Die todte Eva
Es war im Jahre des Heiles 1532.
Hinter dem Fenster des Erdgeschosses eines entlegenen Hauses auf dem Altenwiek zu Braunschweig war am Abende des heiligen Cyprianstages noch spät heller Lichtschein zu erblicken. In dem Zimmer, von dessen Fenster aus jener Schein strahlte, ging ein Mann unruhig auf und nieder. Er hatte die Hände auf den Rücken gelegt und schien nachzudenken. Seine ganze Erscheinung, sowie seine Kleidung ließen in ihm den Künstler erkennen. Es war Andreas Siemon, der Bildschnitzer von Braunschweig, ein sehr geachteter und in seiner Kunst hochberühmter Mann, durch dessen Hände gar manche Kanzel und Kirche, manches Schloß und viele Privathäuser ihre Zierrathen erhalten hatten.
Als die Glocken Mitternacht anschlugen, trat der Meister zum Fenster und drückte die Stirn gegen die Scheiben. Seine Augen suchten draußen Etwas zu erspähen. Umsonst! Die Dunkelheit war allzu groß. Dagegen vernahm sein Ohr den Hufschlag von Rossen, welche die Gasse heraufzukommen schienen. Es währte auch nicht lange, so hielten Reiter vor dem Thore des Hofes, der des Meisters Haus von der Gasse trennte. Siemon ging eilig aus dem Zimmer, überschritt den Hof und öffnete das Thor. Der eine der beiden Reiter war schon abgestiegen, der noch Aufsitzende hielt das ledige Pferd. Siemon reichte dem Abgestiegenen die Hand und führte ihn, leise die Treppe voransteigend, in das Zimmer, dessen Fenstervorhänge er schloß. Der Ankömmling warf Mantel und Kappe ab. Er zeigte sich als schönen, stattlichen Mann, den das spanische Wammes und die hohen Reitstiefel trefflich kleideten. Ein herrlich gearbeitetes Waidmesser hing in goldener Fangschnur an seiner Linken, und dicke silberne Sporen klirrten an seinen Füßen.
„Willkommen, Herr Herzog!“ redete Siemon den Fremden an, „wollet Euch ein wenig niedersetzen in meiner schlechten Behausung und dann mir Eueren Wunsch oder Befehl mittheilen, den zu vernehmen ich Euch heute erwartete.“
Der Gast des Meisters war Niemand anderes als Herzog Heinrich der Jüngere von Wolfenbüttel, ein unruhiger, lebendiger und verwegener Herr, des Herzogs Heinrich von Würtemberg, dessen Tochter Maria er geheirathet hatte, nicht geliebter Schwiegersohn; ein Feind der neuen Glaubenslehre, zu welcher sich die Häupter des schmalkaldischen Bundes, die Verwandten seines Hauses und seiner Gattin bekannten.
„Mein Besuch soll bald beendet sein, Meister,“ entgegnete der Herzog, „sehet zu, daß wir ungestört sind.“
„Wir sind es, gnädiger Herr, mein Hausgesinde liegt in tiefem Schlafe. So habe ich es eingerichtet.“
„So höret. Ich komme Euere Kunst in Anspruch zu nehmen. Ich habe ein Spiel vor, das Niemand wissen soll. Haltet reinen Mund, und meine Gunst wird Euch bleiben. Ihr wißt, daß ich Euch stets hervorgezogen und Eueren Meißel viel beschäftigt habe.“
„Ihr könnt auf mich zählen, gnädiger Herr.“
„Ihr sollet mir also ein Bild fertigen. Das Bild soll aussehen, als schlafe es. Es muß eine Holzfigur sein, aber malet das Gesicht fein an, gleich als wäre es das Antlitz eines schlafenden oder verstorbenen Menschen. Auch sorgt dafür, daß Ihr das Gebild auf den St. Michaelstag fertig habt.“
Siemon stutzte.
Darauf aber sank das Gespräch der Beiden zu einem leisen Geflüster herab, also daß man davon nichts mehr verstehen konnte.
Nach einer Weile drückte der Herzog dem Meister die Hand und verließ dessen Haus. Bald waren die Hufschläge der davontrabenden Rosse verhallt; Siemon löschte seine Lampe und warf sich, nachdenklicher geworden, auf sein Lager. –
Am St. Michaelstage wandelte ein Mann durch die Laubgänge des herzoglichen Schloßgartens zu Wolfenbüttel. Ueber seinen Kleidern trug er eine weite Sammetschaube, unter welcher ein ziemlich großer Gegenstand versteckt schien. Nachdem er sorgfältig hin und her gespäht hatte, erblickte er endlich den Herzog Heinrich. Schnell eilte er auf ihn zu. Heinrich befahl ihm einen Augenblick zu verziehen und ging zwischen den Gebüschen hindurch zu einem Seitenthurme des Schlosses. Siemon folgte, erstieg hinter dem Herzoge eine Schneckentreppe und trat fast mit ihm zugleich in das kleine Gemach, welches Heinrich „sein Stüblein“ nannte. „Gebt schnell her! laßt mich sehen!“ sagte der Herzog.
Siemon schlug die Falten der Schaube zurück und enthüllte dann einen noch mit Tüchern bedeckten Gegenstand. Es war eine trefflich geschnitzte und bemalte Büste. Sie zeigte ein ruhendes Haupt, dessen Augen geschlossen, dessen schwarze Haare aufgelöst waren. Ohne zu wissen warum, hatte der Meister dem Gebilde einen schmerzlichen, wehmüthigen Charakter gegeben.
Herzog Heinrich erschöpfte sich in Lobeserhebungen. Er zahlte dem Meister zwölf schwere Goldgulden auf den Tisch, öffnete dann einen unter seinem Sitzbette angebrachten Kasten, legte das Holzbild behutsam hinein und schloß die Lade.
Erst als es dunkelte, erlaubte er dem Meister den Thurm zu verlassen. Siemon kehrte nach Braunschweig zurück. Alle Ueberbleibsel der geheimnißvollen Bildhauerarbeit hatte er sorgfältig vernichtet.
Am St. Michaelstage herrschte in dem Hoflager zu Wolfenbüttel große Freude. Mit strahlendem Antlitze sah man die Herzogin Maria durch die Gemächer schreiten. Sie war heute herablassend und zutraulich gegen das Gesinde, während sie doch schon geraume Zeit mit Niemand gütig gesprochen oder ihrer Umgebung anders als mit finstern Blicken, argwöhnischem Lächeln und kurzen Worten entgegengetreten war.
