Dritte Abhandlung (Über das tugendhafte Leben)
Dritte Abhandlung.
Darüber, daß die Seele leicht zur Erkenntniß der Weisheit Gottes und seiner Werke gelangt, wenn sie gegen die Welt und die Sorgen des Lebens gleichgiltig geworden ist, indem sie alsdann ihre eigene Natur und die in ihr verborgenen Schätze erkennen kann.
Die Seele bedarf, um zu verhindern, daß sie mehr, als es ihre Natur erfordert, für die Aussendinge besorgt sei, nicht vieler Anstrengungen, um aus und in sich das Hervorsprudeln der göttlichen Weisheit zu finden; sondern die durch Lostrennung von der Welt gewonnene Ruhe erweckt naturgemäß einen Andrang von Gedanken über die Geschöpfe in der Seele, wodurch sie von diesen zu Gott aufsteigt und dort im Staunen verharrt.
Wenn aber die Wasser von aussen nicht in die Quelle der Seele einfließen, so sind die wunderbaren Betrachtungen, welche sich stets über Gott in ihr regen, die aus ihrer eigenen Natur hervorquellenden Wasser.
So oft sie sich also ausserhalb dieses Zustandes befindet, hat sie entweder an einer fremdartigen Erinnerung Anlaß (zur Zerstreuung) genommen, oder die Sinne haben sie durch Eindrücke der Aussendinge erschüttert und verwirrt.
Wenn aber die Sinne durch unverbrüchliche Ruhe eingezäunt werden und die Erinnerungen durch deren Hilfe verblassen, so wirst du sehen, welche Beschaffenheit die Gedanken der Seele haben, was die Natur der Seele ist, und welche Schätze in ihr aufgehäuft sind. Diese Schätze sind aber die immateriellen Betrachtungen, welche sich von selbst, ohne Anstrengung und Mühe von ihrer Seite, in ihr regen, [311] da der Mensch nicht einmal weiß, daß solche Gedanken in der menschlichen Natur auftauchen können, wer ihm dieselben gelehrt hat, wie er Dasjenige gefunden hat, was selbst Derjenige, der es erfahren hat, keinem Anderen zu beschreiben versteht, und wer ihm den Weg zu dem gezeigt hat, was er von keinem Anderen lernen konnte.
Dieses ist die Natur der Seele. Folglich sind die[1] Leidenschaften etwas durch andere Ursachen in die Seele Hinzugekommenes, da sie von Natur nicht den Leidenschaften unterworfen ist.
Wenn du aber an verschiedenen Stellen der Schrift von seelischen und körperlichen Leidenschaften liesest, so bezieht sich das nur auf jene verschiedenartigen Ursachen; denn von Natur hat die Seele keine Leidenschaften.
Aber die aussenstehenden Philosophen glauben Dieß nicht, deßgleichen auch Die nicht, welche sich in ihren Anschauungen an Jene anschließen. Wir jedoch glauben, daß Gott sein Ebenbild nicht den Leidenschaften unterworfen gemacht hat. Unter seinem Ebenbilde verstehe ich nicht den Leib, sondern die unsichtbare Seele. Denn in jedem Bilde ist eine Ähnlichkeit mit dem Urbilde ausgeprägt, aber ein sichtbares Bild kann nicht die Ähnlichkeit mit etwas Unsichtbarem darstellen.
Wir glauben also, wie gesagt, daß es keine Leidenschaften der Seele gibt. Wenn aber Jemand hierüber streiten will, so verlangen wir von ihm Antwort auf diese Frage [312] Welcher Zustand ist der Seele naturgemäß, lichtvolle Freiheit von Leidenschaften oder Bewegung und Verfinsterung durch dieselben? Wenn es aber jemals eine Zeit gab, in welcher die Natur der Seele lauter war und das selige Licht in sich aufnahm, so wird sie sich auch wieder in diesem Zustand befinden, wenn sie zu ihrem ursprünglichen Wesensbestand zurückkehrt. Wenn sie aber von Leidenschaften erschüttert wird, so bekennen alle Söhne der Kirche, daß sie zuvor ihre wahre Natur verlassen habe.
Die Leidenschaften sind also erst später zu der Natur der Seele hinzugekommen, und wir dürfen durchaus keine seelischen Leidenschaften annehmen. Denn wenn auch die Seele durch sie erschüttert wird, so ist es klar, daß sie nur durch etwas ihr Äusserliches erschüttert wird, nicht durch etwas ihr Wesentliches. Und wenn sie deßhalb der Natur zugeschrieben werden sollten, weil diese vermittelst des Leibes durch sie aufgeregt wird, so müßten ja auch Hunger, Durst und Schlaf der Seele angehören, weil diese dadurch zugleich mit dem Leibe leidet und erquickt wird; deßgleichen Abschneidung der Glieder, Fieber, Krankheiten und alle übrigen Schmerzen. Denn zufolge ihrer Verbindung mit einander leidet der Leib wegen dieser Dinge und die Seele mit ihm; sie wird erregt durch die Freude, welche den Leib angeht, und nimmt Antheil an dem Schmerz über dessen Leiden.
Zur Naturanlage der Seele gehören die Begriffe von [313] allen sinnlich wahrnehmbaren und übersinnlichen geschaffenen Dingen.
Über ihre Natur geht die Versenkung in das Schauen der Gottheit.
Ihrer Natur fremd ist die Aufregung durch Leidenschaften.
So sagt auch Basilius, jenes sieggekrönte Licht der Welt: „Wenn die Seele in ihrer natürlichen Ordnung bleibt, so befindet sie sich oben; wenn sie aber ausserhalb ihrer Natur verweilt, so befindet sie sich unten und auf der Erde.“
Die Leidenschaften nun sind nicht droben, wo nach diesem Ausspruche die Heimath der Seele ist; sondern erst dann, wenn ihre Natur von ihrer ursprünglichen Ordnung hinabsteigt, wird sie den Leidenschaften unterworfen.
Wo bleiben nun die Leidenschaften der Seele, nachdem sich herausgestellt hat, daß sie nicht zu ihrer Natur gehören?
