Die philosophische Königin von Preußen
Eine der wunderbarsten und merkwürdigsten Frauen auf dem Throne war die Gemahlin Friedrich des Ersten von Preußen, Sophie Charlotte, die philosophische Königin, wie sie von ihren Zeitgenossen schon genannt wurde. Sie war im Jahre 1668 am 20. October auf dem Schlosse Iburg im Hochstift Osnabrück geboren, das ihr Vater damals als protestantischer Fürstbischof verwaltete, da ihm erst später durch kaum gehoffte Erbschaft die herzogliche Würde von Hannover zufiel. In ihren Adern floß das Blut der Stuarts; denn ihre Mutter, die geistreiche Sophie von Hannover, war die Tochter des unglücklichen Böhmenkönigs Friedrich von der Pfalz und der schönen, hochbegabten Elisabeth von England, die ihr trauriges Geschick mit männlichem Muthe ertrug [216] und selbst in höchster Noth ihre fürstliche Würde bewahrte. Glücklicher war das Loos der nicht minder berühmten Enkeltochter, die unter der Leitung ihrer Mutter und einer trefflichen Hofmeisterin, der Frau von Harling, eine ausgezeichnete Erziehung erhielt. Am Hofe zu Hannover herrschte damals ein reges geistiges Leben, hauptsächlich gefördert durch die Herzogin Sophie. Leibnitz, der große Gelehrte, Philosoph und Weltmann, war ihr vertrauter Freund und Rathgeber, mit ihm besprach die hohe Frau die höchsten Geistesfragen, bei seiner Klugheit erholte sie sich Rath in den wichtigsten Familienangelegenheiten. In solcher Umgebung und unter solchen Eindrücken entfaltete Sophie Charlotte frühzeitig ihren regen Geist, der durch den besten Unterricht gepflegt und durch interessante Reisen erweitert wurde. Schon als zwölfjähriges Märchen sah sie Italien, das Land der classischen Bildung und der Künste, für die sie mit empfänglicher Seele sich begeisterte.
Zwei Jahre später lernte sie Paris und den Hof Ludwig des Vierzehnten kennen, der damals als das unerreichte Ideal höfisch feiner Sitte galt. Ludwig der Vierzehnte selbst war von der liebenswürdigen Erscheinung der kaum fünfzehnjährigen deutschen Prinzessin so entzückt, daß er ernstlich daran dachte, sie mit einem französischen Prinzen zu vermählen. Mutter und Tochter aber lehnten zum Glück diese lockende Verbindung ab, da Beide den damit nothwendig verbundenen Uebertritt zur katholischen Religion mit ihren echt protestantischen Grundsätzen nicht vereinbar fanden. Dagegen eröffnete sich für Sophie Charlotte eine andere, nicht minder glänzende Aussicht bei ihrer Rückkehr nach Hannover. Der damalige Kurprinz Friedrich von Brandenburg, der seine Gemahlin, eine geborene Prinzessin von Hessen-Kassel verloren hatte, hielt um die Hand der durch Geist und Schönheit gleich ausgezeichneten Fürstentochter an. Am 28. September 1684 geschah die Trauung zu Herrenhausen mit großer Feierlichkeit und unter Festlichkeiten, die dem prachtliebenden Sinne des hohen Bräutigams eine besondere Befriedigung gewährten, während Sophie Charlotte schon damals den eitlen Prunk der Höfe nach seinem richtigen Werthe würdigte. Durch Klugheit und Liebenswürdigkeit gewann sie das Herz ihres Schwiegervaters, des damals schon der Schwäche des Alters fast erliegenden großen Kurfürsten und seiner hochfahrenden zweiten Gemahlin, der herben, finstern Dorothee, mit der sie jedoch im besten Einvernehmen stand. Unter schwierigen Verhältnissen gelang es ihr, sich die Liebe und Achtung Aller und vornehmlich ihres Gatten zu erwerben, obwohl ihr Bildungsgang und ihre Lebensanschauung von den seinigen bedeutend abwich. Weit entfernt sich an dem Zwist und dem Treiben der Parteien zu betheiligen, oder in die Staatsgeschäfte einzugreifen, suchte und fand sie das wahre Glück in dem inneren Kreise einer ansprechenden Häuslichkeit, in der Gesellschaft gleichgesinnter Freunde und Freundinnen, wo zwanglose Gespräche mit musikalischen Genüssen abwechselten und jede lästige Etiquette verbannt war. Auch nicht Hoffähige fanden hier Zutritt, wenn sie sich durch Geist auszeichneten, welcher der erst siebzehnjährigen Fürstin höher galt, als der Adelsbrief ungeschlachter Junker.
