Zum Inhalt springen

Durch Indien ins verschlossene Land Nepal/Die steinernen Wunder von Mawilipuram

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Die Hexenmeister von Madras Durch Indien ins verschlossene Land Nepal
von Kurt Boeck
Beim Brahmanen
{{{ANMERKUNG}}}
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[92]

Aus den Felsblöcken herausgehauene Tempel an der Küste[WS 1] bei Mawilipuram.

Siebentes Kapitel.
Die steinernen Wunder von Mawilipuram.

Die Hauptstadt der Präsidentschaft Madras verdankt ihren Reichtum nicht allein dem Handelsverkehr durch die daselbst ein- und auslaufenden Seedampfer, sondern auch dem ausgedehnten Kanalnetz, mit dessen Hilfe die Frachtgüter seit alten Zeiten aus dem Inneren des Landes nach Madras geschafft werden.

Zum Besuch der Felsenbauten in Mawilipuram[WS 2] zog ich die vierzehnstündige Kahnfahrt auf einem solchen Kanal trotz der damit angeblich stets verknüpften Fiebergefahr einer aus Eisenbahn, Ochsenkarren und nur einstündiger Ruderbootfahrt zusammengesetzten Beförderung vor; zur See dorthin zu kommen ist, obwohl der Felsenbezirk von Mawilipuram, Mamallapuram oder Mahawalipur am Meeresstrande liegt, wegen der Riffe und Sandbänke nicht möglich.

Eine Bootfahrt in südindischer Mondnacht hat wunderbar idyllische Reize, zumal durch das gelassene Tempo, in dem die Schiffer den Kahn vorwärts ziehen, schieben und rudern; wie wohltuend ist dann die dem modernen Kulturmenschen so selten bescherte Muße und Gelegenheit, einmal recht ruhig mit sich allein zu sein, unbelästigt durch irgend eine Schattenseite der bei uns zu Lande üblichen Dampffahrzeuge! Freilich, allzu ernsthaft darf man seinen Gedanken dabei nicht nachhängen, um nicht durch diesen Gegensatz mit unserer Lebensweise mit Schrecken wahrzunehmen, daß wir modernen Menschen unser Leben eigentlich recht wenig leben und der unbequemen Konzentration auf das eigene Innere fast unbewußt durch unausgesetzte Betäubungen aus dem Wege zu gehen suchen. Uns selbst in einem möglichst üppigen Rahmen zu sehen, das ist das Ziel, nach dem wir am meisten streben, und jener prunklose, einsame Weg nach innen, den die Zeitgenossen des Sophokles beschritten, kommt gerade [93] so aus der Mode, wie er bei den Römern der Kaiserzeit in Vergessenheit kam.

Reise- und Küchenboot des Verfassers.

Für eine solche beschauliche Reise muß man mindestens zwei Kähne mieten, einen für sich und seine Reisegesellschaft; den anderen für den Koch und dessen Küche, sowie für denjenigen Teil der Dienerschaft, dessen Anwesenheit auf dem Herrenboot nicht verlangt wird. Wie ein besserer europäischer Haushalt in Indien wegen des stets nur ganz beschränkten Leistungsgebietes, das jeder Diener übernimmt, ein wahres Heer von Dienstboten-Geistern nötig hat, muß man auch auf einer längeren Bootreise, um für einen Gentleman zu gelten und in jedem leeren Bungalo standesgemäß hausen zu können, eine ganze Menge von Würdenträgern bis hinunter zum Wäscher, Lampenputzer und Hundejungen mitnehmen.

Tamulische Ackerbauern bei Madras.

Für den Ausflug zu den „sieben Pagoden“ von Mawilipuram begnügte ich mich neben dem Küchenpersonal mit meinem Faktotum, einem pfiffigen Tamulen, der sich hatte überreden lassen, Christ zu werden, und der in der Taufe höchst geschmackloserweise den Rufnamen Jesus erhalten hatte. Weder für Geld noch gute Worte wollte sich der braunschwarze fromme Knabe dazu verstehen, wenigstens für die Zeit seiner Dienstleistung bei mir einen weniger heiligen Namen anzunehmen, und so konnte es nicht [94] ausbleiben, daß mir hin und wieder ein aufgebrachtes „Jesus, wo steckst du denn?“ oder ähnliche Kraftworte über die Lippen sprangen; in der Nähe des Äquators gerät europäisches Blut gar leicht in Wallung.

