Die heilige Cäcilia (Gemälde der Dresdener Gallerie)
Vergleicht man die Legende von der heiligen Cäcilia mit dem dieselbe darstellenden Bilde des Carlo Dolce: so kann man kaum umhin, über die gänzlich ungebundene, von Zeit und Ort unabhängige Auffassung des ausgezeichneten Malers zu erstaunen.
Die heilige Cäcilia, welche eine Erfinderin der Orgel und Schutzpatronin der Musik genannt wird, stammte aus einem vornehmen Geschlechte Roms und gelobte, obgleich nahe vor ihrer Vermählung mit einem ausgezeichneten Jünglinge, ewige Keuschheit. Sie hielt nicht allein ihr Versprechen, sondern brachte es durch ihre Standhaftigkeit und Beredtsamkeit auch dahin, daß ihr, einer heimlichen Christin, ihr Bräutigam Valerianus und der Bruder desselben, Tiburtius, Gehör gaben und sich taufen ließen.
Cäcilia soll, gleich dem Paulus, durch die Erscheinung Christi und seiner Engel zum Glauben bekehrt geworden sein, und seit diesen Visionen hatte sie weder Ruhe noch Rast, bis sie Andern eine lebendige Vorstellung ihrer geistigen Verzückung geben konnte. Dies erreichte sie durch die Erfindung der Orgel, auf denen sie die Lobgesänge der Engel zur Ehre des Dreimalheiligen spielte, wie sie sie gehört hatte. Es kann bekanntlich keine Rede davon sein, daß Cäcilia, welche im Jahre 220 n. Chr. starb, das herrliche Instrument erfand, welches Ktesibios von Alexandrien volle 100 Jahre früher zu der Gestalt und Einrichtung brachte, wie dasselbe bis zum Jahre 750 bestand, zu welchem Zeitpunkte Kaiser Konstantin und der Khalif Harun al Raschid der Vervollkommnung der sogenannten Wasserorgeln die größte Aufmerksamkeit widmeten. So viel scheint indeß aus der Legende als gewiß hervorzugehen, daß Santa Cäcilia eine Meisterin im Spiel des damals für sehr schwierig gehaltenen Instruments gewesen sein muß. Nicht minder sicher kann es gelten, daß die Heilige selbst die Componistin der Lieder und Melodien war, die noch kein sterbliches Ohr gehört hatte. Die Töne der himmlischen Heerschaaren quollen, bezaubernd und unwiderstehlich zum Glauben an den Gottessohn hinreißend, aus ihrer Orgel hervor. Die göttliche Wirkung ihrer Musik und ihres begeisterten Gesanges erregte sehr bald die Aufmerksamkeit der Christenverfolger, und die heilige Jungfrau ward mit Valerianus und Tiburtius ergriffen und zum Tode verurtheilt. Sie ward in kochendes Wasser geschleudert, starb aber nach den vom Henker empfangenen Beilhieben erst drei Tage später. Im Jahre 1821 ward sie heilig gesprochen und an ihrem Tage, den 22. November, feierte man die großartigen Musikfeste, welche den Namen der Jungfrau Märtyrin trugen.
Für die Dichter wie für die Maler ward die Heilige oft der Gegenstand bedeutender Schöpfungen. Namentlich sind’s Engländer, welche dieselbe besungen haben, so Chaucer, Dryden, Pope, Addison. Des Letztern Jubelhymne dürfte, was den Schwung der Sprache betrifft, den Rang verdienen. Von den Malern stehen Raphael, Domenichino, Mignard und Carlo Dolce da, um den Ruhm der heiligen Cäcilia zu verherrlichen. Die Darstellung von Mignard, fast [222] den Charakter einer Studie tragend, dürfte die schwächste sein, und Carlo Dolce’s Bild darf, auch nicht mit dem der beiden andern Meister verglichen werden. Hier ist keine gotterfüllte Seherin, welche in vollen Orgeltönen und im Gesange die von lichteren Sphären nur ihr hörbar erklingenden Engelshymnen ausströmt, um wunderbar die Herzen der Menschen dem Könige aller Himmel zuzuwenden. Aber eine solche schwungreiche Auffassung ist auch Carlo Dolce’s Sache nicht. Er glänzt auf einem andern Felde.
Die sanfteste Weichheit, die zarteste, reinste Innerlichkeit in seinen Bildern wiederzuspiegeln, alle entsagenden, duldenden Tugenden mit der Verklärung, welche sie über das Menschenantlitz hauchen, zur Erscheinung zu bringen, das ist das große Geheimniß seines Meisterpinsels. Und so giebt er auch von der heiligen Cäcilia nach seiner Auffassungsweise ein erschöpfendes Bildniß, von einem engelartigen Ausdrucke in Blick und Mienen. Ihr selbst unbewußt scheint das Geschenk der himmlischen Töne in ihrem Innern zu ruhen. Sie beugt sich leicht, als vernähme sie das Säuseln und Flüstern der schwebenden Heerschaaren; ihr Blick ist vergeistigt, tief in die Welt heiliger Töne versenkt. Wahrlich merkwürdig und selbst dem ungeübten Beschauer auffallend aber ist die erhabene, von keinem Irdischen zu trübende Ruhe der Jungfrau, die wahre Ruhe einer Heiligen, die Carlo Dolce über dies Bildniß ausgoß. Und dennoch thut diese Ruhe der unbeschreiblichen, sanftmüthigen Ergebung der Heiligen nicht nur keinen Eintrag, sondern hebt sie noch vielmehr. Die Malerei dieses Stücks ist weich, ohne matt zu sein, ein Fehler, den Carlo Dolce nicht immer vermeidet; die Drapirung hat das Unklare, Bauschigte, welches der Maler gern anbringt.
Von einem Maler geschaffen, der als der Zarteste auf dem einen Flügel der glänzenden Reihe der italienischen Meister steht, indeß der Stärkste, Gewaltigste, Michel Angelo, die entgegengesetzte Richtung schließt, verdient dies Bild nicht geringe Aufmerksamkeit. So kann man auch von dem willkürlichen Costume, von der unrichtigen Form der Orgel nach damaliger Zeit absehen. Der Kern und Gehalt des Genius von Dolce, dieses Malers mit dem Kindesgemüthe, bricht glänzend durch alle diese Verhüllungen hervor.