Und der Grund dieser plötzlichen glücklichen Veränderung? Tags zuvor hatte das Kammerfräulein Eva von Trott ihre Entlassung vom herzoglichen Hofe begehrt; daher die Freude Maria’s und die Umwandlung ihres ganzen Wesens. In der That hatte die Herzogin alle Ursache sich zu der Entfernung des Kammerfräuleins Glück zu wünschen.
Eva von Trott, die Tochter eines hessischen Edelmannes von Verdienst und alter Familie, die Schwester des kurbrandenburgischen Marschalls von Trott, war mit kurzen Worten die Geliebte des treulosen Gatten der unglücklichen Marie, Herzog Heinrich’s des Jüngeren von Wolfenbüttel. Freilich war die Störerin des ehelichen Friedens eine mit allen Reizen der Jugend und Schönheit ausgestattete Dame. Die Urkunden und Belege für diese seltsame Geschichte sind nicht allzu zahlreich, und da kann man denn auch Manches nur muthmaßen. So scheint es fast, als habe der Herzog bereits vor seiner Heirath das innige Verhältniß mit Eva gehabt, denn er hat sie sich von ihrem Vater als Hofdame seiner Gattin erbeten.
Da Herzog Heinrich nicht gewöhnt war seinem Willen Zügel anzulegen, so entstand sehr bald ernster und gefährlicher Unfrieden in der fürstlichen Ehe, den ein unkluges Benehmen der Herzogin, die sich zur Schlichtung des Streites an ihren Vater wendete, noch steigerte.
Eva von Trott hatte dem Herzoge vom Jahre 1524 bis 1531 drei Kinder geboren.[1] Die Folgen ihrer Fehltritte wußte das Paar schlau genug zu verbergen. Unter dem Vorwande eine Reise thun zu müssen, verließ Eva jedesmal den Hof.
Tief unten am Westende des Harzgebirges liegt auf hohem Kalkfelsen die Burg Staufenberg. Versteckt zwischen Wald und Buschwerk, von einsamen Forsten umgeben, durch hohe Mauern abgeschlossen, in jener Zeit namentlich schwer zu erreichen, bot das alte Schloß einen sichern Versteck für Liebe oder Verbrechen dar. Das Verhältniß des Herzogs konnte hier ungestört fortdauern, und so nahmen denn die Hallen der Staufenburg die schöne Sünderin in ihren Schutz, so oft Gefahr drohte, daß der Zustand der herzoglichen Geliebten den Späheraugen der Hofleute nicht entgehen könne. Nach einigen Monden erschien sie dann wieder bei Hofe. Mit diesen Geheimnissen waren eine Menge größtentheils niedriger Persönlichkeiten vertraut, welchen sich der Herzog hatte in die Arme werfen müssen; muthmaßlich war ihr Schweigen durch große Opfer erkauft worden.
[489] Die überhandnehmenden Zwistigkeiten Heinrich’s und Maria’s brachten es endlich dahin, daß der Kaiser einschritt und den Herzog ernstlich zur Sitte anhielt. Indessen scheint dieser oberherrliche Gewaltschritt doch nicht allzu ernstlich gemeint gewesen zu sein, denn das Fräulein von Trott blieb am Hofe zu Wolfenbüttel und die Vertraulichkeiten wurden nicht eingestellt. Was das Einschreiten der kleineren Fürsten anbetraf, so konnte Heinrich entweder ihrer Drohungen lachen, oder des Heilands Worte, gesprochen zur Ehebrecherin, auf sich anwenden: „Wer frei von Sünden ist, der werfe den ersten Stein auf mich!“ Namentlich konnte das auf den Landgrafen von Hessen gehen, der ganz öffentlich in einer Doppelehe lebte.
Sonach schien jede Möglichkeit, die verhaßte Nebenbuhlerin entfernt zu sehen, für die Herzogin verschwunden. Wie groß war daher ihre Freude, als Eva selbst um ihre Entlassung bat und der Herzogin die Mittheilung machte, daß sie zu ihren Eltern gehen und für ewig die schlüpfrigen Wege eines verführerischen Hoflebens meiden wolle! Begreiflicher Weise ward ihr die erbetene Entlassung – besonders da auch der Herzog erklärte, so sehr er ihren Abzug bedauere, könne er sie doch nicht zurückhalten – unverzüglich bewilligt.
Von dem Hofe, aus den Hallen des Wolfenbüttler Schlosses schied die reizende Eva, aus einer Umgebung, die sie beherrscht hatte, deren ganzes Bestreben, wenn auch im Geheimen, darauf gerichtet war, die herzogliche Geliebte in guter Stimmung zu erhalten. Sie reiste nach Kassel zu ihren Eltern und schlug den Weg dahin über Gandersheim ein.
Die Morgensonne stieg am Horizonte herauf. Noch deckte der Nebel des anbrechenden Septembertages die Gegend. Lautlose Stille herrschte in den Gassen der Stadt Eimbeck. Da verließen die Herberge zum Schwan, auf einem Wäglein sitzend, drei Frauen. Sie trugen kurze Reisemäntel mit Kapuzen. Der Wagen bog seitwärts ab von der Stadt; wo die Kapelle des heiligen Blutes einsam und verlassen stand, hielt er an. Als er sich dem kleinen Gotteshause näherte, traten aus dem Gehölze zwei Männer. Die Frauen stiegen von dem Wagen herab, während dessen öffnete der eine der Männer die Thüren der Kapelle. Die Frauen gingen hinein. Wohl ein halbes Stündlein blieben die Pforten geschlossen, dann traten alle fünf Personen wieder in das Freie. Die Weiber bestiegen ihren Wagen, die beiden Männer ihre Pferde, welche im Gehölze, an einen Baum gebunden, gestanden hatten. Der Wagen nahm die Richtung nach Gandersheim, die Reiter suchten die Straße nach Braunschweig auf.
Die drei Frauen waren: Anna Dankwert, des Schreibers zu Gandersheim Ehefrau, Pine Kippenberg, eine Schneidersfrau aus Gittelde, und Else Mettel aus Peine.
Zu dieser eigenthümlichen Gesellschaft hatte sich der Herzog Heinrich gefunden. Er war einer der beiden Reiter. In der kleinen Kapelle hatten die Frauen ihm einen schweren, hohen Eid geleistet, – – – der Herzog dagegen ihnen die Hand gereicht und glänzenden Lohn verheißen.
Gegen sechs Uhr desselben Tages hielt das Wäglein vor dem St. Georgenthore zu Gandersheim. Hier verließen die Frauen das Gefährt und vertheilten sich in der Stadt. Die Dankwert begab sich in das Amtshaus, die Kippenberg eilte in die Herberge des Schneidergewerkes, Else Mettel suchte die Wohnung des Baders auf, dessen Frau ihr verwandt war.
