Die glückliche Entdeckung
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In der Mitte des zwölften Jahrhunderts zog der schwäbische Graf von Marstetten, der den Zunamen der Möringer führte, ins ferne Asien, um an den Gräbern Jesu und der ersten Bekenner des Evangeliums die Sünden abzubüßen, die er begangen hatte. Er hinterließ eine junge Gattin, und eine einzige Tochter, die Erbin aller seiner Güter. Sieben lange Jahre waren dem harrenden Weibe schon dahin geflossen, und noch war der fromme Gemahl nicht zurückgekommen. Sie schickte gegen alle vier Winde Späher aus, ihn zu erfragen; aber keiner gelangt auf seine Spur, und alle bestärkten sie in der Vermuthung, daß er entweder von den Heiden erschlagen, oder von dem Meere möchte verschlungen seyn.
Es ward dem Weibe zu traurig, so einsam zu leben auf ihrer Burg, und die Freuden der Liebe nicht mehr zu schmecken in den schönsten Tagen ihres Alters. Graf Berchtold von Neuffen, ein junger, rüstiger Ritter, entbrannt von Liebe gegen sie, und wie sie wähnte, [274] ihre Gegenliebe nicht unwürdig, war kühn genug, um ihre Hand zu freyen. „Sobald du mir Gewißheit verschaffest, sprach die Gräfin, daß mein Gatte gestorben sey, so erhältst du meine Hand.“ Was konnte Berchtolden leichter seyn, als diese Bedingung zu erfüllen?
Im lauten Jubel, beym Becher und im frohen Getümmel des Reigens feyerten Ritter und Knechte, Fräulein und Zofen, den Vermählungstag auf dem Schlosse zu Buoch. Am Abend des Tages, mit dem Untergange der Sonne, kam in der Mühle, unten am Fuße des Schloßberges, ein armer Pilger an, ausgemergelt von den Mühseeligkeiten der Reise, trüben Blickes und hagerer Gestalt. Er erkundigte sich nach der Ursache des Freudenfestes auf der Burg. "Unsre gnädige Frau, sagte ihm der Müller, macht heute Hochzeit mit[WS 1] Berchtolden von Neuffen, nachdem ihr erster Ehemann auf dem Zuge ins heilige Land verschieden ist."
Eiligst flog der Pilger den Schloßberg hinan, und drang, trotz aller Widerrede, in den Saal, wo die Braut unter einer Menge ehrbarer Herren und Frauen am Tische, von den [275] Armen ihres Buhlen umschlungen, saß. Unversehens warf er einen Ring in ihren Becher. Sie wollte trinken. „Halt, sprach sie, was find ich hier, – sie nahm den Ring heraus – Gott und alle Heiligen – ruft sie aus – wo der Ring ist, muß er auch seyn! – Sehet – der Ring, den der Graf mit ins heilige Land genommen hat!“ Staunend starrten sich die Gäste an. „Kennst du mich nicht mehr, mein trautes Weib?“ spricht eine leise Stimme hinter dem Stuhle. Sie wendet sich um. Sie sinkt in seine Arme. Sprachlos ist der Liebenden Entzücken; – stumm des betäubten Bräutigams Schmerz.
„Du sollst nicht getäuscht seyn, Berchtold von Neuffen, – sprach der Möringer; – konntest du die Mutter lieben, so wirst du auch die Tochter nicht verschmähen. In wenigen Jahren wird sie mannbar seyn; dann nimmst du sie hin, und mit ihr nach meinem Tode alles Gut, was ihr zufallen wird von dem Meinen.“[1] [276] Unaussprechlich war aller Freude, und trunken von Lust, leerten die Ritter die vollen Humpen auf das Wohl des Möringers und seines Weibes, und auf des Neuffers und seines Fräuleins Wohl.
- ↑ Im Jahre 1154. ließ der Möringer Berchtolden seine Tochter antrauen, und [276] gab ihm sogleich Marstetten und Weisenhorn, mit der Bedingung, sein Stammwappen zu führen. Ihre Nachkommen starben im Jahre 1349. aus, da denn die besagten Güter an Baiern fielen. Nach dem Tode Georgs des Reichen kamen sie an Oesterreich, und wurden von hier an die Grafen von Fugger verkauft, die sie noch heut zu Tage besitzen.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: mich