Sie wird also auf dieselbe Weise durch die in den Leib verwebten[3] Leidenschaften erschüttert, wie sie auch durch diesen Hunger und Durst empfindet; aber wegen der letztgenannten Dinge wird sie nicht getadelt, weil dagegen keine Gesetze gegeben sind; wie sogar zuweilen Dinge, die sonst Strafe verdienen, dem Menschen von Gott geboten werden[4] und er dann statt Tadels und Vorwurfs eine Belohnung dafür empfängt, gleich dem Propheten Osee, welcher [314] eine vom Gesetz verbotene Ehe schloß, dem Elias, welcher sich aus Eifer für Gott Tödtung erlaubte, und Jenen, welche auf Befehl Moysis ihre Nächsten mit Schwertern erstachen.
Darauf antworteten aber die Gegner wiederum: Auch die Seele hat von Natur Begierde und Zorn, noch ausser dem, was zur Natur des Leibes gehört; und Dieß eben sind ihre Leidenschaften.
Wir aber fragen: Gehört die Begierde der Seele dann ihrer Natur an, wenn sie zu göttlichen Dingen entzündet wird, oder dann, wenn sie sich auf irdische und leibliche Dinge richtet? Und wann wird der Zorneseifer der Natur der Seele als der ihr naturgemäße Zorn bezeichnet, wenn er für die Lust des Leibes, den Neid, die Ehrfurcht und dergleichen eintritt, oder wenn er dieselben bekämpft? Darauf möge uns jener Streitsüchtige antworten, so wollen auch wir uns seiner Ansicht anschließen!
Denn die heilige Schrift sagt viele Dinge, die nur in einem gewissen Sinne zu verstehen sind. Wie häufig gebraucht sie, um die Rede nicht in die Länge zu ziehen, Ausdrücke (die sich eigentlich auf den Leib beziehen, von der Seele, und umgekehrt solche, die sich auf die Seele beziehen,)[5] von dem Leibe, ohne sie als solche kenntlich zu machen! Die Verständigen aber begreifen Das, was sie lesen, nämlich die Absicht der Schrift, wenn sie zum Beispiel die herrlichen und erhabenen Eigenschaften der Gottheit unseres Herrn, welche nicht auf die menschliche Natur passen, auf seine Menschheit überträgt, während sie umgekehrt die Leiden der Menschheit seiner Gottheit zuschreibt, woran Viele, [315] die nicht die Tragweite der biblischen Ausdrücke verstanden, Anstoß genommen haben, so daß sie sich nicht wieder von ihrem Falle erhoben.
Ebenso verhält es sich auch mit diesen Aussprüchen über Seele und Leib. Wenn aber die Tugend der natürliche gesunde Zustand der Seele ist, die Leidenschaften dagegen Krankheiten sind, welche die Natur zu überfallen und ihrer Gesundheit zu berauben pflegen, so ist es ja klar, daß die Gesundheit ihrer Natur nach früher vorhanden war als die Krankheitsanfälle.
Und wenn sich Dieses so verhält, wie es denn auch in der That und Wahrheit der Fall ist, so war also nothwendiger Weise die Tugend der natürliche Zustand der Seele, jene Anfälle aber etwas ihrer Natur Fremdes, weil es unmöglich ist, daß Dasjenige, was zuerst vorhanden ist, nicht auch das Naturgemäße sei.
Werden die leiblichen Leidenschaften dem Leibe eigentlicher oder übertragener Weise zugeschrieben, und sind die der Seele, welche durch den Leib veranlaßt werden, übertragene oder naturgemäße?
Die des Leibes können wir nur als zu seiner Natur gehörig auffassen; von der Seele aber dürfen wir nach dem, was sich klar ergeben hat und von Allen bekannt wird, daß ihr nämlich die Reinheit naturgemäß ist, nicht wagen zu leugnen, daß die Leidenschaftlichkeit für sie etwas bloß Angenommenes ist. Denn es ist anerkannt, daß die Gesundheit von der Krankheit vorausgesetzt wird; und dieselbe Sache kann nicht von Natur gut und zugleich böse sein, sondern eins von Beiden muß nothwendigerweise dem andern vorhergehen, und Dasjenige, was das ältere ist, muß auch das naturgemäße sein.
Alles, was zufällig ist, kann nicht von der Natur ausgesagt und als einheimisch betrachtet werden, sondern es tritt von aussen her hinzu.
[316] Alles Zufällige und Fremde ist, wo es sich findet, mit Veränderung und Umwandlung verbunden. Die Natur aber wandelt sich nicht um und verändert sich nicht.
Jede Leidenschaft ist demjenigen Geschöpf, dem sie von Natur einwohnt, zu seinem Nutzen und Wachsthum von Gott gegeben. So hat Gott die körperlichen Leidenschaften zum Nutzen und Wachsthum des Leibes angeordnet und die Leidenschaften der Seele, das heißt die Seelenkräfte, zum Wachsthum und Nutzen der Seele.
Wenn nun der Leib gezwungen wird, seine Leidenschaftlichkeit durch Enthaltung von jenen aufzugeben und sich an die der Seele anzuschließen, so wird er dadurch geschädigt; ebenso nimmt die Seele Schaden, wenn sie die ihrigen verläßt und sich an die des Leibes anschließt.
Denn nach dem Worte des Apostels[6] begehrt der Geist nach Dem, was dem Leibe schadet, und der Leib nach Dem, was dem Geiste schadet; und diese Beiden sind sich ihrem Wesen nach einander entgegengesetzt.
Niemand lästere also gegen Gott, daß er die Leidenschaften und die Sünde in unsere Natur gelegt habe! Denn er hat in die Naturen aller Dinge, die er geschaffen hat, gerade Dasjenige hineingelegt, was denselben förderlich ist. Wenn sich aber ein Ding mit einem anderen verbindet, so befindet es sich nicht auf seinem eigenen, sondern auf fremdem Boden.
