Die zehn Gebote (Hermann von Bezzel)/Zweites Gebot III
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Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir bei seinem Namen nicht fluchen, schwören, zaubern, lügen oder trügen, sondern denselbigen in allen Nöten anrufen, beten, loben und danken.
Was ist euer Leben? Ein Dampf ist’s, der eine kleine Zeit währet, darnach aber verschwindet er. Dafür ihr sagen solltet: So der Herr will und wir leben, wollen wir dies oder das tun. Jak. 4. 14, 15.
Das ist der Schluß der Auslegung des zweiten Gebotes, das soll auch der Schluß der Erbauungsstunden in diesem Raume und in diesem Jahre sein. Es ist in diesen Worten die größte Tat empfohlen und der beste Rat gegeben.
Zur größten Tat am Ausgang des Jahres der beste Rat! Man gibt euch jetzt allerlei gute Ratschläge, jeder Neujahrswunsch, der an euch tritt, ist ein guter Rat. Die Einen sagen euch: denkt nicht was morgen sein wird, man kann es doch nicht ändern, es ist alles fest beschlossen, es ist gut, daß man nicht weiß, was kommt, es ist sehr gnädig, daß die Zukunft verborgen ist, wir wollen ihren Schleier nicht lüften; wie schwer wäre es, wüßte man, was das nächste Jahr bringt. Die anderen sagen: vertrau deinem Stern, der wird dich recht leiten und deinem Arm, der wird die Welt teilen! So gibt es unter Weltmenschen und unter Christen manchen guten Rat. Aber der beste heißt doch, den Namen Gottes in allen Nöten anrufen und beten.
| In allen Nöten! Da ist zuerst die Not der Ungewißheit. Was ist euer Leben? Ein Dampf ist es, eine Rauchsäule, die sich ein wenig über die Niederungen der Erde erhebt, so glänzt die Sonne hinein und die Rauchsäule spielt in allerlei bunten, frohen Farben, hier drückt der Nebel sie nieder und der Rauch sinkt zu Boden – man weiß nicht, ob er gen Norden sich richtet oder gegen Süden geht, man sieht nicht, ob er hoch steigt oder bald zur Seite sich wendet – und ehe man’s sich recht überlegt, ist er zerflattert als eine dünne Luft. Was hülfe es dem Menschen, wenn diese Rauchsäule sonnig beglänzt wäre, und er nähme Schaden an seiner Seele? Und was schadet es dem Menschen, wenn diese Rauchsäule immer im Dunkeln sich fortschleicht, und er gewinnt Jesum Christum seinen Herrn! Es ist eine schwere Not die Ungewißheit, daß ich keinen Augenblick meines Lebens sicher und gewiß sein kann; daß ich heute in die Stadt kann, die morgen mir das Grab bereiten kann, heute ein Werk beginne, um es morgen einem andern zur Fortsetzung zu überlassen. Es ist eine große Ungewißheit: was wird das neue Jahr bringen? Hat es in den Falten seines Mantels den Frieden? Bringt es mit strengem, harten Antlitz den Krieg? Wird es unsere Kirche, so wie sie jetzt gefügt und geformt ist, noch weiterleben sehen, oder wird diese Kirche langsam sich anders formen und gestalten? Wird dem Massenabfall auf der Kanzel und unter der Kanzel wirksam begegnet und der hl. Geist mit neuer Kraft sich am Werke erzeigen oder wird der Herr seine Hand zurückziehen und kräftige Irrtümer werden das Feld behaupten? Was wird in meinem eigenen Hause sich vollziehen? Werde ich an Gräber geführt werden, wo ich’s am wenigsten meine, und werde ich die Schwierigkeiten, die ich am meisten fürchte, erleben müssen? Werde ich selbst das Jahr überdauern und ihm die Zeit abgewinnen und diese Zeit recht ausnützen können? Oder wird mich| das Jahr in die Stille führen und in den Staub legen? Es ist peinigend, so ungewiß einer Größe gegenüber stehen, die man doch beherrschen soll! Sonst wird jede Aufgabe ein wenig dir vorher zergliedert und erklärt; du sagst vielleicht, wenn ich ihre Schwierigkeit ganz gekannt hätte, hätte ich sie nicht übernommen – aber etwas ahntest du doch von ihr! Dagegen die nächste erste Pflicht, ein Jahr zu durchleben, ist zugleich die Pflicht dem völlig Ungewissen gegenüber. Und nun wes soll ich mich trösten, da jede Stunde mir ein neues Rätsel ist und jeder Tag neues Geheimnis bringt? Ich hoffe auf dich! Unsere Väter liefen zu Dir und wurden nicht zu schanden, zu Dir riefen sie und Du halfst ihnen aus! Wenn ich alles bedenke, wie Du von der Welt her gerichtet hast, so werde ich getröstet. Ich will den Namen Gottes in der Not der Ungewißheit anrufen: „Sei mir ein starker Hort, dahin ich immer fliehen möge, der Du zugesagt hast, mir zu helfen!“ Wenn alles ungewiß ist, „sei Du mir nur nicht schrecklich, meine Hilfe zur Zeit der Not!“ Du einiger Fels wandle dich nicht für mich – wenn ichs gleich verdient habe – in Flugsand, daß ich nicht mehr wüßte, wo mein Fuß ausruhen und Stand haben kann!Sei du mir nicht schrecklich, meine Hilfe zur Zeit der Not!