Gemächlich saß im Amtshause der alten Burg zu Gandersheim in seinem Lehnsessel der Amtmann Claus Scharffenstein. Vom Podagra heimgesucht, nahm er die Geschäftseinläufe in seinem Zimmer entgegen. Hagestolz, sehr bequem geworden, hatte er der Frau des Amtsschreibers, Anna Dankwert, seine Verpflegung übertragen, wofür dem Schreiber eine gute Stelle gesichert war. Eben wollte sich Meister Claus mühsam an seinem Stocke aufrichten, um nach dem mit Eimbecker Bier gefüllten Kruge zu greifen, als die Thür schnell geöffnet ward und die Dankwert in’s Zimmer stürzte: „Herr Amtmann, um Jesu willen, rathet, helft!“
„Anne, Anne,“ rief erschrocken der Amtmann; „was soll’s denn? Ich falle fast in Ohnmacht ob Eures Rufens!“
„Ach, da ist der Christoph Schmidt draußen, des Herrn Herzogs Küchenschreiber. Er bittet um Einlaß.“
„Nun, nun, was ist denn da Sonderliches?“
„Gestrenger Herr Amtmann, Schmidt hat eine todtkranke Frau bei sich, eine hohe, schöne Frau. Er wollte die Nacht noch bis Münchehof der Dame das Geleit geben, aber sie ist so heftig erkrankt, daß er sie hier lassen muß.“
„Laßt Schmidt heraufkommen,“ rief Scharffenstein, „ich muß von ihm hören, um was es sich handelt.“
Nach wenigen Augenblicken erschien der Küchenschreiber im Zimmer.
„Herr Amtmann, ich komme im Namen der Menschlichkeit, Euch um Aufnahme für eine todtkranke Frau zu bitten,“ sprach er hastig. „Des Herzogs Gnaden haben mir den Auftrag gegeben, dies hochgeehrte Kammerfräulein Ihro Gnaden der Herzogin Maria, Eva von Trott, gen Kassel zu geleiten. Die Edle ist aber so bös erkrankt, daß mich fast dünken will, sie werde die Nacht nicht mehr erleben.“
„Gott wolle so etwas in Gnaden verhüten!“ rief der Amtmann außer sich. Er sah im Geiste schon ein ansehnliches Präsent des Herzogs für die gute Aufnahme der Geliebten vor seinen Augen funkeln. „He da, Dankwertin, schnell ein Zimmer auf in dem Seitenflügel! Eilt, Christoph, bringt die Edle herein. Tummelt Euch Alle!“
Er zog den Glockenstrang. Diener stürzten herbei, Mägde schnatterten und liefen durcheinander, während die Dankwertin eiligst ein Zimmer herrichtete. Es war das letzte in der langen Reihe von Gemächern. Das einzige Fenster desselben befand sich wohl sechszehn Fuß über dem Erdboden und war in Form eines Söllers hinausgebaut. Gegenüber von diesem Fenster war kein Gebäude –, das Zimmer ward von den Räumen des Seitenflügels durch einen Gang getrennt, eine besondere Treppe führte hinauf. Die innere Einrichtung schien einen Gast erwartet zu haben, denn ein Bett mit weißen Vorhängen, sauber und behaglich hergerichtet, auch aller sonstige Hausrath, der eine Wohnung angenehm machen kann, war bereits vorhanden.
Während dieses im Innern der „alten Burg“ vorging, näherte sich eine schwerfällige Karosse dem Gebäude. Sie war von vier starken Handpferden gezogen und lenkte durch den Thorweg in den Hof. Christoph Schmidt und zwei Diener hoben die einer Sterbenden gleichende Eva aus dem Wagen, trugen sie in das bereit gehaltene Zimmer und entfernten sich dann, die Kranke der Obhut Anne Dankwert’s überlassend. Einige Stunden vergingen. Als es zehn Uhr sein mochte, erschien die Amtsschreiberin wieder in der Stube des Amtmanns, woselbst Schmidt noch im Gespräche mit dem Alten sich befand. „Ich brauche Hülfe zur Nacht,“ sagte sie in dringendem Tone, „die Kranke leidet gewaltig. Ihre Schläfe pochen und ihre Gesichtsfarbe ist bald bleich, bald hochroth. Schmidt, schafft Rath!“
„Wen holen wir? Soll ich die Schwestern aus dem Marienkloster holen lassen?“ fragte ängstlich der Amtmann.
„Nein,“ sagte Anna, „sie mag die schwarzen Gestalten nicht leiden. Es bringt sie auf. Ich weiß Rath. Eilet in die Herberge der Schneiderzunft, Christoph, dort wohnt die Kippenberg; dann gehet zu Martin, dem Bader, wo die Mettel heut nächtigt.
Beide sind mit mir heut zu Wagen gekommen. Saget den Frauen, ich lasse sie bitten, sich einzustellen und mir um des Heilands willen eine Kranke pflegen zu helfen.“
Nachdem Beide einen Blick des Einverständnisses gewechselt, entfernte Schmidt sich schnell. In nicht gar langer Zeit befanden die beiden bezeichneten Weiber sich mit Anne Dankwert am Bette des Kammerfräuleins Eva von Trott.
Die schöne Eva horchte angestrengt. Ebenso die Frauen. Vor wenigen Minuten hatten sich die Mägde entfernt, welche verschiedene Handreichungen im Krankenzimmer geleistet. Man hörte ihre Tritte noch auf der Steintreppe klappern. Es ward endlich still.
„Vorwärts!“ sagte Eva mit halblauter Stimme. „Jetzt schnell an’s Werk, wir dürfen keine Zeit verlieren! Schiebt die Reisebündel herbei.“
Nach diesen Worten verließ die Kranke schnell ihr Bett und warf sich das Nachtgewand über. Anne Dankwert schob ihr ein Bündel zu, dessen zwei Ketten verbindendes Vorlegeschloß das Fräulein öffnete. Als dies geschehen, öffnete sie das andere Bündel und begann nun den Inhalt zu leeren.
Draußen herrschte eine feierliche Stille, nur die Rufe der Wächter, von den Mauern der alten Stadt herüberschallend, unterbrachen [490] brachen die unheimliche Ruhe. Die drei Weiber umstanden die schöne Eva. Die lange, dürre Gestalt der Mettel, die fast kugelrunde der Amtsschreiberin und die zitternde der Kippenberg contrastirten gegeneinander wie Figuren eines Nachtgemäldes von Meister Callot.