Gehörten nun jene Leidenschaften von Natur der Seele an, warum würde diese dann beschädigt, wenn sie sich dieselben aneignet, da ja doch die wesentlichen Eigenschaften einer Natur dieser Natur nicht schaden? Und warum verleiht die Befriedigung der Leidenschaften des Leibes diesem Wachsthum und Stärkung, während die der Seele dieser schaden, obgleich sie doch angeblich ihr angehören sollen? Und warum quält die Tugend den Leib, während sie die Seele nährt?
[317] Da siehst du ja, wie einer jeden von diesen Naturen das ihr nicht Naturgemäße schadet, während eine jede Natur erfreut wird, wenn sie mit dem ihr Eigenen zusammentrifft.
Willst du erfahren, welche Eigenschaften eine jede von diesen Naturen habe, so vernimm: Einer jeden Natur gehört Das an, durch dessen Gebrauch sie gefördert wird; wenn sie aber durch Etwas gequält wird, so wisse, daß sie sich auf ein ihr fremdes Gebiet begeben hat!
Schließlich ergibt sich also: Da es sich nun klar herausgestellt hat, daß die Leidenschaften einer jeden von diesen Naturen einander entgegengesetzt sind, so muß Alles, was dem Körper Nutzen und Freude verschafft, als der Natur der Seele fremd und ihr nur durch Entlehnung aufgebürdet angesehen werden, wenn diese sich dasselbe aneignet; denn Das, was zur Natur der Seele gehört, ist für den Leib todbringend.
Aber wegen der Schwäche des Fleisches kann sie sich nicht vollständig davon befreien, so lange sie noch mit diesem bekleidet ist; denn ihre Natur ist mit seinen Leiden verbunden wegen der Vereinigung ihrer Regungen, welche mit unerforschlicher Weisheit in die Empfindungen des Fleisches verwebt sind.
Jedoch trotzdem, daß sie so mit einander verbunden sind, bleibt doch Regung von Regung und Wille von Willen unterschieden, nämlich die des Fleisches von denen des Geistes. Niemals kann eine Natur mit der anderen vermengt werden oder ihr eigenes Wesen unterdrücken, sondern eine jede von ihnen regt zuweilen, wie sehr auch der Mensch beide, sei es in der Sünde, sei es in der Tugend, zum Einklang zu bringen sucht, doch ihren Willen und bewegt sich auf ihrem eigenen Gebiet.
Wenn sich aber die Seele einigermassen über die Sorge für den Leib erhebt, alsdann kommen in ihr durchaus geistige Regungen zum Vorschein, welche sich in unergründbare Dinge, in das Herz des Himmels, versenken.
Der Leib unterläßt aber selbst dann nicht, sich an das [318] Seinige zu erinnern, gleichwie auch umgekehrt die Schönheit der Seele nicht ganz aus den geistigen Regungen ausgetilgt wird, selbst wenn sie sich im Zustand der Sünde befinden.
Rein an Verstand ist nicht Derjenige, welcher nichts Böses kennt; denn sonst wäre es ja sogar das Thier.
Auch nennen wir Diejenigen nicht rein an Verstand, welche die Natur auf der Stufe der Kindheit gelassen hat; noch verlangen wir Solche, welche niemals die Versuchung zum Bösen erfahren haben, sonst würden wir ja von den Menschen fordern, daß sie nicht zu der Ordnung der geschaffenen Wesen gehören dürften.
Die Reinheit des Verstandes ist vielmehr[8] ein Sichgefangengeben an das Göttliche, welches nach Ausübung vieler Tugendwerke zu Stande kommt.
Selbst Denjenigen wagen wir nicht rein zu nennen, der diese Tugend ohne Versuchung durch entgegengesetzte Gedanken besitzt, denn sonst könnte er ja nicht mit dem Leibe bekleidet sein. Wir aber heben den Kampf der Natur gegen die Widersacher nicht vor der zukünftigen Welt auf.
Unter der Versuchung durch Gedanken verstehe ich jedoch nicht solche, in welche der Mensch einwilligt, sondern den Beginn des Kampfes der Gedanken, welcher durch die vier verschiedenen Ursachen, die zur Aufregung aller Arten von Leidenschaften dienen, im Geiste erregt wird, da es in diesem Leben keinen Menschen gibt, welcher über solche irdische Erinnerung erhaben ist, vielleicht mit Ausnahme der höchsten Kriegsführer.
[319] Wenn wir uns Jemanden auch so vollkommen wie Paulus denken, so urtheile selbst darüber, ob ein Solcher, da ihn der Leib durch seine Regungen gemäß der natürlichen Anordnung, die Welt durch ihre Wesen vermittelst der Thätigkeit der Sinne, die Seele durch Gedanken in Folge der Erinnerung und der Fähigkeit der Wahlfreiheit, die Dämonen durch Antreibung, und alle obengenannten durch diese vier Mittel zu Leidenschaften zu drängen suchen, vor dem Ende der Welt oder der Hinwegnahme durch den Tod auch nur eins von diesen vieren beseitigen kann, selbst wenn er die erhabenen, durch die Betrachtung sichtbaren Dinge einigermaßen empfindet und nach ihnen strebt, oder ob der Leib seinen Bedürfnissen gänzlich enthoben werden kann, so daß ihn die Natur nicht mehr zum Begehren irdischer Dinge zwingt!
Wenn es aber unsinnig ist, Dieses anzunehmen, dann müssen nothwendig, so lange jene Dinge bleiben, auch die Leidenschaften in allen mit dem Leibe Bekleideten sich regen, und bedürfen deßhalb Alle der Behutsamkeit.
Unter den Leidenschaften verstehe ich aber nicht etwa nur die eine oder die andere, sondern alle ihre verschiedenen Arten, gegen welche die mit dem Fleische Bekleideten zu kämpfen haben.[9] Dennoch wagt der Mensch diesen (sich auszusetzen), obgleich er den Regungen gegenüber schwach ist und nur wenig, obendrein noch ohne sich dabei anzustrengen, kämpft. Deßhalb bedarfst du strenger Wachsamkeit.
[320]
Die Reinheit des Verstandes ist etwas Anderes als die Reinheit des Herzens, gleichwie ein einzelnes Glied des Leibes vom ganzen Leibe verschieden ist.
