Die römische Provinzialautonomie
[321] DIE ROEMISCHE PROVINZIALAUTONOMIE.
Ein Fragment.[1]
Wenn ich es unternehme, auf eine vielfach theils allgemein, theils in Beziehung auf einzelne Landschaften behandelte Institution des römischen Reichsregiments zurückzukommen, so ist nicht beabsichtigt, was sich auch in den Grenzen dieser Zeitschrift nicht durchführen liesse, das gesammte weitverzweigte und grossentheils nur nach localer Gliederung darstellbare Material zusammenzufassen.[2] Es sollen die hauptsächlich maassgebenden Gesichtspunkte hervorgehoben und so weit nöthig einzelne Ausführungen an diese angeknüpft werden. Der Gegenstand an sich ist ebenso schwierig wie wichtig. Wie überhaupt bei den Organisationen der Kaiserzeit treten die leitenden Gedanken nirgends principiell zu Tage und müssen aus den auch nur zufällig zu Tage tretenden Einzelheiten rückschliessend ermittelt werden; Unsicherheit und Irrthum ist dabei noch weniger zu vermeiden als auf anderen Gebieten der historischen Forschung. Aber der grosse Gegensatz zwischen der römischen Republik und der römischen Monarchie, der Grossstadt mit überseeischen Landgütern und dem Staat mit befreiter Hauptstadt, kommt vor allem in diesem Kreise zum Ausdruck und damit zugleich der Gedanke der Reichsangehörigkeit, die Anbahnung der Zugehörigkeit auch der des römischen Bürgerrechts entbehrenden Ortschaften zum Gesammtreich. Der principielle Gegensatz zwischen dem Stadt- und dem Staatsregiment tritt nirgends so schroff hervor wie in der Unterdrückung der hellenischen κοινά durch die Republik und in ihrer Wiederherstellung und Erweiterung durch Augustus. [322] 1. Das Gebiet der Provinzialautonomie.
Ausgeschlossen von der augustischen Provinzialautonomie sind zunächst die römischen Bürgerstädte. Das Italien der Kaiserzeit kennt derartige Stadtverbände nicht; die Unterwerfung der Halbinsel unter Rom findet vielmehr ihren Ausdruck in der Auflösung aller derartiger Conföderationen mit Ausnahme der etruskischen, welche von den späterhin eingerichteten in der Organisation sich nicht wesentlich unterschieden zu haben scheint, aber ohne Zweifel nichts ist als die sacralrechtlich fortbestehende Conföderation aus der vor der römischen Herrschaft liegenden Epoche.[3] – Dass nach der diocletianisch-constantinischen Provinzialisirung Italiens die einzelnen Districte eine analoge Institution erhalten haben, ist an sich nicht undenkbar, aber es fehlen auch dafür die Beweise.[4] Dass für Sicilien ein Städtebund nirgends erwähnt wird,[5] wird man hiernach mit Wahrscheinlichkeit darauf zurückführen, dass sämmtliche Gemeinden dieser Insel in der augustischen Epoche das Bürgerrecht empfangen haben.[6] In der Narbonensis scheinen die Bürgerstädte von dem Städteverband ausgeschlossen gewesen zu sein. Dass das Bundesheiligthum in Narbo errichtet war und hier auch das entsprechende Regulativ sich gefunden hat,[7] kommt nicht in Betracht, wie weiterhin bei der Lugdunensis bemerkt werden wird. Priester oder [323] Priesterinnen der Provinz begegnen daselbst nicht,[8] sondern namentlich[9] in Vienna[10] und vor allem in Nemausus[11]; es verträgt sich dies recht wohl damit, was über die Erstreckung des Bürgerrechts auf diese Städte anderweitig festgestellt ist. Indes mag gleich hier gesagt werden, dass das Ausscheiden der Provinzialstadt aus dem Städteverband durch Ertheilung des römischen Bürgerrechts wohl in der früheren Kaiserzeit durchgeführt worden sein mag, aber schwerlich daran lange festgehalten worden ist, und dass nach der antoninischen Verordnung im Anfang des 3. Jahrhunderts davon überhaupt nicht mehr die Rede sein kann. Dem Verbande der von Caesar zum Reich gebrachten gallischen Gemeinden, der augustischen tres Gallia, gehörte bekanntlich die einzige Bürgerstadt dieses Gebietes, Lugudunum, nicht an, obwohl das Bundesheiligthum in ihrer unmittelbaren Nähe errichtet wurde.[12] Mit grösster Deutlichkeit tritt die Scheidung der beiden Kreise hier zu Tage. Für Spanien, wo wenigstens der tarraconensische Verband nachweislich in die augustische Epoche zurückreicht, kann wohl in dieser Frühzeit eine analoge Organisation bestanden haben, bei welcher die romische Colonie Tarraco, ähnlich wie Lugdunum, wohl Centralstelle, aber nicht Bundesstadt gewesen ist und bei der die gentes eine ähnliche Rolle spielten wie die civitates in Gallien.