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Die kleinen Wohltäter

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Rudolf Lavant
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Titel: Die kleinen Wohltäter
Untertitel:
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Herausgeber: Illustrierter Neue Welt-Kalender
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Auer/Hamburg und J.H.W. Dietz/Stuttgart (in Kommission)
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die kleinen Wohltäter.
(Siehe hierzu das Farbenbild)



Die Fluren verschneit und die Pfade verweht —
Nach Moosen die Hirsche scharren,
Und durch die Kronen der Tannen geht
Ein ängstliches Stöhnen und Knarren.

5
Die Füchse bellen — der Rabe zieht

Feldein mit hungrigem Kreischen;
Die Schaar der Vögel zum Menschen flieht,
Um dort ein Körnchen zu heischen.

Es machte sie alle der Hunger kirr,

10
Die scheuen, flinken Gesellen;

Das ist ein Flattern und ein Geschwirr
Vor allen gastlichen Schwellen!
Sie kennen die Fenster weit und breit,
Die ihn spenden, den Brosamenregen —

15
Sie picken sogar, wenn gekommen die Zeit,

An die Scheiben halb zag, halb verwegen.

O möchte es nimmer vergebens sein,
Dies hoffende Bitten und Werben,
Und möchte vor Hunger kein Vögelein

20
Im starrenden Forste verderben!

So manchen Sänger aus Feld und Hag
Errettet, was Menschen verschwenden, —
Und diese Gabe, die helfende, mag
Die Hand euer Kinderchen spenden.

25
Vögel und Kinder sind eng verwandt —

Ist das so schwer zu entdecken?
Schwärmen nicht beide, wenns sonnig im Land,
Lärmend durch Busch und Hecken?
Vögel und Kinder haben sich lieb —

30
Friede herrscht zwischen beiden;

Selber den Sperling, den zirpenden Dieb,
Mögen die Kinder leiden.

Und Kinder lernen zu zeitig nie
Das freundliche Helfen und Geben,

35
Lernen zu früh nicht die Sympatie

Mit allem, was atmet im Leben,
Ob im Palaste das Füßchen glitt
Ueber die marmornen Stufen,
Ob unterm Schilfdach der Hütte mit

40
Lallen sie „Mutter“ gerufen.


Wer in den Tagen der Kindheit gelernt
Mildes und sanftes Erbarmen,
Fühlt sich im Leben minder entfernt
Von den Aermsten und Armen.

45
Hast du getrotzt dem eisigen Hauch,

Hunger der Vögel zu lindern,
Findest den Weg zu der Armut du auch
Und zu verschmachtenden Kindern.

Blicktest zum Vogel, von Weh durchzuckt,

50
Mitleidvoll-gütig du nieder,

Der in den Schnee vor dem Fenster sich duckt,
Fröstelnd gesträubt das Gefieder,
Rührt dich als ernsten, gefesteten Mann
In einer Weltstadt Mitte

55
Tiefer, als Flehen dich rühren kann,

Eines Kinderblicks stumme Bitte.

Innerlich nah bis zum letzten Tag
Bleibt allem menschlichen Wesen,
Wer’s noch in Alter und Kummer vermag,

60
In den Augen der Kinder zu lesen.

Allen Jubel und alles Weh
Fühlet er mit uns noch heute,
Weil er als Kind den Vögeln im Schnee
Körner und Bröckchen einst streute.
                                                            R. Lavant.