Die neue Biographie Schillers
[51] Die neue Biographie Schillers von Otto Brahm (im Verlag von Wilhelm Hertz in Berlin) ist keine Anhäufung todten Materials, obschon alle Mittheilungen, auch manche erst neuerdings bekannt gewordene Korrespondenzen benutzt worden sind. Die ganze Darstellung ist in lebendigem Fluß gehalten; die einzelnen Kapitel runden sich zu selbständigen Lebensbildern ab, und als Medaillons in diesem Fries der fortlaufenden Erzählung sind die Charakteristiken der einzelnen Dichtwerke angebracht. Es handelt sich in diesem Bande besonders um die drei Jugenddramen: „Die Räuber“, „Fiesco“, „Kabale und Liebe“. Ueber die Quellen, aus denen Schiller bei diesen Werken geschöpft hat, ist ja schon sehr viel gesagt worden, aber eine so erschöpfende und überzeugende Darstellung, nicht bloß dieser Quellen, sondern auch der Anregungen und Vorbilder Schillers bei seinen Jugenddichtungen haben wir in den bisherigen Biographien noch nicht gefunden. Die Kritik trifft die Schwächen der Dichtungen, besonders in Motivirung und Aufbau; aber sie thut der warmen Anerkennung ihrer Bedeutung keinen Eintrag. So sagt Brahm von „Kabale und Liebe“: „Je weiter wir von dem Werk abstehen, je unbefangener wir seinen socialen und seinen poetischen Gehalt haben kennen lernen, in desto wärmerer Bewunderung treten wir vor diese einzige Schöpfung hin. Unzerstört und unzerstörbar ist der dramatische Gehalt des Werkes; und wie hoch auch Schiller an ästhetischer Einsicht und ethischer Klarheit noch gestiegen ist, unmittelbarere Bühnenwirkung hat er nirgends erzielt als hier. In dem weitverzweigten Gebirgsstock, welchen wir das deutsche bürgerliche Drama nennen, ist ‚Kabale und Liebe‘ der alles überragende Gipfelpunkt, und wo immer eine kräftige Weltanschauung modernes Leben abzuspiegeln sucht im Lichte der Scene, mag sie an diesem durch die Folge der Zeiten weithin sichtbaren Bilde sich in Größe und unerschrockener Wahrheit stärken.“
In der That ist die Bühnenwirkung des zweiten Aktschlusses von dem Dichter selbst kaum wieder erreicht worden; sie zündet überall, selbst bei mäßiger Darstellung. Und so war’s schon bei der ersten Aufführung des Stücks im Frühjahr 1784 in Mannheim: „Als die großartige Ensemblescene mit feuriger Wahrheit war gespielt worden, geschah etwas ganz Ungewöhnliches: die Zuschauer erhoben sich enthusiastisch von den Sitzen und brachen in ein stürmisches, einmüthiges Beifallrufen und Klatschen aus.“ Und mit demselben Enthusiasmus wird dieser meisterhaft sich steigernde Aktschluß auch noch jetzt nach hundert Jahren aufgenommen.
Der erste Band der Biographie Otto Brahms umfaßt die Heimathsjahre und Wanderjahre des Dichters und reicht bis zu der Zeit, wo er den Süden Deutschlands verließ und sich nach Leipzig wandte.
Die Knabenjahre des großen Dichters werden uns recht anschaulich geschildert, ebenso die Jünglingsjahre mit ihrer spannenden Romantik: die Flucht aus Stuttgart, der Aufenthalt in Mannheim, Oggersheim und Baumbach. Zum ersten Male wird darauf näher eingegangen, daß Schiller eigentlich schon in Ungnade gefallen sein mußte, als er die Karlsschule verließ; denn der Herzog wies ihm die subalterne Stellung eines Regimentsmedikus ohne Portepée mit 18 Gulden Monatsgehalt an. Schillers Vater ohne die acht Jahre akademischen Studiums hatte es als Regimentsfeldscheer bei seinen Husaren einst auf das Doppelte gebracht. Den Freunden aus der Akademie, welche in den Militärdienst getreten waren, sah sich Schiller nun untergeordnet: Lieutenant Scharffenstein und Lieutenant Kapff waren seine Vorgesetzten. Bei 21 Jahren und dem Ehrgeiz Schillers war über solche Rangfragen mit keiner Philosophie hinwegzukommen; seinen Degen ohne Quaste sah er als ein Abzeichen an, das ihn unablässig an die Subordination erinnern sollte.
Die Bilder der andern Charaktere, welche in Schillers Leben damals eingriffen, sind alle durchaus anschaulich und mit lebensvollen Farben geschildert. Das gilt besonders von Schillers Vater, über den alle Ueberlieferungen sorgfältig zusammengetragen und zu einem mit Vorliebe ausgeführten Bilde verwerthet worden sind. Auch das Bild des Herzogs Karl tritt in scharfen Umrissen vor uns hin, der tyrannische Zug in ihm wird aus dem Geiste seiner Zeit begriffen.
Von den Jugendgenossen Schillers treten der wackere Streicher und
Scharffenstein am meisten in den Vordergrund. Der Theaterintendant
Freiherr von Dalberg wird ohne Ueberschätzung geschildert, seinem Enthusiasmus
der Vorwurf eines flüchtigen Strohfeuers nicht erspart. Wohl
gelungen, nach guten Vorlagen gezeichnet und retouchirt sind die weiblichen
Gestalten, welche den Antheil des jugendlichen Dichters gewannen,
vor allem Margarethe Schwan und Charlotte von Kalb. Doch man darf
aus dem Gefüge dieser künstlerisch aufgebauten Lebensbeschreibung, deren
Stil ein maßvoller und wohlerwogener ist, nicht einzelne Steine herausbrechen;
man muß sich ihrer Gesammtwirkung erfreuen, und diese ist,
soweit das Werk erschienen, eine durchaus harmonische. Diese neueste
Biographie des unsterblichen Lieblingsdichters des deutschen Volkes wird –
wir zweifeln nicht daran – zu einem Lieblingswerke der Deutschen werden. †