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Die zehn Gebote (Hermann von Bezzel)/Achtes Gebot I

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Die zehn Gebote (Hermann von Bezzel)
Achtes Gebot II »
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Achtes Gebot I.
Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten!

 Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir unsern Nächsten nicht fälschlich belügen, verraten, afterreden oder bösen Leumund machen; sondern ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum besten kehren.

 Die Zunge kann kein Mensch zähmen, das unruhige Uebel voll tödlichen Gifts. Durch sie loben wir Gott, den Vater, und durch sie fluchen wir den Menschen, die nach dem Bilde Gottes gemacht sind. Aus Einem Munde gehet Loben und Fluchen. Es soll nicht, lieben Brüder, also sein. Jak. 3, 8–10.


 In der Einleitung zum achten Gebot sagt unser großer Katechismus, der Mensch habe das Gut des Lebens, des ehelichen Gemahls, des Vermögens, aber ein Gut müsse er haben, damit er der drei andern in Frieden sich erfreue: das sei das Gut der Ehre. Ehre ist das, was ein Mensch durch Eifer der Heiligung, durch Ernst der Selbsterziehung sich erworben und erarbeitet hat, und was andere gelten lassen müssen, auch wenn sie nicht wollen. Amtsehre, Berufsehre, Hausehre sind Dinge, die uns durch das Amt, durch den Beruf vermittelt und gegeben werden, und darauf kommt es an, daß ein jeder unter uns der Gabe der Ehre, die ihm sein Gott gönnt, sich würdig erweist und diese Gabe in seinem Wandel bewahrt. Was hilft dich Amtsehre, wenn du deinem Amt nicht vorstehst? Was gilt Hausehre, wenn du sie durch deinen Wandel befleckst? Was will die Ehre deiner Familie bedeuten, wenn du nicht selbst dich ihrer| würdig erzeigst? Aber die Ehre ist dem Menschen notwendig, sonst stirbt er bei lebendigem Leibe. Ein Leben ohne Ehre ist ein Leben voll Lüge. Ein Mann, der seine Mannesehre preisgibt, hört zwar nicht auf Mensch zu sein, aber er ist nicht mehr Mann, kann nicht mehr als solcher gelten und kann sich nicht mehr zur Geltung bringen. Wer mit seiner Frauenehre spielen läßt, hört nicht auf Mensch zu sein, aber die weibliche Würde und die Zartheit ist solch einem armen Menschenkinde genommen und es betört sich, wenn es in Ehren zu sein glaubt. Weil wir die Ehre notwendig gebrauchen, weil jeder Mensch ein Räumlein haben muß, in dem und durch das er etwas gilt, muß es uns furchtbar ans Herz greifen, wenn man uns unsere Ehre anrührt. Alles kann ein Mensch lassen: Gut, Freundschaft, Leben, Glück, aber seine Ehre darf er sich nicht nehmen lassen, auch vor Gott nicht, denn er hat sonst seinen Beruf verfehlt und seines Schöpfers und Königs vergessen. Wie wird die Ehre des Menschen so leicht angetastet und wie oft versetzten und verwunden wir, die wir so empfindlich sind, die fremde Ehre! Wie schnell sind wir mit einem Urteil zur Hand, das, wenn es wahr ist, nicht freundlich, und wenn es freundlich ist, nicht wahr ist! Wie eilen wir mit unserer Kritik, deren letzter Ausgang nicht das Lob der Nächstenehre ist! Du sprichst irgend ein Wort aus gegen deinen Nebenmenschen, das falsche Vorstellungen erweckt und denkst nicht daran, daß du deinen Nächsten um das Ansehen bei den andern gebracht hast. Während du bei dir selbst so empfindlich und zartfühlend bist und viele erklärende Gründe für dich findest, magst du bei dem Nächsten das Entschuldbare nicht einmal andeuten. Du kannst für das Verhalten deines Nächsten selten einen Milderungsgrund angeben und bemühst dich, ihn in möglichst dunklem Licht erscheinen zu lassen.
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 Es wird wohl gut sein, wenn wir, ehe wir auf die Auslegung des achten Gebotes eingehen, über die Zungensünden| ein Wort sprechen. In unsere Mitte tritt der apostolische Mann, Jakobus, und zeigt uns die Wunder der Zunge und die Wunden der Zunge. Er zeigt an, wie doch die Zunge ein so klein Ding sei, weit kleiner als das Steuerruder und der Zügel, den man dem Pferde ins Maul legt; durch den Zügel wird das Pferd regiert und die großen Schiffe durch das kleine Steuerruder gelenkt. Die gewaltigsten Schiffe, die moderne Kunst gebaut hat, werden durch ganz kleine, unscheinbare Maschinen regiert. Solche Wunder vollbringt auch die Zunge. Ein kleines Glied, kann es die ganze menschliche Kreatur, Verhältnisse, Werke, ordnen und weise regieren, wie dort der Hauptmann zu Kapernaum durch ein Wort seine Diener regiert: Gehe hin! so geht er. Komm her! so kommt er. Ein einziges Wort, das Wort eines einzigen Menschen kann einen ganzen Staat regieren. Vor jetzt 50 Jahren hing ganz Europa jeden 1. Januar mit Spannung an dem Munde Napoleon III., ob er den Krieg oder den Frieden anzeige. Ein einziges Wort in den Tuilerien gesprochen, ging durch die ganze Welt, regierte Staaten, Völker, Stimmungen und die Gestaltung der Dinge. Welches Wunder ist die Zunge! Das einzige Wort Pius IX., daß der Papst, wenn er vom Throne herabrede, fehllos sei, hat den ganzen Katholizismus verändert, und ungeahnte Wirkungen hervorgebracht. Das eine Wort, das dort die verführerische Gewalt im Paradiese sprach: „Sollte Gott gesagt haben?