Der Verstand ist nämlich eine einzelne Seelenkraft, während das Herz die Gesammtheit der Seelenkräfte in sich schließt, also die Centralkraft und die Wurzel der übrigen ist. Wenn nun die Wurzel heilig ist, so sind es auch alle Zweige.[11] Nicht aber verhält es sich auch umgekehrt so mit einem einzelnen geheiligten Zweige.
Der Verstand vergißt zwar durch einiges Betrachten in der (heiligen) Schrift und eine geringe Anstrengung im Fasten und Stillschweigen sein früheres Gedankengetriebe und wird geläutert, indem er sich der Beschäftigung mit fremdartigen Dingen entzieht, wird aber doch leicht wieder verunreinigt.
Das Herz dagegen wird gereinigt durch schwere Trübsale und Enthaltung von jeder Vermengung mit der Welt, bei vollkommener Abgestorbenheit von allen Dingen. Wenn es so gereinigt ist, wird seine Reinheit durch den Andrang geringfügiger Dinge nicht getrübt, oder vielmehr sie fürchtet sich nicht einmal vor gewaltigen Kämpfen.
Sie hat sich nämlich einen kräftigen Magen erworben, welcher leicht alle Speisen verdauen kann, die den Anderen, in ihrem Gewissen Erkrankten zu schwer sind. Denn die Ärzte behaupten, daß jede schwer verdauliche Fleischspeise dem gesunden Körper größere Stärke verleiht, wenn sie in einen kräftigen Magen aufgenommen wird.
So wird auch jede Reinigung, die leicht, schnell und [321] mit geringer Mühe erworben ist, wieder leicht getrübt; aber eine durch schwere, langandauernde Leiden errungene Reinheit fürchtet sich auch in den einzelnen Theilen der Seele nicht vor dem schwachen Andrang der Aussendinge.
[12] Die Regelung der Sinne bewirkt Frieden in der Seele, weil sie nicht zuläßt, daß diese[13] durch Kampf versucht werde. Zwar wenn sie überhaupt von keinem Dinge eine Empfindung erhält, so ist Dieß ein Sieg ohne Kampf. Aber wenn sie aus Leichtsinn versäumt, sich die Unkenntniß (des Bösen) zu bewahren, und erst, nachdem sie die Empfindung in sich aufgenommen hat, um Befreiung von derselben kämpft, so verliert sie ihren ursprünglichen Zustand, nämlich die ihr von Natur eigene Reinheit und Unschuld.
Die meisten Menschen, vielleicht sogar die ganze Welt, verlassen auf diese Weise jenen Zustand;[14] aber unter Vielen findet sich kaum Einer, welcher zum zweiten Male an dessen Stätte zurückkehrte.[15] Doch ist die Einfalt etwas weit Schöneres, als die verschiedenen Stufen der Vergebung.
Die Furcht ist der menschlichen Natur nützlich, um sich ausserhalb der Grenzen der Gesetzesübertretung zu halten; die Liebe aber, um in sich das Verlangen nach den Gütern zu erregen, um deren willen sie sich der Ausübung guter Werke befleissigt.
[322] Die geistliche Erkenntniß folgt ihrer Entstehung nach erst auf die Ausübung der Tugend[16]; aber beiden gehen Liebe und Furcht vorher, und zwar ist die Furcht früher als die Liebe vorhanden.
Ein Jeder nun, welcher sich erdreistet, das Spätere vor dem Früheren erwerben zu wollen, legt ohne Zweifel das Fundament zum Untergang in seiner Seele. Denn diese (Gnaden) werden von Gott in solcher Reihenfolge verliehen, daß die einen von den anderen hervorgebracht werden.
Vertausche nicht die Liebe zu deinem Nächsten mit der Liebe zu den Aussendingen![17] Denn in jenem ist Der verborgen, welcher über Alle erhaben ist.[18]
[19] Das, was für fleischliche Augen nur eine äusserliche Anordnung[20] ist, erscheint der verborgenen Anschauung als ein heilsamer Schmerz; ganz ebenso erscheint Dasjenige, was der natürlichen Beschauung der zweiten Stufe wie ein Gewölke von Leiden vorkommt, der ursprünglichen Anordnung der Natur.[21] In dieser Weise verhalten sich die Beschauungen [323] zu einander, bis zu derjenigen, bei welcher ihre Reihenfolge aufhört.[22]
Wenn sich der Geist in der ursprünglichen Anordnung der Natur befindet, so ist er in der Beschauung der Engel; denn diese ist die erste und natürliche Beschauung. Sie wird auch bloßer Geist genannt. Wenn er sich aber in der natürlichen Erkenntniß der zweiten Stufe befindet, so trinkt er von den Brüsten der materiellen Welt und wird mit Milch genährt. Diese Erkenntniß wird das letzte Gewand in der vorher erwähnten Reihenfolge genannt und hat ihren Platz nach der Reinheit, in welche der Geist zuerst eingehen soll. Auch diese Erkenntniß selbst ist der Entstehung nach die erste. Denn der Zeitfolge nach geht sie vorher, der Würde nach aber ist sie das letzte. Deßhalb wird sie auch die zweite genannt und mit als Merkzeichen dienenden Buchstaben verglichen, durch welche der Geist gereinigt und geübt wird zur Ersteigung der nach der Zeitfolge zweiten Stufe, welche ist die Vollkommenheit der Regungen des Verstandes und die nächste Stufe zur Aufnahme der göttlichen Beschauung.[23]
Das letzte Gewand des Geistes sind die Sinne, seine Entblößtheit aber ist seine Erregung durch die immateriellen Beschauungen.[24]
[324] Gib das Geringe auf, um das Große zu finden! Verwirf das Überflüssige, um das Kostbare zu erlangen!
Sei im Leben abgestorben und lebe nicht im Tode! Entschließe dich, aus Pflichteifer zu sterben und nicht in Verwerfung zu leben!
Nicht nur Diejenigen sind Martyrer, welche den Tod für den Glauben an Christum erdulden, sondern auch die, welche für die Beobachtung seiner Gebote sterben.
Sei nicht thöricht in deinen Bitten, damit du durch deinen Unverstand Gott keine Schmach anthuest!
