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Die drei Schwestern (Schreiber)

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Textdaten
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Autor: Alois Wilhelm Schreiber
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Titel: Die drei Schwestern
Untertitel:
aus: Badisches Sagen-Buch II, S. 311–314
Herausgeber: August Schnezler
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Creuzbauer und Kasper
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Erscheinungsort: Karlsruhe
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Originalherkunft:
Quelle: Commons, Google
Kurzbeschreibung:
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[311]
Die drei Schwestern.

Am Eingang in das romantische Murgthal schaute in uralter Zeit von einer Höhe des linken Ufers eine Burg herab, die aber längst bis auf die letzte Spur verschwunden ist. Als nur noch wenige Trümmer davon übrig waren, stunden am Abhange des Hügels drei Linden, welche die letzte Besitzerin der Burg zum Geburtstag ihrer drei Töchter gepflanzt hatte und die darum „die drei Schwestern“ genannt wurden.

An einem schönen Sommerabende kehrten einst in der Schenke, die am Fuße des Schloßbergs lag, drei junge Ritter ein, die sich durch Zufall auf der Reise zusammengefunden hatten. Der Eine war ein reicher Graf aus dem Elsaß, mit stattlichem Gefolge; der Zweite wurde gewöhnlich „der Ritter vom See“ genannt, weil seine Güter am Bodensee lagen. [312] Unter allen Dreien waren seine Sitten die feinsten und gewandtesten; auch schien er ziemlich lebenslustig. Der Dritte, ein Jüngling von zwanzig Jahren, hatte der Natur mehr zu danken, als dem Glücke. Mit einer einnehmenden Gestalt verband er eine ächt ritterliche Gesinnung, aber auch eine gewisse Schüchternheit, deren er nicht Meister werden konnte. Seine Vorältern hatten große Güterschenkungen an Kirchen und Klöster gemacht und ihm nichts hinterlassen, als eine ziemlich feste, höchst freundlich gelegene Burg am Rheine, und von Ländereien und anderen Einkünften nur so viel, als gerade zur Bestreitung seiner unentbehrlichsten Lebensbedürfnisse hinreichte.

Auch zu diesen drei Rittern war der Ruf von der Schönheit und dem Reichthume der drei Schwestern gedrungen und hatte sie gelockt, sich als Freier um ihre Hand einzustellen. Nachdem sie sich in der Schenke gelabt und vom Staube des Reiseweges gereinigt, ließen sie sich bei der Edelfrau melden, von der sie auch alsbald eine Einladung auf die Burg erhielten. Man führte sie, dort angelangt, in einen weiten prächtigen Saal, wo sie die drei Fräulein an ihren Spinnrocken sitzend fanden. Die Aelteste, Rosaura, war von hohem, edlem Wuchse und schöngeformten regelmäßigen Zügen, aus denen aber kein Gemüth, sondern ein kalter, höhnender Uebermuth sprach. Die zweite, Eudoxia, prangte in blühendster Jugendfülle; dagegen glich die Jüngste, Irene, einer frischen, kaum erschlossenen Rosenknospe, die sich erst schüchtern den Küssen der lauen Lenzesluft zu entfalten beginnt. Rosaura spann einen Goldfaden, Eudoxia einen von Purpur und Irene drehte bloß schlichten Hanf an ihrem Rocken. Die drei Freier ließen sich gleich von den ersten Eindrücken, welche dieß Kleeblatt auf ihr Herz machte, leiten und bestimmen: Der Graf bewarb sich um Rosaura’s Neigung, der Ritter vom See fühlte sich zu Eudoxia hingezogen und der jüngste Ritter ließ sich hocherröthend in schüchterner Verwirrung nach einigem Zögern an Irenen’s Seite nieder. Der Graf und der Seeritter wurden bald ganz herzenseinig mit ihren Damen, deren Bedenklichkeiten sich bloß innerhalb der Grenzen der Schicklichkeit hielten. Irene dagegen sagte zu dem jungen Ritter: „Gesteht [313] mir nur aufrichtig, ob auf Eurer Burg viel Prunk und rauschendes Leben herrscht und ob Ihr ein Freund von Glanz und Festlichkeiten seyd? In diesem Falle tauge ich nicht als Gattin für Euch. Meine Schwestern nur sind dazu erzogen, auf großem Fuße und unter Freudegenüssen aller Art zu leben; mein Sinn ist aber nur auf das Glück stiller, einfacher Häuslichkeit gerichtet, weßhalb mich auch mein Vater, als er auf dem Sterbekissen lag, zu sich rufen ließ und sprach: „Irene, du wirst einst recht glücklich werden, denn du liebst nicht den Schimmer und eitlen Tand; darum überlasse, was ich von Gold und Kostbarkeiten auf euch vererbe, deinen beiden Schwestern, und nimm dafür diese Spindel hier! Sie rührt noch von meiner Aeltermutter her und wird die besondere Tugend an den Tag legen, daß, so lange du und deine dereinstige Familie sie sorgfältig als Kleinod bewahren, so lange auch das Glück nicht von dir und deinen Kindern und Kindskindern weichen wird.“ – Ist es nun Euer ernstlicher Vorsatz, Herr Ritter, keine vornehme, prunkliebende Dame, sondern eine schlichte wackere Hausfrau auf Eure Burg zu führen, gut, so bin ich die Eure und folge Euch gern.“