“, hat ein ganzes Menschengeschlecht in das Weh des Zweifels, die Angst der Unsicherheit, in Sorgen und Schrecken des Todes versetzt und versenkt. Welch ein Wunder der Zunge! Das einzige Wort, das der aus dem Grabe wieder Auferstandene gesprochen hat: „Friede sei mit euch!“, ist bis zu dieser Stunde stark und groß genug, ein armes Menschenleben zu bereichern, froh in der Trauer, stark im Opfer und getrost in Führungen und Fügungen seines Gottes| zu machen. Welch ein Wunder ist die Zunge! Und welche Wunden bringt die Zunge! Dort auf der höchsten Alp der Schweiz erhebt sich nächtens ein Windhauch, weht durch die hohen Bäume und wirft eine kleine Schneeflocke herab. Sie eilt und rollt von Berg zu Berg nieder und sagt es ihren Genossen, bis sie als Lawine fällt, und begräbt und verschüttet Menschen und ihre Habe und ihre Arbeit. Welch ein kleines Ding! Eine einzige Schneeflocke, die heimlich durch die Nacht geflogen, hat ein ganzes Tagewerk begraben! Am Waldesrand spielen achtlos und sorgenfrei die Kinder. Sie haben ein Feuer angezündet, vergessen aber, es zu löschen; ein Fünklein fliegt weiter, zündet, und ehe der Tag hinab zum Abend gesunken ist, sind Tausende von Bäumen in Asche gelegt: Ein kleines Feuer, welch einen Wald zündet es an! So ist auch deine Zunge, o Christenmensch! Sie kann einen Wald entzünden voll Unrecht und Unrat, aber auch eine Gottespflanze, ein Gewächs ihm zum Preis, bestimmt ihm zur Ehre – in Asche legen. Wie schön war dies Leben und du hast es zerstört! Es war ein Wort, das du im Vertrauen einer Freundin sagtest; die ging weiter und brachte es dort an; der Feind ging auf leisen Sohlen mit, hat dem Wort etwas von seiner verführerischen Gabe beigelegt, und ehe es Abend ward, stand ein Mensch an den Trümmern seines Glückes: Meister, wer hat mir das zugefügt? Und mit der Seele klagend und weinend spricht der Herr: das hat der Feind getan. Zuerst war es nur ein unbedachtes Wort. Es ist weit schwerer, nicht geistreich zu scheinen, als nicht ehrlich: es soll jedermann wissen, wie scharf du siehst. Dies eine Wort hat ein Menschenleben zertreten: wer kann eine zerstörte Blume wieder aufrichten, wer den abgebrochenen Ast wieder einpflanzen? Ein einziges Wort – welche Wunden schlägt die Zunge! Das ist das unbedachte Wort, das der Feind vergiftet und zersetzt hat. Siehe, deine Gebete sind laut und deutlich,| deine Gesänge sind klar und vernehmlich, dein gottesdienstliches Leben ist korrekt und löblich, aber du hast ein zweizüngiges Wesen. In der Kirche bist du fromm und außer der Kirche unfromm; in der Kirche lobst und preisest du und außer der Kirche redest du gegen deinen Nebenmenschen. In der Kirche schwingt sich deine Seele über die Niederungen des Lebens und außer der Kirche will sie nur in den Niederungen wohnen. Liebe Christen! Schlimmer als das böse Wort ist das zweideutige. Ich habe dich eben über einen Nebenmenschen sehr scharf urteilen hören, so scharf, daß ich mich nicht mit einer Entschuldigung hervorwagte, es schien alle Hoffnung für ihn begraben, und nun öffnet sich die Türe und der, den du eben getötet hast, tritt herein: dein Antlitz verstellt sich und leuchtet ihm entgegen, und deine Hand weiß die seine nicht zu lassen: es soll nicht also sein! Man nennt es Höflichkeit und guten Ton, im Himmel nennt man es Lüge, und in der Hölle freut man sich darüber. Der reiche Mann hat weniger Unrecht getan, aber er hat seine Worte nicht gemessen, er hat seine Rede nicht geheiligt, zu viel Worte für die Welt und zu wenig für ihr Leid gehabt: darum ward er gepeinigt. Wie schwer die Wunden und wie groß die Wunden der Zunge sind, will uns Jakobus klar machen, indem er sagt: „Die Zunge kann kein Mensch zähmen.“ Nichts ist dem Menschen zu schwer: die Schätze der Unterwelt hat er zutage gefördert, die Perlen des Meeres ans Tageslicht gebracht; jetzt will er das Luftreich beherrschen und durchmessen: nichts erscheint ihm zu schwer. Nur zwei Dinge vermag der Mensch nicht: er vermag dem Tode nicht zu entgehen und die Zunge nicht zu zähmen. „Wer aber auch in keinem Worte fehlet, der ist ein vollkommener Mann und kann auch den ganzen Leib im Zaum halten.