Die deutschen Frühlingsfeste
Die alten Germanen theilten das Jahr nicht in vier, sondern in drei Jahreszeiten: der Herbst war ihnen unbekannt wie seine Gaben. Dementsprechend feierten sie drei Hauptfeste, welche ebenso wenig wie unsere heutigen drei großen kirchlichen Feste in gleichen Zwischenräumen über das Jahr vertheilt waren, obgleich sie mit diesen keineswegs zusammenfallen. Es waren einmal die beiden Sonnenwendtage, Johannestag und Weihnacht, und sodann ein Frühlingsfest, das wohl ziemlich genau in der Mitte zwischen beiden in der ersten Jahreshälfte lag. Während nun die beiden ersten Feste leicht ihren Platz im Kreislaufe des Jahres zu behaupten vermochten, da sie auf astronomisch bedeutsame Tage fielen, war dies bei dem Frühlingsfest nicht der Fall. Das große zeitliche Schwanken des christlichen Osterfestes vom 22. März bis zum 25. April, welches seit dem Jahre 325 zur Geltung kam, die Einführung des Gregorianischen Kalenders und vielleicht noch mancher andere Einfluß haben eine Reihe Verschiebungen eintreten lassen, infolge deren die einheitliche Festfeier zerrissen wurde und je nach der Gegend, wo der eine oder der andere Umstand wirkte, Spaltungen eintraten, welche uns heute das Recht geben, von mehreren deutschen Frühlingsfesten zu sprechen, deren Haupt allerdings das Osterfest ist.
Noch ist draußen gewöhnlich Eis und Schnee nicht von den Fluren geschwunden, noch eilt der Schlitten auf der Landstraße hin und der Wind knickt Eiszapfen von den Dachkanten, da begeht das deutsche Volk in seiner Fastnacht sein erstes Frühlingsfest, seine Frühlingsvorfeier. Das alte Fastnachtsfest währte sechs Tage und reichte vom Donnerstag vor Fastnacht, dem „unsinnigen Pfinztag“ Tirols, bis zur Mitternacht vor Aschermittwoch. Es ist nur eine Art Vorfeier; denn noch ist der Frühling ja nicht Herr im Lande, noch muß er sich erst den Plan erkämpfen. Aber eben diese Kämpfe bringt die Fastnachtsfeier in einem Spiele zur Darstellung, das auf deutschem Boden weit verbreitet ist.
In Niederösterreich ziehen am Faschingsdienstag zwei Männer durch das Dorf. Der eine ist in einen Pelz gehüllt. Seinen Kopf bedeckt eine große Pelzmütze; Arme und Beine sind mit Stroh umwunden, in der Hand trägt er einen Dreschflegel: es ist der Winter. Einen freundlicheren Eindruck macht sein Genosse, der den Sommer darstellt. Ein langes weißes Hemd fällt bis auf seine Knöchel nieder, das ein goldener Gürtel zusammenhält, in dem einige Nadelreiser stecken. Seine Rechte führt eine Sichel. In friedlicher Gemeinschaft ziehen beide von Haus zu Haus, überall empfängt sie der Jubel der Kinderschar. Ehrfurchtsvoll macht man ihnen in den Stuben Platz. Alle Hausgenossen treten auf eine Seite. Winter und Sommer stellen sich einander gegenüber, und es beginnt ein Wortgefecht, in dem einer den andern schlecht zu machen sucht und bei dem man wohl nicht zu allen Zeiten bei Worten stehen blieb. Der Sommer beginnt:
„Da Winter is a grober Gsöll,
Er jagt die alten Weiber in die Höll[1],
Herimei[2], da Summer is fei!“
[174] Aber der Winter hat dem Sommer gleichfalls mancherlei am Zeuge zu flicken. Er sagt:
„Da Summer is a rechter Bauer,
Er macht den Weibern den Milchrahm sauer.
Herimei, da Winter is fei!“
In dieser Weise geht der Streit eine Weile fort, bis der Winter bekennt, daß er doch nächstens das Feld räumen muß. Dann gehen beide friedlich nach dem nächsten Hause. Einst war das Spiel weit umfassender, wie eine ältere Fassung dieses Liedes zeigt, die 1580 als fliegendes Blatt erschien und durch Ludwig Uhland wieder bekannt geworden ist. 1628 wurde sie mit Beibehaltung des Kehrreims zu einem Wortwechsel zwischen der Stadt Ulm und einem Soldaten umgedichtet. Auch Lieder haben ihre Lebensschicksale!