Als regierende Kurfürstin änderte sie nichts in ihrer gewohnten Lebensweise; sie zog es vor in ländlicher Abgeschiedenheit mit ihrem Hofstaate zu leben, der meist aus den geistreichsten Herren und Damen zusammengesetzt war. Zu diesem Zwecke erkaufte sie das Dorf Lützow, zwischen Berlin und Spandau an der Spree gelegen. Die Großmuth des Kurfürsten setzte sie in den Stand, daselbst nach dem Plane des berühmten Schlüter ein Schloß im italienischen Geschmacke zu bauen, das erst nach ihrem Tode zu ihrem Andenken den Namen Charlottenburg erhielt. Die ganze Einrichtung zeigte von einem wahrhaft gediegenen Geschmack; ein Zimmer enthielt kostbares chinesisches und japanisches Porzellan, wie es die Mode der Zeit forderte, in einem anderen waren die Leuchter, ein kleiner Kaffeetisch, ein dazu gehöriges Service und selbst die Roste des Kamins von gediegenem Golde, ein kostbares Geschenk des hohen Gemahls. Die schönste Zierde des Schlosses bildeten aber die nach den Rissen des berühmten Lenôtre ausgeführten Gartenanlagen, ausgestattet mit schönen Orangebäumen, seltenen Blumen, Vasen und Statuen. Hier wandelte sie an der Seite des berühmten Leibnitz, der von Hannover öfters sie besuchte, im eifrigen Gespräche, voll Wissensdurst die höchsten Fragen der Menschheit mit ihm verhandelnd. Ihr Forschungstrieb hatte keine Grenze, so daß der große Philosoph ihr einst lächelnd sagte: „Es ist gar nicht möglich Sie zufrieden zu stellen, Sie wollen das Warum des Warum wissen.“ Hier entwarf sie mit ihm den Plan zur Gründung jener Berliner Akademie der Wissenschaften, welche den Grund zu der geistigen Größe des preußischen Staates legte und deren erster Präsident Leibnitz wurde, von dem Friedrich der Große urtheilt, daß er allein eine ganze Akademie vorstelle.
Hier in Lützelburg empfing sie den berühmten englischen Dichter und Freidenker Toland, mit dem sie in Gegenwart mehrerer Theologen über die Grundwahrheiten der christlichen Religion ebenso tief, als geistreich sprach. Den bedeutenden Eindruck, den sie auf ihn machte, schilderte der Reisende in seinem Bericht über seinen Aufenthalt am preußischen Hofe folgendermaßen: „Sophie Charlotte ist die schönste Prinzessin ihrer Zeit und sie steht keinem Menschen nach an richtigem Verstand, zierlichen und wohlgesetzten Worten und an Annehmlichkeit in der Unterhaltung und im Umgang. Sie hat überaus viel gelesen und kann mit allerhand Leuten von allerhand Gegenständen reden. Man bewundert eben so wohl ihren scharfen und gewandten Geist, als ihre gründliche Wissenschaft, die sie in den schwersten Stücken der Philosophie erlangt hat. Ja, ich muß frei und ohne die geringste Schmeichelei bekennen, daß ich in meinem ganzen Leben Niemand gehört habe, der geschicktere Einwürfe hätte machen oder die Unzulänglichkeit und Sophisterei vorgebrachter Schlüsse und Argumente entdecken, die Schwäche oder Stärke einer Meinung leichter durchdringen können als sie. Sie sieht es gerne, wenn Fremde ihr aufwarten und von allem, was in ihrem Lande merkwürdig ist, Unterricht geben. Ja, sie hat eine so genaue und rechte Erkenntniß von den Regierungen, daß man sie in ganz Deutschland nur zu nennen pfleget die republikanische Königin, oder die es nicht mit der absoluten unumschränkten Monarchie hält. Alles was lebhaft und gebildet ist, kommt an ihren Hof, und man sieht da zwei Dinge, die die Welt sonst für einander ganz zuwider hält, in vollkommener Einigkeit beisammen, die Studien und die Lustbarkeiten. Für ihre Person ist sie eben nicht sehr groß und schmächtig, vielmehr etwas stark von Körper, ihre ganze Bildung sehr regelmäßig und ihr Teint sehr weiß und lebhaft, sie hat blaue Augen und kohlschwarze Haare; sie hat sehr gerne schöne Damen um sich, wie denn ihr ganzes Frauenzimmer davon voll ist.“