Zwischen ihnen, am Boden kauernd, weiß, einem Gespenste der alten Sage gleichend, das lange prachtvolle schwarze Haar aufgelöst über ihre schönen Schultern fließend, mit hochgerötheten Wangen, ängstlichen aber doch geschäftigen Blicken, lag die schöne Eva. Ihre runden, weißen Arme entfernten die Ketten, welche die Lederbündel zusammenhielten; zuweilen schnaubte sie zornig, wenn sich ein Knoten oder eine Schnalle nicht rasch genug öffnete. Diese ganze Gruppe beleuchtete eine ungeheure Lampe, hoch einporgehalten von dem trocknen, bronzefarbigen Arme der Mettel.
Die Augen der Weiber hefteten sich fest auf die Bündel. Das erste ward auseinandergeschlagen. Es enthielt Stroh, eine große Anzahl breiter Tuchenden, einige cylinderförmige Hölzer von Armeslänge, ein langes, weißes Gewand, einen seidenen Mantel gleicher Farbe, Handschuhe, seidene Strümpfe, Sammetschleifen und einen weiten, ziemlich dichten Schleier.
„Legt Alles sorgfältig bei Seite,“ flüsterte Eva, „doch so, daß wir es bei der Hand haben.“
Anne Dankwert that, wie ihr geheißen. Unterdessen schlug Eva das zweite Bündel auseinander. Sie hob von dem darin befindlichen Gegenstände ein Tuch hinweg. Ein lauter, aus drei Kehlen zu gleicher Zeit kommender Schrei tönte durch das Gemach – entsetzt fuhren die Weiber zurück. In dem Bündel lag, von der flackernden Flamme grausig beleuchtet, ein menschliches Haupt.
Schmerzverzogen schienen die Linien des bleichen Antlitzes, welches schwarzes Haar gleich einem Rahmen umgab. Die Augen waren geschlossen, aber bei dem Flackern der Lampe schien es, als zuckten die Wimpern.
Die schöne Eva faßte den unheimlichen Gegenstand mit beiden Händen und hob ihn empor. Der Kopf saß auf einem Stücke Rumpf. Jetzt traten die Frauen näher und bemerkten zu ihrer Beruhigung, daß es ein Holzbild war, welches Eva ihnen entgegenhielt, aber es war trefflich, täuschend gefertigt.
[505] Eva behielt das Holzbild ein paar Minuten in der Hand; dann gab sie ihm einen leichten Schlag auf die Wange. „Du sollst uns helfen,“ lachte sie.
„Was soll denn damit werden, Fräulein?“ fragte schüchtern die Dankwert.
„Tretet näher, ich will’s Euch verkünden,“ sagte Eva leise. Die Frauen steckten die Köpfe zusammen. „Wir müssen eine Leiche anfertigen.“
Entsetzt prallten Alle zurück. „Eine Leiche?“ lispelten sie voller Schrecken.
„Nur nicht ängstlich. Ihr habt geschworen, zu schweigen. Hier an dieses Holzbild soll ein Körper gesetzt werden. Braucht Ihr Eingeweide? da ist Stroh. Arme – Füße? da sind die Holzrollen. Wir kleiden das Ganze in jenes Gewand, darüber schlagen wir den Mantel, die Füße mit Strümpfen und Schuhen, die Enden der Rollen mit Handschuhen, das Gewand mit Trauerschleifen und dies Holzantlitz mit dem Schleier bedeckt, dann den nachgemachten Leib in den Todtenschrein gepackt, hochaufgestellt im Chore der Kirche, tüchtig Weihrauchwolken darum – und ich will sehen, wer es wittert, daß nur eine Puppe droben liegt.“
„Aber wen soll denn das Gebilde vorstellen?“ fragte die Mettel.
„Ihr habt dem Herzog geschworen, über Alles zu schweigen, was Ihr sehen werdet. Das gedenket,“ sagte Eva. „Also denn vernehmt: ich muß heute Nacht sterben.“
Die Frauen zuckten zusammen. „Guter Gott, welcher Frevel!“ stammelte die Amtsschreiberin leise.
„Was ist’s denn weiter?“ lachte das Edelfräulein, „lustig, lustig! Ich bereite meine Leiche. Seid munter und helft mir dabei, wir haben nur noch wenige Stunden, mit Tagesanbruch muß ich todt sein.“
Die Edeldame begann nun die Arbeit zu vertheilen, und als die vierte Morgenstunde anbricht, ist eine Gestalt an den von Meister Siemon geschnitzten Kopf gefügt. Sie liegt da gleich einer Todten. Die Weiber betrachten den Balg mit ängstlichen Blicken; es ist ihnen jetzt klar, welch’ ungeheurer Betrug gespielt werden soll – wird eine Strafe sie treffen? Bah – sie handeln im Interesse des Herzogs, sie haben geschworen in der Kapelle, nichts zu verrathen von dem, was sie sehen und hören, und – das Geld wartet ihrer, wenn der Streich gelingt.
Um fünf Uhr in der Frühe schickt Eva die Mettel hinaus, um Erde zu holen; damit die Puppe eine gewisse Schwere erhalte, soll sie mit Erde gefüllt werden. – – Als die Mettel heraustritt, sind die Mägde am Brunnen. „Wie steht es mit der schönen Frau?“ fragen sie.
„Schlecht, sehr schlecht,“ antwortet die Mettel. „Sie wird, fürcht’ ich, keine Stunde mehr leben.“
„Was wollet Ihr mit dem Sack voll Erde?“
Das Weib wird verlegen, sie faßt sich aber schnell. „Die Erde soll ihr aufgelegt werden, damit sie Kühlung habe – sie hat den schwarzen Tod im Leibe.“ – Mit furchtbarem Angstschrei flüchten die Mägde – im Amtshause der alten Burg ist die Pest.
Als die Mettel zurückkam, sagte sie Eva, was sie gesprochen. Da diese hörte, welche Angst die Mägde ergriffen, lachte sie laut auf. „Die Pest – gut so. Nun wird uns Niemand stören. Jetzt hinein in die Lade dort mit der Puppe. So – gieb mir das Töpfchen mit brauner Salbe aus dem Kästchen. Nun holt den Meister Bader. In zwei Stunden bin ich gestorben.“ – Sie schlüpfte hinter die Vorhänge ihres Bettes.
Die Mettel ging, den Bader zu holen. Schon hatte sich die schreckliche Neuigkeit im Hause verbreitet. Der Amtmann zitterte wie Espenlaub, die Diener kreuzten sich. Nur eine halbe Stunde blieb die Mettel aus. Die Verschwornen schwebten in einiger Unruhe. Schon kamen Leute in die Umgebung des Zimmers und holten Erkundigungen ein. Das Schlimmste war aber die Anwesenheit des Baders. In den damaligen Zeiten hatten die Bader den Ruf, höchst gelehrte Herren zu sein. Wenn er den Betrug merkte? Zwar benutzte Eva die Zeit bis zu seiner Ankunft, Gesicht und Hals, Arme und Hände mittels einer feinen Farbe braun zu streichen, aber auch das konnte der Bader leicht merken. Im letzten Falle hatte man Geld in Bereitschaft.