Nur an wenigen Stellen ist der Brauch so rein erhalten. Aber in den Mummereien der Landbevölkerung zur Fastnachtszeit blickt noch vielerorts der Gegensatz von Sommer- und Winterlarven durch, während derselbe in den Maskenbällen unserer Städte längst dem größeren Luxusbedürfniß und dem Streben nach Mannigfaltigkeit zum Opfer gefallen ist. Aber auch diese Lustbarkeiten sind Reste eines alten Vorfrühlingsfestes und einer derberen Zeit, welcher es Bedürfniß war, sich vor Beginn der stillen Fastenzeit noch einmal gründlich auszutoben. Ihre außerordentliche Verbreitung über ganz Europa legt deutlich Zeugniß von der wichtigen Stellung ab, die Fastnacht dereinst einnahm.
Noch ist keine volle Woche ins Land gegangen, da klopft die Frühlingsfestfreude schon wieder gebieterisch gegen die Thür, und wenige Pforten der deutschen Gebirgsgegenden bleiben ihr verschlossen. Es ist Funkensonntag, oder Sonntag Invocavit, wie ihn die Kirche nennt, der Tag des Feuerzaubers oder Feuersegens. Baumanzünden, Fackellaufen, Scheibenschlagen, Feuerradrollen und Kornwecken heißen die Bräuche, mit denen man allenthalben hier die Flur für das kommende Fruchtjahr weiht und der Saat wie der Ernte ein fröhliches Gedeihen zu sichern sucht. Hier kommt der „Winter“ meist nicht mehr so glimpflich weg wie am Fastnachtstage, denn er muß, wo er auftritt, unerbittlich den Feuertod sterben.
In Vorarlberg erscheint er unter der Gestalt der „Hexe“, einer aus allerhand alten Kleidungsstücken hergestellten Puppe. Der „Funka“, eine schlanke, junge Tanne, wird grün, wie sie im Holze steht, bis zum Wipfel mit Stroh umwickelt. Rings thürmen rüstige Burschen mächtige Stöße von Holzscheiten auf, und bald thront die Hexe oben auf dem Tannenwipfel. Schon wirft der Wald lange Schatten, da sammelt sich die männliche und weibliche Jugend aus weitem Umkreis um den Funka. Tiefe Stille herrscht. Es ist, als ob man sich bewußt wäre, eine heilige Handlung zu begehen. Burschen und Mädchen schwingen jedes eine noch unentzündete Fackel in der Hand, und der Funka nebst der Here sind die einzigen Gegenstände der leise geführten Unterhaltung. Jetzt blitzen die ersten Sterne auf, und die niedrigen Dorfhütten sind von der Höhe aus nur noch undeutlich zu erkennen. Ein Auserwählter tritt aus der Menge, die sich zu einem Kreise zusammenschließt, und zündet den Funka an. Jetzt fängt er Feuer, die Flamme züngelt empor und bereits loht er hoch gen Himmel. Die Hexe versinkt in seiner Gluth und alles drängt heran, die Fackel an dem geweihten Feuer zu entzünden und fortzustürmen. Bald ist Berg und Thal übersät von dahineilenden Feuerbränden; denn jedes will dem eigenen Boden den Feuersegen bringen, ehe die Fackel verlischt. Dazwischen hallt es, von ganzen Gruppen gesungen, durch die Nacht:
„Flack us! flack us,
Ueber alle Spitz und Berg us!
Schmalz in der Pfanna,
Korn in der Wanna,
Pflueg in der Erda
Gott alls grota lot[3]
Zwüschat alla Stega und Wega!“
Im Oberinnthal kommt das „Scheibenschlagen“ dazu. Die flammenden runden Scheiben aus Erlenholz, welche mit einem kräftigen Schwung in die Luft getrieben werden, glänzen weithin am dunklen Nachthimmel, und ihre Feuerbahnen, die sich bald kreuzen, bald nebeneinander laufen und auf Augenblicke die Nacht weithin erhellen, geben ein prächtiges Bild. Auch Schwaben kennt das Scheibenschlagen. Hier steht dasselbe in enger Beziehung zum Liebesleben. Man schlägt die Scheiben auf der Geliebten Wohl.
Jeder Scheibe Flug ist vorbedeutend für die Zukunft. Ob Flachs und Korn gedeihen, ob Lawinen stürzen, ob Glück oder Unglück, Krieg oder Friede kommt, das alles steht in ihren glänzenden Bahnen geschrieben, geschrieben für den, der zu lesen versteht. Wie mögen heuer am Funkensonntag die Scheiben geflogen sein? – Noch deutlicher als hier tritt die segnende Wirkung des Feuers in dem „Kornaufwecken“ von Proveis in Tirol hervor. Auf jedem Gute tragen hier die Buben Stroh und Reisig zusammen, stecken mit Einbruch der Nacht diese Haufen in Brand und schüren ihn, bis er weithin sichtbar loht; denn so weit er leuchtet, so weit reicht sein Segen. Nun beginnt ein Lärmen und Toben, ein Krachen und Blitzen. Die älteren Burschen schießen Büchsen und Pistolen ab, und jüngere eilen mit Schellen und Glocken wie rasend und laut schreiend durch die Felder, wo das Korn schläft. Erst nach Mitternacht wird’s allmählich still. Fragt man, was das bedeute, so erhält man die Antwort: „Sie wecken das Korn auf.“
An diese Bräuche schließen sich allerorts Spiel und Tanz an. Eigene Festgebäcke und der Bedeutung des Tages entsprechende Festspeisen erhöhen die volksthümliche Feier, und ein echter schwäbischer Funkensonntag giebt an Glanz im Herzen der Betheiligten einem großen städtischen Vogelschießen nichts nach.