Wie stimmungsvolle Landschaftsbilder bietet bei solchen Bootfahrten der Übergang der kühlen Sternennacht zu dem rasch aufdämmernden farbenreichen Morgen! Gleich geisterhaften Schemen nahen und verschwinden die Schattenrisse nackter, zur Arbeit gehender Ackersleute in dem dichten Nebel, den die steigende Sonne mit sichtlicher Lust aufsaugt, bis die Äcker in strahlendem Lichte erglänzen; selbst aus weiter Ferne kann man dann die plumpen vorsintflutlichen Pflüge oder richtiger Haken erkennen, womit der Erdboden nur aufgerissen wird, die Schollen aber nicht umgelegt werden können. Die Reisfelder werden dabei, der Bewässerung wegen, möglichst terrassenförmig angelegt, denn von dem Grade der Bewässerung hängt der höchst ungleiche Ertrag dieser Felder ab, zwischen denen vereinzelte Gruppen von Palmyra-Palmen ihre malerischen Blattfächer ausbreiten, Gewächse, die für die Eingeborenen fast noch ergiebiger als die Kokos-Palmen sind, da sie ihnen, neben Zucker als Nahrungsmittel, Toddy und Arrak[WS 3] in reichen Mengen als Getränke verabreichen.

Zwei aus demselben Felsen herausgehauene Tempel übereinander.

Die Felsenstadt Mawilipuram ist zweifellos eine der wunderbarsten Stellen ganz Indiens; nirgends fällt auf den dunklen Ursprung des drawidischen Baustils und seiner Motive ein helleres Licht, und nirgends umfängt uns eindringlicher als hier der Abglanz einer Zeit, in der sich überquellende Schaffenskraft mit einem einfaltsvollen aber heißglühenden Volksglauben vereinte. Alle die auf weiter, sandiger Fläche zerstreuten, durchweg aus dem soliden Urgestein herausgemeißelten und deshalb eigentlich nicht als Bauten zu bezeichnenden Felswerke [-] [95] stammen aus dem siebenten Jahrhundert, doch damals bewegte sich zwischen ihnen das Getümmel eines kräftigen, großen, opferfreudigen Volkes, während sie jetzt tot und verödet wie eine vergessene Welt dastehen, wo nur ekelhafte Reptilien von einem rauchgeschwärzten Schlupfwinkel zum anderen kriechen; ob dieser Rauch von darin angelegten Feuern zerstörungswütiger Mohammedaner, wie Aurungzeb[WS 4] ein solcher war, herrührt oder nur von Pilgerfeuern, die wärmen oder wilde Tiere verscheuchen sollten, kann heute niemand mehr sagen. Nur religiösen Zwecken geweiht, wurden diese Räume ursprünglich von buddhistischen, keineswegs von brahminischen Steinmetzen geschaffen und sind erst später, nachdem das gewaltige Brahminentum den reformierenden Buddhismus wieder aus Vorderindien verdrängt hatte, von den Siegern mit Basreliefs vielarmiger brahminischer Götterbilder und mit Lingam-Idolen[WS 5] besetzt worden. Im Gegensatz hierzu haben in den aus dem achten Jahrhundert stammenden Felsentempeln von Ellora[WS 6] alle drei indischen Kulte: der Brahminismus, der Buddhismus und Dschainismus[WS 7] der Nachwelt wohlerhaltene Denkmäler hinterlassen.

Dia aus den Felsen gehauenen „Sieben Pagoden“[WS 8] bei Madras.
Ratha der Draupadi, Ratha des Arjuna (oder Nakula) mit einem Löwen, Ratha des Bhima, davor eine Elefantenfigur, Rhata des Dharmaraja, davor Ratha des Sahveda.

Die Felsentempel von Mawilipuram; zwischen den Palmyrapalmen ein Lingam-Idol.