Von derselben Toleranz wie ihr berühmter Freund Leibnitz beseelt, beschäftigte auch sie vielfach der damals öfters auftauchende Gedanke, eine Einigung der getrennten und sich feindlich gegenüber stehenden Glaubensbekenntnisse herbeizuführen. In diesem Sinne veranlaßte sie den geistvollen und weltklugen Jesuiten Vota, den Beichtvater des Königs von Polen, zu einer Zusammenkunft und Disputation über theologische Gegenstände mit ihren französischen Hofpredigern Beausobre und Lefant. Sie selbst nahm den lebhaftesten Antheil an diesem Streite, der wie gewöhnlich damit endigte, daß kein Gegner den andern überzeugte und jeder sich den Sieg zuschrieb. Sie selbst stand über beiden Parteien und mäßigte mehr als einmal den Eifer der Kämpfenden, der in Bitterkeit ausartete, durch ihr feines, taktvolles Benehmen, so daß ihr von katholischer, wie von protestantischer Seite das höchste Lob gezollt wurde. Der gewandte Jesuit entschuldigte in einem Briefe an sie seine Heftigkeit, indem er jedoch seine Gegner anklagte und von Neuem herausforderte. Sophie Charlotte theilte den Brief ihren beiden Theologen mit, um ihn zu widerlegen; wobei sie selbst den Anfang und den Schluß der weitläufigen Antwort verfaßte, welche der schon genannte Toland nach ihrem Tode unter dem Titel: „A letter against popery“ in englischer Uebersetzung herausgab.
Trotz dieser philosophischen Richtung und innigen Betheiligung an den großen Fragen ihrer oder vielmehr aller Zeiten bewahrte sich Sophie Charlotte den ihr angeborenen heiteren Sinn und eine frische Lebenslust. Neben den ernsten Wissenschaften pflegte sie die heitere Kunst; sie liebte vor Allem die Musik. Mit Anmuth und Fertigkeit spielte und sang sie Werke der ersten Meister; ihre musikalische Bibliothek wurde eine Tonne Goldes werth geschätzt. Ein Clavier, welches ihre Cousine, die originelle Herzogin von Orleans, ihr aus Paris zum Geschenk gesandt hatte, wurde noch lange als eine werthvolle Reliquie bewahrt. Sie hatte ihre eigene Capelle unter der Leitung des berühmten Virtuosen Attilio Ariosti und componirte selbst ausgezeichnet. Der berühmte Händel kam 1698, damals fünfzehn Jahr alt, nach Berlin und an den Hof, wo sie zuerst sein Talent erkannte und ihn auch dauernd zu fesseln suchte. Auch dem Theater widmete sie ihre Neigung und stete Aufmerksamkeit zu. Auf ihrem Schlosse zu Lützelburg ließ sie eine Bühne [217] einrichten, auf der sie große Opern und die besten französischen Werke zur Aufführung brachte. Oft sah man sie mitten im Orchester am Clavier sitzen und mitwirken. Ihr Beispiel weckte den Geschmack an der Kunst und trug wesentlich zur Bildung und Veredlung des ganzen Hofes und der Residenz bei. Der Kurfürst selbst ließ über dem Reithause in der breiten Straße ein Theater bauen, ebenso gründete der Oberbürgermeister von Berlin von Hessig in seinem Hause in der Königsstraße eine kleine Opernbühne; alle jüngeren Personen am Hofe waren musikalisch, und selbst die Herzogin von Kurland und die nächsten Verwandten des Kurfürsten verschmähten nicht, neben den fremden Künstlern in der Oper: „i trionfi del Parnasso“ zur Einweihung der neuen Schloßbühne aufzutreten.