Unnütze Sorge! Das betrügerische Vorhaben ward auffällig begünstigt. Die Mettel kam zurück – ohne den Bader. Er ist aufs Land gerufen, aber sie bringt des Baders Frau mit. In jener Zeit verstanden die Badersfrauen auch eine Ader zu schlagen.
Die Baderin tritt an das Lager. Der schwache Frührothsschimmer, vereint mit dem Lichtglanze, färbt das braune Antlitz der Kranken noch erdfahler. Die Baderin schüttelt den Kopf. Sie hat schon manchen Leidenden gesehen, besonders viele Pilger, die aus dem Morgenlande zurückkehren mit seltnen Uebeln behaftet, aber die Dulderin vor ihr sieht gar zu elend aus. Während sie ihre Lancette bereit hält, das Becken zum Fangen des Blutes hervorsucht, räuchern die Frauen mit Wermuth, daß die furchtbare Krankheit nicht die Luft durchfahre.
„Wenn das nicht rettet, so ist sie bald hinüber,“ sagt die Baderin, nachdem ihr Geschäft beendet ist. „Das Blut kam noch gut genug. Armes Fräule! Armes Fräule!“
Lautes Gekreisch von Weiberstimmen – Laufen durch alle Gänge des weiten Hauses – Helles Geklingel – Schluchzen und Rufen.
Um 7 Uhr des Morgens ist die schöne Eva im Zimmer der alten Burg verschieden. Christoph Schmidt ließ die Thüre des Gemaches fest schließen, ebenso wurden die Thore zum Hinterhofe, wo das Zimmer lag, gesperrt. An den Fenstern, in den Stuben da hinaus soll Niemand weilen – damit er nicht auch ergriffen werde von dem schwarzen Tode. So blieben die Räume wie ausgestorben.
Schmidt winkte einem der Knechte des Amtmannes. „Koch, sattle ein Pferd. Reite zum gnädigen Herrn nach Schloß Fürstenberg und melde in meinem Namen, ich sei in Verzweiflung. Die er mir anvertraut, die Trottin, sei plötzlich gestorben.“
Heinrich Koch galoppirte davon. –
In dem Gehölze, welches sich zwischen dem Amtshause und der Mauer hinzog, hielt ein Wagen. Auf dem Bocke desselben saß ein Kutscher, der sein Gesicht sorgfältig unter einem breitkrämpigen Hute verborgen hatte.
Leise und geräuschlos öffnet sich das Fenster des Sterbezimmers. Eine weibliche Gestalt, in einen schwarzen Mantel gehüllt, tritt auf den Sims. Unten steht der Küchenschreiber und hält eine Leiter. Die Dame klimmt hinab, eine zweite Frau folgt ihr.
Eva und die Kippenberg sind es. Sie eilen über die kleine herabgelassene Zugbrücke, sie schlüpfen in das Gehölz, dort ist der Wagen, hinein – auf und davon. Der Kutscher peitscht die Rosse, sie fahren an der alten Stadtmauer hin bis zum Hagenthor, dort müssen sie anhalten, dichte Gruppen von Landleuten ziehen in die Stadt, aber Niemand kümmert sich um sie; sie hören nur rechts und links neben sich die grausige Neuigkeit erzählen: das Fräulein Eva von Trott sei vor einigen Stunden an der Pest verschieden. „Gottes Gericht über die Ehebrecherin!“ ruft ein alter Landmann. Das Edelfräulein senkt ihr schuldbeladenes Haupt. Der Wagen fährt weiter und hinaus geht’s in das Freie, durch den grünen Wald, hin zu den Bergen des Harzes. – Eva athmet auf. Der Kutscher schlug seine Krempe zurück und bot seinen unterthänigen guten Morgen. Es war Eberhard Dedeken, der Castellan der Staufenburg. „Glück zu, gnädiges Fräulein!“ lachte der Castellan. „Der Streich ist gelungen – horch!“ er hielt die Pferde an. Der Wind trug von den Thürmen Gandersheims die Töne eines dumpfen Geläutes herüber.
„Das sind Todtenglocken,“ sagte die Kippenberg ernsthaft.
„Man läutet auf allen Thürmen, auch die hellen Glocken des Klosters unterscheide ich deutlich. Es muß also eine vornehme Leiche sein,“ sagte der Castellan. „Ohne Frage, Gnaden, ist es Ihr Absterben, das sie da drinnen einläuten. Da Sie der schwarze Tod erfaßt, muß die Trauer eilig vor sich gehen.“ Er lachte hell und lange.
Der schönen Eva fröstelte. „Fahrt zu!“ rief sie.
[506] Endlich tauchten hinter den Bäumen, welche die waldigen Höhen krönten, ein spitzer Thurm, hohe Dächer auf. Heiter wurden Eva’s Züge. „Die Staufenburg, die Staufenburg!“ jubelte sie. „Nun lebe ich wieder!“
Der Wagen rollt durch das Thor des alten Schlosses. Eva aber sitzt nicht darin. Vor Gittelde, dem Flecken, der am Fuße des Burgberges gelegen, stieg sie mit ihrer Begleiterin aus und wandelte durch ihr wohlbekannte dichte Waldwege zum Schlosse. An der Mauer, welche das hintere Schloß begrenzte, in der Füllung eines kleinen mit Epheu umrankten Pförtchens stand wartend Johanne Dedeken, des Castellans Gattin. Nur ein flüchtiger, herzlicher Gruß, hinein in die Oeffnung schlüpften die Frauen. Krachend schloß sich die Pforte hinter ihnen.
Im Barfüßerkloster zu Gandersheim wirbelten die Rauchwolken empor. Die hohen Wachskerzen zeigten blutigrothe Flammen, von dem Dunst wie mit einem Schleier umsponnen. Leise präludirte die Orgel, die Todtengebete für das Heil der Seel’[WS 1]sprachen die Brüder. Hoch oben, wie Eva es vorhergesagt, auf schwarzem Katafalke ruhte der Sarg. Eine Sammetdecke mit silbernem Kreuze verziert, bedeckte ihn, und rund umher knieten Mönche. In einiger Entfernung stand die Menge und betrachtete schweigend das Opfer des Todes. Es war gelungen, was der Herzog und die schöne Eva ersonnen. Man glaubte sie todt, die Puppe ward feierlich in die Gruft gesenkt, und währenddessen erwachte die Schöne in den Hallen der Staufenburg zu neuem Leben, das sie nun, zwar geschieden aus der Welt, aber desto ungestörter in den Armen Herzog Heinrich’s genießen sollte.