Bete in verständiger Weise, auf daß du herrlicher Dinge gewürdigt werdest!
Verlange Werthvolles von dem neidlos Freigebigen, damit du Ehre von ihm empfangest wegen der von deinem Willen getroffenen verständigen Wahl!
Salomon bat um Weisheit und erhielt auch die irdische Königsherrschaft dazu, weil er weise zu bitten verstand, nämlich erhabene Dinge von dem (himmlischen) König.
Elisäus verlangte das doppelte Geistesmaß seines Lehrers, und seine Bitte wurde ihm nicht abgeschlagen.
Wer Geringfügiges von einem König erbittet, setzt dessen Ehre herab. Die Israeliten verlangten Verächtliches und zogen sich dadurch den Zorn Gottes zu. Sie unterließen, über seine Werke und furchtbaren Thaten zu staunen, und verlangten angenehme Speisen. Deßhalb erhob sich der Zorn Gottes gegen sie, während noch ihre Speise in ihrem Munde war.[25]
Bring deine Bitten vor Gott gemäß seiner Erhabenheit, damit du bei ihm höher geehrt werdest und er sich über dich freue!
Wenn Jemand einen König um ein Maß voll Mist bittet, so wird nicht nur er selbst verachtet wegen der Erbärmlichkeit seiner Bitte und weil er sich selbst des Unverstands anklagt, sondern er fügt auch dem König durch sein [325] thörichtes Gesuch eine Schmach zu. Ebenso verhält es sich mit Dem, welcher leibliche Dinge im Gebet von Gott verlangt.
Siehe, die Engel und Erzengel, welche die Großen des Himmelskönigs sind, schauen zur Zeit des Gebets auf dich herab, um zu hören, welche Bitte du ihrem Herrn darbringest, und bewundern dich, wenn sie sehen, daß du, obgleich mit dem Leibe bekleidet, seinen Düngerhaufen verlässest und nach Himmlischem verlangest.
Bitte Gott nicht um Das, was er auch ohne unser Verlangen uns zu geben besorgt ist, und was er nicht nur seinen Hausgenossen, sondern auch Denen, welche seiner Erkenntniß ganz entfremdet sind und nicht einmal von seinem Dasein wissen, nicht verweigert!
Was bedeutet das Wort „wie die Heiden“ in dem Ausspruche:[26] „Ihr sollt nicht viel schwätzen, wie die Heiden“? Das ist gleichbedeutend mit jenem anderen:[27] „Die Völker der Erde verlangen die Bedürfnisse des Leibes; ihr aber sollt nicht denken: was werden wir essen, was werden wir trinken, oder womit werden wir uns kleiden? Denn euer Vater weiß, daß ihr auch Dieses bedürfet.“
Ein Sohn bittet seinen Vater niemals um Brod, sondern er trägt ihm Bitten vor um wichtige Anliegen, die er dem Vater gegenüber hat.
Daß uns aber unser Herr befohlen hat, im Gebet um das tägliche Brod zu bitten, ist eine Bitte, welche er der großen Menge wegen der Schwäche ihrer Einsicht aufgetragen hat. Siehe dagegen, was er den an Erkenntniß Vollkommenen und an der Seele Gesunden befiehlt:[28] „Ihr sollt auch nicht um die Nahrung noch um die Kleidung besorgt sein! Gott trägt ja Sorge für die unvernünftigen Vögel, um wie viel mehr für euch! Verlanget aber von Gott das Himmelreich und die Gerechtigkeit, so wird er euch Jenes obendrein hinzugeben!“
[326] Wenn sich die Gewährung deiner Bitte verzögert, indem du das Erbetene nicht gleich erhältst, so sei darüber nicht bekümmert! Denn du bist nicht weiser als Gott. Wenn dir aber so geschieht, so liegt der Grund entweder in deinem Wandel, welcher dich der Gewährung deiner Bitten unwürdig macht, oder in den Irrwegen deines Herzens, welche von dem Ziele deines Gebetes abweichen, oder in deinem noch zu kindlich unerfahrenen Standpunkt im verborgenen Leben gegenüber der Größe der Sache.
Erhabene Dinge dürfen dir nicht so leichthin in die Hände fallen, damit nicht die Gabe Gottes durch die Leichtigkeit ihrer Erlangung verächtlich werde.
Alles, was mühelos gefunden wird, geht auch leicht wieder verloren. Aber Alles, was mit Anstrengung gefunden ist, wird sorgfältig bewahrt.
Dürste um Jesu willen, auf daß er dich in seiner Liebe berausche!
Verschließe deine Augen vor weltliche Ehren, damit du gewürdigt werdest, daß in deinem Herzen der Friede Gottes herrsche!
Enthalte dich reizvoller Dinge, welche die Augen erfreuen, damit du der Freude im Geist gewürdigt werdest!
Wenn deine Sitten nicht Gottes würdig sind, so verlange nichts Erhabenes von ihm, damit du nicht wie ein Mann, der Gott versucht, erscheinest!
Das Gebet entspricht ganz genau dem Wandel. Niemand begehrt Himmlisches, während er durch freiwillige Bande an den Leib gefesselt ist; und Keiner, der um diese göttlichen Dinge bittet, ist um das Irdische besorgt.
Das Verlangen eines Jeden wird aus seinen Werken erkannt. Denn ein Jeder wird sich bemühen, Dasjenige auch im Gebete zu erflehen, woran ihm besonders gelegen ist, und dafür Sorge tragen, daß er Dasjenige, was er erbittet, auch in seinem äusseren Verhalten zeige.
Wer sich nach großen Dingen sehnt, bekümmert sich nicht um Geringfügiges.
Sei frei, obgleich du an den Leib gefesselt bist! Zeige [327] dich um Christi willen unterwürfig in deiner Freiheit und klug in deiner Einfalt, damit du nicht beraubt werdest!
Liebe die Demuth in allem Wechsel deiner Geschicke, damit du von den verborgenen Schlingen errettet werdest, die sich überall finden ausserhalb des Weges, auf welchem die Demüthigen wandeln!
Weise die Leiden nicht von dir, denn durch sie wirst du zur Erkenntniß gelangen!