Natürlich fehlte es nicht an Widerspruch gegen dieses ungewohnte Treiben, besonders von Seiten der zelotischen Geistlichkeit, der die ganze Richtung und die weltlichen Lustbarkeiten des Hofes als ein Gräuel erschienen. Als die Kurfürstin am zweiten Pfingstfeiertage eine Opernvorstellung in Lützelburg geben wollte, worin einige junge Edelleute und Fräulein mitwirken sollten, eiferte der Hofprediger Cochius von der Kanzel herab gegen dieses Vorhaben mit unduldsamer Rede. Nicht durch Trotz, sondern durch Liebenswürdigkeit hoffte sie den strengen Mann zu überwinden, indem sie seine Frau und Tochter freundlich zu der Vorstellung einladen ließ, mit dem Bemerken, diese würden ihm am besten dann bezeugen können, daß daselbst nichts Böses vorginge. Trotzdem unterblieb die Vorstellung, und die Bühne mußte auf Befehl des Kurfürsten abgebrochen werden, da dieser der Stimme seiner Geistlichkeit diese Rücksicht schuldig zu sein glaubte. Dennoch siegte zuletzt die hohe Frau durch ihr kluges Benehmen, und als in der Folge der berühmte Spener die Schauspiele als dem Christenthum entgegen untersagt wissen wollte, erzielte er blos, daß die Aufführung wirklich anstößiger Stücke verboten wurde.
So war und blieb Sophie Charlotte der geistige Mittelpunkt der feinsten, ungezwungensten Geselligkeit, um sie sammelten sich die besten und edelsten Männer und Frauen der damaligen Zeit. Sie besaß das Talent, die hervorragendsten Geister anzuziehen und auch dauernd zu fesseln. Wie Leibnitz ihr vertrautester Freund, so war Fräulein von Pöllnitz ihre beste Freundin. Sie war eine der sechs Kammerfräulein der Kurfürstin, ausgezeichnet durch Geist und Schönheit wie ihre Herrin, dieser ähnlich durch jugendlichen Sinn und muntere Neigung, empfänglich für Freundschaft und von grenzenloser Ergebenheit. Sie hatte eine lebhafte Einbildungskraft, raschen Witz und ein so reiches Wissen, wie man es bei Frauen nur selten findet und ihnen kaum gestatten will. Dabei besaß sie die Gabe des Anordnens und Erfindens, und durch ihre Leitung und Fürsorge gewannen die Vergnügungen und der tägliche Lebenslauf in Lützelburg einen großen Theil des Reizes und der Annehmlichkeit, wodurch sie sich auszeichneten. Wie innig das Verhältniß beider Frauen war, bezeugt am besten ihr Briefwechsel, aus dem folgende Zeilen ihre gegenseitige Stellung und ihren innern Werth abmessen lassen: „Meine theure Pöllnitz! Sie haben mich vollständig besiegt, denn ich bin nicht im Stande, Ihre Liebenswürdigkeiten zu erwidern, und ziehe es deshalb vor, daß Sie eher an meiner Freundschaft zweifeln mögen. – Ihre Mutter benachrichtigte mich, daß Sie in acht Tagen wieder ausgehen können. Mir schlägt mein Herz vor Freude, ich empfinde das Vergnügen im Voraus. Jetzt kann ich nicht über die Dummheiten lachen, die um mich vorgehen: mit Wem? – Gewisse Philosophen verabscheuen das Leere, und ich, theure Pöllnitz, das Volle. Gestern sah ich an meinem Hofe zwei Damen, dick bis zu den Zähnen, langweilig bis zum Scheitel und dumm bis zu den Zehen. Glauben Sie, meine Theuere, daß Gott, indem er solche Creaturen schuf, sie nach seinem Ebenbilde geformt hat? – Nein, er machte für sie eine besondere und ganz verschiedene Form, um uns den Werth der Schönheit und Grazie durch die Vergleichung erkennen zu lassen. Wenn Sie das boshaft finden, so weiß ich, an wen ich mich adressire. Gleich und Gleich gesellt sich gern. – Da einmal mein Geist im boshaften Zuge ist, so will ich auch so fortfahren. Ich sah auch hier zwei fremde Jammergestalten. Wenn Gold, Stickereien und Orden das Verdienst bezeichneten, so würde keines dem ihrigen gleichkommen. Aber da ich wenig Respect vor solchem Reichthum habe, so weiß ich ihren wahren Werth zu schätzen. Ich begreife es, daß der Anblick der Großen einschüchtern und dem Geiste die Fähigkeit rauben kann, sich zu zeigen und zu glänzen; dann halte ich es für meine Pflicht aufzumuntern. Wenn aber die Dummheit sich breit macht und die Anmaßung, mit