Als Koch die Nachricht auf den Fürstenberg brachte, spielte Heinrich seine Rolle trefflich. Er erpreßte sich eine Thräne und sagte: „Schad’ um sie, es war ein fromm Mägdlein.“ Als er allein war, schnalzte er mit der Zunge und wippte mit den Fingern vor Freude, daß der listige Streich geglückt, vor dessen Gelingen ihm gebangt. Er sendete seiner Gattin die Nachricht vom Tode Eva’s. Die fromme Herzogin, obwohl zufrieden, einer Nebenbuhlerin ledig zu sein, ließ ebenfalls Messen für das Heil der Seele lesen, und jeder Mönch oder Geistliche, der bei den Vigilien sich betheiligte, erhielt zwei Mariengroschen und brav Essen und Trinken, „weshalb,“ sagt der alte Sleidan in seiner Chronik, „ihrer gar Viele sich zu den Exequien eingestellet haben.“
Den Sarg hatte der Küchenschreiber Schmidt fertigen lassen nach eigner Angabe. Am folgenden Tage war die Baderin gekommen und hatte gefragt, warum man die Jungfrau habe ungebeichtet sterben lassen? Darauf antwortete ihr die Dankwert: „Wer wollte ihr wohl das Sacrament geben, sie konnte nicht mehr reden!“
„Wo ist der goldne Armring? Ihr habt ihn doch der Leiche abgenommen?“ fragt die Baderin weiter.
Da holen die Frauen den Küchenschreiber, und die Dankwert ruft aus: „Schließt den Sarg, Christoph, daß wir nicht Alle aus der Sünde zu Schanden werden.“
Der Küchenschreiber nagelt den Sarg zu und hat ihn durch Pfarrer und Schulmeister abholen lassen. Sie haben ihn zur Barfüßerkirche gebracht, allwo die Puppe in’s Grabgewölbe gesenkt worden, nachdem die Messen gelesen. Als der Stein die Gruft schloß, war Alles vorbei. Eva von Trott lebte in Fülle der Gesundheit, und in der Klosterkirche lag die Puppe des Meister Siemon im Grabe. Herzog Heinrich aber zog fleißig auf die Jagd gen Staufenburg. Er blieb oft Wochen lang fort, emsig beschäftigt mit dem edlen Waidwerk – wie man glaubte. Hier in den schweigenden Wäldern, hinter Mauern und Gräben, hatten die Liebenden freies Spiel.
Jede Annäherung eines Fremden ward sorgfältig verhindert, und um ihrer Rolle als Verstorbene vollständig Ehre zu machen, zeigte sich Eva zuweilen des Nachts als Geist in weißem Gewände auf den Söllern oder der Thurmgalerie des Schlosses. Es währte auch nicht lange, so hieß es in der Umgegend, die weiße Frau spuke da oben, und jeder gute Christ mied den Ort um so beharrlicher. Man hielt nun das Geheimniß für vollständig gesichert und mit der Puppe Meister Siemon’s begraben.
Das Wirthshaus zum Bergknappen in dem Flecken Gittelde war mit Gästen angefüllt. Die Krüge, voll schäumenden Biers, kreisten an den besetzten Holztischen, und die bewegte Zeit gab allerlei zu kannegießern über den Krieg, welchen die protestantischen Fürsten wider den Herzog Heinrich führen wollten, der sich starr der lutherischen Lehre widersetzte. Der Herzog war nicht beliebt im Lande; so sprachen denn Alle größtentheils wider ihn. „Nun,“ rief ein junger Kerl über den Tisch hinweg, „dann, wenn es losgeht mit dem Schlagen, dann wird Mancherlei an den Tag kommen. Auch mit der Hessin da oben auf der Staufenburg wird’s klar werden.“
Es begann nun ein Streit, ein Für und Wider. Jeder gab Vermuthungen zum Besten. Soviel aber ging aus den Reden hervor: die Bevölkerung wußte, daß die Mauern der Burg ein Geheimniß umschlossen, daß dies Geheimniß eine Herzensangelegenheit des Fürsten betraf und daß es ein unerlaubter Handel sei. Freilich war man noch nicht der rechten Person auf der Spur, an Eva dachte Niemand. Die Unterhaltung der Gäste schien von besonderem Interesse für einen Mann zu sein, der, in ein ledernes Wams gekleidet, ein Schwert an der Seite, einen stählernen Ringkragen um den Hals, am Ende des Tisches sitzend, fleißig dem Kruge zusprach. Dieser Mann nannte sich Bernd Goldacker, war Hauptmann der Stadt Erfurt und hielt sich zu Gittelde auf, um Eisen aus den dortigen Schmelzöfen für seine Stadt zu kaufen, da Alles rüstete, falls es auf den Krieg ging. „Ihr sprecht wunderliche Dinge,“ sagte Goldacker, „ich hab’ schon oft davon munkeln hören. Sollt’ es wahr sein?“
„Sicher, Herr Bernd,“ nahm ein Landmann das Wort. „Droben auf’m Schloß geht viel vor. Kein Mensch darf sich nahen. Meine Pflegetochter, deren Liebster hier im Orte Schneidergesell ist, weiß, daß Frauenkleider gefertigt werden für eine Dame auf der Burg. Da kommen Zindel und Tuch, wie man sie sonst nicht sieht, und nie erscheint eine Frau, sich Maß nehmen zu lassen. Das Maß bringt die Kippenberg bei Nacht ihrem Sohne. Der arbeitet danach, und sie ist als Dienstfrau auf dem Schlosse.“
„Das ist gar nichts,“ fiel ein zweiter Gast ein, „ich habe droben als Wache gestanden auf Staufenburg.“
„Ihr? Erzählt, ei, hurtig!“ flüsterte Alles. Sie rückten aneinander, schoben die Krüge zusammen und reckten die Hälse über den Tisch hinweg.