Mit freudiger Hast ergriff der junge Ritter ihre dargebotene Hand und rief: „Gott sey gedankt, daß ich in Euch eine Gattin finde, wie mein Herz von jeher allein sie wünschte! Auch mir blüht das Glück nur im stillen, prunklosen Familienleben, und zur Bestätigung, daß ich das Vermächtniß Eures seligen Vaters als ein Heiligthum ehre, soll Eure Spindel von dem Tag unsrer Vermählung an in mein Wappen aufgenommen werden.“

Die Edelfrau hatte nichts gegen die Wahl ihrer Töchter einzuwenden; doch bestand sie darauf, die Trauung solle in ihrem Schloß und zwar die aller drei Paare zu gleicher Zeit vor sich gehen. So geschah es auch bald darauf, und einige Tage später zogen die Ritter mit ihren Frauen nach ihren heimathlichen Burgen.

Die Schwiegermutter erlebte nicht mehr die nun folgenden Schicksale ihrer Kinder, denn schon sechs Monate nach der Vermählungsfeier wurde sie von einer Krankheit hinweggerafft. Ein halbes Jahr nach diesem schmerzlichen Verluste saß Irene, ihren [314] Erstgebornen auf dem Schooß, in ihrem Klosett, als ihr Gatte mit traurigen Mienen herein trat und sagte: „Ich habe dir eine schlimme Post zu bringen. Unser Schwager, der Graf, hat, nachdem er sein ganzes Vermögen in Saus und Braus durchgebracht, sich mit einer Schaar von Raubrittern verbunden und bereits solche Gewaltthätigkeiten mit ihnen auf den Heerstraßen verübt, daß sich der Kaiser genöthigt sah, ihn in die Acht zu erklären. Wie es heißt, soll er sich nun nach Frankreich geflüchtet haben.“

„Und Rosaura?“ – rief Irene voll schmerzlicher Besorgniß. – Ihr Gatte hatte nicht erfahren können, welch ein Loos ihre Schwester getroffen. – Aber als Irene gegen Abend, ihren Säugling im Arm, unter den Linden im Hofe saß, kam eine müde Pilgerin, ärmlich gekleidet und die Spuren tiefen Grames im bleichen Angesicht, auf sie zugewankt: es war Rosaura, die nun als Bettlerin vor der wegen ihrer Anspruchslosigkeit oft bespöttelten Schwester stand, verlassen von ihrem Gatten, hinausgestoßen in die fremde Welt, ohne Obdach, ohne Brod für sich und ihren Kleinen. Irene schloß unter Thränen des innigsten Mitleids die unglückliche Schwester in ihre Arme und bat sie, bei ihr zu bleiben und ihr stilles häusliches Glück mit ihr zu theilen, was Rosaura mit überströmendem Danke annahm. Von Eudoxia’s Schicksal hatte sie keine Kunde. Aber wenige Monate später traf der Ritter vom See ganz unvermuthet auf der Burg seines Schwagers ein und erzählte, wie Eudoxia, leichtsinnig ihrer Pflichten als Gattin vergessend, seiner Ehre so wenig geschont habe, daß er sich genöthigt gesehen, die Treulose in ein Kloster zu sperren. Diese Nachricht war ein neuer schmerzlicher Schlag für Irenens gefühlvolles Herz und sie suchte nun um so sorgfältiger in ihren Kindern den einfachen häuslichen Sinn, durch den sie selbst so glücklich geworden war, zu wecken und zu erhalten.

(Siehe Al. Schreibers „Sagen aus den Rheingegenden etc.“)