“ Es ist aber nur einer, der sagen kann: „Welcher unter euch kann mich einer Sünde zeihen?“ Petrus bezeugt von ihm: in seinem Munde ist noch nie ein Betrug erfunden worden.| Wie armselig ist das Wort in dieser reichen Welt, in dieser weltweiten Zeit und doch wie ein Schlag in ihren Fortschritt, wie ein Hohn auf alle Kunst reicht es herein: „Die Zunge kann kein Mensch zähmen.“ Es haben sich viele aufgemacht, diesen Feind zu fällen und sie sind mit gebrochenem Schwert und Schild heimgekehrt. Es sind die Edelsten und Treuesten im Kampf mit diesem Übel gelegen, aber sie sind seiner nicht mächtig geworden. Mensch des 20. Jahrhunderts, dem die Welt zu eng, der Himmel zu nah, die Hölle zu fern ist, willst du es versuchen deine Zunge zu zähmen? Und ich sage es dir im voraus, denn ich weiß es: die Zunge kann kein Mensch zähmen. Nur einer vermag es, zu dem wir beten: „Schaffe in mir Gott ein reines Herz und gib mir einen neuen gewissen Geist!“ Und wenn ich meiner Zunge es abgewöhnen würde zu sprechen, so wäre sie doch nicht bezähmt: mein Herz würde das Unrecht denken, durch Mienen und Bewegungen würde ich das Unrecht tun. So furchtbar ernst ist es mit der Zungensünde. Alle anderen Sünden kann man sich durch die Kraft der Heiligung eher abgewöhnen, aber die Zunge kann kein Mensch zähmen, denn sie hält nicht stand, man ist ihr gegenüber machtlos. Was sollen wir nun tun, weil wir in der Ewigkeit nach unseren Worten gerichtet und verdammt werden? Einige kleine Mittel seien uns dargeboten: so oft du über einen Menschen urteilen mußt von Amts- und Berufswegen, bete: „Und wenn in meinem Amt ich reden soll und muß, so gib den Worten Kraft und Nachdruck ohn Verdruß!“ Merkwürdig, die Menschen, die sonst so schnell sind mit dem Reden, sind, wenn sie amtliche Urteile geben müssen, ängstlich und sorglich. Wenn du reden mußt, so rede klar; schone deinen Nächsten nicht, damit sich nicht das Wort wider dich kehre und dich verderbe. Ich greife in das Leben: heute wird bei dir ein Dienstbote entlassen, er hat dich oft betrogen und bestohlen, du könntest Tag und Stunde| der Tat nachweisen, weil du aber ein gutes Herz hast, schreibst du in seine Führung: „Allezeit treu und ehrlich.“ Du hast damit diesem Dienstboten einen Schaden zugefügt. Er wird dich in der Ewigkeit verklagen und der Herr wird dabei stehen und dir sagen: du hast ihn bestärkt in seinem Unrecht, die anderen betrogen, so fällt es auf dein Haupt. – Es ist ein Zeugnis über jemand abzulegen, der dir nahe steht. Es ist sinnliche Liebe, wenn du alles hervorsuchst, um deinen Liebling zu schmücken; seine Untugenden nennst du liebenswürdige Schwächen, seine Laster – charaktervolle Gewohnheiten, seine Schande ist leiser Schatten auf dem sonst so lichten und leuchtenden Bilde. Du liesest dein Urteil noch einmal durch und erliest mit, ihr beide wundert euch über die Unwahrheit und du hast sie gesprochen. Rede wahr!
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 Wo du nicht zu urteilen berufen bist, da suche deinen Nächsten möglichst zu verstehen; was du nicht verstehen kannst, das glaube; was du nicht glauben kannst, das hoffe, und wo du nicht mehr hoffen kannst, da laß Gott hoffen! Die fromme Legende erzählt: als einst der Herr mit seinen Jüngern ging, sahen sie am Straßenrand einen toten Hund liegen, der schändlich anzusehen war; während die Jünger sich unwillig abwenden von diesem Anblick, sagt der Heiland: Welch schöne Zähne hat dieses tote Tier! Wieviel kann man entschuldigen, wenn man sich selbst kennt! Die schärfste Kritik geht von denen aus, die sich nicht selbst ins Auge sehen. Ihr merkt es ja, wie weh es tut, wenn einer harmlosen Sache eine ungute Deutung gegeben wird. Ihr beschwert euch innerlich, indem ihr andere beschwert. Du weißt von deinem Nächsten ein Unrecht, es ist dir anvertraut worden. Warum sagst du das weiter? Ist es dir eine solche Freude, wenn dein Nächster fällt und verblutet? Bedecke, vergib und vergiß! Je mehr du in das Leben deines Nächsten hineinsiehst und dagegen deine eigenen Fehler bedenkst, desto milder wirst du gegen ihn werden.| So tief sind die Abgründe in dir und so wenig tief bei deinem Nächsten; und wenn sie noch so tief wären, an die deinen reichen sie nicht hinan. Von Franz v. Assisi wird erzählt, er habe sich nie einreden lassen, daß ein Mensch schlechter sei, als er. Denke oft daran, wie Gott dich täglich entlarven könnte und wie gnädig Er dich bedeckt und entschuldigt.