Fürchte dich nicht vor den Versuchungen,[29] da du durch sie Herrliches erlangen wirst!
Bete, daß du nicht in Versuchungen der Seele gerathest; auf die des Leibes aber bereite dich aus allen Kräften vor! Denn ohne dieselben kannst du dich nicht Gott nahen; in ihnen ist das göttliche Wohlgefallen niedergelegt.
Wer vor den Versuchungen flieht, der flieht vor der Tugend. Hiermit meine ich jedoch nicht die Versuchungen durch Lüste, sondern die durch Leiden.
Wie stimmt nun der Ausspruch: „Betet, daß ihr nicht in Versuchung gerathet,“ mit dem anderen überein: „Ringet danach, daß ihr durch die enge Pforte eingehet,“ und: „Fürchte dich nicht vor Denen, welche den Leib tödten,“ und: „Wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es wiederfinden“?[30] Überall ermuntert uns unser Herr zum Bestehen der Versuchungen, und hier befiehlt er zu beten, daß wir nicht in dieselben gerathen mögen!
Welche Tugend kann ohne Versuchungen zur Vollkommenheit gelangen? Oder welche Versuchung ist schwerer als der Tod, den er uns doch für ihn zu dulden befiehlt, indem er sagt:[31] „Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und [328] mir nachfolgt, ist meiner nicht werth“? Und doch heißt es: „Betet, daß ihr nicht in Versuchung gerathet,“ obgleich der Eingang zu den Versuchungen in seiner ganzen Lehre ausgestreut ist und er selbst sagt, daß das Himmelreich nicht ohne Versuchungen erworben werden könne!
O wie fein ist der Weg deiner Lehre, o Herr! Und wer sie nicht einsichtig erwägt, während er sie liest, bleibt mit seinem Verständnisse stets ausserhalb derselben stehen.
Als die Söhne des Zebedäus und deren Mutter vom Herrn verlangten, im Himmelreiche neben ihm zu sitzen, da befragte er sie darüber, ob sie im Stande wären, den Kelch der Versuchungen freudig anzunehmen:[32] „Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, und mit der Taufe, die ich empfange, getauft werden?“ Warum, o Herr, befiehlst du uns aber nun, zu beten, daß wir nicht in Versuchung gerathen?
Bete, daß du nicht in Versuchungen gegen den Glauben gerathest! Bete, daß du nicht in den Einbildungen deines Geistes durch den Dämon der Lästerung und des Hochmuthes in Versuchung gerathest!
Bete, daß du nicht im Zustande der Gottverlassenheit in offenbare Versuchungen durch die Sinne gerathest, welche Satan, gegen dich aufzubieten versteht, wenn es ihm Gott zuläßt wegen der thörichten Gedanken, denen du dich hingibst!
Bete, daß der Zeuge der Keuschheit nicht von dir entfernt werde und du nicht ohne ihn von den Flammen der Sünde versucht werdest!
Bete, daß du nicht in Versuchung zu den verschiedenartigen Begierden gerathest!
[329] Bete also, daß du nicht in Versuchungen der Seele gerathest, das heißt in solche, welche die Seele durch Zweifel oder Begierden dem Kampfe aussetzen! Auf die des Leibes aber bereite dich aus allen Kräften vor und bade dich in ihnen mit allen Gliedern, indem deine Augen mit Thränen angefüllt sind, damit du dich darin in der Begleitung deines Beschützers befindest!
Denn ohne Versuchung wird die Sorgfalt Gottes für uns nicht empfunden, das Vertrauen zu ihm nicht erworben, die Weisheit des Geistes nicht gelernt und die Liebe Gottes nicht in der Seele befestigt.
Vor den Versuchungen betet der Mensch zu Gott wie ein Fremder; nachdem er aber aus Liebe zu ihm die Versuchung bestanden hat, ohne sich durch dieselbe verkehren zu lassen, alsdann betrachtet ihn Gott als Einen[BN 1], der ihm geliehen hat und von ihm Zinsen zu empfangen berechtigt ist, und als einen Freund, der für Seinen Willen gegen die Macht der Feinde gekämpft hat.
Dieß ist die Bedeutung des Spruchs: „Betet, daß ihr nicht in Versuchung gerathet!“
Ferner bete auch, daß du nicht in Versuchung gerathest durch die Kräfte Satans wegen deines Hochmuths, sondern aus Liebe zu Gott und damit seine Kraft in dir triumphire!
Bete, daß du nicht versucht werdest wegen der Thorheit deiner Gedanken und Werke, sondern damit du als Freund Gottes bewährt werdest und seine Kraft in deiner Standhaftigkeit verherrlicht werde!
Über die Barmherzigkeit, welche unser Herr auch in diesem Punkte beweist, indem er sein Wort der menschlichen Schwäche angepaßt hat.
Unser Herr hat sich aber gemäß seiner Güte barmherzig erwiesen auch in dieser Hinsicht, wenn wir die Versuchungen des Leibes betrachten, indem er die Schwäche der Natur berücksichtigte, damit sie nicht etwa, wenn sie angegriffen würde, wegen der Armseligkeit des Leibes dem Andrange der [330] Versuchungen nicht Widerstand leisten könne und in Folge dessen auch, durch die Leiden überwunden, von der Wahrheit abfalle.
Deßhalb hat er uns befohlen, uns so viel als möglich davor zu hüten, daß wir uns nicht freiwillig der Versuchung aussetzen; und nicht nur Dieß, sondern wir sollen sogar beten, daß wir nicht einmal zufällig in eine solche gerathen, wenn es uns möglich ist, ohne sie Gott wohlzugefallen.
Wenn aber eine sehr hohe Tugend erworben werden muß, welche von Versuchungen begleitet ist, so kann jene Tugend nicht zur Vollkommenheit gelangen, wenn man diese nicht übernehmen will, mögen sie auch noch so furchtbar sein.