Thorheit verbunden, die Rücksicht für sich beansprucht, die wir allein dem wahren Talente schuldig sind, dann bin ich ohne Erbarmen und schonungslos. Wie schätzenswerth ist das Mißtrauen unseres eigenen Werthes, aber diese Tugend ist selten! Glauben wir nicht immer, einige Karate mehr zu wiegen als die anderen Menschen? Wie erbärmlich ist die Eitelkeit, und doch ist dieses Gefühl unser treuster Begleiter. Großer Leibnitz! Was für schöne Dinge hast Du darüber gesagt! Du entzückst, überzeugst, aber besserst Keinen. – Ich bin im Zuge zu moralisiren, doch das Concert beginnt; ein neuer Sänger wird singen, und ein großer Ruf geht ihm voran. Wenn er ihm entspricht, wie angenehm werde ich meine Zeit verbringen! Adieu, Adieu, die Musik erwartet mich, und ich muß die Freundschaft dem Talente opfern. Nochmals Adieu und diesmal ohne Widerruf.“
Außer dem Fräulein von Pöllnitz gehörten die Hofdamen von Bülow, von dem Bussche und Seesfeld, der Oberhofmeister Eusebius von Brand und Bülow, die Kammerherren von der Marwitz und Graf Otto von Schwerin, der Chevalier François de Jaucourt, Seigneur de Villarneul, ein alter Junggeselle voll Originalität, und der Legationsrath Isaak von Larrey, der eine Geschichte der „Eleonore von Guyenne“ schrieb, zu der vertrauten Umgebung der Kurfürstin. Mit ihnen überließ sie sich einer heiteren Geselligkeit; Theatervorstellungen, Opern und Schauspiel wechselten mit Bällen und Festen ab, die stets das Gepräge eines geistigen Vergnügens trugen. Besonders beliebt waren die sogenannten „Wirthschaften“, Maskenscherze, welche durch die Verse des Dichters Canitz und des Oberceremonienmeisters Besser verherrlicht wurden. Wir besitzen die Schilderung eines derartigen Maskenfestes von der Feder des berühmten Leibnitz. Das Lützelburger Schloß stellte einen Jahrmarkt mit Buden vor, belebt von dem buntesten Maskengewühl. Die Rollen wurden durch das Loos vertheilt; die Kurfürstin selbst erschien als Quacksalberin an der Seite des Geheimrath von Osten, der den Charlatan übernahm. Seine Gehülfen waren der Markgraf Albert und der Graf von Solms. Der damals zwölfjährige Kurprinz stellte einen Taschenspieler vor und erntete großes Lob für seine Geschicklichkeit. Die Fürstin von Hohenzollern wahrsagte als Zigeunerin dem in seiner Loge anwesenden Kurfürsten und den hohen Herrschaften. An Sophie Charlotte richtete sie die folgenden Verse:
Wofern mir meine Kunst recht kund,
Zeigt dieser Strich, der so zertheilet:
Daß sie viel Tausend zwar verwundt,
Allein noch Keinen hat geheilet.
Der sächsische Gesandte, Herr von Flemming, rief auf gut pommersch:
„Vivat Friedrich und Charlott’!
Wer’s nicht recht meint, ist ein Hundsfott!“
Das Fest dauerte bis spät in die Nacht, was Leibnitz zu den Worten veranlaßt: „Je fais ici une vie, que madame l’électrice appelle après moi „ein liederlich Leben.“ – Ueber diese Zerstreuungen vergaß indeß die Kurfürstin nicht ihre ernsten Pflichten. Vorzugsweise beschäftigte sie die Erziehung ihres Sohnes, des nachmaligen Königs Friedrich Wilhelm I. , dessen wilde, trotzige Natur ihr vielen Kummer bereitete. Schon als Kind zeigte er die deutlichen Spuren eines unbändigen Charakters. Als ihn eines Tages seine Gouvernante züchtigen wollte, kletterte er auf die Fensterbrüstung und drohte sich hinabzustürzen, wenn ihm die zugedachte Strafe nicht erlassen würde. Im Gegensatz zu seinem prachtliebenden Vater verrieth er schon frühzeitig einen hohen Grad von Einfachheit, indem er einen goldstoffenen Schlafrock in das flammende Kaminfeuer warf. Seine Sparsamkeit grenzte fast an Geiz, und statt nach dem Wunsche seiner geistreichen Mutter sich mit den Wissenschaften zu beschäftigen, zeigte er nur eine auffallende Neigung für den Soldatenstand und für das rohe Lagerleben. Ohne die sich in solchem Thun äußernde Kraft zu verkennen, bemühte sie sich, durch die Wahl ausgezeichneter Erzieher und durch mütterliches Zureden auf ihn einzuwirken und seine rauhen Ecken abzuschleifen.