„Ich war mit sieben Mann droben, als die Streitigkeiten mit den Lüneburgern angingen. Da haben wir wachen müssen wegen eines Anfalls. Nun, da hörte man denn Allerlei. Sehen konnte man nichts, denn der Dedeken hielt die zweite Thür stets verrammelt, und wir mußten im ersten Schloßhofe bleiben; aber Nachts, wenn es ganz stille war, dann haben wir ein Gewimmer gehört von kleinen Kindern, und die Wärterin hat sie eingesungen. Als ich in den Graben hinunterstieg eines Tages, fand ich eine zierliche Nürnberger Puppe, wie sie die Kindlein zum Spiele haben. Sie mußte herabgefallen sein. Ich gab sie dem Castellan, der lachte und meinte, ich solle nicht denken, daß Kinder hier oben wären. Es sind aber welche da. Woher kommen sie? Es muß ein Geheimniß walten, und,“ setzte er näher rückend hinzu, „als der Koch gemeint hat, es sei nicht richtig in der Burg – Ihr versteht mich – da ist er verschwunden, Niemand weiß, wohin. Vergangene Ostern hat man den Jägerknecht todt im Brunnenhause gefunden; er war durch und durch gestochen. Und als der alte Amtmann Scharffenstein zu Gandersheim auf den Tod gelegen, hat er beichten wollen, ist aber verschieden, ehe der Pfaff gekommen. Als es der Herzog gehört, hat er gesagt: ,Gut für ihn und mich. Sonst hätt’ ich einen Mönch umbringen müssen?“
„Ja, ja,“ sagte Goldacker, „es hat ’nen Haken! Der Herr Herzog haben immer dergleichen Händel geliebt. Ich erinnere mich noch gar wohl der schönen Eva von Trott, als ich am Wolfenbüttler Hofe war, die Büchsen zu proben. Die Eva hat auch manches Herzeleid der Gemahlin verursacht, aber schön war sie.“
„Die hat ihren Lohn weg,“ sagte Einer, „sie starb im Umsehen an der Pest. Nun sind’s bald sieben Jahre her, daß es sich zugetragen.“
„Woher mag der Herzog die verschwiegenen Leute nehmen? Man hört doch nichts. Auch als die Eva noch lebte, ist wenig geplaudert worden.“
„Nun, wenn gleich Einkerkerung oder Tod darauf steht, läßt es Jeder bleiben. Vor Jahren war unser Bader einmal droben, der hat einer Frau die Ader schlagen müssen. Sie hat aber nur ihren Arm durch die Tapete gestreckt, und der war verzieret mit [507] goldenen Bändern, die haben abgethan werden müssen auf des Baders Geheiß. Er meint, es sei die Herzogin gewesen.“
„Es ist ein Gespenst,“ schrie zuletzt Einer. Und dies, das Unwahrscheinlichste, glaubten Alle am liebsten.
Gedankenvoll gemacht durch die Reden der Bewohner Gittelde’s, schlenderte am folgenden Tage der Hauptmann Goldacker durch die Waldung. Vor ihm sprang ein großer Hund. Der Hauptmann blickte zu den Mauern empor, die sich über die Gipfel der Bäume erhoben. Das Geheimnißvolle reizte ihn, und immer höher steigend, näherte er sich unversehens den Außenmauern der Staufenburg. Grabesstille ringsum. Man hörte das leise Rauschen jedes Blättchens, das Zirpen der kleinen Grillen, die eintönigen Rufe der Lockvögel.
„Wer doch durch die Steine blicken könnte!“ dachte der Hauptmann. Da war es ihm, als vernehme er wirklich Kinderstimmen, als weine eine Knäblein oder Mädchen. Dann wieder schwirrte ein Klageton durch die Luft, dann tönte der sanfte Klang einer Zither wie beschwichtigend durch das Gestein; endlich blieb Alles wieder still. „Verwünschtes Schloß!“ murmelte Goldacker. Er sah um sich und bemerkte nun erst, daß er, seinem Hunde nachgegangen, nicht den eigentlichen Weg zur Burg gewandelt, sondern durch Waldwege und Jägersteige auf die Höhe gelangt war. Er setzte sich auf einen Baumstamm und pfiff leise dem Hunde. Dieser aber stand wie angewurzelt. Er streckte den Kopf und spitzte die Ohren; Zeichen der Witterung. Behutsam näherte Goldacker sich dem Thiere. Es stand am Eingange einer Lichtung. Der Hauptmann bemerkte, daß hier ein trockner Graben war, in dessen Bette Föhren, junge Buchen und Erlengestrüppe wucherten, durch deren Zweige man auf einen Rasenplatz blicken konnte, den in gewissen Zwischenräumen Obstbäume umstanden. Es war der kleine, am Felshange gelegene Garten der Burg.
Das leise Knurren des Hundes deutete dem Neugierigen an, es müsse etwas Lebendiges in der Nähe sein. Geräuschlos stieg der Hauptmann in den Graben hinab, zog den Hund an sich und bog die Zweige auseinander.
Er erblickte Folgendes. Dicht hinter dem Graben lief die Mauer in einen Winkel aus. Hier befand sich eine kleine Pforte, welche aus dem Schlosse in den Garten führte. Unter einem der dicken Bäume gewahrte Goldacker eine reich gekleidete Dame, zu deren Füßen zwei Kinder im Grase spielten. Die Pforte stand offen, und neben ihr, an einem Haken, hing der Federhut eines Mannes, der soeben in das Innere der Burg gegangen sein mußte, denn auf der Bank bei der Dame lagen ein Paar dicke lederne Handschuhe und eine schwere Jagdpeitsche. Goldacker betrachtete die Dame aufmerksam. Das mußte sie sein, die verborgene Perle, die räthselhafte, von Niemand gekannte Geliebte, um deren willen Blut geflossen, Menschen verschwunden und die Gegend verödet ward. Sie schien allerdings bildschön zu sein. Schwarzes Haar von herrlicher Fülle, reich mit Perlen durchflochten, fiel über ihren Nacken, und die Arme zierten kostbare Ringe, in denen edle Steine blitzten.
Sie war in Betrachtung der Kinder versunken, und da sie das Haupt neigte, konnte Goldacker ihr Gesicht nicht erkennen. Plötzlich tönten Stimmen vom Burghofe her, es schallten Tritte. Schnell erhob die Dame den Kopf. Wie! – ist es möglich? täuscht den Lauscher die erregte Phantasie? die verborgene Dame, des Herzogs heimliche Liebe, es ist – Eva von Trott, die in der Gruft der Barfüßer zu Gandersheim ruht. Die Kniee schlottern dem Hauptmann; hat er ein Gespenst vor sich? trügt ihn eine Ähnlichkeit? nein – nein! sie ist es, die schöne Eva. Er hat sie vor Jahren am Hofe gesehen – gesehen, so genau betrachtet, wie die Schönheit verdient betrachtet zu werden, diese herrlichen Züge haben sich seinem Gedächtniß zu fest eingeprägt – kein Zweifel, sie ist zurückgekehrt aus dem Grabe und gebannt an diese unheimliche Burg, und obgleich der Hauptmann zu den Lutherischen übergetreten, machte er doch unwillkürlich das Zeichen des Kreuzes. In diesem Augenblicke tritt ein Mann durch die Pforte in den Garten, schreitet auf die Dame zu, umfängt und führt sie, indem er seine Lippen auf ihre Hand drückt, zu der Pforte. – Goldacker staunt. Er erkennt den Herzog Heinrich.