Drei Wochen nach dem Funkensonntag fällt der Rosensonntag, Dominica rosarum, der Sonntag Lätare. Er ist das Frühlingsfest für den deutschen Osten. An ihm muß der Winter endlich für immer sterben und begraben werden. Schon aus dem sechzehnten Jahrhundert haben wir eine hübsche knappe Schilderung davon bei dem biederen Sebastian Franck, in seinem Weltbuch (1542): „Zu Mitterfasten ist der Rosensonntag … An diesem Tag hat man an etlichen Orten ein Spil, daß die Buoben an langen Ruoten Bretzeln herumbtragen in der Statt, und zwen angethone Mann, einer in Singrüen oder Ephew, der heißt der Summer, der ander mit Gmöß[4] angelegt, der heißt der Winter, dise streiten miteinander, da ligt der Summer ob und erschlecht den Winter, darnach geht man darauff zum Wein.“
In Obersteiermark faßt man heute den Streit zwischen Sommer und Winter gerichtlich auf, und beide führen vor versammelter Dorfgemeinde jedes Jahr einen langwierigen Rechtsstreit, in dem der Winter zuletzt immer Unrecht bekommt. Eine noch eigenartigere Gestalt hat das Frühlingsspiel im Saazer Kreise in Böhmen angenommen, wo es seltsamerweise den Namen „Mit dem Bändertod gehen“ führt. Hier ziehen fünf verkleidete Knaben [175] von Haus zu Haus und veranstalten folgende Aufführung: Der König sitzt mit seinem Töchterlein auf dem Throne. Da nahen zwei Abgesandte und werben um die Hand der Königstochter. Noch haben sie keine Antwort erhalten, da kommt auch der Tod (der Winter) und trägt gleichfalls seine Werbung vor. Empört darüber ersticht ihn der König. Muß er doch einmal sterben und muß doch sein Sterben auch einen Grund haben! – In Oesterreichisch-Schlesien verbrennt man den „alten Juden“ (Judas Ischarioth), anderorts das Bild des Papstes oder das Luthers, je nach dem Bekenntniß der Gegend. In einigen deutsch-mährischen Dörfern treibt man den Tod aus „zum Andenken an die Vertreibung der Mongolen“ und in dem böhmischen Orte Schönfeld jagt man „den Türken hinter die Stadt“.
Der todte Winter will auch begraben sein. Sein Begräbniß feiert das „Todaustragen“, ein Jubelfest. das kaum seinesgleichen kennt. Es gipfelt darin, daß der Winter, eine Puppe, mit der vorher allerhand Unfug getrieben worden ist, aus dem Dorfe fortgetragen, zerrissen, eingegraben, verbrannt oder in einen Fluß geworfen wird, der ihn in seinen Wellen verschlingt. Daran reiht sich dann das „Einholen des Sommers“ oder der „Sommergewinn“. Noch zu Anfang unseres Jahrhunderts trug man auf der Flur zu Leißling bei Naumburg den „Tod“ hinaus auf die Felder der Nachbargemeinde. Bei der Heimkehr sang man dann:
„Den Tod haben wir hinausgetrieben,
Den Sommer bringen wir wieder,
Des Sommers und der Maien,
Des wollen wir uns freuen.
Sommerland! Sommerland!
Der Tod hat sich von dir gewandt,
Er ist auf die Flur verbannt.“
In der Mitte der deutschen Frühlingsfeste steht der erste Ostertag, der zugleich ihren Höhepunkt bildet. An seinem Morgen macht die Sonne nach dem deutschen Volksglauben drei Freudensprünge. In der Nacht vom Ostersonnabend zum Ostersonntag fließt statt Wasser Wein in vielen Bächen, mancher Quell hat besondere Heilkraft und verleiht, schweigend geschöpft, nimmer welkende Schönheit, Thiere reden, Geister gehen um, in Burgen und Ruinen erscheint die weiße Frau, und es wiederholt sich überhaupt der gesammte Zauber der Weihnacht. Aber auch eigene Züge fehlen nicht. Fast in allen Gebirgen Deutschlands flammen noch hier und da echte alte Osterfeuer, deren Flamme durch das Reiben zweier Hölzer entzündet wird, namentlich in Norddeutschland holt jeder Hausstand von dem gemeinsamen Osterfeuer sich einen Brand für das Herdfeuer; denn dieses schützt Haus und Hof vor Blitzschäden.
