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Die allgemeine deutsche Erziehungsanstalt in Keilhau bey Rudolstadt betreffend

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Textdaten
Autor: Friedrich Fröbel
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Titel: Die allgemeine deutsche Erziehungsanstalt in Keilhau bey Rudolstadt betreffend
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aus: Isis, Jg. 1822, Nr. VII, Sp. 732–737
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1822
Verlag: Brockhaus
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Commons
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[732]
Von dem Vorsteher derselben
F. W. A. Fröbel.

Wir sind wiederholentlich von Freunden und Beförderern einer wahren deutschen Volkserziehung im Allgemeinen, und besonders von Freunden und Beförderern unseres erziehenden Wirkens und Strebens aufgefordert worden, in einem öffentlichen und vielgelesenen Blatte von unserem Wirken, dessen Grundsätzen und Zweck eine möglichst kurze und gedrängte Nachricht und Rechenschaft zu geben; zugleich aber auf diesem Wege die Einheit und den innern Zusammenhang der drey bis jetzt von uns erschienenen anzeigenden Schriftchen nachzuweisen, um eine allgemeine, gründliche und allseitige Prüfung unseres Wirkens und Strebens möglich zu machen und herbeyzuführen. Da wir einsehen, daß wir dieses nicht allein uns selbst, sondern ganz besonders noch den theilnehmenden Freunden unseres erziehenden Wirkens schuldig sind; so wollen wir jener Aufforderung durch das Folgende zu entsprechen suchen.

Alle Erscheinungen und Begegnisse des menschlichen Lebens mit ihren Wirkungen, so wie sie den Einzelnen oder eine Gesammtheit treffen, haben ihren Grund in dem Entwickelungsgange und der Entwickelungsstufe des Gemüthes und Geistes dieses Einzelnen, dieser Gesammtheit; so daß also auch die widersprechenden, überhaupt fehlerhaften Erscheinungen des Lebens in widersprechender, fehlerhafter Entwickelung und Ausbildung des Gemüthes und Geistes derselben ihre einzige Quelle haben.

Daß aber besonders in der jetzigen, wie in jeder aufgeregten strebenden Zeit so viele der Erscheinungen des Lebens widersprechend, zerstörend, überhaupt krankhaft, und so einem wahrhaft menschlichen Leben entgegen sind; daran wird wohl jeder mit uns zu glauben gezwungen, da die Klage darüber so allseitig und ohne Ausnahme entgegen tritt. Denn jeder Mensch, mit welchem uns das Leben in Berührung und Verbindung bringt, ist mit den Erscheinungen desselben unzufrieden, findet und erkennt sie nach Maaßgabe seiner Einsicht und seines Beurtheilungszustandes in zwar verschiedenen Rücksichten, aber immer in dem Grade [733]fehlerhaft, daß er klar ausspricht: so kann es nicht bleiben. Ist es also damit, daß alles das, was jedem jetzt überwiegend im Leben als ein Fehlerhaftes und Verderbliches entgegentritt, schwinden möge und müsse, wenn wahres Familienglück und Volkswohl herrschen solle: so muß auch eine dieser Forderung entsprechende Entwickelung und Ausbildung unseres Geistes und Gemüthes größte Sorge und erstes Bedürfniß jedes Einzelnen, jeder Familie, wie des ganzen Volkes seyn.

Eine solche Entwickelung und Ausbildung kann aber nur eine in dem Wesen des menschlichen Geistes und Gemüthes bedingte, und aus demselben nothwendig hervorgehende, also eine allseitige und harmonische, mit den nothwendigen Erscheinungen und Forderungen des menschlichen Lebens in völliger Uebereinstimmung stehende seyn. Und diese dem Menschen zu geben, ist der Zweck unseres erziehenden Wirkens.

Unsere Erziehung nimmt so den innern Menschen zuerst und ganz in Anspruch; sie gründet ihren gesammten Entwickelungs- und Ausbildungsgang auf dieses Innere, dieses Geistige des Menschen und auf dessen Gesetze. Diese Gesetze sind es einzig, nach welchen wir den Menschen erziehen, also nicht willkürliche, nicht gemachte, sondern nothwendige, ewige. Daher streben und suchen wir auch jede Anlage des Zöglings nach diesen in dem menschlichen Geiste selbst liegenden, nothwendigen Gesetzen zu entwickeln und auszubilden; und sind der festen Ueberzeugung, daß diese Gesetze ebenfalls allen übrigen Erscheinungen zum Grunde liegen und sie bedingen.

