte, ungeachtet die Unterhaltung derselben offenbar die jetzigen Hülfsquellen des Landes übersteigen und dessen Ruin herbeiführen mußte. Hört man, daß seit zwei Jahren weder Flotte noch Armee ihren Sold erhielt, so wird die Unzufriedenheit von beiden leicht begreiflich. Als die Armee organisirt wurde, glaubte man allgemein, der Pascha wolle sie als ein Mittel zur Vollendung seiner Unabhängigkeit gebrauchen. Der Krieg gegen die Ungläubigen aber, die große Vorschrift des Korans, lag seinem Herzen näher, und sein Hauptwunsch war, seinem Stiefsohn Ibrahim den Besitz und die Regierung Griechenlands zu verschaffen. Mit meinen eigenen Ohren hörte ich, wie er unserm General-Consul in Egypten, Salt, erklärte, daß er Morea in zwei Monaten zu erobern gedenke. Als Salt einige Zweifel gegen die Möglichkeit erhob, erwiderte der Pascha, die französischen Offiziere und der Consul hätten ihn versichert, daß jene Unternehmung etwas ganz leichtes sey. Statt aber Griechenland in zwei Monaten zu erobern, brauchte seine Flotte blos zur Ueberfahrt von Alexandrien nach Navarino eilf Monate, eine Fahrt, die eher der des Ulysses, als einer aus der neuern Zeit gleicht. Von 16,000 Mann Truppen starben 7,000, ehe sie am Ort ihrer Bestimmung ankamen. In Zeit von vierthalb Jahren fanden drei neue Einschiffungen statt, und von 32,000 Mann, die von Alexandrien absegelten, blieben nur 11,000 übrig, um unverrichteter Dinge zurückzukehren. Man hatte den Vicekönig glauben gemacht, seine jämmerlichen Araber (unter denen man kaum einen Mann fand, dem nicht etwas fehlte) seyen die trefflichsten Truppen von der Welt, und könnten es bequem mit all’ den europäischen Hunden (dogs) aufnehmen. Aber der Ruhm des Blutbads von Missolunghi ist alles, was ihm übrig blieb, um ihn für seine zerstörten Hoffnungen und seine leeren Cassen schadlos zu halten.

Sein Premierminister, ein Armenier, entwirft tausend Projecte, um den erschöpften Schatz seines Herrn wieder zu füllen, und zittert bei jedem fehlgeschlagenen Plane für seinen Kopf. Einmal steckte man ihn in einen Sack, und schleppte ihn an den Nil, um ihn hinein zu werfen; die Henker aber wurden durch ungeheuere Geschenke gewonnen, und ließen ihn am Leben. Der Pascha, der die Schwierigkeit kannte, einen gleich geschickten Stellvertreter zu finden, vergab ihm nicht nur, nachdem der erste Zorn vorüber war, sondern nahm ihn auch wieder zu Gnaden auf. Die armen Henker aber, die des Tyrannen Befehl nicht vollzogen hatten, mußten nun in dasselbe Grab wandern, von dem sie den Minister gerettet hatten.

Indem ich diese Andeutungen über den Zustand Egyptens gebe, habe ich keinen andern Zweck, als das englische Publikum von der irrigen Meinung zurückzubringen, die es über die Hülfsquellen und den Handel Egyptens hat, und zu zeigen, daß jene erschöpft sind, dieser aber werthos ist, indem er, als Monopol, blos die Agenten dieses Monopols bereichert. Daß ich diese Belehrung an Ew. Lordschaft richte, dafür bedarf es keiner Entschuldigung. Ein junger Minister hat viel zu lernen, und so lange der Lehrer nur redlich ist, so kann er nie zu niedrig seyn, um diese Pflicht auch einem Minister gegenüber zu handhaben.