 Aber wie soll ich denn meine Zunge zähmen? Soll ich vorsichtig mit Worten sein, knapp in der Rede? Es wird gut sein, denn wo viele Worte sind, da ist viel Sünde. Gesprächige Leute sind noch mehr in Versuchung als wortkarge. Deine Zunge kannst du nur zähmen mit dem Ernst der Ewigkeit, dem Gedanken an die große Entscheidung des Gerichts.

 Jedes Jahr versenke ich mich in das Bild des reichen Mannes: wie arm war er und wußte es nicht; wie war er so zeitfroh und so ewigkeitsfremd. Wie viele, oder auch wie wenige denken an das, was sein wird, wenn sie nicht mehr sind; wie viele oder wie wenige haben den Ernst vor Augen und im Herzen, was es heißt: Gott gegenüber allein sein, im Gericht stehen, nicht mehr umkehren können, nicht mehr zur Seite blicken können, um sich von anderen trösten zu lassen, ganz allein dem Herrn Rede stehen und ganz allein dem Herrn fallen oder bleiben zu müssen. Wenn mehr Ewigkeitsernst unter uns wäre, mehr Zeitkraft bei uns, wenn wir mehr an den Ernst der Heimfahrt dächten, dann wären wir rüstiger auf der Wanderung. Es gibt kein Mittel, die Zunge zu zähmen, das wirklich verfinge, nur der Ruf: lehre mich meine Tage zählen, daß ich ein kluges Herz bekomme! Wenn ich jeden Tag als meinen Sterbetag durchlebe, den Schrecken des Todes durchleide, immer in dem Ernst des Gerichtes stehe, dann wird meine Zunge nur zwischen zwei Worten wechseln: erbarme Dich meiner! und: gib mir Frieden!