Und zur Not der Ungewißheit kommt als andere Not: die Not der Gewißheit. Diese Not, daß ich nicht weiß, was morgen sein wird, das ist nicht mehr Ungewißheit, sondern die allergrößte Gewißheit! Die Gewißheit, daß der Morgen der letzte sein kann und daß ein Morgen der letzte sein muß. Eine schreckhafte Gewißheit: daß ich sterben muß, daß ich Wünsche anlege, die die Zeit nicht einlöst, Arbeiten beginne, die die Zeit nicht fertig bringt, Vorsätze fasse, die an meinem Grabe unerfüllt stehen! Eine furchtbare Gewißheit, daß ich sterben muß! Und| manchmal will uns die Sorge beschleichen, ob überhaupt unsere Arbeit noch einen Wert hat, weil sie ja doch aufhört, und ob unsere Treue überhaupt Bedeutung hat, weil ja doch alles ein Ende nimmt. Eine Menge schwerer Gewißheiten, die dadurch nicht leichter werden, daß man ihnen ins Auge zu sehen sich weigert, sondern je weniger du sie mit Ernst ins Auge faßt, desto stiller werden sie, um auf einmal aus der Stille wie ein gewappneter Mann hervorzubrechen und dich zu zermalmen. Folge meinem Rat, er ist treu gemeint und ich darf sagen, wohl erprobt: denke fleißig an das Allergewisseste deines Lebens: „Ach Herr lehre doch mich, daß es ein Ende mit mir haben muß und mein Leben ein Ziel hat, und ich davon muß. Lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden.“ Die ihr nicht wißt, was morgen sein wird, aber wohl wißt, was morgen nicht mehr sein wird: euer Leben! In dieser schweren Not, daß ich täglich arbeiten muß um der Gewißheit des Nimmer-Arbeitens entgegen zu kommen, in dieser schreckhaften Gewißheit, daß diese lebhafte Hand bald kalt und starr und das frische Auge bald stumpf und still stehe, in dieser niederdrückenden, ja fast entkräftenden Gewißheit flüchte ich zu dem, der der Quell alles Lebens ist: hast du mich dazu geschaffen, daß ich den Staub vermehre? Hast Du mich dazu beten lehren, daß ich meines Gebetes nie froh und seiner Erhörung nie teilhaftig werde? Hast Du mir dazu Deinen Sohn gesandt, daß man sein Kreuzeszeichen an meinem Grabe aufpflanze, ein Zeichen des Todes an der Stätte des Todes? Aber indem ich in dieser großen Not, die so demütigt und entmutigt zugleich, zu meinem Herrn flüchte, höre ich: Fürchte dich nicht, ich war tot und bin lebendig geworden! Und aus der das Leben verneinenden und zerstörenden Gewißheit des Todes blüht durch die österliche Gnade des Todes Jesu Christi die siegreiche Gewißheit des Lebens auf: Ich lebe und ihr sollt| auch leben! Tod wo sind nun deine Schrecken? Seht, das ist es, was wir euch raten in dieser Stunde, daß ihr in den Nöten des Todes, in den Schrecken, wenn ihr euch selbst begrabt, zu dem hinflüchtet, der dem Tode die Macht genommen und Leben und unvergängliches Wesen an das Licht gebracht hat, und daß ihr den Saum des Gewandes eures Lebensfürsten anrührt: sprich zu meiner Seele: Ich bin dein Jesu, deine Hilfe, dein Trost und Erretter.Und zu der Not der Ungewißheit und der Not der Gewißheit: die Not der Alltäglichkeit! Der Alltäglichkeit, die wir an jedem Morgen als neu erblicken, obwohl wir wissen, daß sie am Abend genau so niederdrückend ist: immer noch auf Erden, immer noch in Sünden, der gute Vorsatz des Frühgebetes nach zehn Minuten vom Feinde höhnend zerpflückt, der Anlauf zur Heiligung nach wenigen Stunden von dem Todfeind meiner Seligkeit lächelnd aufgehalten! Und jeder Tag mit derselben schauerlichen Rechnung: früh eine Summe von Versprechungen und am Abend der keines gehalten! In der Angst, daß Er einmal meine Versprechungen gar nicht mehr hören, dagegen meine Meineide wägen und zählen werde, in der allerschwersten Anfechtung, daß Er meiner vergessen müsse, weil ich sein so oft vergessen habe, rufe ich zu ihm, „denn bei Dir ist die Gnade und viel Erlösung bei Dir.“