Nicht minder war sie bedacht, auch da den Wünschen ihres Gemahls nachzuleben, wo sie seinen Ehrgeiz und seinen Hang für äußerliche Größe nicht theilte. Schon lange ging der Kurfürst mit dem großen Gedanken um, seinem Hause die Königswürde zu verschaffen; [218] schaffen; er bedurfte zu diesem Zwecke nicht nur die Einwilligung des deutschen Kaisers, sondern auch der übrigen Fürsten. Bereitwillig ging Sophie Charlotte auf seine Wünsche ein und übernahm, obwohl sie sich sonst von allen Staatsgeschäften fern hielt, die oft schwierige Unterhandlung. Im Verein mit ihrer Mutter reiste sie in dieser Absicht zunächst nach Brüssel, wo es ihr gelang, den Kurfürsten von Baiern für die hochstrebenden Pläne ihres Gatten durch Liebenswürdigkeit zu gewinnen. Von hier begaben sie sich nach Holland, um die Zustimmung der einflußreichen Seemächte zu erlangen. Bei allen diesen Gelegenheiten zeichnete sich Sophie Charlotte durch die entschiedenste Ueberlegenheit ihres Geistes und durch die Klugheit ihres Benehmens aus, so daß ihre Bemühungen von dem besten Erfolge gekrönt wurden. Trotz dieser politischen Unterhandlungen behielt sie noch immer Zeit und Lust, ihren wissenschaftlichen Neigungen zu folgen. Kaum im Haag angekommen, wo der berühmte Kritiker Peter Bayle verweilte, schickte sie noch am späten Abend zu demselben, um seine belehrenden Gespräche zu genießen. Schon im Bette liegend und von Kopfschmerzen gequält, mußte er die ihm zugedachte Ehre ablehnen. Erst später erschien er in Gesellschaft des nicht minder ausgezeichneten Basnage vor der Kurfürstin, welche beide Gelehrte mit der größten Achtung aufnahm. Die mit Bayle gepflogene Unterhaltung, welche sie Leibnitz mittheilte, gab diesem die Veranlassung, seine berühmte „Theodicee“ zu schreiben. Zu gleicher Zeit verdankte ihr somit Preußen eine Königskrone und die Welt ein philosophisches Werk von der höchsten Bedeutung.
Mit unermeßlichem Aufwande und nie gesehener Pracht fand in Königsberg am 18. Januar 1701 die feierliche Krönung des Königspaares statt, wobei Sophie Charlotte ihren auf Etiquette besonders achtenden Gemahl nicht wenig dadurch verletzte, daß sie während der langweiligen Ceremonie eine Prise aus ihrer vom Czar Peter geschenkten goldenen Dose nahm, als sie sich einen Augenblick unbemerkt glaubte. Fast erlag sie unter der Last ihrer Würde und der darauf folgenden Festlichkeiten. In jenen Tagen schrieb sie an Leibnitz folgende charakteristische Zeilen: „Glauben Sie nicht, daß ich all den Glanz und diese Krone, von der man so viel Aufhebens macht, dem Vergnügen vorziehe, das mir unsere philosophischen Unterhaltungen in Lützelburg gewähren.“
Auch als Königin bewahrte sie sich den freien Sinn, mit dem sie auf die irdische Größe von ihrer geistigen Höhe niederschaute. „Letzthin,“ sagte sie ironisch in einem Briefe an ihre Freundin, „hat mich Leibnitz von dem unendlich Kleinen (seine Theorie der Monaden) unterhalten. Wer kennt diese kleinen Wesen besser als ich?“ –
Während sie aber mit Nichtachtung auf das kleinliche Treiben des Hofes blickte, schlug ihr Herz für das große Ganze, für das Wohlergehn des Volkes. Schon als Kurfürstin hatte sie den ihr zugehörigen Garten, der jetzt den Namen „Monbijou“ führt, mit dem daran grenzenden Vorwerk und einer bedeutenden Meierei den Berliner Bürgern gegen einen geringen Grundzins oder auch ganz umsonst überlassen, indem sie mit dieser Schenkung das Glück und den Wohlstand unzähliger Familien begründete. Theilnehmend sprach sie mit den geringsten Leuten und half ihnen, wo sie konnte. Die Liebe zu ihrem Volke wurde von diesem reichlich vergolten, und noch heute bewahrt die Köpniker Kirche eine reich gestickte Fahne, die ihr die Berliner Bürgerschaft zum Geschenk gemacht.