So wie wir nun unsere Erziehung und unseren Unterricht überhaupt an das Geistige des Menschen, an das Wesen desselben und dessen Grundverhältniß zu Gott knüpfen und binden, so binden und knüpfen wir wieder jedes einzelnen Zöglings Erziehung an seine geistige Natur; so daß wir also eines Jeden Wesen, Anlagen und Talenten und eines Jeden Charakter nach der reinen Quelle derselben ihre Entwickelung und Ausbildung zu geben uns bemühen. Hierdurch sind wir überzeugt, die Uebereinstimmung der allseitigen Ausbildung des Menschen mit den Forderungen der Außenwelt und des Lebens, mit denen der häuslichen und bürgerlichen, der menschlichen und göttlichen Verhältnisse zu erreichen, zu deren Aufsuchung der Mensch mit so unwiderstehlicher Gewalt hingetrieben wird. Darum folgen wir stufenweise der Entwickelung des Menschen, von dem fast noch instinctartigen Triebe an durch die Empfindung und das Gefühl hindurch bis zum Bewußtseyn und Willen hinauf, und bemühen uns, dem Zöglinge auf jeder dieser Stufen nur das zu geben, was er auf derselben ertragen, verstehen und verarbeiten kann, was ihm aber zugleich wieder ein Leiter zur nächst höhern Stufe der Entwickelung und Ausbildung des Lebens wird. So verwahren wir ihn vor jeder Halb- oder Ueberbildung; und er tritt so von unten herauf gebildet einig mit Gott, mit sich und der Welt in den Beruf und Stand, welchen er seinem Innern gemäß wählt, oder der ihm seinem Innern angemessen gegeben wird. Seine, wenn auch auf der untersten Stufe noch nicht ganz klare, aber doch immer wahre und lebendige Erkenntniß von dem Wesen des Menschen und dessen Verhältniß zu Gott, wozu und wofür ihm sein Inneres und sein [734]Leben selbst ein unzweydeutiger Lehrer wird, wird ihn in allen Lebensverhältnissen zu einem würdevollen Betragen führen. So allseitig und nach den Forderungen seines Innern ausgebildet, ist unserem Zögling alles, was er kann und weiß, aus seinem Innern selbst gleichsam hervorgewachsen. Daher wird er auch alles sein Wissen und Können nicht allein überall zweckmäßig anwenden, sondern er trägt auch die Mittel zur eignen weitern Ausbildung und Vervollkommnung in sich; es ist nichts Todtes, Angelerntes, sondern lebendig aus dem Innern Entwickeltes, was also auch so wie sein Wesen, das Wesen der Menschheit von Stufe zu Stufe der Vollkommenheit entgegenschreitet.

Aus dieser Entwickelung und Ausbildung nach Maaßgabe eines Jeden Anlage und Kraft müssen nothwendig zufriedene, thätige, tüchtige Glieder der Familie hervorwachsen. Denn in jedem Menschen ruht für irgend eine Wirksamkeit, irgend einen Beruf eine vorwaltende Anlage, und für die Ausbildung derselben eine in gleichem Verhältniß stehende Kraft. Die Ausbildung nun für diesen von der Natur selbst bestimmten und gegebenen Beruf kann keine andere als zufriedene und tüchtige Familien- und Volksglieder hervorbringen. Wir suchen diese Zufriedenheit mit sich, diese Befriedigung in und durch die verschiedenen Verhältnisse des Lebens noch ins Besondere dadurch zu erreichen, daß wir in unserer Lehre und unserem Unterrichte Erkennen und Thun, Denken und Darstellen, auf das innigste zu vereinigen streben, und in dem Menschen die Fähigkeit entwickeln und zur Fertigkeit zu erheben suchen, jedes Erkannte und Gedachte auch außer sich darzustellen, und das außer ihm sich Findende leicht sich anzueignen – und so das Erkennen des Menschen zum größten und höchsten Thun zu erheben, und ihn bey seinem Thun zum gründlichen und ersprießlichen Denken zu führen.

Hierdurch wird besonders in jedem Zöglinge früher die Fähigkeit, für Selbstständigkeit, Selbsterhaltung wirken zu können, vermittelt, zur Fertigkeit und Sicherheit, zum Bewußtseyn und so zur ächten und wahren Würdigung erhoben.