Der buddhistische Ursprung Mawilipurams verrät sich in den Relieffriesen, deren Motive fast durchweg die sonderbaren sargähnlichen Zellen buddhistischer Asketenmönche sind, und die sich über den Eingängen zu den tief in die Felsenberge hineingetriebenen Hallen sowie rings um die aus Granitblöcken herausgearbeiteten pyramidenförmigen oder um den Saum in die Länge gestreckter Tempel herumziehen. Dieser aus Stein gehauene, aber Holzschnitzerei nachahmende Zellenfries wurde einer der Ausgangspunkte drawidischer Bauweise, die bald eine Überladung mit figürlichem Schmuck annahm und dadurch einen unerfreulich verworrenen Eindruck hervorbringt. Daß diese Bauart der [96] assyrisch-babylonischen ähnelt, ist erklärlich, wenn man sich an die einstigen Handelsbeziehungen zwischen Persien und Indien und an die Herkunft auch der drawidischen Stämme aus nordwestlich von Indien liegenden asiatischen Gebieten erinnert. Aber welchen Überfluß an Phantasie zeigen diese Denkmäler z. B. im Vergleich mit den Pyramiden Ägyptens, wenn man diese für Monumente gelten läßt, und nicht vorzieht, sie für riesenhafte stilisierte Phallus- oder Lingam-Idole zu halten; über dieses interessante Problem werde ich in dem Kapitel Mysterien des Swajambunath-Gipfels wohl noch ausführlicher sprechen.

Felsentempfel der fünf Pandamas und Reliefdarstellung der „Buße des Arjuna“,[WS 9] dem der Gott Mahadewa das Pasupatageschoß verleiht; aus der Felsspalte steigen Nagajungfrauen[WS 10] mit Schlangenleibern aus der Unterwelt. Der Verfasser betrachtet die Allegorie.

Es ist schwer, seinen Standpunkt zu finden, wo man auch nur einige der auffallendsten Erscheinungen dieser Felsenwelt gleichzeitig überblicken könnte, die uns zu grenzenlosem Erstaunen über die unendliche hier einst verwendete und verschwendete Mühe hinreißen. Selbst beim Ersteigen des auf dem Jemapuram-Tempel ebenfalls aus dem Vollen herausgehauenen kleineren Tempels, der jetzt eine Leuchtturmlaterne trägt[WS 11] und einen weiten Ausblick über Land und See erlaubt, bleiben die wunderlichen, gewaltigen Reliefs verborgen, die viele Felswände überkleiden. Zum Kampf ausziehende Massen von Menschen- und Tiergestalten und götterfeindlichen Dämonen, die Szenen aus dem Heldengedicht Mahabharata[WS 12], wie z. B. Arjunas Buße, verkörpern sollen, sind der Gegenstand dieser Felsbilder, während auf anderen Felsblöcken in gigantischen, tief in das Gestein eingekerbten Lettern auf die Welträtsel bezügliche Sprüche buddhistischer Weisheit verkündet werden.

Auch die Steinbilder der als Wächter der Tempel aufgestellten buddhistischen Legendentiere, des Löwen und Elefanten, entziehen sich dort oben unserem Blick. Wohl aber können wir von der Höhe herab bis zum Meerstrande sehen; auch dort hat titanenhafter Bildnertrieb die daselbst umherliegenden monolithischen Blöcke zu fabelhaften Tempelpyramiden umgeformt, in deren düsteren Gewölben das Brausen und Wallen der steigenden und sinkenden Flut, zeitweilig unterstützt von dem Wogengebrüll tobender Orkane dem in der größern Felsenhalle stehenden riesenhaften Lingam-Gottheitsbilde einen ewig widerhallenden Lobgesang darbringt.

Opferkännchen zum Begießen der Lingam-Idole.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Tempel an der Küste: vergleiche Küstentempel
  2. WS: Mawilipuram, Mamallapuram, Mahawalipur: vergleiche Mahabalipuram
  3. WS: Toddy und Arrak: vergleiche Arrak, siehe ferner Kapitel 1, Seite 15
  4. WS: Aurungzeb: vergleiche Aurangzeb, regierte 1658-1707
  5. WS: Lingam: vergleiche Linga, auf die Lingam-Verehrung geht Boeck auf Seite 101 genauer ein.
  6. WS: Ellora: vergleiche Ellora-Höhlen
  7. WS: Dschainismus: vergleiche Jainismus
  8. WS: Sieben Pagoden: vergleiche Fünf Rathas. Zu den Figuren/Gottheiten ebenfalls dort.
  9. WS: Reliefdarstellung : vergleiche Felsrelief „Herabkunft der Ganga“
  10. WS: Naga: vergleiche Naga (Mythologie)
  11. WS: kleinerer Tempel: vergleiche Olakkannesvara Temple
  12. WS: Mahabharata: vergleiche Mahabharata