[13] Aber es darf nicht übersehen werden, dass einmal schon in der kaiserlichen Frühzeit die Zahl der römischen Bürgerstädte in Spanien weit grösser war als sonst im überseeischen Gebiet und dass zweitens die Ertheilung des latinischen Rechtes an alle spanischen Gemeinden unter Vespasian die Landtagsverhältnisse schwerlich unberührt gelassen hat. Ueberhaupt wird man eben hier sich hüten müssen, ohne weiteres zu verallgemeinern. Für die spätere Zeit ist es ausgemacht, dass aus den zu den spanischen Städtebünden [324] gehörigen Gemeinden die römischen Bürgerstädte sich nicht aussondern lassen.[14] Die in früher Kaiserzeit in den östlichen Provinzen nicht zahlreichen Städte römischen Bürgerrechts, Troas und Parium in Asien, Apamea in Bithynien, Sinope im Pontus, Beryt in Syrien dürften der vorwiegenden Ordnung entsprechend an den Provinzialverbänden keinen Antheil gehabt haben. Bestimmte Zeugnisse fehlen und das Schweigen über ihre Mitgliedschaft ist wenig beweiskräftig; aber wenigstens unter den mit dem asianischen Neokorat beliehenen Gemeinden ist keine römischen Rechts, und dass die beiden zuerst genannten Verbände, wie weiterhin angegeben werden wird, sich bezeichnen als οἱ ἐν Ἀσίᾳ oder ἐν Βιθυνίᾳ Ἕλληνες, empfiehlt gleichfalls diese Annahme. Wie wenigstens überwiegend die Städte römischen Rechts, so sind sicher alle nicht städtisch geordneten Communen von den Städteverbänden ausgeschlossen. Als städtische Ordnung wird der römischen Regierung jede lateinische oder hellenische Gemeinde erschienen sein mit einer Magistratur, einem Gemeinderath (decuriones oder senatus, βουλή) und einer Bürgerversammlung (populus, δῆμος). Alle Spuren weisen darauf hin, dass die Verbände ausschliesslich gebildet wurden aus Abordnungen solcher Körperschaften, zunächst ihrer Gemeinderäthe, und dass weder Fürsten noch die einer solchen Organisation ermangelnden Ortschaften denselben beschickt haben. Darnach wird für Spanien seit Vespasian – über die vorhergehende Epoche wage ich keine Vermuthung – neben dem hier nicht ausgeschlossenen römischen Stadtrecht das latinische zu Grunde zu legen sein, welches dieser ganz Spanien verlieh. Durch Plinius' genaue Angaben über den Gemeindebestand der Tarraconensis und die vortreffliche Erläuterung derselben durch Detlefsen[15] kennen wir den Gemeindebestand der Tarraconensis genauer als den jeder anderen Reichsprovinz: sie zählte 293 selbständige Gemeinden,[16] und zwar 25 Colonien oder Municipien römischen [325] Bürgerrechts und 268 latinischen, von denen 124 als städtische Gemeinden (oppida) bezeichnet, die übrigen demnach damals Landgemeinden waren.[17] Die in dieser Weise nirgends wiederkehrende officielle Scheidung der oppida und der blossen civitates oder populi legt die Frage nahe, ob den letzteren die Landstandschaft gefehlt hat; es ist dies nicht unwahrscheinlich, lässt sich indess mit Bestimmtheit nicht behaupten. Dass unter den Ortschaften, welche nachweislich an dem tarraconensischen Landtag theilgenommen haben, keine mit Sicherheit den Landbezirken zugezählt werden kann,[18] kann füglich auf deren geringe Bedeutung zurückgeführt werden. Andererseits aber kann die Unterscheidung der städtisch und der nicht städtisch geordneten civitates nicht füglich auf die blosse factische Verschiedenheit der Ansiedelung zurückgeführt werden, da ein scharfer und greifbarer Gegensatz dieser Art überhaupt nicht denkbar ist; eine Rechtverschiedenheit muss wohl angenommen werden, aber welche diese gewesen ist, da doch auch die nichtstädtischen Gemeinden als selbständige latinischen Rechts gewesen sind, ist schwer zu sagen. Die der latinischen Gemeinde Nemausus zugeordneten 24 Ortschaften hatten ebenfalls latinisches Recht, aber als Beamte nur Aedilen und Quästoren,[19] [326] während sie für die Iurisdiction von Nemausus abhingen; in ähnlicher Weise könnten diese kleinen Ortschaften die volle Magistratur entbehrt haben und für die Iurisdiction, da sie keiner anderen Stadt untergeordnet waren, vielleicht auf die Commune angewiesen gewesen sein. In diesem Fall waren sie auch vielleicht von der Vertretung auf dem Landtag ausgeschlossen. Charlottenburg. TH. MOMMSEN †.
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