 So wollen wir von neuem jetzt, wo die festlose und pflichtenreiche Hälfte des Kirchenjahres wieder anhebt, in| den Kampf gegen die Zungensünden uns begeben! Ärgert dich dein rechtes Auge, reiß es aus und tue es von dir, und wenn es dein Liebstes ist; es ist besser blind daheim, als sehend in der Fremde! Ärgert dich deine rechte Hand, die schaffensfreudige, haue sie ab; besser ein Lazarus in Abrahams Schoß, als ein reicher Mann ferne von Gott! Und wenn deine Zunge dich ärgert, die zum Halleluja Gottes bestimmt ist, tue sie von dir, laß sie heiligen und reinigen, damit deine Worte dich nicht einst verklagen! Siehe, so ernst wacht der treue Gott über der Ehre des Nächsten und alle dem, was sie zerstört und gefährdet. Willst du nicht um dreierlei bitten: gib mir ein kurzes Wort, ein echtes Wort, ein lindes Wort? Gib mir ein kurzes Wort, daß ich schlicht rede, nicht schmücke, nicht ausmale, nicht übertreibe und nicht unterbiete! Gib mir ein echtes Wort: das Ja sei Ja, das Nein sei wahr, was ich meine sei deutlich, was ich rede sei reinlich, was ich urteile sei ganz mit meiner Persönlichkeit verbunden! Aber über alles gib mir ein lindes Wort. So gewiß ich einmal wünsche, das linde Wort zu hören: „Dir sind deine Sünden vergeben!“, so gewiß schenke Du mir das entschuldigende, das Gutes redende und alles zum Besten kehrende Wort, das nichts verschönert, wo nichts zu verschönern ist, wohl aber zudeckt, weil viel zu verbergen ist, ein Wort, das den Nächsten aufrichtet, indem es ihn straft, und ermutigt, indem es ihn zerbricht, und hilf, daß nicht einmal am Ende ein furchtbares Geschwader gegen mich zu Felde ziehe und mir den Eingang zur Heimat verwehre und dies Geschwader sind meine Worte, meine Urteile, meine Lieblosigkeiten und meine Bitterkeiten.

 O, wie weit, wie gar groß ist das Feld, darauf Er mich gestellt hat, das Feld der Worte und das Feld ihrer Fehler: „Führe Du die Sache meiner Seele und erlöse mein Leben!“

Amen.



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