Um so tiefer und schmerzlicher war der Eindruck, den ihr unerwarteter Tod hervorrief. Sie starb, erst sechsunddreißig Jahre alt, am ersten Februar 1705 auf einer Reise nach Hannover an den Folgen einer vernachlässigten Halsentzündung. Bis zum letzten Augenblicke bewahrte sie jene philosophische Ruhe und Erhabenheit, die ihr Leben auszeichneten. Auf dem Sterbelager tröstete sie ihren jüngern Bruder, der verzweifeln wollte, mit den Worten: „Der Tod schreckt mich nicht, schon allzulange betrachte ich ihn als unvermeidlich.“ Den französischen Hofprediger La Bergerie, der ihr in den letzten Stunden beistand, begrüßte sie lächelnd: „Man erkennt seine Freunde in der Noth. Sie kommen mir Ihre Dienste anzubieten in einer Zeit, wo ich nicht mehr im Stande bin, etwas für Sie zu thun; ich danke Ihnen dafür.“ – Als er darauf einige tröstliche Worte an sie richtete, erwiderte sie ihm: „Ich habe seit zwanzig Jahren der Religion ein ernstliches Studium gewidmet, und mit Aufmerksamkeit die Bücher gelesen, die davon handeln; mir ist kein Zweifel übrig. Sie können mir nichts sagen, was mir nicht bekannt wäre; ich kann Ihnen versichern, daß ich ruhig sterbe.“ -In einem zärtlichen Briefe nahm sie von ihrem Gatten Abschied; worauf sie, vielleicht an seine Prachtliebe denkend, sich an ihre anwesende Freundin, Fräulein von Pöllnitz, mit den Worten wendete: „Ach, wie viele unnütze Ceremonien wird man für diesen Körper anstellen!“ Als sie diese in Thränen zerfließen sah, fuhr sie fort: „Was weinen Sie? Dachten Sie denn, ich sei unsterblich?“
Der König fiel, als er die Nachricht von ihrem Tode erhielt, in Ohnmacht; es mußte ihm eine Ader geöffnet werden. Er war tief gebeugt durch ihren Verlust, nicht minder ihre untröstliche Mutter, und der große Leibnitz, der sie in seinem Trostbriefe an Fräulein von Pöllnitz „die vollendetste Fürstin der Welt“ nannte. Alle Höfe legten tiefe Trauer um sie an, am meisten aber wurde sie von ihrem eigenen Volke beweint. – Friedrich der Große, ihr auch im Geiste verwandter Enkelsohn spricht das Urtheil der Mit- und Nachwelt über die herrliche Frau in folgenden Worten aus: „Sophie Charlotte hatte eine starke Seele. Ihre Religion war geläutert, ihre Gemüthsart sanft, ihr Geist geschmückt durch das Lesen aller guten französischen und italienischen Bücher.“
Sie starb zu Hannover im Schooß ihrer Familie. Man wollte einen reformirten Geistlichen bei ihr einführen. Sie sagte ihm: „Lassen Sie mich sterben, ohne daß wir uns streiten.“ – Eine ihrer Damen, die sie sehr liebte, zerfloß in Thränen. „Beklagen Sie mich nicht,“ sagte sie zu dieser, „denn ich gehe jetzt, meine Neugier befriedigen über die Urgründe der Dinge, die mir Leibnitz nie hat erklären können, über den Raum, das Unendliche, das Sein und das Nichts, und dem Könige, meinem Gemahl, bereite ich das Schauspiel eines Leichenbegängnisses, welches ihm neue Gelegenheit giebt, seine Pracht darzuthun.“ – Sie empfahl sterbend ihrem Bruder dem Kurfürsten die Gelehrten, welche sie begünstigt hatte. –
Sophie Charlotte verdiente im Leben wie im Tode den Namen der „philosophischen Königin“. –