Die Kinderwelt hat vollauf zu thun mit den unbemalten und bemalten Ostereiern, die zuerst am Gründonnerstag aus allerlei Verstecken hervorgesucht werden müssen und am Osterfeste selbst auf keinem Tische fehlen dürfen. Als Sinnbilder des keimenden Lebens stehen sie in enger Beziehung zu der ganzen Frühlingszeit.
Fast ganz dem Osterfeste eigen ist der „Schlag mit der Lebensruthe“, die Weihung von Menschen und Thieren durch Ruthenstreiche. Es findet sich allerdings bereits verstreut am Fastnachtstage und am Palmsonntage, wo sich zum Theil Umzüge damit verknüpfen, und auch das Ascheabkehren am Aschermittwoch ist ein Rest davon. Wie man am Palmsonntag die Felder durch Einstecken von Ruthen weiht, so schützt man Menschen und Hausthiere durch Streiche damit vor Krankheit und Unfall. In Masuren gilt es als eine besondere Aufmerksamkeit, wenn ein junger Mann ein Mädchen am Ostersonntag mit der Gerte streicht. Am Montag darf das schöne Geschlecht dann Vergeltung üben. Im böhmischen Oberlande ziehen ganze Scharen von Knaben am Ostertage bei Pathen, Vettern und etwaigen reichen Leuten umher, treten mit Ruthen bewaffnet vor die Stubenthür und rufen:
„Rothe Eier heraus,
Oder ich peitsche die Madeln aus!“
Erhalten sie dann keine Eier, so führen sie ihre Drohung aus und suchen ihre Opfer in der Küche auf.
Hier treten die Eier uns als ein Lösegeld entgegen, das man zahlt, um nicht geschlagen zu werden. Ursprünglich sind sie der Dank für die Schläge und die damit verbundene Segnung. Dies ist noch deutlich aus der Form ersichtlich, in welcher die Umgegend von Prag diesen Brauch kennt. Hier ziehen am Ostermontage Spielleute auf den Dörfern herum. Ihnen folgen ganze Scharen Burschen, Maien in der Hand, und schlagen sich gegenseitig mit den Worten: „Da hast Du Glück“. Vergißt es einer, so bittet ihn der andere darum, indem er sagt: „Gieb mir Glück“, und jener antwortet dann, ihn nachträglich schlagend: „Da hast Du’s.“ In einem schlesischen Reime findet es sich noch ganz deutlich ausgesprochen, daß das Schlagen die Krankheitsgeister, denen der Volksglaube die Gestalt von Fliegen oder Käfern beimißt, austreiben soll:
„Heut ist Ostern,
Da geht man schmeckostern.
Um den Rücken, um den Rand,
Da kommen die Fliegen rausgerannt,
Wenn sie nicht werden weichen,
Werden wir sie runter streichen.“
Zu Ostern sind Büsche und Wälder meist noch kahl. Aber bald kommen die jungen Triebe hervor, und wenn der erste Mai kommt und mit ihm das Frühlingsfest des Walpurgistages, da hat die Natur bereits begonnen, ihr Sommerkleid anzuziehen, und zum letzten der Frühlingsfesttage, zu Pfingsten, da steht Baum und Strauch im Blätter- und Blüthenschmucke. Und den beiden letzten Frühlingsfesten ist es gemeinsam, Häuser, Gärten, Eingänge und selbst ganze Wege mit frischen Maien zu schmücken. Bald finden sie sich mehr vor dem Amtsgebäude des Ortes, bald stellt sie jeder vor der eigenen Heimstatt auf, und bald pflanzen sie vermummte Gestalten bei Nacht und Nebel dem schönsten Mädchen des Dorfes oder der einzelne Bursche zu gleicher Stunde seiner Geliebten vor die Thür. So dienen sie als Zeichen der Verehrung, als Willkomm und als Gruß der Liebe. Anderorts ist es wieder ein Baum, dem sich die Aufmerksamkeit aller zuwendet, die Dorflinde, unter deren breitem Blätterdache Spiel und Tanz stattfindet, die einst geradezu als das Heiligthum des Ortes galt und noch heute häufig am Maitage wie zu Pfingsten mit bunten Bändern und Blumengewinden geschmückt wird. Aber wie die Festbräuche des Maitages und der Pfingstfeier auch wechseln mögen: immer steht in ihrem Mittelpunkte ein Stück alten Baumdienstes der Germanen.