Jeder der 365 Tage hat es mir bezeugt, bekräftigt, versiegelt, wie gnädig der Herr ist; so rufe ich in der schweren Not, daß ich mir selber allzu treu bleibe und nicht anders werde, zu Dir: wende Du mich, bekehre Du mich, ich gebe mich Dir ganz zu eigen; hier ist mein Wille, zerbrich ihn, zermalme ihn, verwirf ihn, nimm ihn, wenn es sein soll, aber verwirf mich nicht! Hier ist mein Weg, verzäune ihn, verbaue ihn, verkürze ihn, aber laß ihn nicht im Abgrund enden! Hier ist mein Wesen, nimm alles was lebenswert an ihm scheint, mache mich zu einem Deiner Tagelöhner,| aber daß dein Tagelöhner nicht von dir verworfen werde, daß ich nicht ein Tagelöhner des Feindes sein müsse, der meiner Seele unablässig nachstellt! – Seht, das heißt man in allen Nöten anrufen, vor der Gnadentüre nicht mehr zaghaft pochen wie einer, dem gar nichts daran liegt, ob geöffnet wird oder nicht, sondern hinstürmen mit seiner Not: hier liege ich vor der Türe deines Hauses, schreite über mich hinweg, aber verwirf mich nicht! Der Du dem sinkenden Petrus die Hand darreichtest, daß er nicht versank, und dem verleugnenden Petrus das Auge zuwandtest, daß er nicht verzweifelte, der Du aus Tränen und Reue Deiner Knechte Dir den liebsten Dienst bereitest, verwirf uns nicht und vergiß unser nicht! Aus der schwersten Not, daß dieses Leben mit einem furchtbaren Mißklang wie zerrissene Saiten abtönen möge, aus der schwersten Not, daß meine letzte Stunde jäh in der Hölle erwache, rufe ich Herr zu Dir! Das heißt man in den Nöten der Ungewißheit und der Gewißheit und der Alltäglichkeit zu ihm rufen. Wie dort das arme Weib den Richter übertäubte, daß er schließlich nachgab und ihr Huld erzeigte, so laßt uns unserem Gott Jesu Christi Bild vorhalten, daß Er uns gnädig werde, und ihn auf das Leiden seines Sohnes hinweisen mit der Berufung: dieser ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben; „das Blut Jesu Christi Deines Sohnes macht mich rein von aller meiner Sünde“, und um seinetwillen sei mir gnädig! Dieses Anrufen ist, ich möchte sagen, die Stimme der Seele und das Beten ist die Stimmung der Seele. Denn darauf kommt es an, daß im neuen Jahre unsere Seele immer zum Gebet gestimmt sei. Was erbitte ich euch Besseres und mir Größeres als diese adelige Gesinnung der Seele, das Heimweh, das Verlangen nach dem Herrn, diese Feierabendstimmung mitten im Drang der Arbeit, diese Stille im Herrn mitten im Brausen der Welt, daß unser ganzes Wesen in ihm begründet und versenkt sei!| „Ich habe dich je und je geliebet“, ruft Er uns zu und wir antworten in tiefster Bescheidung: dieser Liebe will ich mich allezeit freuen und trösten.Gebetsstimmung! Jetzt werden, wenn der Schnee die Straßen bedeckt, ringsum alle Wege gereinigt, daß der Fuß nicht stille stehe oder strauchle; so reinige du auch, wenn allerlei Weltrat und Weltwesen deine Seele bedeckt und wenn das Schneetreiben von Zweifeln und Bedenken in dein Herz einzieht und die Wegweiser in die Heimat verweht und verschüttet und die Fingerzeige alle vergessen sind, so reinige auch du mit Fleiß dein Herz und bitte ihn um die Feierstimmung der Seele! Meine Seele denket allezeit an Dich! So in allen Nöten anrufen und beten! Betende Menschen sind tätige Menschen, betende Menschen sind leidende Menschen, die je mehr sie tun, desto mehr leiden und je mehr sie leiden, desto mehr tun.
So wollen wir in das neue Jahr hinein gehen mit dem einfachen Gelübde, das St. Jakobus, der Mann praktischen Gebets, uns eben vorgesprochen hat: So der Herr will und wir leben, wollen wir dies und das tun! Wir wollen den Namen des Herrn verkündigen unseren Brüdern, den Armen und Kranken, seine Liebe durch die unserige erzeigen, nicht allein den Gütigen und Gelinden, sondern auch den Wunderlichen! Wir wollen an uns selber arbeiten in der Stille und an uns arbeiten lassen mitten im Treiben der Welt. Wir wollen unsere Hände ausstrecken zur Tat, noch lieber aber, daß wir gebunden werden und geführt dahin und auf den Weg, den wir nicht wollen, aber doch gehen sollen.
So fassen wir den Dank und des Dankes Großtat in das Bekenntnis zusammen und in den Wunsch: „Dein Name werde geheiligt, Dein Reich komme!“
Und das Anliegen unserer Gebete in der schweren Not fassen wir in die Bitte: „Dein Wille geschehe wie im Himmel| also auch auf Erden!“ In der Heimat geschieht er mit lauter Lust, mit seligem Frohlocken als Lebenselement und Lebensinhalt. Hilf, daß die Fremde durch den Gehorsam zur Heimat werde und die Heimat aus der Fremde uns endlich aufnehme!
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