In einer solchen Zeit dürfen wir keine Rücksicht auf uns oder irgend einen Anderen nehmen; selbst aus Furcht darfst du dann nicht diese große Sache, auf welcher das Heil deiner Seele beruht, unterlassen und das Wort: „Betet, daß ihr nicht in Versuchung gerathet,“ als einen Vorwand für deine Feigheit benutzen. Denn so handeln Diejenigen, von welchen gesagt ist, daß sie unter dem Scheine der Gebote verhüllt sündigen.
Ferner, wenn Jemand in Gefahr steht, eines der Gebote Gottes zu brechen, entweder das Gelübde der Keuschheit oder die heilige Ordensregel oder das Bekenntniß des Glaubens oder das Zeugniß für das Wort Gottes oder die sorgfältige Beobachtung der Schranken der übrigen Gebote, und er unvermeidlich fallen würde, wenn er sich vor den Versuchungen fürchtete, dann muß er mit vollkommenem Vertrauen den Leib für Nichts achten, seine Seele Gott überantworten und im Namen des Herrn sich denselben aussetzen.
Und Derjenige, welcher mit Joseph in Ägypten war und dessen Keuschheit bezeugte, welcher mit Daniel in der Löwengrube und mit Ananias und dessen Gefährten im Feuerofen war, welcher bei Jeremias in der Schlammgrube war, ihn daraus errettete und dem Heere der Chaldäer Mitgefühl für ihn einflößte, welcher mit Petrus im Gefängnisse war und ihn durch die verschlossenen Thore hinausbrachte, [331] welcher dem Paulus in den Versammlungen der Juden beistand, und um Alles zusammenzufassen, welcher in jeder Generation seinen Dienern in allen Ländern und Orten half, seine Allmacht an ihnen bewies, ihnen Sieg verlieh und sie auf überaus staunenswerthe Weise bewahrte, so daß sie seine Erlösung deutlich schauten in der Zeit ihrer Drangsale, der wird ihn stärken und bewahren inmitten der Anstöße, von welchem er umringt ist.
Er möge also in seiner Seele den Eifer der Machabäer annehmen gegen den unsichtbaren Feind und seine Streitschaaren, sowie den Eifer der übrigen heiligen Propheten, Apostel, Martyrer, Bekenner und Einsiedler, welche die göttlichen Gesetze und die Gebote des (heiligen) Geistes an furchtbaren Stätten und in schweren schrecklichen Versuchungen aufrecht erhielten, welche die Welt und den Leib hinter sich geworfen hatten, in ihrer Standhaftigkeit ausharrten und der gleichmäßig auf Leib und Seele lastenden Gewalt nicht unterlagen, sondern heldenmüthig triumphirten!
Und siehe, die Geschichten einiger Wenigen von den Vielen, deren Namen im Buche des Lebens bis zur Wiederkunft unseres Herrn aufgezeichnet stehen, sind auch durch die Fügung Gottes zu unserer Belehrung und Ermuthigung in den Büchern aufbewahrt, nach dem Zeugnisse des seligen Apostels,[34] damit wir dadurch über den Weg Gottes unterrichtet und belehrt werden sollen, indem wir ihre Geschichten als Vorbilder unseres Lebens unseren geistigen Augen vorhalten, uns an ihnen ein Beispiel nehmen und die Wege unseres Wandels dem Muster dieser unserer Vorfahren ähnlich machen.
Das göttliche Wort erquickt die verständige Seele, wie eine fette, den Körper stärkende Speise einen gesunden Gaumen.
Anmuthig sind die Erzählungen von den Gerechten für das Gehör der Einfachen, wie stetes Begießen für junge Pflanzen.
[332] Betrachte die Anhörung der Führungen, welche Gott den Vorvätern hat angedeihen lassen, als ein kostbares Heilmittel für verfinsterte Augen, und bewahre die Erinnerung daran alle Stunden des Tages hindurch in dir! Beschäftige dich damit, denke darüber nach und laß dich dadurch unterrichten, auf daß du wissest, das Gedächtniß der Herrlichkeit Gottes in deiner Seele in Ehren zu halten, und für dich selbst das ewige Leben findest in Jesu Christo, dem Mittler zwischen Gott und den Menschen, der aus Beiden geeint ist, welcher, obgleich selbst die Legionen der Engel die den Thron seiner Herrlichkeit umgebende Glorie nicht anzuschauen vermögen, doch um deinetwillen verachtet und demüthig auf Erden erschienen ist, indem er weder Ansehen noch Schönheit hatte,[35] und, da seine Erscheinung der Wahrnehmung durch geschaffene Wesen nicht zugänglich war, in dem Vorhang[36] aus unseren Gliedern seine Menschwerdung zur Errettung des Lebens Aller vollbracht hat!
Dieser ist es, welcher viele Völker entsühnt hat,[37] und auf den der Herr unser aller Sünden gelegt hat, nach dem Worte des Isaias:[38] „Der Herr wollte ihn der Erniedrigung und dem Leiden unterziehen.“ Die Sünde ist auf ihn gelegt worden, obgleich er Nichts von Sünde wußte.[39] Ihm sei für Das, was er in allen Zeitaltern zu unserem Heil gewirkt hat, Ehre, Verherrlichung, Danksagung und Anbetung dargebracht von Ewigkeit, jetzt und immer und in die Ewigkeit der Ewigkeiten, Amen!
(Aus Cod. add. Mus. Brit. 14633, f. 7—12. Vgl. die griechische Übersetzung, S. 462—472 und 270—280.)
- ↑ Das syrische Wort, welches wir hier und weiterhin in Ermangelung eines bezeichnenderen deutschen Aequivalents mit „Leidenschaften“ übersetzt haben, entspricht den πάθη des Aristoteles und den passiones der Scholastiker. Es sind darunter zunächst die Regungen des niederen Strebevermögens zu verstehen oder sinnliche Begierden, Freude, Schmerz, Zorn u. dgl. Die lange, ziemlich unfruchtbare Controverse unseres Isaak gegen seelische Passionen läßt sich dadurch rechtfertigen, daß die Seele dieselben allerdings nicht aus sich hat und nur durch ihre Vereinigung mit dem Körper die dazu nothwendigen Organe erhält.
