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Die wunderbare Kohl-Wurzel

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Textdaten
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Autor: Otto Beneke
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Titel: Die wunderbare Kohl-Wurzel
Untertitel:
aus: Hamburgische Geschichten und Sagen, S. 155–158
Herausgeber:
Auflage: 2. unveränderte Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Perthes-Besser & Mauke
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Erscheinungsort: Hamburg
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Originalherkunft:
Quelle: Google, Commons
Kurzbeschreibung:
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[155]
63. Die wunderbare Kohl-Wurzel.
(1482.)

Es lebten um 1480 in dem Hamburgischen Dorfe Eppendorf, welches dem Kloster zu Harvestehude untergehörig war, zwei Schwestern bäuerlichen Standes, die hatten von ihren Eltern weiter nichts geerbt, als einen großen Kohlgarten, von dessen Ertrage sie sich nährten. Da sie nun nicht ganz wohl verträglich mit einander lebten, so theilten sie den Garten in zwei Hälften, damit Jede ihr eigen Stück Kohlfeld hätte und darauf nach Belieben schalten und walten könnte. Die älteste der Schwestern war fleißig und wartete des Gartens früh und spät, so daß es mit natürlichen Dingen zuging, wenn ihr Kohl und sonstiges Gemüse immerdar trefflich gedieh und von den Hamburger Feinschmeckern vorzüglich gesucht war, was ihr guten Gewinn brachte; während in dem Gartenlande der jüngeren Schwester, die faul war und sich um nichts bekümmerte, nur schlechtes Gemüse zwischen vielem Unkraut zu Tage kam.

[156] Darum beneidete diese ihre ältere Schwester, und meinte nicht anders, als daß ihr ein kräftig Geheimmittel zu Gebote stünde, davon ihr Kohl so wunderbar gedeihe. Und weil sowohl Neid als Habsucht sie trieb, nach ebenso trefflichem Kohl zu trachten, so verlegte sie sich in der Stille auf allerlei schwarze Kunst und Zauberei. Wer die Hexe gewesen ist, die sie berathen hat, steht nirgendwo geschrieben; aber mit gotteslästerlicher Absicht ist sie das nächste Mal zum heiligen Abendmahl gegangen und hat bei Austheilung des Sacraments die geweihte Hostie nicht genossen, sondern im Munde aufbewahrt, sodann aber heimlich herausgenommen, und in der folgenden Mitternachtsstunde in aller Teufel Namen in ihrem Garten unter einer jungen Kohlpflanze eingegraben.

Nicht lange darnach hat sich die gewünschte Wirkung solchen Zaubermittels gezeigt; das Unkraut verschwand von selbst, die Kohlpflanzen wuchsen und gediehen in solcher Schönheit, wie niemals in diesen Landen zuvor gesehen; der andern Schwester und aller Nachbarn ehrliche Kohlhöfe waren gegen diesen nur Kinderspiel, und aus Hamburg kamen Aufkäufer und Vorhöker und boten im Voraus große Summen für den herrlichen Ertrag des Gartens.

Inzwischen hatten die Nachbarn bemerkt, daß allnächtlich in diesem Garten ein Lichtschimmer funkelte; fragten also einmal die Eignerin, was sie denn noch Nachts mit der Leuchte dort zu handtieren hätte? worauf sie versicherte und betheuerte, sie wisse gar nichts davon. Als nun die Nachbaren genauer darauf achteten, gewahrten sie, daß das Licht keine Leuchte sei, sondern daß von einem der Kohlsträucher ein wunderbarer strahlenförmiger Glanz ausgehe, der die Pflanze fast wie ein Heiligenschein umgebe.

Solches Phänomen ist ihnen aber befremdlich vorgekommen, darum haben sie Anzeige davon gemacht zu Harvestehude [157] bei ihrer klösterlichen Obrigkeit. Darauf ist selbige in großer Procession mit vielen Priestern und Mönchen zu dem Garten gezogen, und an der bezeichneten Stelle hat man die Kohlpflanze ausgegraben, und allda ein Mirakel entdeckt. Denn die Wurzel gedachter Pflanze, die ungewöhnlich groß und stark gewesen,[1] hat das leibhaftige Bild unsres Heilandes am Kreuze gezeigt, so deutlich und augenscheinlich, daß Alle, die dabei gestanden, auf die Knie gefallen sind.

Diese wunderbare Kohlwurzel ist sodann ins Kloster zu Harvestehude gebracht, und allda in eine silberne Monstranz gefaßt, und auf Verlangen den Andächtigen gezeigt, die schaarenweise aus der Stadt und allen Landen ringsum herbeigezogen kamen, um das Wunder, davon die Geschichte in Jedermanns Munde, selbst zu sehen. Das begab sich im Jahre 1482.

Die Zauberschwester aber hat sogleich, als in ihrer Gegenwart das Geheimniß an den Tag kam, Alles gestanden, was Gotteslästerliches sie verübt, und bekannt, daß diese Kohlpflanze dieselbe sei, an deren Wurzel sie die heilige Hostie eingegraben. Darum ist sie billig dem Gerichte übergeben und nach dem Rechte an Leib und Leben gestraft worden.

Der Garten aber sank gleich, nachdem die Crucifix-Wurzel herausgenommen, in seine vorige Wüstenei zurück.

Ein halbes Jahrhundert später, als durch die Kirchen-Reformation in Hamburg Alles umgestaltet, und das Kloster Frauenthal zu Harvestehude zerstört war, kam die Monstranz mit der Wunderwurzel ins Johannis-Kloster zu Hamburg, welches nach Vertreibung der Mönche den lutherisch gewordenen Klosterjungfern eingeräumt war. Auch hier ist sie vielen [158] cüriösen Liebhabern von natürlichen und geistlichen Wunderwerken gezeigt worden, wodurch sie denn nach und nach so bekannt und berühmt wurde, daß Kaiser Rudolf II. nichts sehnlicher wünschte, als sie zu besitzen.

Als darum Ao. 1602 sein Gesandter, der Freiherr Ehrenfried von Minckwitz, in Hamburg in Matthiä Meyer’s Hause in der großen Reichenstraße residirte, da hat derselbe seines kaiserlichen Herrn bittlich Begehr denen Herren des Raths eröffnet, welche alsobald, um das Reichs-Oberhaupt dieser guten Stadt günstigst zu verbinden, es in die Wege gerichtet haben, daß am 17. Februar die Wunder-Wurzel dem von Minckwitz für seinen Gebieter ausgeliefert worden ist. Derselbige hat sie dann in Prag in Empfang genommen, und sich so herzlich darüber gefreuet, daß er dem Rathe einen ganz ausnehmend gnädigen Brief geschrieben, darin er sich bei ihm und den freundwilligen ehrbaren Klosterjungfern schönstens bedanket hat. Darnach ist diese Eppendorfische Wunder-Rarität in die kaiserliche Kunstkammer nach Wien gekommen, woselbst sie jedenfalls noch vor 100 Jahren gezeigt wurde, also vermuthlich auch noch heutigen Tages von reisenden Hamburgern und Eppendorfern in andächtigen Augenschein genommen werden kann.

Anmerkungen

[381] Nach einem alten fliegenden Blatt in Fol., „Naturale Abbildung“ etc., welchem Steltzner u. A. folgen, indem sie der älteren Schwester eine Mitschuld beilegen, die aus andern Berichten nicht erhellt.

  1. Gegen 9 Zoll lang und 2 bis 3 Zoll breit, wie eine alte, in Kupfer gestochene „recht naturale Abbildung“ darthut.