Da wir den Menschen nach der Allseitigkeit seines Wesens und seiner Anlagen im Auge haben, so ist es natürlich, daß die Entwickelung für die Kunst wie für das Wissenschaftliche, die Bildung für die Hervorbringung der einfachen Naturproducte wie für die einfachere und höhere Bearbeitung derselben, daß uns die Kenntniß der Stoffe und Kräfte der Natur, und die Naturgeschichte wie die Volks- und Menschengeschichte, die Mathematik wie die Sprache, und hier die sogenannten todten wie die lebenden Sprachen etc. zur Ausbildung des Menschen gleich wichtig seyn müssen.

Es ist uns nun nur noch übrig, den innern Zusammenhang der drey bis jetzt von uns erschienenen anzeigenden Schriftchen anzudeuten.

Einheit, Einigkeit und Zutrauen sind die Grundbedingungen jedes ersprießlichen Wirkens besonders für bleibendes Familienglück und Vaterlandswohl. Jeder Deutsche hat gewiß diese Wahrheit, wenn auch nicht klar und bewußt gedacht, jedoch mit uns [735]gleich lebendig empfunden. Wir sind überzeugt, daß das Streben nach Herstellung derselben nicht anders als die Theilnahme jedes Denkenden, Fühlenden und Erfahrenen im Volke wecken könne und müsse. Unsere erste anzeigende Schrift (auf dem Titel die 2te genannt): „An unser deutsches Volk. Erfurt bey Müller 1820. 8. 40“ zeigt daher unser erziehendes Wirken und Streben als ein in Einheit, Einigkeit und Zutrauen ruhendes und daraus hervorgegangenes. Sie zeigt, wie unser Streben ist, seyn muß und nur seyn kann: für höchstes Zutrauen – Zutrauen zu Gott, zu sich und zu Anderen – zu erziehen, und nachzuweisen, daß ein solches Zutrauen seinen letzten Grund nur in dem ursprünglichen Verhältnisse der Menschen zu Gott habe. Sie zeigt, daß ein prüfender Blick auf das, was unser Volk seinem Wesen und seiner Anlage nach ist, uns lebendig mit diesem Zutrauen erfüllen, dafür beleben und bethätigen könne und müsse; so daß daher jedes ächt deutsche erziehende Streben in der Entwickelung und Ausbildung für dieses Zutrauen, als in einem die tiefsten Bedürfnisse des gemeinsamen deutschen Vaterlandes in ihrer Quelle befriedigenden, sein letztes Ziel und seinen höchsten Zweck finden müsse, und daß wir unser Ziel und unseren Zweck darin finden.

Was dem Einzelnen, sey es ein einzelner Mensch oder eine einzelne Familie oder ein einzelnes Volk wahrhaft wohlthätig, ersprießlich und heilbringend ist, das muß auch in dem Ganzen, von dem es ein Theil ist, bedingt seyn und aus demselben nothwendig hervorgehen. Daher suchen wir in unserer zweyten anzeigenden Schrift: „Durchgreifende, dem deutschen Charakter erschöpfend genügende Erziehung ist das Grund- und Quellbedürfniß des deutschen Volks. Erfurt bey Müller 1821. 8. 48.“ die Nothwendigkeit einer gründlichen deutschen Volkserziehung in der Uebereinstimmung des Entwickelungsganges des menschlichen Geistes mit den höchsten Entwickelungsgesetzen der Natur zur Anschauung zu bringen und in dem Wesen und Charakter des deutschen Volkes nachzuweisen. Ferner suchen wir darin die verschiedenen Erscheinungen des Lebens, sowohl Einzelner im Volke, als auch des ganzen Volkes, ihre nothwendigen Folgen und die aus diesen hervorgehende Nothwendigkeit einer durchgreifenden deutschen Volksbildung in geschichtlichen Erscheinungen, deren Ursachen und Folgen im Allgemeinen und in denen des deutschen Volks insbesondere zu zeigen.

Dieses Wiederkehrende und Gesetzmäßige in allen Erscheinungen und Verhältnissen des Lebens, sowohl Einzelner im Volke, als des ganzen Volks, diese Uebereinstimmung der Entwickelungsgesetze der Natur mit denen des Geistes und die Erkenntniß: daß diese Gesetzmäßigkeit und Gleichgesetzigkeit nur darin bedingt sey, daß alle Dinge aus einer Einheit hervorgegangen sind, daß sie alle durch Gott ihr Daseyn und Bestehen haben, kann und muß den Menschen mit Zutrauen zu Gott, zu sich und zu anderen erfüllen. Und so hängt diese Schrift mit der vorhin genannten in sich zusammen.