Vor den Augen des Hauptmanns drehen sich Personen, Wald und Schloß. Der Herzog bei dem Gespenste der Eva! – seiner Sinne nicht mächtig stürzt Goldacker vor, er muß wissen woran er ist. Er ruft laut. Die Dame flüchtet mit einem Schrei, der Herzog ergreift die Kinder und eilt ihr nach durch die Pforte, welche geschlossen wird. Lautes Getümmel hallt im Schloßhofe, und von der schnellen Folge des Erscheinens und Verschwindens ganz betroffen, steht der Hauptmann am Rande des Grabens. Eben so schnell aber kehrt ihm die Besinnung zurück. Die Nachrichten von getödteten oder verschwundenen Mitwissern des Geheimnisses fahren ihm durch den Sinn. Die Angst packt ihn, er hat dem Herzoge gegenübergestanden. Seinem Hunde pfeifend und seinen Degen ziehend, eilt er auf’s Gerathewohl in’s Dickicht von den Mauern des Schlosses hinweg. Nach wenigen Schritten wird der Raum frei von Bäumen, er hat sich wieder der Burg genähert, eilig wendet er sich, den tiefern Wald zu gewinnen – zu seinem Heile! denn kaum haben die schützenden Bäume ihn aufgenommen, da blitzt es hell auf von der Mauer, eine Dampfwolke steigt empor, ein Schuß kracht, bei dem Haupte des Flüchtenden vorüber pfeift eine Kugel und zerschmettert die Rinde eines Eichenstammes, deren Splitter durch die Luft wirbeln. – –
Dies geschah im Jahre 1541. Mochte nun Goldacker’s Entdeckung den letzten Stoß gegeben haben, oder waren schon früher sichere Anzeichen vorhanden – genug, auf dem Reichstage zu Regensburg klagten die evangelischen Stände und die Familie von Trott den Herzog Heinrich vor Kaiser und Reich an: „Er kerkere die todtgeglaubte Eva lebend auf Staufenburg ein.“ Das war ein Unglücksjahr für den Herzog. Der Krieg brach an, er ward verklagt und Eva mußte flüchten, denn da man ihren Aufenthalt erspäht, war ihres Bleibens nicht länger. Kurze Zeit vor ihrer Flucht stürzte im Schlosse zu Wolfenbüttel das Dach ein, der Schornstein des Kamins in der Herzogin Maria Gemach kam auf unerklärliche Weise in Brand. Wenige Tage darauf starb die gekränkte Gattin Herzog Heinrich’s. Jetzt konnte der Herzog seiner Liebe ungestört leben. Wo war Eva?
Sie irrte umher von der Staufen- zur Löwenburg. Auch dort blieb sie nicht sicher. Schon hatte der Krieg der schmalkaldischen Fürsten gegen Heinrich begonnen, ihre siegreichen Schaaren drangen in sein Land. In finsterer Nacht, beim Heulen des Windes floh Eva auf kleinem Wagen, die zitternden Kinder um sich, nach der Feste Schöningen.
Aber der Sturm des Krieges tobte zu mächtig. Schon nach vierzehn Tagen mußten sie Alle von der Feste hinwegziehen. Gleich wandernden Seiltänzern führten sie ihre Habe mit und flüchteten nach Halberstadt.
Hier schlug eine bittere Stunde. Eva mußte sich von ihren Kindern trennen, von ihnen, um deren Zukunft willen sie die siebenjährige Einkerkerung erduldet! Denn wie schwer sie auch gefehlt – der freudigen Stunden hatte sie nur wenige genossen und oft genug Reue über das Geschehene an den Tag gelegt; nur weil sie hoffte, den Kindern werde Heinrich ein Vater sein, blieb sie eine Gefangene der Staufenburg.
Die schmalkaldischen Fürsten suchten Alles hervor, um ihren Gegner in bösen Ruf zu bringen. Sobald sie als Sieger in Wolfenbüttel einzogen, wurden alle Theilhaber des Geheimnisses verhaftet und verhört; sie gestanden. Die Gruft bei den Barfüßern ward geöffnet, aber nur ein leerer Sarg gefunden; wohin das Bild gekommen, wußte kein Mund zu berichten.
Während des Krieges selbst gingen die Verhandlungen wegen des Fräuleins von Trott, von deren Leben man überzeugt war, deren Aufenthalt man aber vergeblich erspähte, zwischen Kaiser, Herzog und Familie hin und her. Kein Abschluß erfolgte.
Die Quellen für den Ausgang des seltsamen Handels fließen von da ab immer spärlicher. Eine Sage läßt Eva, vergessen von Heinrich, ein zweites Verhältniß mit Philipp von Hessen eingehen. Allerdings tauchte 1551 eine Eva von Trott in Cassel wieder auf, allein obgleich das wohl die ehemalige Bewohnerin der Staufenburg gewesen sein muß, ihre Zuneigung zu Philipp ist nicht erwiesen.
Es lag aber eine Strafe in den Schicksalen, welche Heinrich und seine Geliebte ereilten. Sie hatten mit dem ernsten, feierlichen Vorgange, der da erlöst, Frieden giebt und heilig ist – mit dem Tode, ein frevelhaftes Spiel getrieben. Der Unerbittliche rächte sich. Verschollen, vergessen, in der That eine lebende Leiche, wie sie diese einst vorgestellt, verbrachte Eva den Rest ihrer Tage in klösterlicher Abgeschiedenheit zu Hildesheim. Sie hatte noch vier Kinder auf der Burg geboren, alle versanken in die Nacht [508] der Vergessenheit oder starben; blos ein Sohn, Heinrich, gelangte zu Ehren unter dem Namen von Kirchberg. Er kannte seine Mutter nicht. Herzog Heinrich gewann nach mancher Prüfung die Oberhand. Aber fast einsam stand er im Alter. Die meisten seiner rechtmäßigen Kinder starben, und in der blutigen Schlacht bei Sievershausen fraß der Tod die zwei herrlichen Söhne des Herzogs vor den Augen des jammernden Vaters. – Von der Staufenburg ist heute kein Stein mehr zu erblicken. – –
- ↑ Das erste, ein Sohn, ward auf den Namen Theuerdank getauft. Die beiden andern Kinder, Töchter, führten den Namen Zifra. Die älteste starb bereits elf Wochen nach der Geburt. Theuerdank endete später in Dürftigkeit und ist verschollen. Laut Aktenstückes d. d. 15. Januar 1542, Wolfenbüttel, zeigen die Räthe daselbst an, daß er mit einem Heizer entlaufen sei und im Kloster zu Hardenberg gebettelt habe.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Heil der Seel.