- ↑ Die griechische Übersetzung gibt dieser Überschrift die Form einer Frage, mit welcher sie den Text des Abschnitts beginnt; als Überschrift hat sie dagegen hier folgende Worte: „Fragen und Antworten über die Seele, die Leidenschaften und die Reinheit des Geistes.“
- ↑ So nach dem syrischen Original. Die griechische Übersetzung hat: „durch die tadelnswerthen Leidenschaften des Leibes.“ Beide Lesarten unterscheiden sich im Syrischen nur durch einen Buchstaben.
- ↑ Selbstverständlich dispensirt Gott nur von dem positiven, niemals von dem Naturgesetz. Die Beispiele passen übrigens weder auf das Eine noch auf das Andere.
- ↑ Die eingeklammerten Worte fehlen in der syrischen Handschrift und sind aus der griechischen Uebersetzung entnommen.
- ↑ Galat. 5, 17.
- ↑ Die griechische Übersetzung hat diese Überschrift als Frage im Context.
- ↑ Eine syrische Variante und die griechische Übersetzung haben: „eine Läuterung durch das Göttliche.“
- ↑ Von hier an hat die griechische Übersetzung folgenden ganz abweichenden Schluß des Abschnitts: „Diejenigen, welche die Leidenschaften durch Tugenden besiegen, werden zwar durch Gedanken und Angriffe jener vier Ursachen beunruhigt, aber nicht überwunden. Denn sie haben Kraft, und ihr Geist wird zu guten und göttlichen Erinnerungen hingezogen.“
- ↑ In der griechischen Übersetzung steht auch diese Überschrift als Frage im Context.
- ↑ Vgl. Röm. 11, 16.
- ↑ Im Griechischen beginnt hier ein neues Kapitel mit der Überschrift: „Ueber die Sinne, sowie über die Versuchungen.“
- ↑ Die griechische Übersetzung und eine syrische Variante haben: „durch die Aussendinge versucht werde.“
- ↑ Die syrische Handschrift hat hier folgende Randglosse, welche von der griechischen Uebersetzung in den Text aufgenommen ist: „Unter diesem Zustand ist der naturgemäße Zustand zu verstehen und die Lauterkeit, welche der Erlangung irgend einer Erkenntniß vorhergeht. Deßhalb fällt es Denen, welche sich mehr mit der Welt eingelassen haben, weit schwerer sich zu läutern, weil sie viel Böses kennen gelernt haben.“
- ↑ Die griechische Uebersetzung hat hier einen den Zusammenhang unterbrechenden Zusatz über die Nothwendigkeit der Wachsamkeit.
- ↑ Unter dieser ist der Reinigungsweg, unter jener der Erleuchtungsweg zu verstehen.
- ↑ Man soll das thätige Leben oder die Werke der Barmherzigkeit nur aus dem Beweggrund der Liebe Gottes und der auf dieser beruhenden Menschenliebe ausüben, nicht aber, um sich durch äusserliche Geschäftigkeit zu zerstreuen.
- ↑ Vgl. Matth. 25, 40.
- ↑ Die folgenden drei Absätze sind in der griechischen Übersetzung wegen ihrer Schwierigkeit weggelassen.
- ↑ Vielleicht ist zu übersetzen: „eine leibliche Beschwerde“.
- ↑ Durch die übernatürliche Erleuchtung erkennt man den Nutzen der Leiden. Aber ungewöhnlich schwere Leiden sind nur Dem willkommen, welcher schon zum Vereinigungsweg vorgeschritten ist und dadurch gleichsam die ursprüngliche Vollkommenheit der menschlichen Natur wieder erlangt hat.
- ↑ Diese letzte Beschauung ist die unmittelbare Gemeinschaft mit Gott in der passiven Kontemplation, welche Isaak am Schlusse des folgenden Absatzes die „göttliche Theorie“ nennt.
- ↑ Die erste Beschauung oder Gotteserkenntniß ist die unmittelbare der Engel, welche auch die Menschen im ursprünglichen Zustand besaßen. Im gefallenen Menschen folgt auf die Reinigung durch Buße und Tugendstreben zunächst die Erleuchtung durch eine Erkenntniß, welche noch von der sinnlichen Erfahrung ausgeht und durch Schlüsse folgert. Eine höhere Stufe der Erkenntniß ist die unmittelbare und rein geistige der Vollendung oder Vereinigung, welche zur göttlichen Theorie oder passiven Kontemplation führt.
- ↑ Die Vermittlung der Erkenntniß durch die Sinne und die Reflexion im Erleuchtungsweg trennt den Geist noch wie eine Umhüllung von der unmittelbaren Verbindung mit Gott und dem Ruhen in ihm, welche im Vollendungsweg eintreten.
- ↑ Vgl. Num. 11, 33; Psalm 77, 30.
- ↑ Matth. 6, 7.
- ↑ Matth. 6, 31.
- ↑ Matth. 6, 28. 33.
- ↑ Das im Folgenden stets mit „Versuchung“ übersetzte Wort bedeutet im Syrischen auch „Prüfung“ durch Leiden oder Verfolgung, also eine indirekte Versuchung zu Ungeduld, Verzweiflung oder Abfall. Die Versuchungen in diesem Sinne nennt Isaak „leibliche“, die im gewöhnlichen Sinne „seelische“.
- ↑ Vgl. Matth. 26, 41; Luk. 13, 24; Matth. 10, 28. 39.
- ↑ Matth. 10, 38.
- ↑ Matth. 20, 22.
- ↑ Die griechische Übersetzung hat auch diese Überschrift als Frage im Text.
- ↑ Vgl. Röm. 15, 4.
- ↑ Vgl. Isaj. 53, 2.
- ↑ Vgl. Hebr. 10, 20.
- ↑ Von hier an bis zur Doxologie ausschließlich fehlt der Schluß in der griechischen Übersetzung.
- ↑ Isaj. 53, 10.
- ↑ Vgl. Isaj. 53, 6; II. Korinth. 5, 21.
Berichtigungen und Nachträge
- ↑ S. 329, Z. 15 lies: „als einen, der Ihm geliehen hat, als Seinen Hausgenossen und als einen Freund“ u. s. w. Berichtigungen und Nachträge, S. 409