Da es aber die Erziehung, die Lehre und das Leben ist, wodurch der Mensch zu jenem Zutrauen erhoben werden [736]soll, und der allgemeine Zusammenhang des Unterrichts unter sich und mit dem Leben, und die Behandlung jedes einzelnen Unterrichtsgegenstandes eben so von einer inneren Nothwendigkeit bedingt ist; so suchen wir in einer dritten Schrift: „Grundsätze, Zweck und inneres Leben der allgemeinen deutschen Erziehungsanstalt in Keilhau. Rudolstadt 1821. 8. 32 in Commission der Hofbuchhandlung“ andeutend nachzuweisen, wie wir den in den obigen beyden Schriften aufgestellten Grundsätzen durch unser Leben, unsere Lehre nachzukommen uns bemühen, und wie weit sich unser Kreis in jedem einzelnen Erziehungsmittel und Unterrichtsgegenstande wirklich ausgebildet hat. Zugleich zeigen wir in dieser Schrift die Bedingungen an, unter welchen Knaben in unsere Erziehungs-Anstalt aufgenommen werden.

Dies muß uns hier als Andeutung über den inneren Zusammenhang der genannten drey Schriftchen genügen.

Aus dieser Darstellung unseres Wirkens und der Grundsätze desselben geht also klar hervor, daß wir bey unserem Erziehungs- und Lehrgeschäft einzig von dem Inneren überhaupt und dem Bedingenden desselben ausgehen, daß demselben nur die nothwendig innere Anschauung der Dinge zum Grunde liegt. Wir wissen recht gut, daß dieß für die meisten weder eine ansprechende, noch für die Sache einnehmende Seite ist. Dennoch kann fernerhin eine nur äußere Anschauung und Beachtung des Menschen und seiner Verhältnisse, der Dinge und Erscheinungen, ihrer Ursachen und Folgen uns überhaupt zu Nichts führen, wenigstens kann sie uns nichts von dem reichen, was wir als Menschen und als Deutsche so sehr bedürfen. Nur die innere Ansicht der Dinge, des Menschen und seiner Verhältnisse, nur die ist es, die, wie sie von jeher und durch alle Zeiten hindurch sich bewährt und erhalten hat, sich auch in unserer jetzigen kämpfenden Zeit und in alle Zukunft hin als die einzige wahre bewähren und erhalten kann und wird. Sie ist es aber, die jetzt mehr denn zu irgend einer Zeit durch den vorwaltenden Hang zur Aeußerlichkeit uns entrückt worden ist. Zu ihr müssen wir unumgänglich zurückkehren, wenn wir finden und uns aneignen wollen, was Noth thut.

Zwar scheuen wir uns alle davor und sträuben uns dagegen, sowohl in Beziehung auf uns selbst als in Beziehung auf unsere Kinder; denn es ist mit Hingabe von oft tief mit unserem Leben verwachsenen Aeußerlichkeiten, seyen es auch nur vorgefaßte Meynungen, liebgewordene Gewohnheiten etc. verbunden. Dennoch wird uns, so sehr dieß auch ist, nichts von jener Rückkehr zu uns, zu dem Geistigen, Inneren befreyen; und werden wir nicht aus eignem freyen Willen dazu greifen, so wird uns das Festhalten am Aeußeren ein diesem Aeußeren gleiches Schicksal bereiten, und uns also, wenn es in sich selbst versinkt, auch mit sich dahin reißen, ohne daß wir uns eines höheren geistigen Seyns und Bleibens zu erfreuen haben. Es ist jetzt wie zu allen großen geschichtlichen Zeiten dem Menschen sein Wohl und sein Wehe in seine eigne Brust, in seinen eignen Geist gelegt. Wer sich von diesem wendet, wendet sich von seinem eignen Heile. Wer seine Kinder und seine Pflegebefohlenen nicht zu ihrem Inneren führt, der führt sie nothwendig von dem Wege zu ihrem bleibenden Wohl, sey es als Familien- oder Volksglieder oder [737]als Menschen an sich, hinweg. Lasset uns darum nie vergessen: „Unsere Kinder werden unsere Richter seyn!“